GriechenlandSüchtig nach Wasser

Christian Tiedt

 · 26.03.2020

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Foto: Nils Günther

Von Insel zu Insel: Im weiten Blau des Saronischen Golfs spiegelt sich Griechenland von seiner schönsten Seite.

Weltgeschichte wurde hier geschrieben – oder zumindest vorbereitet. Doch wenn man oben auf der Einfassungsmauer zwischen den Jugendlichen steht, die mit Blick aufs Wasser bei bester Laune die Beine baumeln lassen, würde man niemals darauf kommen. Zu sonnig ist die Stimmung, das Lachen zu ausgelassen. Party statt Pathos. Óla kalá sagen die Griechen – "alles bestens".

Im Mittelpunkt liegt die Bucht von Zea, die so kreisrund ist, dass sie beinahe künstlich angelegt wirkt. Ihr schmaler Zugang und die lange Mole bieten dazu den besten Schutz, selbst wenn Notos – der Gott des Südwinds – im Sommer seine Unwetter den Saronischen Golf heraufschickt.

Vom Ufer laufen die Schwimmstege der Marina zur Mitte der Bucht. Boote aus aller Herren Länder liegen Bordwand an Bordwand, lackglänzende Schoner neben verwitterten Oldies und verchromten Motoryachten. Weiter draußen werden sie immer größer, die Masten höher.

Ein Meeting von Megas, das selbst Monacos Port Hercule in den Schatten stellt.

Ebenso dicht geschlossen ist die Reihe der Gebäude, die den Hafen einschließen, unten Restaurants, Cafés und Bars, darüber Balkons mit Markisen und Sonnenschirmen. Kein Fleckchen Fassade wird verschwendet – das Leben spielt sich draußen ab, selbst zu Hause. Dazwischen strahlen zwei Shopping-Tempel. Ein kleiner Park mit Palmen und trockenen Bäumen spendet Schatten. Davor ist alles in Bewegung: Autos, Motorräder, jede Menge Menschen. Hier schlägt das junge Herz von Piräus.

Auch vor 2500 Jahren wurde schon in der Bucht geankert, doch waren es ausschließlich Triremen. Rund zweihundert der schlanken Dreiruderer fanden zudem in steinernen Trockenschuppen an Land Platz: Denn schon von alters her diente Piräus der wesentlich größeren Metropole als Tor zum Mittelmeer mit seinen Handelswegen in die bekannte Welt. Eine Position, die es zu verteidigen galt – und Zea war der wichtigste Kriegshafen Athens.

Von hier stammte die Flotte, die sich im Jahr 480 vor Christus einer gewaltigen persischen Übermacht entgegenstellen musste. Deren Großkönig Xerxes war im Eroberungsmodus, und für die Griechen sah die Kriegslage nicht gut aus. Selbst das Orakel von Delphi wollte keinen Trost spenden. Doch gelang es den Verteidigern, die übermütigen Angreifer in eine Falle zu locken: In der Meerenge von Salamis, kaum fünf Seemeilen nordwestlich von Zea, kam es zur Schlacht.

Die Flotte des Xerxes konnte sich dort nicht entfalten, verlor ihre Ordnung und wurde vernichtet. Der geschlagene Großkönig trat den Rückzug an, und Athen stieg zur vorherrschenden Seemacht auf. Ohne den großen Sieg von Salamis wäre die klassische Antike anders verlaufen – und damit auch die Geschichte Europas.

"Flottenbasis" ist Zea inzwischen wieder – für die Segel- und Motoryachten von The Moorings. Denn vor der Hafenausfahrt liegt ja noch immer der Saronische Golf, der wie zu Xerxes’ Zeiten mit einer ganzen Reihe reizvoller Törnziele lockt.

Zum Glück müssen wir nicht rudern: Unser Charterboot für die kommende Woche ist ein Moorings 434 Powercat mit je einem kräftigen Yanmar pro Rumpf. Sein Name lautet "Aquaholic". Klingt sehr gut: Süchtig nach Wasser sind wir auch.

Die Reviereinweisung im Büro von The Moorings übernimmt Basisleiter Mike. Zu Luftbildern am Bildschirm gibt es Planskizzen. Wir erfahren, wo und wann man festmachen kann und wo besser nicht, wo es unruhig werden kann, sogar, wo gefährliche Steine liegen. Wobei "festmachen" dabei durchaus relativ ist: Marinas gibt es im Revier nämlich nicht, keine Stege, keine Muringleinen, keine Bojen. "Ihr werdet euren Anker jeden Tag brauchen", verspricht Mike, entweder in der Bucht oder im Hafen mit dem Heck zur Pier. Selbst diese Plätze sind heißt begehrt, und das zu jeder Zeit. Die Saison reicht bis in den Oktober hinein. Das gründliche Briefing hat also guten Grund.

Ein Hauch rührt sich am nächsten Morgen über der Bucht von Zea. Gleißend zieht der Tag herauf, es wird sehr heiß werden.

Hamburg haben wir bei Regen und zwölf Grad zurückgelassen; hier ist es schon jetzt doppelt so warm. Langsam verlassen wir den Steg und steuern auf die Hafeneinfahrt zu. In langer Reihe strahlen Sunseekers und Sanlorenzos um die Wette.

Zwei junge Frauen in einem Zweier zerschneiden die Wasseroberfläche. Davon abgesehen sieht man nur noch an Bord der "Al Mirqab" Aktivität: Die 130-Meter-Megayacht liegt an der Innenseite der Mole, und eine ganze Truppe weiß gekleideter Crewmitglieder hat gerade mit Schläuchen und Schrubbern die Morgenwäsche gestartet.

Eingerahmt wird der Saronische Golf von den gebirgigen Küsten Attikas und Argolis’, dessen blaue Höhenzüge sich nun blass vor uns abzeichnen. Vor der Insel Salamis warten große Schiffe auf Reede auf ihre Abfertigung an den Terminals von Piräus. Unser Kurs ist Südwest, mitten zwischen einem rostigen chinesischen Bulker und einem Containerfeeder hindurch, der das Hamburger Wappen am Bug trägt. Gut, dass wir ein Dach über dem Kopf haben:

Das Hardtop über der Flybridge schützt vor der Sonne, und der Fahrtwind sorgt für angenehme Temperaturen.

Bei der kleinen Insel Lagousa werden wir von einem Tragflügelboot überholt: Mit röhrenden Turbinen sprintet die Schnellfähre aus Sowjetzeiten an uns vorbei in Richtung Ägina.

Die immerhin knapp zehn Kilometer lange Insel markiert die Mitte des Saronischen Golfs. Sanft steigen die Ufer zum Inneren hin an, wo Pistazien- und Olivenbäume wachsen. Wir passieren den gleichnamigen Haupt­ort, wo gerade die Fähre anlegt, und folgen der felsigen Küste weiter nach Süden bis zum Hafen von Perdika, den uns Mike empfohlen hatte.

Glück gehabt: An der Pier wird gerade ein Platz frei. Wir lassen den Anker fallen, und während es mit dem Heck Richtung Liegeplatz geht, stecken wir etwa dreißig Meter Kette aus. Für diese Art von Manövern ist unser Powercat mit seinen beiden weit auseinander liegenden Antrieben wie gemacht, punktgenau füllen wir die Lücke und geben einer hilfreichenden Hand unsere Heckleinen an Land.

Einziges Problem: Genau an dieser Stelle ist ein großer Felsen in das Mauerwerk "integriert" und wir kommen nicht dicht genug an Land für unsere Planke. Kein Problem: Wir lassen das Dinghy herunter und nutzen es als "Fähre", um den fehlenden Meter zu überwinden.

An der mit Steinplatten ausgelegten Promenade lockt eine Taverna neben der anderen.

Weiß gedeckte Holztische reihen sich unter hellen Markisen und Vordächern aneinander, die Gastgeber können nicht klagen: An ausländischen Touristen mangelt es ebenso wenig wie an griechischen Tagesgästen aus Athen. Es ist eben Sonntag! Bier wird im gefrosteten Glas serviert, Kaffee in kleiner Tasse. Auf dem Grill braten Oktopus und Brasse. Trotzdem wirkt Perdika nicht überlaufen – und die Großstädter sind bis zum Abend ohnehin wieder verschwunden.

Ruhe herrscht außerdem im kühlen Inneren der orthodoxen Kirche mit ihrer schweigenden Prozession von gemalten Heiligen. Und in den verwinkelten Gassen oberhalb des Hafens sorgen allein die Katzen dafür, dass das griechische Stillleben aus weißen Mauern und blauen Fensterläden unter dem noch blaueren Himmel nicht ganz vollkommen ist ...

In der Bucht füllen sich im Verlauf des Nachmittags auch die letzten Plätze, egal ob an den Uferfelsen gegenüber oder vor Anker, selbst im relativ ungeschützten, tiefen Bereich vor der Einfahrt oder sehr nah am flachen Sandstrand. Das Hafenkino startet, als eine englische Chartercrew auf einer Segelyacht es schafft, gleich zwei andere Ketten auf den Haken zu nehmen.

Erst mit dem Einsetzen der Dunkelheit ist die Situation wieder entwirrt – im wahrsten Sinne.

Nächster Tag, nächste Insel. Das Wetter: "unverändert fantastisch" wird im Logbuch vermerkt. Es geht weiter nach Poros. Dafür müssen wir nach dem Ablegen in Perdika von Ägina aus auf Südkurs den Golf von Methana überqueren. Ihren Namen hat er von der Halbinsel im Westen, die als Festland nicht nur Teil des Peloponnes ist, sondern – unterseeisch – auch des vulkanischen Kykladenbogens, der sich von Korfu bis zur türkischen Küste spannt.

Entsprechend viele Schwefelquellen finden sich auf Methana.

Unser Weg führt jedoch an Kap Dana, das wir an Backbord lassen, vorbei in die langgestreckte Bucht von Poros. Da die Insel dicht vor der Küste liegt und Hänge zu beiden Seiten ansteigen, haben wir hier das erste Mal Wind – der klassische Düseneffekt.

Der Ort Poros selbst befindet sich an der schmalsten Stelle der Durchfahrt auf einer weiteren, kleinen Halbinsel; ein hoher Felsen, gekrönt von einem Uhrenturm und einer griechischen Flagge, dominiert das Panorama. Eine gewundene Treppe führt hinauf. Darunter schmiegen sich die Häuser wie Schwalbennester an den Hang, zwischen ihnen blüht der Oleander. Wir finden einen schönen Platz an der Holzpier in der Marinebucht im Westen des Orts.

Diesmal hilft der Wirt der nahe gelegenen Taverna Poseidon beim Anlegen. Eine gute Werbung: Am Abend werden wir uns an ihn erinnern und ihm einen Besuch abstatten, den wir nicht bereuen werden. Wobei ich an dieser Stelle einschieben möchte, dass uns die Offenheit und Freundlichkeit der Menschen während des gesamten Törnverlaufs noch länger in Erinnerung bleiben wird. Als Poros die Hitze des Tages abgschüttelt hat, erwacht es so richtig: Die Cafés füllen sich, Mopeds knattern, Pärchen flanieren vorbei, und auf unserer Flybridge erleben wir eine Dämmerung in fantastischen Farben.

Das größte Highlight wartet noch auf uns: die Insel Hydra ganz im Süden des Reviers. Weil wir wissen, dass man dort ankommen muss, wenn die Gäste der letzten Nacht gerade ablegen – also zwischen zehn und elf Uhr am Vormittag – , machen wir uns zeitig auf. Denn sonst, hatte uns Mike in Aussicht gestellt, müsse man in zweiter oder sogar dritter Reihe im Hafen vor Anker liegen. Auf dem Weg zum Kap Skyllaion überholen wir schon eine ganze Flottille von Segelyachten mit dem gleichen Ziel, doch wir bleiben im Plan.

Schließlich runden wir das Kap mit der Passage zwischen den Inseln Spathi und Skylli und gehen danach auf Südwestkurs quer über den Golf von Hydra. Jetzt spüren wir richtig Wind und sehen zum ersten Mal Schaumkronen auf der tiefblauen See. Vor dem Horizont ragt das schroffe Profil der Insel auf, ein spektakulärer Anblick!

Noch eine halbe Stunde, dann stehen wir vor der schmalen Einfahrt in die tief eingeschnittene Bucht von Hydra. Wie ein Amphitheater breitet sich der Ort am Hang aus, mit dem Hafen als Bühne. Doch für diese Vorstellung sind wir trotzdem zu spät: Drinnen liegt man bereits in zweiter Reihe. Mit der Mandraki-Bucht eine halbe Seemeile östlich gibt es zwar eine Ausweichmöglichkeit, wirklich reizvoll ist sie aber nicht – zumindest im Vergleich mit Hydra selbst: ein altes Frachtschiff und ein scheinbar leer stehendes Hotel tragen nicht gerade zum Flair bei. Also wenden wir.

Im Revierhandbuch haben wir nämlich noch eine Alternative gefunden: die karge Insel Dokos, nur eine knappe Stunde im Westen, bis auf ein Kloster unbewohnt und mit einem weitläufigen Naturhafen auf der Nordseite, der Skindos-Bucht. Auf zehn Meter Wassertiefe fällt schließlich unser Anker vor dem Ostufer, und mit fünfzig Metern Kette und einer langen, stramm durchgesetzten Landleine liegen wir gut und sicher. Motor aus, Stille!

Mit dem Dinghy geht es zum nahen Sandstrand; ein paar Esel und Ziegen begrüßen uns, irgendwo läutet die Glocke des Leithammels zwischen den knorrigen Büschen und Olivenbäumen. Direkt am Ufer steht eine winzige weiß getünchte Kapelle, im Inneren eine Ikone von Ágios Nikólaos, ein goldener Doppeladler und ein Stapel Plastikstühle.

Die Sakristei – nicht viel mehr als eine Nische – ist hinter einem verblichenen Vorhang verborgen. Nach der Blue Hour schalten wir die Unterwasserbeleuchtung ein, und bald schießen Fische im blauen Schein hin und her. Der Wind ist vollständig eingeschlafen.

In der Bucht spiegeln sich Sterne und Ankerlichter.

Was jetzt noch bleibt, ist die Rückkehr nach Hydra – und diesmal haben wir mehr Glück. Wir finden einen Platz, wenn auch an der Außenseite der Mole. Tief ist es hier, doch allen anderen geht es genauso, und der Anker hält. Nun haben wir Zeit, uns umzuschauen.

Irre, was hier los ist: Wassertaxis und Fähren pflügen hin und her, darunter die "Hydraiki Cruises" in Größe eines kleinen Kreuzfahrtschiffs, und spülen Touristen an Land, blondierte Japanerinnen, Briten mit Strohhüten, aber auch viele Griechen vom Festland.

Das halbkreisförmige Hafenbecken ist von Shops und Cafés eingekreist, allerdings nicht ohne Charme. In den Küchen wird schon geklappert. Grillgeruch steigt auf. Bei der Bastion findet ein Hochzeits-Shooting mit weißer Braut vor blauem Himmel statt, und die Esel am Hafen – Hydra ist autofrei - knabbern friedlich an ihren Karotten.

Uns zieht es zur Spilia Beach Bar, wo man unter Sonnenschirmen und bei kalten Getränken das ganze Treiben im Blick hat. Was für eine großartige Show! Und wie schon zu Beginn in Zea sind wir wieder mittendrin. Auch dieser Tag wird in die Geschichte eingehen – unsere Geschichte.