Das Sturmklima im WandelHurrikan mit Kurs auf Europa

David Ingelfinger

 · 17.11.2025

Blick auf Hurrikan Milton von der ISS.
Foto: dpa/pa

Mit der Erderwärmung häufen sich besonders starke tropische Wirbelstürme. Einige dieser Systeme dringen inzwischen weit nach Norden vor, können den Atlantik überqueren und europäische Küsten erreichen. Wir sprachen mit Meteorologe Sebastian Wache, darüber wie ein Hurrikan entsteht und was das Wetterphänomen bedeutet.

​​Die Forschung ist sich weitgehend einig, dass tropische Wirbelstürme im Mittel intensiver werden. Ein wesentlicher Treiber ist die Erwärmung von Luft und Meeresoberfläche. Steigende Temperaturen führen dazu, dass die Atmosphäre mehr Wasser aufnimmt. Die wärmere Wassertemperatur stellt zusätzliche Feuchtigkeit bereit.

​Die Intensität der Hurrikane steigt

Wissenschaftliche Daten zeigen eine klare Häufung sogenannter Major Hurricanes der Kategorien drei bis fünf. Acht der zehn aktivsten Jahre seit 1950 fallen in die vergangenen drei Jahrzehnte. Zur Einordnung der Gesamtenergie tropischer Wirbelstürme wird häufig der ACE-Index herangezogen, der die über die gesamte Lebensdauer eines Sturms freigesetzte Energie erfasst. Seit Mitte der 1990er-Jahre weist dieser Index einen deutlichen Anstieg auf. Das zeigt, dass die Stürme im Durchschnitt länger stark bleiben und über ihre Lebensdauer mehr Energie freisetzen als früher. Diese langfristige Verschiebung in höhere Intensitätsbereiche gilt als direkte Folge der Erderwärmung, die auch die potenziell maximale Stärke tropischer Systeme anhebt. Meteorologe Sebastian Wache bestätigt diese Tendenz:

​Insbesondere im Bereich der Kategorie-4- und Kategorie-5-Hurrikane lässt sich eine klare Häufung beobachten.“

​Wettermodelle am Limit

​Zusätzlich rückt ein weiteres Phänomen in den Fokus, nämlich die rasche Verstärkung bestimmter Hurrikane, auch bekannt als “rapide Intensivierung”. Dabei steigt die Windgeschwindigkeit innerhalb kurzer Zeit stark an, teils von Tropensturm- zu Hurrikanstärke innerhalb eines Tages. Das kann bedeuten, dass ein System, das morgens noch etwa 70 km/h erreicht, am nächsten Tag bereits Windgeschwindigkeiten von weit über 150 km/h aufweist. Solche Entwicklungen verkürzen die Vorwarnzeit erheblich und fordern die Prognosemodelle heraus.


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Rapide Intensivierung tritt besonders häufig auf, wenn mehrere meteorologische Faktoren zusammenkommen, etwa sehr warmes Oberflächenwasser und hohe Luftfeuchtigkeit. So können Wirbelstürme in der Karibik, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, innerhalb eines Tages um mehrere Kategorien zulegen. Mit der wachsenden Grundenergie im System steigt die Wahrscheinlichkeit hochintensiver Stürme über Nordeuropa, unabhängig davon, ob ihr Ursprung tropisch oder atlantisch ist.

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Stürme auf neuen Pfaden

​Mit der Erwärmung des Atlantiks verlängert sich die „Startbahn“ tropischer Stürme. Warmes Oberflächenwasser reicht weiter nach Norden, sodass Hurrikan länger Energie behalten und häufiger in die Zugbahnen des Jetstreams geraten, der sie nach Nordosten lenkt. Forschungsergebnisse aus hochaufgelösten Klimamodellen deuten darauf hin, dass sich bis zum Ende des Jahrhunderts die Wahrscheinlichkeit von Hurrikan-Ausläufern über der Nordsee und dem Golf von Biskaya erhöhen könnte.

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Wetterexperte Sebastian Wache sieht diese Entwicklung jedoch skeptisch. Der Trend zeige sich bislang nur punktuell. Hochdruckgebiete im Norden und der sogenannte Kaltblock südlich von Grönland, der durch Schmelzwasser gespeist wird, würden weiterhin als natürliche Barrieren auf dem transatlantischen Weg der Hurrikane wirken. Insgesamt lässt sich daraus schließen, dass sich die physikalischen Voraussetzungen für transatlantische Sturmwege zwar verändern, die tatsächliche Häufigkeit solcher Ereignisse aber stark von anderen Faktoren im Nordatlantik abhängt.

​Wenn ehemalige Hurrikane Europa erreichen

​​Die Stürme, die Europa dennoch erreichen, treten meist als Post-Tropische Zyklone (PTCs) auf. Sie sind nicht per se stärker als alle Tiefdrucksysteme der mittleren Breiten, besitzen aber statistisch häufiger ein höheres Energieniveau. Die Studie von Sainsbury et al. kommt zum Ergebnis, dass PTCs rund zehnmal häufiger Sturmstärke erreichen als typische europäische Tiefs. Dabei allerdings handelt es sich dabei um eine Wahrscheinlichkeitsaussage, nicht um eine Eigenschaft jedes einzelnen PTCs.

Sebastian Wache warnt jedoch vor einer zu einfachen Schlussfolgerung: „Diese erhöhte Wahrscheinlichkeit lässt sich nicht ausschließlich auf ehemalige Hurrikane zurückführen.“ Er betont, dass auch intensive atlantische Tiefs zunehmend von warmem Wasser und feuchten Luftmassen profitieren. Der gemeinsame Nenner lautet deshalb: Mit der wachsenden Grundenergie im System steigt die Wahrscheinlichkeit hochintensiver Stürme über Nordeuropa, unabhängig davon, ob der Ursprung tropisch oder atlantisch ist.

​Stürme im Wandel

​Viele der Systeme, die Europa erreichen, können sich auf ihrem Weg über den Nordatlantik erneut verstärken. Das geschieht, wenn feucht-warme Luftmassen aus dem Süden auf deutlich kältere Luft im Norden treffen und sich das Tiefdruckgebiet rasch vertieft. Unter solchen Bedingungen ist es möglich, dass ein zuvor eher unscheinbares Tief wieder an Stärke gewinnt, sobald es europäische Regionen erreicht.

Meteorologe Sebastian Wache betont, dass nicht nur einzelne Wetterlagen, sondern langfristige klimatische Veränderungen eine Rolle spielen. Durch die Erderwärmung verschieben sich ganze Klimazonen in neue Regionen. Trockene und heiße Regionen rücken näher an Europa heran, während zugleich wärmere Meeresoberflächen und feuchtere Luftmassen auch in höheren Breiten häufiger auftreten. Diese Kombination kann in verschiedenen Teilen Europas Bedingungen schaffen, die unter bestimmten Umständen die Bildung oder erneute Verstärkung kräftiger Tiefdrucksysteme begünstigen.


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