Unbekannt
· 28.03.2020
In der Nebensaison von Berlin Richtung Südosten, hinein nach Brandenburg. Das Ziel ist der Scharmützelsee
Ankunft Citymarina Berlin. Sonntagnachmittag. Ein bekanntes Gesicht legt gerade ab: Uli Wickert, "Tagesthemen"-Moderator a. D., gönnt sich ein Stündchen auf der Spree. Kleine Kaffeefahrt auf führerscheinfreien Schaluppen aus Holland – Sloepen genannt, wie ich erfahre.
Wir haben eine größere Exkursion vor. Das Boot für unseren einwöchigen Brandenburg-Törn liegt am Steg gegenüber, eine Schulz 40 Max. Die Dreikabinenversion. Unsere Crew ist spontan sehr angetan. Auch ich, der ich als Segler groß geworden bin, wie ich vielleicht erwähnen sollte.
Unter Wassersportlern grenzt es ja oft an eine Glaubensfrage, ob man eher der einen oder der anderen Fraktion angehört.
Insofern lässt sich diese Reise auch als eine Art "Bekehrung" verstehen. Wie schnell man konvertieren kann? Sehr schnell, um es vorwegzunehmen.
Die Tatsache, dass nach meinem Verständnis der Mast auf der Charter-Schulz fehlt, wird vom Gesamteindruck der Stahlyacht wettgemacht: geräumige Duschen, in denen man keine Platzangst bekommt, Dieselheizung, integrierter Inverter – also Strom ohne Ende –, Flachbildschirm, ein Wassertank, der keine Wünsche offen lässt.
Meine beiden Nachwuchsmatrosen flippen fast aus, als sie die geräumige "Suite" achtern beziehen. So viel Euphorie ist ansteckend.
Der Segler in mir schläft ohnehin lieber im Vorschiff. Mit einem Ohr auf der Ankerkette, um zu hören, ob das Grundgeschirr auch hält. Alte Gewohnheiten halt ...
Nach der Einweisung durch die Charterbasis ist das Drängen der Crew groß, doch bitte möglichst schnell abzulegen, in See (oder besser: in den nächsten See) zu stechen und das wuselige Berlin möglichst schnell im Kielwasser zurückzulassen.
Dem Basisleiter erscheint eine überstürzte Hauptstadtflucht jedoch eindeutig als Fehler: Er empfiehlt die andere Richtung mit Regierungsviertel, Museumsinsel, Hauptbahnhof, Tierpark, Berlin-Mitte. Und dann weiter nach Potsdam, zum Wannsee und zur Pfaueninsel. Für Fotos sei das viel ergiebiger. Muss es unbedingt der Scharmützelsee sein? Da gibt’s doch bloß "jede Menge Grün".
Spontane Antwort: Genau das suchen wir ja auch. Natur statt Kultur. Erstens baumelt die Seele nicht so leicht zwischen den Betonufern des Teltowkanals. Und zweitens möchte ich aus seemännischer Sicht zuerst gern die ein oder andere entspannte Fahrstunde sammeln, mit dem Schiff vertraut werden, bevor man sich gleich auf das meistbefahrene Stück der Spree begibt, Berlins Canal Grande sozusagen.
Wie steuert sich die Schulz? Den Segler überrascht zum Beispiel, wie oft man das Steuerrad von einem Anschlag zum anderen drehen muss. Vom Segeln bin ich eine wesentlich schnellere Rückmeldung des Ruders gewohnt. Und angesichts des engen Beckens der Citymarina bin ich als Motorboot-Novize schon vor dem Hafenmanöver etwas nervös.
Zwölf Tonnen, die aus dem Ruder laufen, können ordentlich Randale machen, wenn man sich die schicken Hausboote um uns herum ansieht. Sei’s drum: Augen auf und durch!
So schmeißen wir am Montagmorgen bei besten Bedingungen die Leinen los. Alle Bedenken verfliegen schlagartig, als ich zum ersten Mal die Hebel von Bug- und Heckstrahlruder ausprobiere. Kleines Fingerspiel für einen Skipper, große Wirkung im Wasser. In unterschiedliche Richtung gelegt, drehen sie unsere zwölf Tonnen auf dem Teller. So macht das Manövrieren Spaß, ohne dass groß abgehalten oder schnell abgefendert werden muss.
Anschließend Ruder hart Backbord gelegt und auf der Spree in Richtung Köpenick eingefädelt.
Kurs Brandenburg. Ins Grüne! Schon an der ersten Brücke recke ich meine Schultern zuerst reflexartig hoch und ziehe dann den Kopf ein. Obwohl wir noch reichlich Luft nach oben haben, zucke ich zusammen: An den fehlenden Mast einer Segelyacht – der die meisten Binnentörns ja unmöglich macht – muss ich mich erst noch gewöhnen.
Kurz vor dem Müggelsee verlassen wir die Spree und folgen ab jetzt dem Verlauf der Dahme nach Süden. Beim Langen See ziehen sich die Ufer zum ersten Mal etwas zurück. Spontan fühlt man sich an die schöne Song-Zeile erinnert:
"Wenn ich den See seh – brauche ich kein Meer mehr".
Wie wahr! Schon auf den ersten Kilometern der Dahme-Seenkette wird klar, wie reizvoll das Fahren auf Binnengewässern ist und wie beruhigend das Tuckern des Diesels bei niedriger Drehzahl. Auf Kanälen und Flussverläufen sind entspannte acht Stundenkilometer erlaubt, selbst auf den Seen sind wir nicht viel schneller unterwegs.
Geschwindigkeiten, bei denen es vor den Augen nicht zu flimmern anfängt. Wir nennen es mal meditatives Motoren. Mit kompletter Rundumsicht am Fahrstand oben kommt man sich vor wie in einem Panoramakino. Über einem Schäfchenwolken, voraus das morgendliche Glitzern auf dem See. Matrose Christoph fühlt sich (ohne Brille und mit viel Fantasie) bisweilen an die Hamptons erinnert, wo die reichen New Yorker ihre Nobelresidenzen haben.
Mit Brille betrachtet, zieht an den Ufern eher eine Bundeskleingartenschau vorbei: An Berlins östlicher Peripherie – wie in ganz Brandenburg – lässt sich der Hang zur "Laubenpieperei" kaum leugnen. Schon sympathisch, dass die Uferlandschaft hier um Köpenick herum, anders etwa als in Potsdam, eher klein- statt großbürgerlich daherkommt.
Nach dem Zeuthener See erwartet uns die Schleuse Neue Mühle. Ohne Wartezeit. Außerhalb der Berliner Ferien haben wir die ganze Kammer für uns. Anschließend geht es weiter über den Krüpelsee und die Dahme-Wasserstraße nach Prieros. Hier kann man eine Münze werfen, ob man den Ausflugsdampfern über die Teupitzer Seenplatte folgen möchte oder lieber nordöstlich weiter Richtung Scharmützelsee fahren will.
Wir entscheiden uns zunächst für Teupitz und bereuen den Abstecher kein bisschen.
Schon im Schmöldesee, dem ersten der Teupitzer Gewässer, kommt ein Gefühl von Kanada auf. Die Jungs sichten sogar einen Bären am Ufer. Nun ja, einen Waschbären. Immerhin. An Steuerbord liegen ein paar Boote mit Heckanker direkt am Ufer, an Backbord nisten die Seevögel. Gut, dass wir auf Selbstversorgersituationen vorbereitet sind. Und zwecks Uferexkursionen ein SUP dabei haben. Nur Reinfallen ist keine gute Idee: Mitte Mai ist das Wasser noch ziemlich kalt.
Tags drauf sind wir etwas früh bei der kleinen Zugbrücke in Groß Köris, die alle zwei Stunden geöffnet wird. Die freundliche Dame, die die Brücke betätigt, empfiehlt, die Kuchenbude ganz wegzuklappen. Keine weiteren Fragen. Sie wird wissen, wie viele Boote sich hier bereits das Gestänge verbogen haben. Plötzlich wird es hektisch an Bord, zumal die Strömung von achtern schiebt. Aber die Mühe lohnt sich. "Oben ohne" fühlt sich die Passage unter der nicht ganz senkrecht gestellten Brücke deutlich sicherer an. Das hätte knapp und teuer werden können.
In Teupitz haben wir freie Wahl am Gästesteg. Der Ort selbst wirkt in der Vorsaison etwas verwaist. Kurzer Fußmarsch zum nächsten Supermarkt und schnell zurück aufs Boot, eindeutig der Ort, wo wir uns wohlfühlen. Immer wieder erstaunlich, wie schnell man auf einem Charterschiff heimisch wird.
Gegen kühlen Nordostwind tuckern wir am nächsten Morgen mühelos an. Mit dem Segler hätten wir aufkreuzen müssen. Die kleinen Wellen werden von der Schulz regelrecht ignoriert. Hin und wieder geht ein kleiner Ruck durchs Boot, das war’s. Von Gestampfe keine Spur.
Nach der letzten Brückenöffnung um 16 Uhr sind wir bald wieder auf der Dahme, lassen Prieros an Steuerbord und fahren nun in die Storkower Gewässer ein, an deren Ende der Scharmützelsee auf uns wartet. Zuerst kommt der Wolziger See. Für uns ist hier heute Endstation, da wir nicht riskieren wollen, kurz vor knapp an der Schleuse Kummersdorf hängen zu bleiben, die ihrem Namen dann alle Ehre machte.
Am östlichen Ufer des Wolziger See liegt unser Rastplatz für die Nacht, eine Art Drive-in-Fischbude mit kleinem Hafenbecken am Westufer, das auf den ersten Blick beunruhigend eng und belegt aussieht. Der Segler in mir zögert angesichts fehlender Tiefenangaben, als wir von Land gekobert werden:
Jemand winkt uns heran. Platz ist selbst in der kleinsten Hütte. Hoffentlich ist es der Fischerei- und Hafen- meister und kein Strandpirat.
Dank Strahlruder liegen wir kurz darauf in der hintersten Ecke in bester Position, vielleicht zwanzig Meter vom Tresen mit dem Räucherfisch entfernt. Dummerweise entscheiden wir uns für einen Restaurantbesuch und stellen fest, dass die Beschreibung "krossgebraten" für Zander und Bratkartoffeln gleichermaßen gilt. Das kann jede Kantine besser.
Weil wir die ganz verkohlten Kartoffeln liegen lassen, verlässt uns prompt das gute Wetter. Schade. Das Schloss Hubertushöhe am Storkower See müssen wir uns für den Rückweg aufheben. Stattdessen steuern wir am folgenden Tag (nach zwei weiteren Schleusen in Storkow und Wendisch Rietz) direkt das Café Dosch am Scharmützelsee an.
Zu den Benimmregeln hier zählen auch: kein Baden von der Steganlage, keine Badeklamotten im Restaurant. Aber daran ist bei zehn Grad Außentemperatur und Nieselregen gerade ohnehin nicht zu denken. Es sei denn, ein paar Seekilometer weiter in Bad Saarow, in der gleichnamigen Therme des Kurorts. Besser kann man kleine Zwischentiefs hier im Revier nicht abwettern.
In der Marina von Bad Saarow sind wir auf uns selbst gestellt und gehen längsseits. Kein Hafenmeister, nirgends. Beim Einkauf im Supermarkt kommt es dann jedoch zu einer Zufallsbegegnung. Wir treffen einen Freund und Filmemacher aus Berlin. Schwer zu sagen, wessen Verblüffung gerade größer ist. Die spontane Grilleinladung am Ostufer des Sees wird angenommen. Der kommunale Steg sei etwas zu flach, sagt der Freund, und der des eigenen Seegrundstückes zu marode.
Aber wir könnten problemlos vor dem Schilf Ankern, und er würde uns dann mit seinem neuen Spielzeug an Land shutteln. Ein Boston Whaler, den er gerade vom Gardasee an den Scharmützelsee getrailert hat. Alles in allem eine willkommene Abwechslung. Die großen und kleinen Jungs grinsen selig um die Wette, als wir bei Vollmond eine Extrarunde über den spiegelglatten See drehen.
Am nächsten Morgen ist die Sonne wieder zurück und kämpft sich erfolgreich durch den Nebel. Noch immer ist das Wasser spiegelglatt. Viel schöner kann eine Stimmung kaum sein.
Frühe Angler versuchen ihr Glück am Steg. Ich begebe mich derweil auf Fotosafari. So ein Licht will genutzt sein.
Auf dem Rückweg schauen wir am Gaststeg von Schloss Hubertushöhe vorbei. Auf den ersten Blick die einzige Bebauung am Storkower See. Noch dazu sehr stilvoll mit einladend kleinem Hafen für Tagesgäste. Ein echtes Highlight. Die neuen Inhaber sind bemüht, einen Ort der Kunst und Kultur aus dem Anwesen zu machen.
Unmittelbar am Wasser gibt es einen kleinen Biergarten. Hier kann man es aushalten. Nach einem längeren Plausch verrät der Betreiber, dass Altkanzler und Großgenießer Gerhard Schröder am Wochenende das Schloss gemietet hat.
Und das wohl nicht zum ersten Mal. Der Mann lässt es sich offenbar gut gehen. Aber ganz ehrlich, ein Charterboot bei Sonnenschein im Gasthafen steht diesem Luxus in nichts nach. Im Gegenteil: Im Zweifelsfall kann man die Leinen losschmeißen. Alles im grünen Bereich.