Unruhige Nacht, aber um 5:15 weckt mich ein Sonnenstrahl – zum ersten Mal auf dieser Reise – durch das Heckfenster. Gerade ist sie über dem Horizont, in der Lücke zwischen der Mole von Braye Harbour und Alderney selbst, der letzten der Kanalinseln. Wie Scherenschnitte liegen die anderen Boote an ihren Murings vor der langsam aufsteigenden Sonne. Unser Sommertörn von Saint-Malo nach Portsmouth geht dem Ende entgegen. Das Wetter hat uns zugesetzt in den vergangenen zehn Tagen, doch jetzt, für die letzte Etappe quer über den Ärmelkanal nach Norden, Richtung England.
Die Überfahrt sollte erträglich werden, Bis zu den Needles am westlichen Eingang des Solent, etwa 60 Seemeilen entfernt im Nordosten, wird der auflaufende Strom vom Atlantik schieben, ebenso wie der schwache Wind aus Südwest. Premiere auf diesem Törn, dass die äußeren Einflüsse wirklich auf unserer Seite sind. Die Bewölkung: zunehmend, aber nur als Altostratus. Um Punkt 8 Uhr slippen wir die beiden Vorleinen an der Muring, in rund acht Stunden wollen wir in Yarmouth auf der Isle of Wight sein, dem letzten Etappenhafen.
Vier Stunden fahre ich. Da wir uns unmittelbar östlich des Verkehrstrennungsgebietes “Off Casquets” befinden, ist unser NE-Kurs okay, die Großschifffahrt ist aber bereits wie auf Einbahnwegen unterwegs. Zuerst kreuzen wir den von Westen kommenden Verkehr (ein Tanker geht weit vor uns durch, für den folgenden Bulker müssen wir den Kurs leicht korrigieren, um ihn passieren zu lassen).
Dann das gleich umgekehrt eine Stunde später, als der Verkehr von Osten kommt. Diesmal geht es mit 300 zusätzlichen Umdrehungen in sicherem Abstand vor einem weiteren Tanker und einem Feeder durch. Immer wieder kommen uns Segelyachten entgegen, so schnell es der schwache Wind erlaubt. Um 12 Uhr werde ich vom Skipper abgelöst, an Backbord voraus ist bereits die hohe Küste Dorsets als blasse Kontur sichtbar. Ich esse ein Brot und lege mich dann in die Koje, versuche zu schlafen, nicke aber höchstens ein, zweimal weg. Als ich wieder nach oben komme, haben wir die weißen Klippen von Wight bereits voraus, auch der markante Leuchtturm am seeseitigen Ende der Needles.
Mit dem Strom nun wieder von vorn, der an den großen Tonnen zerrt und die archaischen Glocken läuten lässt, stampft die Trader vom Ärmelkanal die letzten Meilen den Solent aufwärts. Dann, voll im Zeitplan, kommt an Steuerbord Yarmouth in Sicht, ein Hafen den der Skipper gut kennt. Die Sonne ist wieder da und lässt die weiße Fähre von Wight Link so grell strahlen, dass ich mich zum ersten Mal auf diesem Törn nach meiner Sonnenbrille sehne, die ich unter Deck aber erst suchen müsste. Der Kirchturm, die Waterfront mit ihren Restaurants, und für uns ein zugewiesener, ziemlich knapper Liegeplatz längsseits: “They squished us in”, lautet die gutgelaunte Begrüßung des Skippers von der Hallberg-Rassy vor uns.
Am Abend suchen wir uns die Bugle Coaching Inn aus, davor tanzt eine mit Glöckchen behangene Männergruppe in alten Trachten. Überhaupt scheint hier die Zeit stehen geblieben; wenn tatsächlich Seeleute mit Pfeife und geteerten Hüten durch die Straßen schlendern würden statt Yachties in Docksides, die Kulisse würde zu Nelsons Zeiten passen. Das Inn ist aber nicht der klassische Pub, sondern ein Mainstream-Laden. Und so sind auch die Fish and Chips nur unwesentlich besser als beim Lifeboat Café in Saint Helier – nur eben doppelt so teuer.
Das letzte Stück liegt vor der “Rolling Swiss 2”. Und es wäre ein anderer Törn, wenn der Himmel nicht auch heute wieder wolkenverhangen wäre. Start um 9 Uhr. Diesmal steht der Wind gegen den Strom, im Nu ist das Vorschiff nass. Siebzehn Seemeilen sind es bis Portsmouth.
Wir durchqueren ein Regattafeld, passieren Cowes und gehen dann bei ausreichend Wasser über den Mittelgrund von Ryde Middle und den Spithead, um die Einfahrt nach Portsmouth Harbour unter den Forts und der Seemauer von Haslar abzukürzen. Rechts, fast Ton in Ton mit dem Himmel: der Spinnaker Tower. Weiter hinten das breite, flache Heck eines der beiden neuen Flugzeugträger der Royal Navy. Den Gunwharf Quay lassen wir an Steuerbord, denn wir bleiben auf der Seite von Gosport, wo wir an der Tankstelle längsseits gehen.
Dann geht es wieder ein Stück zurück und in die Haslar Marina, vorbei am grünen Feuerschiff und einem Patrouillenboot der Border Force. “Searcher” scheint sich für uns aber nicht zu interessieren. Damit sind die erwarteten Kontrollmaßnahmen komplett ausgeblieben. Sowohl in England selbst (null Interesse in Yarmouth) als auch auf den Inseln. Da hätte man alles erzählen können. Der Bordbesuch der douanes in Granville blieb damit der einzige. Schön eigentlich!
Als wir mit dem Bug voraus am Schwimmsteg anlegen, ist der Wind fast eingeschlafen, natürlich, und die Wolken reißen auf. Sofort wird es warm. Der letzte Abend naht und das Programm steht schon vorher fest, wir wollen mit der Personenfähre hinüber nach Portsmouth. Dort folgen wir dem Millenium Walkway zum Camber Quay. Das Wasser ölig und grün, hier will man nicht baden, selbst bei höchstem Wasserstand. Die Treppe hinauf zum Round Tower, dann die Broad Street hinunter und an ihrem Ende einen grandiosen Tisch im ersten Stock des Spice Island, ein letztes Mal am Fenster, mit Blick auf den Spinnaker Tower. Die Sonne kommt heraus und eine Fähre pflügt einlaufend an uns vorbei. Sie hat den Ärmelkanal überquert und kommt aus Saint-Malo, wie wir.