PorträtWie Bernardo und Martina Zuccon das Yachtdesign revolutionieren

Boote Exclusiv

 · 11.11.2023

Bernardo und Martina Zuccon
Foto: Giovanni Malgarini
Bernardo und Martina Zuccon führen das Erbe ihrer Eltern fort und revolutionieren das Yachtdesign durch ein kluges Zusammenspiel aus Exterieur und Interieur. Die Geschwister aus Rom bringen ein völlig neues Raumverständnis an Bord.

Ein Text von Norman Kietzmann

Alles ist eine Frage der Perspektive – an Land wie auf dem Wasser. Martina und Bernardo Zuccon sind in einer Familie aufgewachsen, in der Boote allgegenwärtig sind. Dennoch gingen sie ihren eigenen Weg und fanden den Mut, an den Regeln der Branche zu rütteln. Sie planen Yachten aus der Perspektive von Architekten, nicht aus der von Konstrukteuren. Das bedeutet vor allem: Es geht um Raum – seine Aufteilung, seine Wirkung, die Verflechtung von Innen und Außen sowie das Kreieren von Atmosphäre. „Eine Yacht ist keine Skulptur. Und erst recht kein Auto auf dem Wasser. Sie ist ein Zuhause, ein Raum, der sich auf Menschen bezieht“, bringt es Bernardo Zuccon auf den Punkt.

Wenn er einen Rumpf entwirft, beginnt er nicht mit perspektivischen Darstellungen von außen. „Ich entwerfe die Boote im Schnitt. Mein Ziel ist es, zuerst einen Lebensstil an Bord zu entwickeln. Dann lege ich die Hülle drum herum fest“, erklärt der römische Gestalter. Von purer Performance getriebene Pfeilformen sind nicht seine Sache. Er mag klassische, elegante Yachten – und sucht nach einem Weg, ihre Anmut in eine Ästhetik der Gegenwart zu überführen. Inspiration findet er in der Architektur. „Die Schönheit eines Bootes ist die Harmonie in der Beziehung zwischen der äußeren Form und ihrer inneren Funktion. Wenn eine von beiden versagt, entmaterialisiert sich die Schönheit“, ist Bernardo Zuccon überzeugt. Eine Yacht muss gleichermaßen statisch und dynamisch sein.

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Doppelte Perspektive, eine Haltung

Die Besonderheit des Studios liegt in der Relation zweier Geschwister. Martina, Jahrgang 1980, und ihr zwei Jahre jüngerer Bruder haben beide an der Universität La Sapienza in Rom Architektur studiert – genau wie ihre Eltern Gianni Zuccon und Paola Galeazzi. Die hatten 1972 nach ihrem Abschluss ein gemeinsames Architekturbüro gegründet. Über einen Freund kam 1975 die Einladung zum Wettbewerb für eine Yacht der Posillipo-Werft, die spätere Technema 65. „Sie nahmen daran teil, weil sie überhaupt nicht wussten, wie man Boote baut. Doch genau das war ihre Stärke. Sie gewannen den Wettbewerb und begannen diese Reise, die bis heute anhält“, sagt Bernardo Zuccon. Seit 1978 hat das Büro, das 1984 in Zuccon International Project umbenannt wurde, jedes Jahr mindestens eine neue Yacht vorgestellt.

Martina Zuccon ging 2004 ins Büro ihrer Eltern. Ihr Bruder folgte drei Jahre später. „Für mich wäre es seltsam gewesen, nicht mit meiner Familie zusammenzuarbeiten. Mama und Papa haben ihre Arbeit geliebt, und so kamen die Dinge unweigerlich nach Hause. Meine erste Yacht-Messe in Genua habe ich mit acht Jahren gemacht“, erinnert sich Martina Zuccon. Der größte Vorteil, als Geschwister zu arbeiten? „Wir haben immer einen Filter, ob wir wollen oder nicht. Aber in der Familie ist der Filter viel kleiner. Das bedeutet, dass man sagt, was man denkt, weil man einfach nicht anders kann“, erklärt Martina Zuccon. Kritik findet intern statt. Und davon profitiert jedes Projekt.

Die Zuccon-DNA

Die Zusammenarbeit ist fließend. „Bei einer Yacht kann man nicht bestimmen, du machst innen und ich außen. Wenn man Transparenzen und Volumina abgrenzt, bestimmt man folglich auch die Innenräume. Es gibt eine Kohärenz zwischen beiden“, sagt Bernardo Zuccon. Dennoch gibt es Schwerpunkte: „Auch wenn ich mehr am Interieur arbeite und Bernardo mehr am Exterieur: Spätestens bei den Grundrissen fließt beides zusammen. Wir arbeiten also stets im Tandem mit unseren Mitarbeitern“, betont Martina Zuccon. Genau darin liegt die DNA des Büros. Schon ihre Eltern haben ganzheitlich gedacht. Parallel zu ihren nautischen Projekten haben sie seit 1983 sämtliche Gebäude auf dem Campus der Europäischen Weltraumorganisation in Frascati unweit von Rom geplant.

Ihre ersten Yachten entwarfen Martina und Bernardo für die Ferretti-Gruppe. Als deren neues Management antrat, gab es auch den Wunsch, das Designteam zu verjüngen. Bei einem Treffen in Bologna 2011 präsentierte Gianni Zuccon zehn Entwürfe. „Einer war von mir. Und auf genau den fiel die Entscheidung. Das war ein harter Schlag für meinen Vater, denn zum ersten Mal wurde eine von meinen Zeichnungen seinen vorgezogen“, erinnert sich Bernardo Zuccon. Dies besiegelte den Generationenwechsel im Designbüro, das in den folgenden Jahren die Navetta 33, 37 und 42 für Custom Line konzipierte, die bis heute produziert werden. 2017 kam es zum Bruch, als das Management parallel mit anderen Designern arbeiten wollte. Massimo Perotti, Chef der Sanlorenzo-Werft und mit guten Antennen für die Lage der Branche bestückt, bekam Wind davon. Er kontaktierte die Zuccon-Geschwister und bat sie um erste Entwürfe. Aus diesen sind später die Serien SL, SD und SX hervorgegangen. Mit noch nicht einmal 40 Jahren haben Martina und Bernardo Zuccon die gesamten Exterieurs von Sanlorenzo neu definiert. Die Inneneinrichtungen stammen oft ebenso von ihnen. Oder sie werden in Kooperation mit Piero Lissoni konzipiert, der 2018 die Art-Direktion für die Werft in La Spezia übernahm und Designer wie Patricia Urquiola an Bord holte.

Mit der 2018 vorgestellten SL102 gelang sogleich eine Sensation – schließlich war sie die erste asymmetrische ­Motoryacht der Welt. Auf dem Hauptdeck wird auf einen der beiden Außenkorridore verzichtet, sodass der Wohnraum direkt an die Bordwand heranrückt. „Damit schaffen wir nicht nur mehr Platz. Viel wichtiger ist das Gefühl, den Wellen näher zu sein, weil kein Korridor sie auf Distanz hält. Es geht um eine sensorische Erfahrung“, betont Bernardo Zuccon. Von außen ist die Asymmetrie jedoch nicht sichtbar. Sie erschließt sich erst beim Betreten des Interieurs. „Im Grunde ist es eine Art von Illusion. Genau diese Überraschung gefällt mir“, erläutert Bernardo Zuccon.

Übertragen von Adolf Loos’ „Raumplan“ an Bord

An dieser Stelle kommt der Wiener Architekt Adolf Loos (1870–1933) ins Spiel. Von ihm lernten die Zuccon-Geschwister zwei Dinge. Erstens: Die Fassade muss nicht den inneren Aufbau widerspiegeln. Zweitens: Räume lassen sich nicht nur durch Wände und Türen trennen. Um 1910 hatte Loos die Idee des „Raumplans“ entwickelt. Große Zimmer werden in Zonen unterteilt, die in der Höhe angehoben oder abgesenkt werden. Zuerst wurde dieses Prinzip bei der Alloy (2020) umgesetzt, deren Eignerkabine sich über drei Ebenen erstreckt. Bei der SP110 (2022) wurde erstmals ein Split-Level-Design vorgestellt, bei dem das Achterdeck auf halber Höhe zwischen Ober- und Unterdeck platziert ist. Dasselbe Konzept wird mit der 50Steel weitergeführt, die 2024 an Massimo Perotti ausgeliefert werden soll. „Hier entsteht ein Spiel der Ebenen im Salonbereich. Es gibt Lounges, die durch halbe Treppen und Rampen verbunden sind. Sie schaffen den Eindruck einer kontinuierlichen und dennoch in einzelne Zonen separierten Umgebung, was im nautischen Bereich etwas vollkommen Neues ist“, erklärt Martina Zuccon.

Eine Illusion gelingt der 2023 in Cannes vorgestellten BGM75 von Bluegame, mit der die Sanlorenzo-Gruppe ins Zweirumpfsegment vordringt. „Weder beim Blick aus der Ferne noch wenn man sich auf der Yacht befindet, hat man das Gefühl, auf einem Katamaran zu verweilen“, erklärt Bernardo Zuccon. Lediglich bei frontaler Ansicht erschließt sich die Konstruktion. So entsteht eine neue Typologie, die Effizienz in der Fortbewegung mit hohem Komfort in Einklang bringt. Der Hybrid-Gedanke hat auch die Entwicklung der SX100 (2023) von Sanlorenzo bestimmt. Die 34-Meter-Yacht verfügt über einen geräumigen Beachclub mit ausklappbaren Seitenterrassen. Bernardo ­Zuccon: „Dieses sehr spezielle Design entstand aus dem Wunsch heraus, die Geräumigkeit einer Explorer-Yacht mit der Großzügigkeit einer klassischen Navetta zu kombinieren.“

Der interdisziplinäre Ansatz, den Vater Gianni Zuccon dem Büro eingeschrieben hat, zeigt sich in mehreren Designprojekten. Für den Möbelhersteller Poltrona Frau entstand 2023 das modulare Sofaprogramm „Jacques-Yves“. Die Sitzkissen lassen sich nach oben klappen, sodass sie großzügige Fächer freigeben. Schließlich zählt an Bord einer Yacht jeder ­Quadratmeter an zusätzlicher Ablagefläche. Während der Genoa International Boat Show in diesem Herbst wurde die Türklinke Oblò für den Hersteller F.lli Razeto & Casareto präsentiert. Der antimikrobielle Griff schmeichelt mit seinen runden Enden der Hand. Zugleich beugt er Verletzungen vor, falls starker Seegang die Passagiere beim Navigieren durch die Innenräume aus dem Gleichgewicht bringt. „Alles basiert auf dem Ansatz, dass diese Dinge, egal wie groß oder klein sie sind, immer mit dem Menschen zu tun haben“, beschreibt Bernardo Zuccon seine Philosophie. Bereits seit Jahren hat er ein Traumprojekt im Kopf, das nun tatsächlich Gestalt annehmen soll: ein kompaktes Boot von 11,50 Meter Länge. „Ich möchte meine ganzen Erfahrungen hier zusammenfassen. Das Boot ist klein und doch passt alles hinein. Es verfügt über vier bequeme Betten, ein großes ­Badezimmer, eine separate Dusche, eine schöne, komfortable Essecke, eine Pantry und einen Dachträger zum Befestigen von Surfbrettern. Für mich wird es die kleinste Superyacht der Welt sein“, führt Bernardo Zuccon begeistert aus. Erste Skizzen möchte er noch nicht zeigen. Doch so viel vorweg: Sie wird einer puristischen, leicht militärisch anmutenden Ästhetik folgen, die Assoziationen an Wochenendboote weckt, die sich vor allem in den skandinavischen Ländern großer Beliebtheit erfreuen. Das erste Exemplar baut er für sich selbst. Ob es in einer Serie mündet, wird sich später zeigen.

Innovative Technologien helfen Zuccon International Project bei der Designoptimierung

Innerhalb des Studios hat er eine kleine Abteilung eingerichtet, die durch den Einsatz von virtueller Realität und 3-D-Druck dafür sorgen will, dass kein Millimeter Platz an Bord verschenkt wird. Apropos Studio: Seit den Siebzigerjahren hat Zuccon International Project in einer früheren Wohnung im Zentrum von Rom gearbeitet. Vor fünf Jahren kauften die Geschwister eine eindrucksvolle Villa und transformierten sie nach drei Jahren Bauzeit in ein Studio für ihre 20 Mitarbeiter. „Dieser Ort ist einzigartig in Rom: eine Villa inmitten der Stadt mit einem großen Garten, wo wir einen Tennisplatz anlegen wollen. Wir wollen eine Art von Country Club werden, um mit unseren Freunden am Wochenende zu entspannen“, sagt Bernardo Zuccon, der nur 500 Meter entfernt wohnt. Die Villa ist nun zu einer Insel nautischer Schönheit geworden: ein Ort, an dem Yachten ein Stück weit anders gedacht werden als sonst.


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