Sören Gehlhaus
· 26.01.2023
Marco Casali ist Schöpfer der zeitlosen Itama-Gleiter, sein Gestaltungsspektrum aber reicht von fünf bis 110 Meter. Der energiegeladene Römer scheut die Nische nicht und entwirft Solarkats, NFT-Yachten und ladyhafte 50 Meter.
Das Lächeln ist gewinnend, die Schultern sind breit, und die Dolce-&-Gabbana-Gürtelschnalle sitzt unter einem weißen Monogramm-Hemd mit seinen Initialen linksseitig des fünften Knopfs. Marco Casali ist leicht inmitten des Messetrubels auszumachen. Den CrossFit-Fanatiker nicht gut gelaunt und vor Energie strotzend anzutreffen ist so selten wie eine Itama in Verdrängerfahrt. Der Römer und sein Studio Too Design bieten das wohl breiteste Gestaltungsspektrum der Branche; die derzeitigen Projekte bewegen sich in der Spanne zwischen fünf und 50 Meter, beteiligt war er aber bereits an bis zu 110 Meter langen Bauten.
Kaum ein anderer Designer navigiert so stilsicher zwischen der Yacht- und Bootswelt und scheut darüber hinaus selbst die Nische nicht. „Giorgetto Giugiaro hat viele bedeutende Sportwagen entworfen, am meisten verkauft wurde aber sein Fiat Panda“, sagt Casali und spielt auf seine Motorbootentwürfe für Bavaria an. Seit 2010 entstanden acht Kreationen von 35 bis 45 Fuß im Auftrag der Giebelstädter Werft. Vor allem aber formte er ab 2004 Itamas ikonische Powerformate oder jüngst ISAs Supergleiter „Aldabra“ (hier geht es zum Porträt). Nicht vergessen werden sollten zwei 50-Meter-Formate, die sich bei Rossinavi und Columbus im Bau befinden. Kürzlich überraschte er mit zwei Solarkat-Entwürfen für Silent Yachts, einem futuristischen E-Bike und zwei NFT-Yachten. Er selbst fährt einen Tesla X, den er vor dem Sitz von Too Design parkt, einer terrakottafarbenen Villa rustica unweit der italienischen Hauptstadt.
Marco Casali ist der Sohn eines Italieners und einer dänischen Schauspielerin – „nicht blond“, wie er betont. Yachting kam früh in sein Leben. „Als ich sechs Jahre alt war, kauften meine Eltern einen Stahlkreuzer, eine Akerboom. Topspeed: acht Knoten – bei Rückenwind und Hecksee“, lacht Casali. Die Familie lebte in Rom, das Boot aber lag in der Toskana, und meist ging es nach Sardinien. Sein Vater fuhr mit ihm die Häfen ab und präsentierte sämtliche Boote. Klein Marco zeichnete sie dann, als sie zu Hause waren, und seine Mutter bewahrte die Skizzen glücklicherweise auf. Der frühe Casali mochte es kantig und war bereits ein Freund klarer Linien.
Als er sein fünfjähriges Architekturstudium in Rom aufnahm, spielten Boote zunächst keine Rolle bei der Fachwahl. „Boote zu designen war meine Leidenschaft, aber ich hätte nie gedacht, dass daraus ein Job werden könnte.“ Bis er auf Gianni Zuccon traf. Zuccon, der mit Pierluigi Spadolini als einer der Gründerväter der italienischen Yachtdesign-Gilde gilt, arbeitete auch als Professor und betreute 1999 Casalis Abschlussarbeit: einen 120 Meter langen Katamaran, auf dem sich ein Museum mit dynamischen Räumen befindet. Casali erinnert sich: „Ich musste Architekturelemente einbinden, sonst hätte die zwölfköpfige Prüfungskommission meine Arbeit nicht verstanden.“ Mit „Art Explora“ baut eine italienische Werft nun einen 46-Meter-Katamaran nach Plänen eines französischen Designers, dem ein ganz ähnliches Konzept zugrunde liegt.
Dass Casali seiner Zeit voraus war, erkannte Gianni Zuccon und stellte ihn fünf Tage nach seinem Abschluss mit summa cum laude ein. „Ich war sechs Jahre bei Zuccon und lernte die Abläufe in einem Studio kennen und wie Yachtdesign wirklich funktioniert.“ Sein eigenes Studio eröffnete er 2004 mit einem Mitarbeiter, mittlerweile sind es elf. Ihr erster großer Auftrag: Itama. Als die 1969 gegründete Werft 2004 in die Ferretti-Gruppe aufgenommen wurde, suchte man nach einem neuen Designer. Das Interesse war groß, die Marke von hoher Strahlkraft. Aber Casali hatte einen Fürsprecher im Pershing-Gründer Tilli Antonelli: „Tilli sagte Norberto Ferretti, dass er auch mich als jungen Designer in Betracht ziehen sollte. Das tat er dann auch und stellte mich vor meine erste große Herausforderung.“
Bis 2010 schuf Marco Casali sieben Modelle von 40 bis 75 Fuß, immer um die 40 Knoten schnell und immer als Open konzipiert, also mit einem möglichst unverbauten Deck. Statt eines Aufbaus scheint die flache und bis zum Heck reichende Windschutzscheibe über den abgerundeten Süllrand wie aus einem Guss dem lang gezogenen Vorschiff zu entspringen. Ein weiteres charakteristisches Merkmal erstreckt sich über das tiefe V des Unterwasserschiffs: der „Löffelbug“, von oben im vorderen Drittel als breiteste Stelle des Decks auszumachen. Das gibt zwar Abzüge bei Gleitwiderstand und cw-Wert, strahlt aber von unten aufkommendes Wasser zu den Seiten ab, weit weg von den nicht selten schneeweißen Decks. Das aktuelle Itama-Portfolio umfasst drei Casali-Modelle, die nahezu unverändert weiterlaufen und sich bestens verkaufen. „Es werden um die zwölf pro Jahr gebaut. Erst gestern rief mich ein Freund an, der eine neue 62 haben wollte. Ich erkundigte mich und erfuhr, dass sie erst in einem Jahr anfangen könnten.“
Wenn der Italiener über seine Itamas spricht, stellt er einen Punkt heraus: die Seegängigkeit. Ihm ist es wichtig, dass Eigner ihre Yacht in jedweden Bedingungen nutzen können, wie er es selbst mit seiner Pershing 54 tut, meist zwischen Korsika und Sardinien. Warum er keine Itama fährt? „In gutem Zustand ist es nahezu unmöglich, eine auf dem Gebrauchtmarkt zu ergattern. Wenn doch, zu horrenden Preisen.“ Itama hat eine der am längsten laufenden Yachtlinien. „Als die erste 62 auf den Markt kam, bestimmte noch Kirschholz die Interiors“, so Casali, dem die Marke nach wie vor am Herzen liegt. „Ich habe bereits 2006 eine Walkaround-Version der 38 präsentiert, die sich bestimmt gut verkauft hätte, aber nicht realisiert wurde. Ich hoffe, dass sich eines Tages ein Designer der Marke annimmt.“ Casali behielt während der Itama-Zeit seine Selbstständigkeit bei und nahm mit seinem Studio andere Aufträge an. Er zeichnete Villen und auch wieder Katamarane.
Die Zweirumpfer kehrten aber nicht erst mit Silent Yachts in sein Leben zurück: „Aldabra war mein zweiter Auftraggeber. Sie bauten luxuriöse Segelkats und sind leider vom Markt verschwunden, obwohl sie schon vor 15 Jahren den jetzigen Trend vorhersahen.“ Ein Modell zeigte 2005 bereits Solarpaneele auf dem Dach. „Bevor ich zu Silent Yachts kam, arbeitete ich für ein Startup, das eine Charterflotte aus Solar-Katamaranen aufbauen wollte.“ In Kontakt mit dem Solarkat-Hersteller aus Österreich geriet Casali durch befreundete Werftinhaber, als Silent auf der Suche nach einem Designer für die 80 war. Wieder erwartete ihn keine leichte Aufgabe: „Die Solarmodule beanspruchen eine flache, langweilige Fläche für sich, die es gilt, gut in das Design zu integrieren.“ So entspringt die Flybridge aus einer homogenen Photovoltaikfläche, indem ein Hardtop hochfährt und den darunterliegenden Steuerstand freilegt. Von dem 24 Meter langen E-Kat, den es auch als Dreidecker gibt und der sowohl in Italien als auch in Thailand gebaut wird, gingen bereits neun Orders bei Michael Köhler und seinem Team ein.
Das „Transformer“-Prinzip der aufgefächerten Solarmodule treibt die Silent 100 Explorer auf die Spitze, deren Topdeckmodule ein Helipad freilegen. Mit 31 Metern Länge, einer Breite von 13,62 Metern und 10,46 Metern Höhe entsprechen die Innen- und Außenflächen des 440 Gross Tons großen Kats einem 40 bis 50 Meter langen Einrumpfer. Der Eigner soll 2023 erstmals bis zu 40 Kilowatt Sonnenenergie in der Spitze ernten können.
Die Frage drängt sich auf, inwieweit seine Powerformate im Widerspruch zu den Solarkonzepten stehen. Schließlich schießt die 30 Meter lange ISA Supersportivo GTO 100 „Aldabra“ mit bis zu 55 Knoten über das Mittelmeer. Casali zieht eine diplomatische Antwort vor: „Die Freude am schnellen Vorankommen liegt in der Natur der Menschen. Auf dem Meer geht es nicht um Topspeed, sondern darum, eine möglichst hohe Geschwindigkeit bei jedem Seegang beibehalten zu können.“ Im gleichen Atemzug weist der römische Architekt darauf hin, dass von ihm keine futuristischen Konzepte kommen, die auffallen, aber nicht in rauer See funktionieren. Casali eröffnet eine Metaebene: „Ich möchte so viele Menschen wie möglich aufs Wasser bringen. Deswegen arbeite ich auch für Bavaria und interessiere mich für alles, was schwimmt.“
Als das genaue Gegenteil von seinen High-Speed-Projekten beschreibt Casali das 50-Meter-Projekt „Lady“, das bei Columbus Yachts in Genua entsteht und auf der diesjährigen Monaco Yacht Show gezeigt werden soll. „Wir haben es vollelektrisch probiert, aber es ist ein moderner Hybridantrieb geworden. Sie ist sehr ökologisch orientiert“, sagt Casali über die Eignerin, die auch die Innengestaltung in Casalis Hände gab und einem ökologischen Fokus unterordnete. Zum Einsatz kommen grüne Materialien, für die keine Tiere sterben mussten, und die möglichst lokal bezogen werden. Der unter 500 Gross Tons große Bau erhält einen Heckpool, ein Helipad auf dem Vorschiff und ein komplexes Luftreinigungssystem, das Schadstoffe unter Zuhilfenahme von kaltem Plasma zersetzt. Ihr Designer verspricht: „Nicht nur die Linien werden zeitlos und feminin sein, auch die Farbgebung wird überraschen.“
Zum Kundenkreis von Too Design zählen auch vergleichsweise junge Menschen. Sie wollten für längere Zeit an Bord bleiben, weil sich die Arbeitswelt verändert habe. „In der Branche haben wir es mit 27-jährigen Eignern zu tun, die ihr Geld mit Bitcoins gemacht haben und mit 50 Metern einsteigen.“ Er habe einige dieser Kunden, häufig suchten sie den Erstkontakt über Instagram. Ein Jungeigner sei kurz vor Abschluss, zwei weitere waren erfolgreich. Sie kamen über einen Broker und Eignervertreter. Später erfuhr Casali, dass ihn die Eigner zuvor auf Instagram entdeckt hätten.
Die Millennial-Akquise wird der römischen Designadresse neuerdings durch NFTs erleichtert. Erste virtuelle Kunstwerke, eine Star-Wars- und eine Miami-Vice-Yacht, präsentierte man auf der Miami Boat Show, gemeinsam mit der NFT-Plattform Cloudyachts.co. Ein reales Konzept, das sich dem Nachhaltigkeitsgedanken verschrieben hat, nennt sich „VisionE“ – was im Ganzen auf Italienisch auch als Zukunft gelesen werden kann. „Es soll zeigen, dass auch vollelektrische Einrumpfer möglich sind, obwohl sie mehr Antriebsenergie benötigen als Katamarane.“ Die Kennwerte: zwei Decks, knapp unter 500 Gross Tons, ein effizienter Rumpf in Form einer Segelyacht und alle Kabinen im Rumpf, aber jede mit eigenem Klappbalkon ausgestattet. Das sei wichtig für die neue Eignergeneration, die viel Zeit draußen verbringen möchte. Die Solarflächen auf dem Dach fahren wie bei den Silent-Modellen nach oben und zur Seite weg, sodass darunter weitere Paneelreihen zum Vorschein kommen. Den knapp 57 Meter langen Alubau treiben Brennstoffzellen oder Dieselgeneratoren an.
Über Freunde kam Casali dazu, ein E-Bike zu designen, das für große Aufmerksamkeit sorgte und dessen Prototyp er Interessenten überaus gern auf dem Handy zeigt. Der Eyecatcher befindet sich aktuell im Bau und brachte ihm Gestaltungsaufträge für weitere, weitaus traditionellere Fahrräder ein. Momentan bremsen globale Lieferengpässe die Produktion der ersten 500 Super-Pedelecs aus. Wenn das Evero Bike erhältlich ist, beschleunigt es auf 80 Kilometer in der Stunde – und ist damit etwas schneller als die 40 Knoten laufenden Itamas mit ihren Dieselmotoren. Doch lange Zeit dürfte es nicht mehr dauern, ehe auf dem Wasser auch große Gleiter vollständig elektrifiziert werden. Und sicher ist, dass Marco Casali dann gestalterisch mit von der Partie sein wird.