Aufregender ArbeitstagHinter den Kulissen eines pulsierenden Hafens

Nils Leiterholt

 · 17.07.2024

Der Hafen von Kiel-Schilksee ist einer der beliebtesten an der deutschen Ostseeküste, insbesondere zur Kieler Woche. Bis es morgens so richtig zur Sache geht, dauert es aber manchmal seine Zeit
Foto: YACHT/Jozef Kubica
Der Beruf des Hafenmeisters ist schon außerhalb der Hauptsaison eine Vollzeitbeschäftigung. Wenn dann noch Großveranstaltungen wie die Kieler Woche bevorstehen, sind die Arbeitstage häufig zu kurz. Wir haben Martin Renner, einen der vier Hafenmeister in Kiel Schilksee, einen Tag lang bei seiner Tätigkeit begleitet.

Es ist früh am Morgen und der Arbeitstag hat noch nicht begonnen, doch im Hafenmeisterbüro duftet es nicht nach Kaffee, sondern nach Urlaub. "Das ist eine der wichtigsten Vorbereitungen für den Tag", erklärt Martin Renner, während er Sonnenschutz aufträgt. Seine Arbeit als Hafenmeister verrichtet er unter freiem Himmel. Trotzdem genießt er den obligatorischen Kaffee vor Arbeitsbeginn. Anschließend setzt Renner seine Sonnenbrille auf und zieht die Arbeitshandschuhe an – unerlässlich am Wasser, besonders an solchen Tagen.

An diesem Mittwoch der Kieler Woche wird Renner zusammen mit seinen Kollegen den Betrieb des Olympiahafens Schilksee bis in die Abendstunden sicherstellen. Während dieser Zeit ist der Hafen, Heimat von 850 Dauerliegeplätzen, das Zentrum für etwa 3.500 Regattasegler, die zu den laufenden Aktivitäten hinzustoßen und zahlreiche Zuschauer anziehen.

Dass das Hafenmeisterteam aus vier Personen seinen Job liebt, ist sofort im ersten Morgenmeeting im Büro ersichtlich. Die Aussicht auf einen arbeitsreichen Tag ändert nichts an ihrer Haltung. Obwohl die meiste Arbeit draußen verrichtet wird, bleibt das Büro der Dreh- und Angelpunkt. Zu jeder Zeit ist mindestens ein Teammitglied dort erreichbar. Zentral gelegen im Hafen und oberhalb der Stege, bietet es ihnen einen perfekten Rundumblick über die gesamte Anlage am Wasser, das Hafenvorfeld und zusätzlich einen 200-Grad-Blick auf die Außenförde.

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Logistik und Teamwork: Erfolgsgeheimnisse im Hafenbetrieb

Das Team der Hafenmeister in Schilksee hat am Mittwoch der KiWo besonders gut zu tun. Es ist der Tag, an dem die Athleten der olympischen Bootsklassen mitsamt ihren Booten abreisen und die Sportler der internationalen Bootsklassen anrücken. „In diesem Jahr ist es aus unserer Sicht etwas entspannter als in den Vorjahren“, so Renner, „das liegt daran, dass im ersten Teil der Kieler Woche keine Bootsklassen auf den Regattabahnen am Start waren, die ausgekrant werden müssten.“

Der Kran wird am Nachmittag aber für die ankommenden Boote gebraucht. Renner und seine Kollegen rechnen mit 48 Booten der J/70- und 21 Schiffen der J/24- Klasse. Die meisten von ihnen wollen noch am Mittwoch ins Wasser. Dafür, dass es auch am Vormittag nicht langweilig wird, sorgen nicht zuletzt die üblichen Begehren der Dauerlieger.

Der Sporthafen Kiel Schilksee

Der Sportboothafen Kiel-Schilksee unterteilt sich in den Nord- und den Südhafen. Während Boote und Yachten im Nordhafen an zehn Stegen und einem Treidel­steg liegen, sind es im Südhafen sechs Stege zuzüglich Treidelsteg. Die beiden Hafenbecken werden jeweils über eine Zufahrt erreicht, beide sind nach Süden ausgerichtet. Dabei beherbergt das nördliche Becken Schwimmstege, die Boote im südlichen Becken liegen an festen Stegen. Beide Bereiche verfügen jeweils über einen Boots- und einen Mastenkran. Am Südhafen befindet sich außerdem die Anlegestelle für die Fördedampfer.

Mittlerweile hängt eine X-99 im Kran, die aus dem Wasser soll. Bis sie sicher auf dem Trailer steht, bedarf es mehrerer Anläufe. „Bitte noch mal hoch, wir müssen die vorderen Stützen etwas hochdrehen“, sagt der Eigner, als das Schiff aufliegt. Mehrfach wird die X-99 hoch- und runtergelassen und an den Stützen oder der Längsposition des Schiffes noch etwas verändert. „Das hat jetzt etwas gedauert“, sagt Renner, als der Job erledigt ist. „Aber manchmal muss man auch Geduld haben. Die Crew hat während der Wettfahrt Mastbruch erlitten, die sind sowieso bedient.“ Normalerweise gehe das im KiWo-Betrieb nicht, so Renner. Da jetzt aber gerade keine lange Warteschlange am Kran stehe, müsse er der Mannschaft ja nicht noch mehr Stress machen, als sie wegen des Mastbruchs sowieso schon habe.

Sein Anspruch sei es, den Kunden eine möglichst unbeschwerte Zeit zu ermöglichen. „Trotzdem gibt es ins besondere bei Großevents natürlich Dinge, die einfach nicht zu ermöglichen sind“, erklärt Renner. Besonders wenig Verständnis hätten er und seine Kollegen, wenn sich Unbeteiligte wie einfache Schaulustige beim Kranen unnötig selbst in Gefahr brächten. Das komme trotz der Absperrungen immer wieder vor. Das Team in Schilksee besteht neben Renner aus den drei Hafenmeistern Lars Brinkmeier, Volker Karner und Jens Raabe. Über die Zusammenarbeit mit seinen Kollegen kommt Renner regelrecht ins Schwärmen. „Es ist eine große Erleichterung, dass wir uns so gut verstehen. Das macht die Arbeit erheblich einfacher.“

Die Benutzer der Slipanlage sind meist Kinder und Jugendliche. Für die geben wir auch unser Bestes, das sind schließlich unsere Liegeplatz-Kunden von morgen” – Martin Renner

Renner hat gleich zwei Ausbildungen absolviert, eine zum Schlosser und eine zum Kaufmann für Groß- und Außenhandel. Er hat die Erfahrung gemacht, dass für den Job als Hafenmeister sowohl ein gewisses Organisationstalent am Schreibtisch als auch handwerkliche Fähigkeiten gefragt sind. „Man muss auch mal einen Wasserhahn reparieren können, den gerade einer abgefahren hat. Für große Baustellen, insbesondere im Elektronik-Bereich, haben wir aber selbstverständlich die örtlichen Fachfirmen an der Hand.“

Ostseesturmflut hat auch die Hafenmeister tief getroffen

Die Ostseesturmflut im vergangenen Oktober hat bei den Hafenmeistern von Schilksee tiefe Eindrücke hinterlassen. Hier schauten anschließend von einigen Yachten nur noch die Masten aus dem Wasser, der Hafen glich einem Schlachtfeld, und viele der Schiffe, die nicht auf Tiefe gegangen sind, waren so stark beschädigt, dass sie als Totalschäden abgewrackt werden mussten.

Für Renner und seine Kollegen waren das harte Wochen. „Ich bin selten so ungern zur Arbeit gegangen“, erzählt Volker Karner im Büro, „das hatte rein gar nichts mit dem hohen Arbeitsaufwand zu tun, sondern viel mehr mit den Schicksalen der Eigner, die wir über Jahre kennen.“ Die Zusammenarbeit mit Bergungsfirmen und freiwilligen Helfern hingegen habe ihn beeindruckt. „Das war überwältigend! Hier standen Leute in Ölhosen und Gummistiefeln, die haben einfach nur gefragt, wo sie helfen können.“ Allerdings hätten einige auch Bösartiges im Sinn gehabt. „Da waren Leute, die versucht haben, die geborgenen Schiffe zu plündern und sich daran zu bereichern.“ Generell bleibe ihm aus der Zeit nach der Sturmflut aber vor allem die viele Hilfsbereitschaft in Erinnerung.

Die Hafenmeister hatten in der Folge sogar manch seelsorgerische Aufgaben zu bewältigen. Karner erzählt von einem Moment der bewegenden Art. Als er in den Tagen nach der Sturmflut mit dem Gabelstapler im Hafen unterwegs gewesen sei, habe er einen langjährigen Liegeplatzinhaber in sich zusammengesackt auf einer Bank sitzen gesehen. Er habe angehalten, sich für ihn Zeit genommen und versucht, seinem Bekannten mit aufmunternden Worten weiterzuhelfen. Der Mann, selbst Pastor vom Beruf, habe nach einiger Zeit gefragt: „Volker, was machst du hier?“ Karner habe geantwortet, dass er ihm einfach nur zuhöre. So hat die Sturmflut viele Menschen vor bis dato ungewohnte Herausforderungen gestellt.

Die Kieler Woche aus der Sicht der Hafenmeister

„Zur Zeit der Kieler Woche bleiben viele der normalerweise anfallenden Jobs leider etwas auf der Strecke“, beschreibt Martin Renner seine Arbeit während der Veranstaltung. Dazu zählt er zum Beispiel den Austausch auf den Stegen. „Da hören wir, was die Menschen beschäftigt. Ein kurzer Plausch und ein offenes Ohr für die Anliegen und Probleme gehören einfach dazu“, so Renner.

Aber auch für die Liegeplatzinhaber ändert sich zur Kieler Woche einiges. Parkplätze etwa gibt es keine mehr auf dem Hafenvorfeld, und viele Stege müssen für die Woche geräumt werden, das ist vertraglich geregelt. Martin Renner berichtet, dass das nicht bei allen gleichermaßen auf Verständnis trifft. In aller Regel klappe es aber, dass die Liegeplätze freigemacht werden. „Nur durch diese Großevents gelingt es uns, die Preise für die Dauerliegeplätze seit einigen Jahren konstant zu halten“, unterstreicht Renner die wirtschaftliche Relevanz der Veranstaltungen. Trotzdem sei die Rolle der Hafenmeister häufig die von Vermittlern. So habe es im vergangenen Jahr Unmut darüber gegeben, dass die schwimmende Audi-Lounge an einem geräumten Steg gelegen habe.

Seit diesem Jahr wurde diese deshalb an dem Treidelsteg des Südhafens platziert, wo auch die Funktionsboote wie die großen Startschiffe liegen. „Ich verstehe da beide Seiten, habe Verständnis für unseren Dauerlieger, der ein Problem damit hat, seinen Platz für den Spaß von Sponsoren zu räumen. Andererseits bedarf es aber natürlich auch der finanziellen Kraft, einen derartigen Event bewerkstelligen zu können“, so Renner.

Die Zusammenarbeit mit der Kieler- Woche-Organisatorin Point of Sailing GmbH (PoS) läuft laut Renner auf Augenhöhe. „Natürlich gibt es Reibungspunkte, aber das ist normal, und es lässt sich meistens ein Konsens finden.“ Was das Wirken während der Kieler Woche besonders vereinfache, sei, dass sich selbst viele der ehrenamtlichen Helfer schon seit Jahren bei der Kieler Woche engagierten. „Das hilft sehr, wenn man sich schon kennt und die Beteiligten wissen, wie alles abläuft.“ Auch viele Fahrer vom Trailerservice, der auf Wunsch die Anhänger der Regatta­crews beim Kranen manövriert, hinterher auf den Salzwiesen parkt und von dort aus zum Auskranen auch wieder abholt, seien mittlerweile Routiniers. Fast alle von ihnen nähmen sich Urlaub, um bei dem Event dabei sein zu können.

Die Möglichkeit, Abläufe der Kieler Woche mitgestalten und optimieren zu können, bereitet Renner besonders viel Spaß. „So ein Event entwickelt sich kontinuierlich weiter. Dieses Jahr haben wir zum Beispiel am Dienstag erst alle Jollen aus dem Wasser holen lassen, bevor wir die Zufahrt für die Trailer der Coaching-Boote geöffnet haben“, sagt er. Das habe erst für Unmut gesorgt, dann hätten alle zufrieden festgestellt, dass es viel weniger Gewusel war als die Jahre zuvor.

Hafenmeister und Anrainer arbeiten Hand in Hand

Hier gibt es ein gutes Miteinander zwischen den Beteiligten wie Restaurants, Segelläden und so weiter. Auch die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Segler-Verband läuft“ – Martin Renner

Über die Atmosphäre zwischen den Anrainern sagt er: „Im Großen und Ganzen ist es ein gutes Miteinander. Wenn jemand Probleme hat, finden wir häufig gemeinsame Lösungen.“ Das Restaurant „El Mövenschiss“ im südlichen Teil des Hafens etwa gebe an die Gastlieger auch Schlüsselkarten für die sanitären Anlagen aus und verkaufe Dusch­münzen. „Das hilft uns, weil es meistens bis um 22 Uhr geöffnet ist und dementsprechend spät ankommende Gäste noch die Toiletten und Duschen benutzen können“, so Renner. Dafür sei es im Gegenzug dann eben auch kein Problem gewesen, die vor ein paar Wochen neu angelieferten Blumenkästen kurzerhand mit dem Gabelstapler an den richtigen Platz zu bugsieren.

Dieses Geben und Nehmen ist Ausdruck einer unfreiwilligen Abhängigkeit voneinander. Der Hafen zieht eine Klientel an, die für Restaurants, Segelmacher und Ausrüstungs-Shops potenzielle Kundschaft darstellt. Im Gegenzug trägt diese maritime Infrastruktur zur Attraktivität des Hafens bei.

Betrüger schmeißt Leinen los, ohne zu bezahlen

Zurück im Büro der Hafenmeister, kommt ein aufgebrachter Dauerlieger zur Tür herein. „Die sind einfach abgehauen“, sagt er schnaufend. Ob seine Anstrengung auf seiner Aufregung oder auf der Geschwindigkeit beruht, mit der er zum Büro gespurtet ist, lässt sich nicht sagen. Schon vorher ist er einmal da gewesen, um mitzuteilen, dass irgendjemand in seiner Box liege, obwohl das Rot/Grün-Schild auf „besetzt“ stehe.

Auch im EDV-System der Hafenmeister hatte sich die Situation nicht aufklären lassen, da jedoch eine lange Schlange von Kunden vor dem Büro wartete, wurde die Bearbeitung des Falls kurzfristig verschoben. Diese Zeit nutzte der Gastlieger, um die Leinen loszuwerfen und sich aus dem Staub zu machen. „Hafenmeister haben in diesen Dingen ein Elefantenhirn“, sagt Renner relativ entspannt über den Vorfall, selbst wenn er sich natürlich über die Dreistigkeit des Erschleichens seiner Leistungen ärgert, „man sieht sich immer zweimal im Leben.“

Auch Volker Karner, der das Boot noch in der Hafenausfahrt durchs Fernglas beobachten konnte, steuert eine Anekdote bei. Er erzählt, wie er im Herbst einem Gastlieger noch das fehlende Liegegeld fürs Frühjahr abgeknüpft hatte. „Das Gelächter der Kunden in der Schlange hinter ihm war natürlich groß, der Betroffene konnte nur noch stottern“, so Karner. Der jetzt betroffene Dauerlieger hatte noch ein Foto des Schiffes gemacht, dessen Skipper nicht bezahlt hat. Das schickt er via AirDrop an Martin Renner.

Kontrollfahrt mit dem Hafen-Dingi

Volker, ich fahre mal gucken, ob vom Wasser aus alles in Ordnung ist“, verabschiedet sich Renner, der auf dem Türabsatz steht, auf eine kurze Tour mit dem hafeneigenen Schlauchboot. Es ist grau, in blauer Schrift steht beidseitig „www.sporthafen-kiel.de“ darauf, der Boden und die Steuersäule sind bis auf Steuerrad und Gashebel kommunalorange gehalten. Angetrieben wird es durch einen 30 PS starken Yamaha-Motor. Auf seiner Tour durch die beiden Hafenbecken hält Renner Ausschau nach Schäden und potenziellen Risiken für Mensch und Material. Insbesondere zur KiWo ist es von Belang, dass alles in Ordnung ist.

Zum einen sind viele wichtige Sponsoren des Events und der Segler im Hafen unterwegs, die diesen natürlich im bestmöglichen Zustand erleben sollen, zum anderen ist der Publikumsverkehr höher als sonst. Beides zusammen bringt auch viele Menschen in den Hafen, die sonst seltener auf dem Wasser unterwegs sind und entsprechende Gefahrenquellen nicht immer selbstständig erkennen.

Im Herbst wird das Winterlager vorbereitet und ausgekrant

Die Zeit im Frühjahr und im Herbst beschreibt Renner als besonders herausfordernd. Dann kommen alle rund 900 Boote aus dem Wasser, anders als zur Kieler Woche gibt es dann feste Termine mit entsprechenden Zeitslots, die es einzuhalten gilt. „Dann geht es Schlag auf Schlag“, berichtet Renner. Viele Boote bleiben gleich in Schilksee im Hafen. Vor Ort gibt es rund 30 überdachte Plätze in den Hallen des Hafens, 400 Schiffe werden auf der Freifläche gelagert, und 200 Boote kommen in eine fast 5.000 Quadratmeter große ehemalige Tennishalle in Friedrichsort.

Gegen Abend haben die Hafenmeister von Schilksee mit dem Kranen der Boote für den zweiten Teil der Kieler Woche zu tun. Da das letzte Schiff erst um kurz vor 21 Uhr eingekrant wird, hatten sie für den Tag ein Schichtsystem geplant. Bis Renner dazu kommt, die Sonnenbrille abzulegen und seine Arbeitshandschuhe auszuziehen, dauert es bis in die späten Abendstunden.

Martin Renner, 53, ist gelernter Schlosser und hat auch eine kaufmännische Ausbildung absolviert. Im Beruf des Hafenmeisters fand er seinen Traumjob.Foto: YACHT/Jozef KubicaMartin Renner, 53, ist gelernter Schlosser und hat auch eine kaufmännische Ausbildung absolviert. Im Beruf des Hafenmeisters fand er seinen Traumjob.

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