Boote Redaktion
· 23.10.2022
Die Badeorte Jesolo, Caorle, Bibione und ihre Lagunen im Hinterland einmal anders – beschaulicher Bootsurlaub am Saisonende
von Michael Schlögl
Bei traumhaftem Herbstwetter rollen wir über die Autobahn Richtung Adria, umgeben von hohen Bergen, deren Bäume in der Sonne bereits golden leuchten. Kurzfristig haben wir uns entschieden, die Ferien auf einem Hausboot in Norditalien zu verbringen.
An der Basis in Casale geht es sehr entspannt zu, nur einige andere Crews checken ein. Es ist die letzte Saisonwoche. Nur wir wollen morgen bei Portegrandi vom Fluss Sile Richtung Osten abzweigen und die Badeorte Jesolo, Caorle, Bibione und ihre Lagunen im Hinterland erkunden. Es wird sich herausstellen, dass wir das einzige Hausboot dort sein werden. Also Einsamkeit pur! Auch bei den Brückenöffnungen werden wir immer die Einzigen sein. In der Nebensaison muss man trotz fester Öffnungszeiten – mit Ausnahme der Straßenbrücke bei Cortellazzo, die während der Betriebszeiten auf Hupen öffnet – eine Stunde zuvor telefonisch anfragen. Mit ein paar Brocken Italienisch und Englisch kommt man dabei gut zurecht. Unser Boot, eine Minuetto 6+, präsentiert sich ausgesprochen sauber. Ihre Warmluftheizung (bei Landstrom) und Dieselheizung erweisen sich in den schon kühlen Nächten als wesentlich.
Am nächsten Morgen starten wir früh und peilen die Brückenöffnung bei Caposile um 12.30 Uhr an, weil wir es heute noch bis zum Fluss Piave und weiter bis Cortellazzo schaffen wollen. Somit geht es zuerst gut zwei Stunden den Fluss Sile hinab. Anfangs sind die Ufer zumeist noch von herbstlich gefärbtem Laubwald gesäumt. Je weiter wir flussabwärts kommen und uns der Lagune nähern, umso weiter geht der Blick, und wir überschauen freie landwirtschaftliche Flächen und Wiesen.
Bei Portegrandi führt rechter Hand die Schleuse in die Lagune von Venedig, wir jedoch fahren an dieser vorbei und über den Kanal Taglio Nuovo del Sile schnurgerade Richtung Caposile. Auf unserer Steuerbordseite können wir bereits auf die Lagune von Venedig blicken. Parallel zum Kanal führt auch ein gut genutzter Radweg. Kurz vor der Brücke gibt es einen Anleger, bei dem wir nur kurz warten müssen. Die Schwimmbrücke öffnet seitlich und darf erst passiert werden, wenn sie vollständig geöffnet ist und das Zugkabel am Kanalgrund liegt.
Nachdem wir am idyllischen Anleger in Caposile bei Sonnenschein auf der Flybridge eine Mittagspause eingelegt haben, folgen wir einem gewundenen Altarm, der Piave Vecchia, aufwärts bis zu dem Ort Musile di Piave. Die Verbindungsschleuse zum Hauptarm des Flusses dort steht in der Regel offen: „Einfach das Rot ignorieren und durchfahren“, lautete die Instruktion an der Basis. Danach geht es den Piave selbst abwärts, für etwa zwei Stunden, zurück Richtung Meer. Schon bald zeigen sich die hier typischen Fischernetze. Über jedem hängt eine Lampe, die nachts die Fische anziehen soll.
Problemlos erreichen wir zeitgerecht die für heute zweite Brücke, die Pontonbrücke bei Cortellazzo. Auf unser Hupen hin wird bald darauf die Öffnung in Gang gesetzt. Kurze Zeit später ist unser Ziel erreicht: die Marina Michelangelo (in den Plänen noch als Nautica Boat Service ausgewiesen). Nun machen sich erstmals unsere Bordfahrräder bezahlt, denn von hier aus fahren wir der untergehenden Sonne entgegen den Strand entlang Richtung Lido di Jesolo.
Unseren Start am Morgen stimmen wir auf die nur etwa eine halbe Stunde entfernte Brücke bei Torre di Fine ab, die nach Voranmeldung wieder extra für uns geöffnet wird. Zuvor haben wir beim Verlassen des Piave und der Einfahrt in den Canale Revedoli bereits eine weitere offene Schleuse passiert. Nach dem Ort Brian heißt der Kanal nun Commessera. Heute haben wir nur eine in gemütlichen zwei Stunden zu bewältigende Fahrt nach Caorle vor uns. Sie führt zumeist durch jenseits der Dämme liegende Felder, wo Traktoren noch letzte Arbeiten vor dem Winter erledigen. Immer wieder bieten sich eindrucksvolle Blicke bis zu den Alpen. Nach einer Rechtsbiegung hat man schon die Adriaausfahrt vor sich und biegt scharf links in den Canale dell’Orologio ein, wo schon bald wieder zur Rechten die Einfahrt zur Marina dell’Orologio liegt. Der etwas ältere, sehr freundliche und recht gut Deutsch sprechende Hafenmeister lotst uns zu einem vis-à-vis dem Hafenbüro für Hausboote vorgesehenen Liegeplatz.
Dank der historischen Altstadt und den (zumeist deutsch sprechenden) Herbsttouristen wirkt Caorle bis jetzt am lebhaftesten. Die sonnigen und windgeschützten Gastgärten sind gut besucht. Wir ergattern einen der letzten freien Tische und genießen regionale Fischspezialitäten. Danach schlendern wir durch die Altstadt und schießen vom zylinderförmigen Glockenturm Santo Stefano an der Piazza Vescovada ein Foto ohne Touristen. Dann bummeln wir die Strandpromenade, den Lungomare Venezia, entlang und bestaunen die in die Steine des Damms geschlagenen Kunstwerke und Skulpturen. Schließlich kommen wir zurück zum Hauptplatz, wo wir unsere Räder zurückgelassen haben. Nach einem Einkauf verbringen wir den restlichen Nachmittag und den Abend gemütlich an Bord.
Unserer Weiterfahrt nach Bibione am nächsten Morgen steht diesmal nur die Drehbrücke bei Caorle im Weg. Diese öffnet zu festen Zeiten (9/11/14.30/16.30, im Sommer auch um 18 Uhr, jedoch nicht an Samstagen und Sonntagen). Wir entscheiden uns für die Passage um 11 Uhr. Am Ende des Canale Saetta ziehen die ersten casoni, die hier typischen schilfgedeckten Fischerhütten, an uns vorbei. Mit Erreichen des Canale Nicesolo wird das schilfgesäumte Gewässer deutlich weiter und sollte im Sommer gute Bademöglichkeiten bieten. Nach etwa zwei Kilometern verlassen wir den Canale Nicesolo rechter Hand. Über den Canale del Morto, der bei Mazarak einen scharfen Linksknick macht, erreichen wir den Canale Cavanella, der uns in die Lagune von Baseleghe führt. Hier gilt es erstmals, eng an der Dalbenreihe an Steuerbord zu bleiben, um nicht in zu flaches Fahrwasser zu geraten.
Dort machen wir wieder gegen Mittag in Bibione Pineta an den Kopfstegen der Marina Baseleghe fest. So liegen wir direkt mit schönster Aussicht an der nur von wenigen Fischerbooten befahrenen Fahrrinne, die durch die gleichnamige Lagune zur offenen Adria führt. Hier sind wir beinahe allein mit den vielen Wasservögeln, die die ruhige Wasserfläche bevölkern. Wir melden uns im rund um die Uhr besetzten Hafenbüro an und checken gleich für zwei Nächte ein. Auf den gut ausgebauten Radwegen schaffen wir sogar problemlos die rund sieben Kilometer bis zum Leuchtturm von Bibione, dem Faro di Punta Tagliamento. Bis dahin finden wir einen nur wenig bevölkerten Strand vor. Gut lassen sich die Touristen in noch sommerlicher Kleidung von den bereits in dicke Mäntel gehüllten Italienern unterscheiden. Alles ist schon in der Wintervorbereitung. Nur sehr vereinzelt hat noch ein Strandcafé geöffnet. Am Strand vor dem Leuchtturm haben wir eine tolle Aussicht, einerseits Richtung Osten Blick auf Lignano, auf der anderen Seite sehen wir bis zu den Häuserreihen von Jesolo. Am Abend lauschen wir den Vogellauten der Lagune.
Vor der Rückfahrt zur Charterbasis bereiten uns die Brücken etwas Kopfzerbrechen, deren Öffnungszeiten für eine Passage in diese Richtung nicht abgestimmt sind. Also ist warten angesagt. Zum Glück haben wir aber rund zwei Kilometer vor der Brücke im Canale Revedoli schon bei der Hinfahrt einen einsamen Anleger für ein Boot ausgemacht, an dem wir unsere Mittagspause verbringen. Mit voller Kraft voraus geht es bald den Piave hinauf, um im letzten Tageslicht den Anleger von Chiesanuova zu erreichen. Zwei lokale Fischer, die hier ihre Angeln ausgeworfen haben, machen für uns ausreichend Platz und helfen uns beim Anlegen.
Die Pizzeria von Chiesanuova wurde uns bereits an der Basis empfohlen. Während wir auf das Essen warten, bekommen wir nicht nur diverse Spezialitäten der benachbarten Cioccolateria zu verkosten, sondern auch gleich die passenden Koch- und Serviervorschläge in einer Mischung aus Englisch und Italienisch. Zurück an Bord, bereuen wir unsere Wahl nicht, und uns ist klar, dass am nächsten Tag die Cioccolateria besucht werden muss. Somit werden am nächsten Morgen erst einmal diverse süße Mitbringsel erstanden, und als einige der wenigen Gäste um diese Zeit bekommen wir sogar eine persönliche Führung durch die Produktionshallen – wie gut, dass wir hier gelandet sind.
Wieder haben wir Traumwetter und können in T-Shirts und kurzen Hosen das letzte Stück unserer Fahrt genießen. Diesmal haben wir die Lagune zu unserer linken Hand, und die Nachmittagssonne scheint uns ins Gesicht, während wir entlang des Kanals gemächlich Portegrandi und dem letzten Stück unserer Reise entgegenschippern. Als wir die Charterbasis erreichen, haben schon einige Crews angelegt. Auch wir werden erwartet und in die einzige noch freie Lücke eingewiesen. Wir sind das letzte Boot, das in dieser Saison einläuft.
1 Bibione: Der im Sommer beliebte Badeort bietet auch in der Nachsaison alles, was entspannte Tage am Meer garantiert: Sandstrand, Natur und Restaurants (www.bibione.it).
2 Chiesanuova: Der Besuch der Cioccolateria wird schnell zur süßen Versuchung, von Gianduia-Creme über Bio-Schokolade bis zum Zabaione-Likör (www.cioccolateriaveneziana.it).
3 Caorle: Ihren bunten Gassen und Wasserwegen verdankt die Stadt den Beinamen Klein Venedig. Wer es nicht ins Original schafft, schaut hier vorbei (www.caorle.com).
UNSER BOOT: Minuetto 6+, Länge: 13,50 m, Breite: 4,10 m, Höhe: 2,90 m, Tiefgang: 0,90 m, Trinkwasser: 900 l, Diesel: 350 l, Dieselverbrauch: 4,0 l/h, 3 Doppelkabinen, 2 Nasszellen mit Dusche und elektrischem WC, 2 Steuerstände, Bugstrahlruder, Tiefenmesser. Informationen und Buchung: www.leboat.de