KanalinselnGuernsey und Herm – die ungleichen Schwestern

Christian Tiedt

 · 24.12.2024

Die Victoria Marina in Saint Peter Port.
Foto: Christian Tiedt
Guernsey und Herm liegen nur wenige Seemeilen voneinander entfernt - und sind doch völlig verschieden. Das liegt nicht nur am Größenunterschied der beiden englischen Kanalinseln. Während des Sommertörns besuchen wir beide. Zuerst führt uns der Weg jedoch nach Sark...

Nach vier Tagen verlassen wir den Hafen von Saint Helier, seine Festungsartigen Molen bleiben zurück. Der Wind hatte uns viel länger festgehalten als geplant, windbound nennt man das hier. Doch nun hat sich das Wetter zumindest etwas beruhigt und wie erwartet hat auch der Schwell abgenommen. Ohnehin hat die “Rolling Swiss 2” die Welle bald von achtern, als es auf den Südosten Jerseys zugeht, auf La Rocque Point und die weit ins Meer hineinreichende Violet Bank.

Gestern habe ich sie bei Niedrigwasser von Land aus noch als Wüste gesehen, aus der Felsentürme aufragen, heute kommen wir mit dem auflaufenden Wasser auf See daran vorbei, mit fast drei Knoten schiebt der Strom und das Ödland ist zu einem guten Teil schon wieder bedeckt. Nur die imposanten Felsen sind noch zu sehen und werden vom Schwell umspült. Denen will man wirklich nicht zu nahekommen.

Überfahrt von Jersey nach Sark

Wir runden das Riff und nehmen den Violet Channel nach Norden, das Plateau Anquette an Steuerbord. Der Seymour Tower wird passiert, dann Grouville Bay. Gorey und Mont Orgueil Castle sind so schlecht auszumachen vor dem Ufer, dass wir sie erst bemerken, als sie schon fast querab liegen. Der Strom hilft nur noch schwach mit 1,5 Knoten. Vor Saint Catherine’s stehen jetzt schon fünf Meter Wasser über der Banc du Chateau, wir können sie sicher queren, um etwas abzukürzen und passieren die beinahe kilometerlange Mole und kurz darauf La Coupe Point, die nordöstliche Ecke der Insel.

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Ganz kurz kommt die Sonne heraus, an Steuerbord ist der winzige Archipel der Les Écréhous zu sehen und dahinter, als blaue Linie im Dunst, die französische Küste um das Cap de Carteret. Wie erwartet kommt der Strom nun von vorn, und das mit drei bis vier Knoten. Von 1450 Umdrehungen mit den beiden Cummins gehen wir zunächst auf 1650, dann auf 1850 und sind doch kaum schneller als ein Segler unter normalen Bedingungen. Sark ist schon voraus auszumachen und noch etwa vierzehn Seemeilen entfernt, als wir wieder auf die Dünung aus Westen treffen. Zum Glück kaum Schaumkronen.

Um halb acht stehen wir unter grauem Himmel südlich der Ost-Tonne „Blanchard“. Sarks steile Küste liegt voraus, das Meer ist unruhig, mal trügerisch glatt, mal aufgewühlt. Der Strom muss hier um die Insel herum und erzeugt tide rips und overfalls, ominöse Wellenlinien in der Seekarte, die unsere Trader mal in die eine, dann in die andere Richtung zerren. Schließlich öffnet sich La Grève de la Ville vor uns, unser Ziel.

Eine sehr unruhige Nacht an der Boje

Viel abweisender kann eine Bucht eigentlich nicht sein; felsiges Steilufer, gefühlt himmelhoch, keine Möglichkeit zum Anlanden außer bei einem Pfad im Fels, der im Zickzack nach oben führt, erkennbar an den dort weit über der Hochwassermarke an die Wand gelehnten Dingis. Denn Boote gibt es hier, und Bojen. Fünf, sechs Segelyachten, aber nur drei davon mit Crews an Bord, einige kleine Fischerboote. Dazu ein zum Expeditionsschiff umgebauter Trawler vor Anker. Wie ein weißes Schwalbennest klammert sich der Leuchtturm von Point Robert mit seiner Einfassungsmauer an den steilen Hang im Süden.

Die ersten drei Murings, die wir ansteuern, tragen die Aufschrift „Keep off“, erst die vierte scheint für Gäste zu sein – oder die Schrift ist einfach verschwunden. Bald ist die schleimige Muringleine am Bug belegt – und die „RS2“ rollt wie verrückt. Was für eine Kulisse um uns herum, das Ende der Welt! Wie passt das zu der schwärmerischen Elegie von Tom Cunliffe? Sark sei zwar ein Feudalstaat, aber dennoch so elysisch, „dass man in der Sonne sitzen und darüber sinnieren könne, was mit dem Rest der Welt wohl falsch gelaufen sei“, schreibt der Autor unseres Törnführers.


Alles über den Golf von Saint-Malo:


Befreites Lachen brandet auf: Okay, für diese Verhältnisse kann die Insel nun wirklich nichts. Und die Penne finden ihren Weg auf den Tisch, obwohl das Kochen zu Herausforderung wird. Später, Als es draußen pechschwarz ist, ziehen die Ankerlichter der Yachten taumelnde Bahnen, die Nacht hat jede Form verschluckt. Einziger Fixpunkt in diesem wilden Nichts ist der Blitz des Leuchtturms.

Was für eine Nacht… Was schreibt Cunliffe über La Grève de la Ville? „Erwarten Sie keine vollständige Ruhe, denn etwas rollen werden Sie in jedem Fall“. Etwas. Mehr britisches Understatement geht wirklich nicht. Strom und Schwell – und vielleicht auch noch der Wind weiter draußen – sorgen dafür, dass sich die „Rolling Swiss“ an der Muringleine in alle Richtungen bewegt, ohne dass sich Körper oder Gehirn auf ein Muster einstellen können. Wir schlafen zwar, aber nur, um immer wieder im Verlauf der Nacht von einem plötzlichen Rucken oder Wellenschlag geweckt zu werden.

Nächstes Ziel: Saint Peter Port, Guernsey

Entsprechend gerädert fühlen wir uns, als der Morgen einmal mehr grau und trübe heraufzieht. Die anderen Gäste haben längst das Weite gesucht und der eigentlich angedachte, besser: erhoffte Landgang wird bei diesen Verhältnissen gleich gestrichen. Dann lieber mehr Zeit in Saint Peter Port, als hier die Steilwand hinaufklettern, nur um dann unter niedrigem Himmel auf irgendeinem windigen Plateau zu stehen. Ob wir noch eine zweite Chance für Sark bekommen, morgen Vormittag auf der anderen Seite der Insel, bevor es weiter nach Alderney geht? Könnte sein, allerdings ist ja gleich für heute und morgen reichlich Regen angesagt. Und so „tropisch“ muss das Erlebnis dann doch nicht werden. Um 8.25 Uhr trennen wir uns von der Boje, die schleimige Leine verschwindet in der Tiefe.

Im Norden geht es um die Insel herum, das Leuchtfeuer von Corbée du Nez an Backbord, und dann quer über den Big Russell nach Westen, den Sund, der Sark von ihrer kleineren Nachbarin Herm trennt. Der Strom ist jetzt kurz vor Hochwasser zu vernachlässigen, nur der Westwind stemmt sich uns entgegen. Aufgrund des geringen Seeraums zwischen den Inseln von etwa drei Seemeilen, halten sich die Wellen jedoch in Grenzen. Herm ist zwar kleiner als Sark, wenn man das umgebende Plateau und alle Inseln und Felsen einrechnet, jedoch größer – zumindest was die Gesamtfläche des Archipels betrifft.

Mit der Nord-Kardinaltonne „Fourquies“ erreichen wir gegen 9 Uhr die Einfahrt zum Percée Pass, der südlich von Herm einmal durch dieses flache und felsengespickte Gebiet führt. Gleich wird es deutlich ruhiger. Bei uns flattert schon die Flagge Q an Bord, die alle Fahrzeuge führen müssen, die noch nicht einklariert haben in der Bailiwick of Guernsey. Die Gastflagge von Jersey ist der von Guernsey gewichen.

Einklarieren in der Victoria Marina

Eine gute halbe Stunde später ist es so weit; die Molen von Saint Peter Port mit ihren blinkenden Feuern liegen vor uns, das mächtige Castle Cornet links davon. Von der Einfahrt zur Victoria Marina leuchtet uns das bereits vertrauten Lichtsignal entgegen: Grün, grün, weiß – Einfahrt erlaubt, aber Vorsicht: Gegenverkehr! Auch hier nimmt uns ein Boot in Empfang und weist uns einen Platz gleich links des Sills zu, längsseits am Schwimmsteg.

Wir bekommen einen Klarsichtbeutel heraufgereicht, darin eine Inselbroschüre und das Customs-Formular. Das füllen wir aus und werfen es in einen der gelben Zoll-Briefkästen entlang des Hafenbeckens. Das Gute: Da auch Alderney zur Bailiwick of Guernsey gehört, brauchen wir die Formalitäten dort später nicht zu wiederholen.

Guernsey, endlich. Wenn auch im Regen. Im Gegensatz zu Saint Helier hat Saint Peter Port eine richtige waterfront mit alten Fassaden, dazu eine Kirche und ein paar weitere unauffälligere Türme. Zwei Pubs sind schon auszumachen: Albion House und Ship and Crown. Auch hier ist der Hafen aufgeteilt, allerdings sind die einzelnen Bereiche nicht so klar voneinander getrennt wie in Saint Helier. Insgesamt wirkt der Ort schon auf den ersten Blick lebendiger und bedeutender, auch wenn Guernsey kleiner ist als Jersey.

Pulverdampf zum Mittag: Castle Cornet

Mit Sonne ist heute nicht mehr zu rechnen, die Frage ist nur, wieviel es regnen wird. Da bietet sich ein Besuch von Castle Cornet an, zumal ich in Saint Helier schon auf Elizabeth Castle verzichtet habe. Ein weiterer Vorteil: Hier behält man trockene Füße, denn der kurze Weg führt an der Esplanade entlang und dann über die breite Castle Pier direkt zum Haupteingang der Festung. Gleich vier Museen sind in den verschiedenen Gebäuden im Inneren der dicken Mauern untergebracht, alle mit militärischem Bezug, vom Englischen Bürgerkrieg bis zum Kalten Krieg.

Da passt, was ich gar nicht eingeplant hatte: Ich komme pünktlich zur noon gun, also zum Abfeuern der Mittagskanone, früher ein wichtiges Zeitsignal. Das Prozedere: Ein Artillerist im roten Rock marschiert auf, allein, dafür aber mit umso imposanterem Backenbart, bereitet den schweren 36-Pfünder mit Zünder und Ladung vor und schaut auf die aufgeklappte Taschenuhr – bis es ohne weitere Vorwarnung ordentlich knallt. Der Pulverdampf zieht ab, der Soldat ebenfalls, nur um kurz darauf noch einmal anzumarschieren – für Fotos.

Saint Peter Port - das Herz von Guernsey

Die Altstadt von Saint Peter Port kommt schicker daher als Saint Helier und scheint mit ihren Butiken und Cafés rund um die High Street nur so gemacht für Kreuzfahrtpassagiere. Verwinkelt, gewunden, hinauf und hinunter führen die Gassen. Ich kaufe mir ein Sandwich – coronation chicken – und will es mir gemütlich auf einer Bank vor der North Esplanade genehmigen. Doch die Möwen sind offensichtlich noch hungriger als ich und versuchen mir das Sandwich abzujagen. Da bleibt nur eins: die Flucht.

An Bord wird für den nächsten Tag geplant. Einen weiteren Besuch auf Sark wird es nicht geben, bei diesem Wetter lohnt es sich nicht. Schade, damit hat sich die Insel, die ja die schönste hier sein soll, erledigt. Stattdessen bleiben wir eine zweite Nacht, wie ursprünglich ja auch angedacht. Zeit zur freien Verfügung, die ich stattdessen für einen Abstecher nach Herm nutzen will, die zwar noch kleinere dafür aber nähere Nachbarinsel.

Allerdings mit der Fähre, nicht auf eigenem Kiel. Ankern könnte man dort auch, allerdings nur um Hochwasser herum. Murings gibt es keine. Am Abend zieht es unsere Dreiercrew ins Ship & Crown, wo wir im ersten Stock direkt am Fenster zumindest einen theoretischen Blick über den Hafen haben, während der Regen in der einsetzenden Dämmerung in dichten Schleiern gegen die Scheiben prasselt.

Per Fähre nach Herm: eins mit der Natur

Nach einem langen Vormittag mache ich mich auf zum ferry quay, wo der „Herm Trident“ ablegt. Zwanzig Minuten soll die Überfahrt nach Herm dauern; das kommt ungefähr hin, bis wir an den Rosaire Steps anlanden. Es geht die steinerne Treppe hinauf, über Feldwege, ein Quad kommt mir entgegen, dann noch eins. Ganz schön viel Verkehr für eine Insel ohne Autos. Die üppige Vegetation lässt subtropisches Flair erahnen – bei echtem Sommerwetter erahnen.

Auch das White House Hotel hat viel vom Kolonialstil, flankiert wird es von Palmen. Das Ship Inn ist dagegen blau gestrichen, wie auch der Wegweiser davor, der zu allen Enden des kaum zwei Kilometer langen Eilands weist. Hier befindet sich auch der eigentliche Hafen, jetzt vollkommen trocken, mit Landungsboot und hohen Mauern, dahinter der Strand. Feiner Regen setzt ein, er passt zum überhängenden Grün auf dem steilen Weg hinauf zum Manor Village.

Doch vorher weist ein Pfeil nach rechts, wo ein schmaler Pfad in den Urwald führt: Zen Garden. Ich zögere nicht lange und komme so zu einer kleinen ansteigenden Lichtung, an der ein Bach entlangmurmelt. Blaue und weiße Blüten zu beiden Seiten, dazwischen nassglänzender Farn. Und dann ein Torii, das Tor eines japanischen Schreins. Dahinter öffnet sich ein Steingarten mit Lilien. Noch ein paar Stufen zu einer Bank. Ich setze mich, schließe für einen Moment die Augen und fühle die Tropfen im Gesicht.

Zurück zum Hauptweg und hinauf bis zum alten Hof des Inselverwalters, ein schönes Glasfenster und mehr Stille in St. Tugual’s Chapel, die hier vor tausend Jahren errichtet wurde. Mehr Sprühregen und ein monochromes Panorama mit Guernsey und Saint Peter Port im dunklen Hintergrund. Ich bin froh über meinen Poncho. Aber Herm ist schön, sehr schön, selbst jetzt. Ein echtes Kleinod. Irgendwie passt dieser Begriff hier. Für Shell Beach und Alderney Point, reicht die Zeit aber nicht mehr, wenn ich diese Fähre verpasse, muss ich auf der Insel bleiben. Wobei, das wäre etwas! Biege in den Dünen bei den Dolmen ab nach links, zurück zur Fähre. Da kommt von irgendwo ein Wolkenloch her, taucht Herm für wenige Minuten in warmes Licht und bringt die Farben zum Leuchten. Habe ich mir das gerade irgendwie verdient?


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