ReiseDie Saale – von Bernburg bis Halle

Gerald Penzl

 · 11.07.2024

Schloss Bernburg: Sachsen-Anhalt ist stolz auf seine Burgen und Schlösser. Rund 1.000 Adelshabitate sollen es laut Wikipedia sein
Foto: Gerald Penzl
Die Flusstäler der Saale in Sachsen-Anhalt verströmen mittelitalienisches Flair. Wir haben den zweitlängsten Nebenfluss der Elbe von Bernburg bis Merseburg unter den Bug genommen. Und dabei Erstaunliches gesehen und erlebt. Im ersten Teil der Reise starten wir in Bernburg und nehmen Kurs auf Halle.

Er war wohl der frechste Scherzbold aller Zeiten. Erich Kästner und Georg Hauptmann haben ihm ein literarisches Denkmal gesetzt. Die Deutsche Post ehrte ihn mit einer Sondermarke und das nicht gerade als Spaßkanone bekannte Bundesfinanzministerium in Berlin spendierte ihm - man höre und staune - sogar eine Gedenkmünze. Die Rede ist von Till Eulenspiegel. Aber hat der Schelm überhaupt gelebt? Oder hat es ihn gar nicht gegeben? War er nur ein Fantasieprodukt? Quasi ein moralischer Zeigefinger, der die Missstände der damaligen Zeit durch den Kakao zog? Für die Stadt Bernburg in Sachsen-Anhalt ist die Frage akademisch. Sie schwört auf Kaiser Otto den Großen und ihre rund 1000 Jahre alte Gründungsurkunde, dass der Schlawiner vor rund 700 Jahren als Turmwächter im Dienste ihres Schlossherrn stand. Doch statt seine Pflichten zu erfüllen, schlug Eulenspiegel blinden Alarm, hetzte seinen Arbeitgeber auf vermeintliche Räuber, lachte sich ins Fäustchen und futterte ungeniert die fürstlich gedeckte Tafel leer. Der Tatort, also der Burgfried des hoch auf einem Sandsteinfelsen über der Saale thronenden Renaissanceschlosses, trägt seitdem den Namen Eulenspiegelturm. Und ist wohl heute der werbewirksamste PR-Botschafter der 32.000-Einwohner-Stadt.

Leinen Los in Bernburg: eine Hommage an die Natur

Samstag 10 Uhr. Wir sind gestern in Bernburg angekommen, haben das historische Zentrum in Augenschein genommen, in einem knapp 400 Jahre alten Brauhaus Schwarzbiergulasch mit Apfelrotkraut und Butterspätzle genossen und steigen jetzt den Bergfried des Schlosses hoch. Oben, in Eulenspiegels ehemaliger Dienststube, wandert das Auge über die 40 m tiefer dahinplätschernde Saale. Am linken Ufer erinnert eine ehemalige Papierfabrik an die Blütezeit der Industrialisierung. Am rechten Ufer, dort wo der traditionsreiche Zirkus Barlay gerade seine Zelte aufschlägt, hat Boris Funda 2017 einen Bootsverleih aus der Taufe gehoben. Die Nachfrage stieg, der Anspruch an die Boote auch und so hat der geschäftstüchtige Wassersportunternehmer heute neben Ruder- und Paddelbooten auch acht schwimmende Feriendomizile der Firmen Les Canalous und Locaboat in der Vermietung.

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„Euer Boot“, deutet er auf eine funkelnagelneue Tarpon 37 DP, „ist startklar“. Wir erledigen die Formalitas, beziehen die Kabinen, bunkern unsere Provianteinkäufe in der Pantry und lassen Eulenspiegel samt Schloss im Achterwasser. Die ersten Kilometer sind eine Hommage an die Natur. Mit einem Kaffee in der einen und dem Steuer in der anderen Hand mäandern wir durch einen von Ulmen und Eschen geprägten Auenwald. Graureiher geben sich am Ufer die Ehre, ab und zu grüßen Angler oder stellen Greifvögel ihr akrobatisches Jagdgeschick unter Beweis.

Landgang mit Legenden

Nach 13 Flusskilometern rückt die Eisenbahnbrücke der einstigen Dampflokstrecke Bebitz-Alsleben und damit die Schleuse Alsleben ins Bild. Nach einem Anruf bei der Schleusenleitstelle in Bernburg liftet uns der Diensthabende per Mausklick vier Meter höher ins Oberwasser. „Wie wär‘s mit einer Bike-Tour?“, fragt Gaby bei der Ausfahrt. „Gute Idee“, antworte ich und deute auf die kleine Schiffswerft Fischer am rechten Saaleufer. „Dort scheint es freie Liegeplätze zu geben“. Wir fragen nach, die Übernachtung inklusive Sanitär kostet 15 Euro. Gaby legt die Tarpon an die Leine, wir hieven die Bikes vom Boot und machen uns auf den Weg zum Schloss Plötzkau. Auf das historische Schifferstädtchen Alsleben mit seinen hanseatisch anmutenden Backsteinhäuschen folgt der Saale-Radweg und nach knapp 10 Kilometern ist der rustikale Adelssitz erreicht. Viel Freude hatten die gräflichen Herren damals mit der Immobilie allerdings nicht. Der Legende nach soll einer der Grafen den zauberkundigen Zwergen im nahen Auenwald ein wunderkräftiges Horn gestohlen haben. Die Zwerge kochten vor Wut und wünschten dem Dieb Tod und Teufel an den Hals. Was wohl auch klappte...

Im Land der Burgen und Schlösser

Sachsen-Anhalt ist stolz auf seine Burgen und Schlösser. Rund 1.000 Adelshabitate sollen es laut Wikipedia sein. Und so wundert es nicht, dass 20 Flusskilometer hinter der Schleuse Alsleben Burg Wettin das nächste Kapitel der sachsen-anhaltischen Herrschaftssitze aufschlägt. Wir erreichen das wehrhafte Schmuckstück anderntags am frühen Nachmittag. Gaby am Ruder der Tarpon steuert den Schwimmsteg des Bootsservice Wettin an. „Herzlich willkommen“, begrüßt uns Armin Brade, nimmt die Leinen entgegen und lädt uns auf einen Kaffee in sein Büro ein. Dort erfahren wir einiges über den Stammsitz der Wettiner Landgrafen, das bevorstehende Burgfest im Park neben der Gierseilfähre und über ihn selbst: “Unter Honecker“, erzählt er, „war ich als Vollmatrose auf DDR-Schuttgutfrachtern weltweit unterwegs. Ende September 1990 lagen wir mit der MS Brandenburg im Hafen von Buenos Aires. Am 3. Oktober trat der Einigungsvertrag in Kraft. Wir holten Hammer und Sichel ein und flaggten schwarz-rot-gold“. „Und wie ging es weiter? Wann wart ihr wieder zurück in Deutschland?“, frage ich. Armin lacht. „Als wir Anfang 1991 in Rostock einliefen, waren die Gebietskörperschaften des Arbeiter- und Bauernstaats Geschichte. Ich wohnte nicht mehr im DDR-Bezirk Halle sondern im Bundesland Sachsen-Anhalt. Und der Rostocker Pastor Joachim Gauck war bereits als Sonderbeauftragter in Sachen Stasi-Hinterlassenschaften unterwegs.“

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