Ankunft in Porto Colom, Mallorca. Ein Samstag in der Vorsaison. Wir wollen nicht gleich am ersten Tag die Insel wechseln, das wäre von hier aus ganz schön weit. Stattdessen suchen wir uns für die Nacht weiter nördlich eine Bucht. Ein Fehler, wie sich später herausstellt. Denn abends schläft der Seewind ein und die ablandige Nachtbrise stellt das Schiff quer zur alten Welle, dass man im Schlaf fast seekrank wird. Inklusive Wiegenlied: Eine Kakofonie klimpernden Geschirrs in den Schapps, das erst mal neu sortiert und mit sämtlichen Geschirrtüchern zum Schweigen gebracht werden will. Das Geschwanke bleibt.
Am nächsten Morgen ist die Crew weich geschüttelt und kann es kaum erwarten, Menorcas Leeküste zu erreichen. Die Überfahrt verläuft problemlos. In der Vorsaison sind selbst am Sonntag nur wenige andere Schiffe auf dem Wasser. Umschichtig wird im Cockpit gedöst und Schlaf nachgeholt. Statt gleich Ciutadella im Westen Menorcas anzusteuern, suchen wir uns eine stille Bucht im Nordwesten. Die Cala Morell. Garantiert schwellfrei. Mit einem bizarr geformten Felsen in der Einfahrt, der an einen expressionistischen Elefanten und stilistisch an die Skulptur im Willy-Brandt-Haus erinnert. Jedenfalls muss man zweimal hinschauen, um festzustellen, dass das kein Artefakt ist, sondern vom lieben Gott persönlich bzw. durch Erosion erschaffen wurde.
Am nächsten Morgen zieht es uns an der Nordküste eine Bucht weiter. Genau genommen zwei in Gestalt einer Zwillingsbucht. Cala Algaiarens. In der kleineren der beiden Buchten klemmt zwischen den Felsen eine Art Tiny House, halb Bootsschuppen, halb Eremitage. Äußerst fotogen. Man möchte sofort einziehen – im Sommer Bademeister und im Winter vielleicht Philosoph werden. Am Strand liegen gerade mal zehn Leute. Und außer uns ein weiterer Ankerlieger, dessen Boot so aussieht, als sei der Eigner darauf verstorben. Außerdem macht der Anblick einer geschlossenen Kuchenbude – im Mittelmeer – mindestens stutzig.
Obwohl wir Menorcas perfekteste Bucht offenbar bereits gefunden haben, zieht es uns gegen Abend gen Zivilisation. Nach Ciutadella. Die beiden Juniormatrosen brauchen Auslauf. Und Abwechslung. Ciutadella heißt übersetzt „das Städtchen“. In seinem fjordartigen Hafen kann es bei bestimmten Wetterkonstellationen zu einem sich unregelmäßig wiederholenden Wetterphänomen kommen: einem Steigen und Fallen des Wasserstandes zwischen 0,3 und 1 Meter innerhalb weniger Minuten. Eine Art Mini-Tsunami. Auf Spanisch „Rissagas“ genannt. Es kann passieren, selten, dass der Hafen komplett trockenfällt und das Wasser wenig später als Flutwelle in den Fjord hineinstürzt. Zuletzt geschah das im Sommer 1984, als an den Yachten und Fischerbooten im Hafenschlauch enormer Schaden entstand. Viele Boote sanken.
Wir machen im Club Nautico fest. In der Vorsaison sind die Preise noch halbwegs vertretbar. Für den Puerto Publico weiter hinten, gegenüber der Kathedrale, ist unser Boot zu groß. Durch den Schwell, der bei westlichen Winden in die lange, schlauchartige Bucht steht, ruckt es immer mal wieder hart in die Achterleinen. Halb so wild, wenn man sich ohnehin kaum an Bord aufhalten und lieber Menorcas ehemalige Hauptstadt erkunden, irgendwo Tapas essen und vorher eine Pomada trinken will.
Jenes traditionelle Getränk aus Menorca, das besonders im Sommer sehr beliebt ist und hauptsächlich aus lokalem Gin und Zitronenlimonade besteht. Sozusagen flüssige Folklore. Schon nach wenigen Schritten ist man – mit oder ohne Pomada im Blut – dem Charme des „Städtchens“ erlegen. Die Promenade, der Hafen, die Kathedrale, das schmucke Rathaus, der Obelisk, die Gassen, die Arkaden, die kleine Markthalle und nicht zuletzt die freundlichen Einwohner.
Ciutadella ist eine perfekte mediterrane Komposition. Und einer dieser Orte, an denen man sich am liebsten für immer niederlassen möchte. Einer der Gründe, weshalb wir gleich zwei Tage bleiben. Der andere: das Wetter. Bei der vorherrschenden Wind- und Wellenrichtung, inklusive Schauern, ist das Erkunden der Südküste Menorcas suboptimal. Und die Küste einfach abzufahren und erst am anderen Ende, in Mahón, der Hauptstadt im Osten, festzumachen, ist theoretisch kein Problem. Praktisch wäre es Sünde, an den zahlreichen Buchten und Ankerplätzen unterwegs einfach vorbeizufahren. Im Süden findet sich, wie manche sagen, eine der schönsten Buchten im gesamten Mittelmeer.
Doch die Schönheit hat ihren Preis. Tags darauf überholen uns zahlreiche Ausflugsboote. Nachdem das Cap d’Artrutx samt Leuchtturm im Westen der Insel umrundet ist, reihen sich gut ein Dutzend Buchten aneinander. Das Schmuckstück darunter ist die Cala Macarella. Von hellen, mit Kiefern bewachsenen Felsen eingerahmt. Unser Anker fällt über feinstem Sand in ein Türkis, wie es Seychellen oder Karibik auch nicht schöner zu bieten haben. Nur was die Wassertemperaturen angeht, könnte Mitte Mai noch etwas nachgebessert werden. Der Trockensprung von der Badeplattform kostet reichlich Überwindung. Und für eine Übernachtung ist die See noch zu aufgewühlt. Erst 16 Seemeilen weiter östlich finden wir in der Cala Binibeca, hinter einer Huk, Schutz vor dem Schwell. Und damit einen gesegneten Schlaf. Am nächsten Morgen passieren wir an Steuerbord die Isla del Aire und an Backbord Punta Prima. Das Wasser unter dem Kiel wird am östlichen Ende Menorcas selbst mit reichlich Abstand von der Küste flach und klar.
Acht Meter Wassertiefe machen schnell nervös, wenn man plötzlich den Grund so klar wie in einem Gebirgsbach sieht. Im Sommer ankern hier jede Menge Yachten und man muss Slalom fahren. Menorca ist so klein und kompakt, dass man auch ohne Eile überall ankommt und die Insel in einer Woche bequemst umrunden kann.
Auf keinen Fall sollte man dabei Mahón auslassen. Die Stadt wurde 1722 von den britischen Besatzern zur Hauptstadt gemacht. Nicht zuletzt, weil sie nach Pearl Harbor den zweitgrößten Naturhafen der Welt besitzt. Die große Bucht ist vor allen Windrichtungen des Mittelmeers gut geschützt. Der Genueser Admiral Andrea Doria soll gesagt haben: „Ich kenne im Mittelmeer nur vier sichere Häfen: Juni, Juli, August und Mahón.“ Das erklärt auch die imposante Wehranlage gleich am Eingang der Bucht: La Mola Fortaleza Isabell II, an der die Spanier ein Vierteljahrhundert gebaut haben.
Das Fort wurde nie angegriffen. In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich ein perfekter Ankerplatz, der offiziell nur bei schwerem Wetter genutzt werden darf. Oder wenn in der Hochsaison alle kostenpflichtigen Liegeplätze in der Stadt belegt sind. Offenbar werden ein paar Ankerlieger in der Nebensaison geduldet. Geschützter kann man nicht liegen. Nur leider ein bisschen zu weit ab vom Schuss. Wir entscheiden uns für die Marina Menorca, die ein paar Schwimminseln betreibt. Strom und Wasser sind vorhanden. Der Liegeplatz fällt in die Kategorie gut und günstig. Noch dazu mit Logenblick. Das bisschen Schwell wird durch den Blick auf die Stadt allemal wettgemacht. Die Jungs, die beim Festmachen helfen, versichern, schneller kommt man in Mahón von keinem Liegeplatz ins Zentrum. Mit dem Dingi ist man ruckzuck an der Hafenpromenade.
Es ist Samstag und ganz Menorca scheint auf den Beinen. Durch die Altstadt schieben sich hauptsächlich Einheimische. Am Fuße der Kathedrale findet ein Oldtimertreffen statt. Irgendwo wird Flamenco getanzt. Zwei Plätze weiter wird gegen den Nahostkrieg protestiert. Während man sich selbst einen Cortado gönnt und etwas Abstand vom Unfrieden in der Welt. Am Ende überlegt man, welche der beiden Städte Menorcas das Rennen macht. Ciutadella versus Mahón. Und stellt fest: Beide haben unbedingt ihren eigenen Charme.
Am folgenden Tag gehen wir es ruhig an. Es ist ein Sonntag, der seinem Namen alle Ehre macht. Auslaufen bei bestem Wetter, gerade mal ein, zwei Buchten weiter. Sa Mesquida gilt als eine der schönsten Badebuchten Menorcas und ist praktisch der Hausstrand für die Einwohner Mahóns. Ideal zur Rekreation. Zu Fuß oder mit dem Fahrrad ist man fast schneller vor Ort als mit dem Boot. Der kleine Fischer- und Ferienort gehört noch zum Stadtgebiet. Ein Wachturm teilt die Bucht in zwei Bereiche. Mitte Mai teilen wir uns den Ankerplatz mit nur einer weiteren Yacht. Und abends kriegen wir, selbst ohne zu reservieren, in einem beliebten Fischrestaurant oben auf den Klippen problemlos einen Platz. Motto: Das Auge isst mit. Der Ausblick ist fantastisch.
Am nächsten Morgen geht es weiter nach Es Grau und hinter die Insel Illa d’en Colom, ein Vogelschutzgebiet, wo wir den Vormittag verbringen. Gegen Nachmittag brechen wir gen Nordküste auf und ankern in der Bucht von Fornells, die sich bis zu vier Kilometer ins Landesinnere erstreckt. In den Törnführern wird in der Bucht vor Hummerkörben gewarnt. Die Einwohner gehören zu den fähigsten Langustenfischern, was den Ort zu einem Mekka für Liebhaber von Schalentieren macht.
Besonders berühmt ist der Langusteneintopf Caldereta de Llagosta. Selbst die königliche Yacht von König Juan Carlos soll hier bereits mehrmals vor Anker gegangen sein. Und so verwundert es nicht, dass der Ort eine gewisse Noblesse mit dem Charme eines alten Fischerortes kombiniert. Leider gibt die Bordkasse keine Langusten her. Wir betrachten es sportlich – als Tierschutz. Neuer Tag mit Kurs altbekannte Bucht. Wir fahren das steinige, schroffe Ufer der Nordküste ab und machen die Menorca-Runde komplett. Nach einer letzten Nacht vor Anker lassen wir Mallorcas kleine Schwester mit Wehmut im Kielwasser zurück. Die Insel hat alles, was man für eine geglückte Woche auf dem Wasser braucht.
Was folgt, ist ein Finale furioso beziehungsweise Fluch und Segen der Vorsaison: Kaum zurück auf Mallorca, liegen wir bei Gewitter vor Anker im Hagelschauer. Der Lärm an Deck ist beängstigend. Es klingt teils nach Trommelwirbel, teils nach Kometeneinschlägen. Das Wasser um uns kocht. Nach zwei Stunden ist der Spuk vorbei. Und am Abend bei schönstem Sonnenschein auch unser Törn. Leider, muss man alles in allem einmal mehr sagen. Nur etwas deutlicher als sonst.
Menorca ist ein Fünftel so groß wie Mallorca und ideal für einen Kurztrip. Eine Umrundung ist gut in einer Woche zu schaffen. Zwischen Ciutadella und Mahón reihen sich Ankerbuchten aneinander. Die Nordküste ist schroffer, aber genauso schön. Viele Buchten sind unbewohnt. Das Revier ist relativ anspruchslos. Wichtig: der Blick aufs Wetter. Nur Mahón und Ciutadella können bei jedem Wetter angelaufen werden.
In der Regel die erste Anlaufstelle, wenn man von Mallorca kommt. Und gleich eine der besten. Die sanitären Anlagen des Club Nautico passen zwar nicht zu den Liegegebühren. Aber dafür kann die Stadt nichts, die als eine der schönsten Spaniens gilt. Viele Restaurants in den Arkaden der Altstadt.
Noch so ein Superlativ. Für viele die schönste Bucht Menorcas. Entsprechend viel Trubel herrscht hier in der Hauptsaison an Land und zu Wasser. Aber in der Vor- und Nachsaison hält es sich in Grenzen. Nach Süden offen, für die Nacht besser gen Osten in die Cala Binibeca ausweichen.
Der größte Naturhafen des Mittelmeers. Die Stadt thront auf einer Steilklippe in einer fjordartigen Bucht. Sehr schön liegt man an einem der Schwimmpontons, wenn man auf sanitäre Einrichtungen verzichten kann. Oder ganz ab vom Schuss umgeben von der alten Festungsanlage La Mola in der Cala Teulera.
Buchstäblich um die Ecke. Man ankert vor dem Strand oder vor dem Ort, wo ein Riff durch die Bucht läuft, das zum Schnorcheln einlädt. Abends empfiehlt sich ein kurzer Gang auf die Klippen, um im Fischrestaurant Cap Roig einzukehren und dabei das eigene Ankerlicht im Auge zu behalten.
Im Norden Menorcas. Idealer Ankerplatz und schöner Strand für Kinder, der sehr flach ins Wasser geht. Bei Nordwind für Segler eher unbrauchbar, dann kommen die Surfer. Ansonsten lohnt ein Abstecher in die Dünenlandschaft und den angrenzenden Wald aus Aleppokiefern und Steineichen.
Menorca ist ein Fünftel so groß wie Mallorca und ideal für einen Kurztrip. Die ca. 70 Seemeilen einer Umrundung sind gut in einer Woche zu schaffen. Zwischen Cituadella im Westen und Mahón im Osten reihen sich Ankerbuchten aneinander. Die Nordküste ist schroffer, aber genauso schön. Viele Buchten sind unbewohnt.
Das Revier ist relativ anspruchslos. Die kürzeste Passage von Mallorcas Nordostküste nach Cituadella ist ca. 24 Seemeilen lang. Rund um Menorca kann nach Sicht navigiert werden. Wichtig ist der Blick aufs Wetter. Auch als Entscheidungshilfe, ob man die Insel im oder gegen den Uhrzeigersinn umrundet.
Die vorherrschende Windrichtung kommt aus Nord. Als nordöstlichste Baleareninsel liegt Menorca im Einflussbereich des Mistrals. Die Nordküste Menorcas kann also so rau sein, wie sie aussieht. Bei einer typischen Mistrallage, die meist drei bis vier Tage andauert, sollte man zunächst die geschütztere Südküste abfahren.
Nur zwei Häfen können bei jedem Wetter angelaufen werden: Mahón und Cituadella. Dazwischen gibt es zahlreiche Ankerplätze. Das Gleiche gilt für die Nordküste. Sollte starker Seegang ein Einlaufen in die Cala Fornells oder Puerto de Addaya riskant machen, empfiehlt es sich, vor dem Wind nach Mahón abzulaufen.