Vor uns liegen 46 Kilometer und keine Brücken bis nach Anklam. Ohne Zeitdruck geht es entsprechend auf den vielleicht schönsten Abschnitt der Peene. Zunächst geht es noch vorbei an gelben Rapsfeldern unter blauem Himmel. Doch schon wenige Kilometer hinter Loitz fahren wir durch unberührte Landschaft, so weit das Auge reicht. Die Sonne glitzert auf dem breiter werdenden Fluss. Die Windkraftanlagen am Horizont sind die einzigen sichtbaren Zeichen menschlicher Zivilisation. Wo gibt es so etwas in Deutschland noch?
Wir fahren durch einen Bruchwaldabschnitt – Adlerrevier. Gefühlt auf jedem zweiten Baum sitzt eines der edlen Geschöpfe und schaut mit anklagendem Blick auf uns herab. Gespenstisch sieht das viele Totholz am Ufer aus. Doch was auf den ersten Blick krank aussieht, ist in Wahrheit ein Zeichen für ein intaktes Ökosystem, in dem sich die Natur frei entfalten kann. Nachdem intensive Landwirtschaft den vermoorten Flusslauf über Jahrzehnte stark entwässert und geschädigt hatte, wurden im Zuge eines der größten Naturschutzprojekte Deutschlands Polder überflutet und Moore wieder vernässt. Als Folge bleiben Totholzbiotope als wichtiger Lebensraum zurück.
Wir passieren den Wasserwanderrastplatz Stolpe bei Flusskilometer 79,5, wo wir auf unserem Rückweg einen Übernachtungsstopp einlegen werden. Von allen Stopps ist dieser liebevoll neu gestaltete kleine Hafen mit Abstand der schönste. Die beiden netten Hafenmeister betreiben neben den 28 Liegeplätzen (an Fingerschwimmstegen) einen kleinen Imbiss mit idyllischen Außensitzplätzen und einen kleinen Lebensmittelladen. (hafenstolpe.de) Wer Abgeschiedenheit sucht, ist hier richtig. Abgesehen vom Schilfrohrsänger und dem Kuckuck im nahen Uferwald hören wir nichts. Auf unserem Spaziergang durch das Dorf begegnen wir keiner Menschenseele. Dabei gibt es hier mit dem Naturparkzentrum sogar ein interessantes Ausstellungshaus. Und ein geschichtsträchtiges Gasthaus: Der „Stolper Fährkrug“ direkt neben der Marina ist eines der ältesten noch betriebenen Wirtshäuser Vorpommerns. „Bis vor 300 Jahren war die Peene der Grenzfluss zu Schweden – und noch mal 50 Jahre älter ist der ‚Stolper Fährkrug‘“, heißt es auf der Webseite (gutshaus-stolpe.de/stolper-faehrkrug).
Nach drei Stunden Natur pur erblicken wir die in der flachen Landschaft weithin sichtbaren Kirchtürme Anklams. Als wir den Längsseitsliegeplatz des Wasserwanderrastplatzes ansteuern, kommt der freundliche Hafenmeister und nimmt die Leinen entgegen. Und das, obwohl seine Imbiss-Terrasse an diesem sonnigen Sonntagnachmittag gut besucht ist. Fischbrötchen, Räucherfisch, Bier und Cocktails zieht nicht nur Wassersporttouristen und Camper an, auch Einheimische kommen für einen Sundowner am Peeneufer hierher. Rainer Janke hat den Wasserwanderrastplatz vor einigen Jahren übernommen und betreibt neben der Liegeplatzvermietung und dem Imbiss auch einen Bootsverleih (wasserwanderrastplatz-anklam.de). Viele Touristen besuchen die Stadt, die neben Wolgast auch als Tor zur Insel Usedom bezeichnet wird, auf der Durchreise. Bekannt ist die Hansestadt als Geburtsort des Luftfahrtpioniers Otto Lilienthal, dem hier ein Museum gewidmet ist. In der ständigen Ausstellung hängen Nachbauten seiner Gleitapparate von der Decke und seine aerodynamischen Versuchsaufbauten animieren zum Ausprobieren (lilienthal-museum.de). Unter dem Titel „Ikareum“ verfolgt die Stadt derzeit das Projekt, das Museum in die Taufkirche Otto Lilienthals, die Nikolaikirche, zu verlegen und zu einem Museums- und Erlebniszentrum zu erweitern. Auch das Peeneufer soll für die touristische Nutzung weiterentwickelt werden. Entstehen soll eine „Lagunenstadt mit erweiterten Wassersportangeboten“.
Am nächsten Tag werfen wir zehn Minuten vor Brückenöffnung die Leinen los. So dicht an der Brücke lässt sich das bequem timen. Achtung: Eine telefonische Anforderung ist auch innerhalb der Zeitfenster nötig! Mit der Anklamer Eisenbahnbrücke passieren wir die letzte Hürde auf unserem Weg zur Ostsee. Die Zecheriner Brücke ist mit einer lichten Höhe von fünf Metern im geschlossenen Zustand kein Hindernis für uns. Das berühmte blaue Stahlgerüst, welches das Festland mit der Insel Usedom verbindet, kommt linkerhand in Sicht, sobald wir die Peene bei Kilometer 98 verlassen und auf den Peenestrom hinausfahren. Bei ordentlich Gegenwind aus Nordost fahren wir auf den Peenestrom. Ab hier gilt es, sich strikt nach dem Tonnenstrich zu halten. Laut Seekarte befindet sich die Zwei-Meter-Grenze direkt links und rechts der recht schmalen Fahrrinne. Die Tonnen liegen allerdings so nah beieinander, dass man kaum vom Weg abkommen kann.
Der Stahlverdränger stampft gegen das aufgewühlte Wasser an. Kontrastprogramm zum sanften Dahingleiten der vergangenen Tage. Ganz im Süden des Lieper Winkels, einer Halbinsel zwischen Peenestrom und Achterwasser, liegt der kleine Hafen Rankwitz, wo wir die Nacht verbringen wollen. Um die Umgebung zu erkunden, lohnt es sich, Fahrräder an Bord zu haben. Doch in dem gut ausgestatteten Hafen findet man auch alles, was man braucht: Zu der Ferienapartmentanlage gehört ein Gastro-Pavillon, in dem Fischbrötchen und Kuchen angeboten werden. Außerdem gibt es einen kleinen Dorfladen und eine Fischräucherei – wo wir außerhalb der Hafenbüro-Öffnungszeit unsere Liegegebühr an der Fischtheke bezahlen dürfen – und ein gutes Restaurant mit regionalen und saisonalen Spezialitäten. In unserem Fall: frischer Fisch und Spargel. Danach geht es mit dem Feierabendgetränk auf das Richtung Sonnenuntergang geparkte Vorderdeck. Gegenüber den Längsseitsplätzen am Kai gibt es im Übrigen auch Boxen mit Heckpfählen und in den Sommermonaten Schwimmstege vor dem Hafenbecken. Wenn der Wind aus Westnordwest auffrischt, steht hier allerdings starker Schwell (hafen-rankwitz.de).
Der nächste Tag verspricht sonnig zu werden. Perfekt für den Strand. Querab von Lassan laufen wir in das Achterwasser ein. Hier bildet der Peenestrom eine Lagune, die so weit in die Insel Usedom hineinragt, dass sie bei Zinnowitz nur noch durch eine 300 Meter schmale Nehrung von der Ostsee getrennt ist. Das ist unser Ziel! Wir können das Meer förmlich riechen. Wir hangeln uns also entlang der Kardinaltonnen „Hohe Schaar Süd“ und „Warther Haken West“, runden die kleine Insel Görmitz und halten Kurs auf den Yachthafen Zinnowitz. ort angekommen, parken wir mit dem Heck voran in eine ziemlich enge Box. Der Wasserstand ist so niedrig, dass wir nur mit erheblichem Kletteraufwand über die hochgeklappte Badeleiter auf die Kaimauer gelangen. Auf dem Weg zum Strand geht es vorbei an beeindruckenden Villen in Bäderarchitektur zur Strandpromenade und bis zur Seebrücke mit Tauchglocke. Von der Ruhe und Abgeschiedenheit, die wir in den letzten Tagen genießen durften, sind wir hier weit entfernt. Statt grünem Schilf lockt hier feiner Sandstrand die Touristen in Scharen an, anstatt zirpender Grillen hören wir Kinderlachen und kreischende Möwen. Auch schön. Nur anders. Mit Pommes und Eis setzen wir uns an den Strand und graben das erste Mal im Jahr unsere nackten Füße in den Sand. Und genießen für den Moment die Annehmlichkeiten der Zivilisation. Bevor es morgen wieder zurückgeht – in die Wildnis des Amazonas des Nordens.
Charter: Yachtcharter Schulz mit Sitz in Waren an der Müritz betreibt ein Stationsnetz mit Standorten in Waren, Röbel, Granzow, Neukalen, Barth und Kröslin und deckt damit fünf Reviere zwischen Berlin, der Mecklenburger Seenplatte und der Ostsee ab. Die Flotte besteht aus rund 170 Hausbooten und Motoryachten mit einer Länge von bis zu 15 Metern, in denen bis zu 12 unterkommen. Viele der Schiffe und Reviere können ohne Sportbootführerschein befahren werden. Kontakt: www.charter-schulz.de An der Reeck 1a, 17192 Waren (Müritz) Tel.: 03991/12 14 15
Boot: Die Gruno 37 Excellent bietet Platz für vier Personen in zwei Doppelkabinen. Länge: 11,30 Meter, Breite: 3,75 Meter. Ausstattung: Pantry mit mehrflammigem Kochfeld, Kühlschrank, eine Nasszelle mit Waschbecken, WC und Dusche, ein weiteres WC mit Waschbecken und separater Dusche, Heizung, Außensteuerstand unter komplett verschließbarer Persenning mit Sitzgruppe, Bug- und Heckstrahlruder
Revier: Um auf Peenestrom und Achterwasser ein Boot zu führen, sind der Sportbootführerschein Binnen und der Sportbootführerschein See Voraussetzung. Staus, Wehre oder Schleusen gibt es entlang der Peene nicht. Dafür müssen die Öffnungszeiten der drei Klappbrücken in Demmin, Loitz und Anklam bei der Törnplanung berücksichtigt werden. Da das Peenetal auf fast der gesamten Länge Naturschutzgebiet ist, gelten erhebliche Einschränkungen für das Befahren der Altarme und Torfstiche sowie das Betreten der Uferbereiche: 99 Prozent sind gesperrt. Sportboothäfen gibt es wenige. Einige Wasserwanderrastplätze sind mit Liegeplätzen für kleinere Boote ausgestattet. Auf Peenestrom und Achterwasser muss man sich penibel an die Fahrwasserbetonnung halten.
Literatur: Kartenwerft Binnenkarten Atlas 1: Oder und Haff mit Peene – 2025, 49,90 Euro, ISBN 9783944082493, www.hansenautic.de NV Gewässerkarten Binnen Atlas 3 – Nördliche Oder und Peene, 44,99Euro, ISBN 9783910644793, www.nvcharts.com