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Unbekannt

 · 14.02.2011

England: ThemseFoto: Morten Strauch
Themse

Royal River Themse: Mit einem gecharterten Hausboot waren wir eine Woche lang auf dem „königlichem Fluss“ unterwegs. Englischer geht's kaum!

  ThemseFoto: Morten Strauch
Themse

„Hey, Lawrence! Lawrence von Arabien!“ Am anderen Ufer sitzen einige Jugendliche und rufen zu uns herüber. Die noch winterlich- blassen Oberkörper entblößt, baumeln ihre Füße zur Abkühlung in der träge strömenden Themse. Mit den ausgestreckten Armen zeigen sie lachend auf Kollege Morten, der neben mir auf der Flybridge sitzt und sich als Sonnenschutz ein weißes Handtuch um den Kopf geschlungen hat, ganz in der Tradition stolzer Wüstenvölker.

Doch was bleibt uns anderes übrig? Mit so viel Hitze haben wir beim besten Willen nicht gerechnet; es ist noch nicht einmal Ende Mai, und wir sind in Südengland, nicht im Sudan. Das alte Thermometer an der Schleuse von Benson – „Benson Lock“, wie es hier heißt – zeigt noch in Fahrenheit an, aber auch so ist die Quecksilbersäule gefährlich nah am oberen Anschlag. 30 Grad Celsius im Schatten, mindestens.

Wie gesagt, wir sind auf der Themse unterwegs. Eine Woche lang wollen wir mit dem Charterboot stromabwärts fahren, „one-way“, durch urenglisches Herzland hin zur königlichen Stadt Windsor. Und ein „königliches“ Erlebnis wird er tatsächlich werden, unser Törn auf dem „Royal River“. Unser Hausboot vom Typ „Tango“ haben wir gestern nur einen knappen Kilometer oberhalb der Schleuse übernommen, in der Charterbasis von Le Boat im gemütlichen Benson. Dass das ländliche Örtchen am Fuß des sanften Chiltern Hills selbst einmal ein „wichtiges königliches Zentrum“ war, wie die Chroniken berichten, merkt man auch auf den zweiten Blick nicht mehr. Kein Wunder: Ein knappes Jahrtausend liegen diese „großen Zeiten“ zurück. Doch die Themse ist geblieben, immerhin.

Die gutmütige Themse macht es uns sehr einfach, ein echtes Anfängerrevier, das problemlos zu befahren ist. Tonnen begegnen uns im gesamten Törnverlauf kaum, und wenn, sind sie sehr klein und bezeichnen Einzelstellen mit den gewohnten Farben, in Talfahrt Rot am rechten Ufer, Grün am linken. Ansonsten beschränken sich die navigatorischen Hinweise auf beschriftete Schilder: „Danger“ (Gefahr) warnt vor einem Wehr, „Lock“ (mit Pfeil) weist die Richtung zur Schleuse, und „Channel“ (ebenfalls mit Pfeil)kennzeichnet vor Inseln die Seite mit dem Fahrwasser.

In Wallingford überspannt eine große Steinbrücke mit weiten Bögen den Fluss. In der Mitte stehen Kinder, beugen sich über die Brüstung und lassen vor unserem Boot mehrere Stöcke gleichzeitig ins Wasser fallen, nur um dann schnell zur anderen Seite zu laufen – gefolgt von lautem Jubel wenige Sekunden später. Was wir für ein unschuldiges Spiel halten, ist in Wahrheit eine „ernste“ Angelegenheit: Jedes Jahr findet, zu anderer Zeit zwar, doch genau an dieser Stelle, die hochoffizielle Weltmeisterschaft im „Pooh-Stick“ statt; die „sticks“ sind dabei die Stöckchen, die unter der Brücke hindurchtreiben, wobei jenes gewinnt, das als Erstes auf der anderen Seite hinauskommt. Wie der Name vermuten lässt, stammt der „Wettkampf“ aus den bekannten Kinderbüchern von Pu dem Bären, der sich auf diese Weise mit seinen Freunden die Zeit vertreibt ...

Wir passieren Cleve Lock und nähern uns nun dem „Goring Gap“: Während die Themse weitgehend flaches Land durchquert, steigen die Ufer bei dem Dorf Goring zu beiden Seiten an: An dieser Stelle musste sich die Themse während der letzten Eiszeit einen Weg durch einen Höhenzug aus Kreide bahnen – die heutigen Chiltern Hills. In dem tief eingeschnittenen Tal liegt Goring, mit seinen freundlich gekalkten Feldsteinhäusern und den prächtigen Rosenstöcken wohl zu Recht „Südenglands Dorf des Jahres 2010“. Hinter der Schleuse machen wir am kostenlosen öffentlichen Uferanleger fest. Maximal 24 Stunden darf man hier bleiben.

Vor uns liegen bereits zwei „Narrowboats“, die typisch-englischen Kanalboote mit ihren schmalen Rümpfen, gehäkelten Gardinen und liebevoll gepflegten Blumenkästen auf dem Dach – und Namen, die kaum lyrischer sein könnten: „Melodeon“, „Wyvern Song“, „Lady of the Lake“. Seit dem Start haben wir zwar gerade einmal 7 km und drei Schleusen hinter uns gebracht, aber wir haben viel Zeit – und Goring ist auf jeden Fall einen Stopp wert. Wer will, kann einen längeren Spaziergang auf dem „Ridgeway“ machen, der (als Wanderweg) auf dem Höhenkamm entlangführt und mit weiten Ausblicken ins Land belohnt. Zur Erfrischung bieten sich danach „Pierrepont‘s Bridge Café“ oder „The Miller of Mansfield“ an, ein uriges Pub-Restaurant. Einen kleinen Einkaufsmarkt gibt es im Ort ebenfalls.

Am nächsten Morgen geht es durch das „Gap“ hindurch. Im Norden, auf dem linken Ufer, begleiten uns jetzt die Chilterns mit ihren Buchenwäldern, rechts sind es die sanft gewellten Wiesen, Weiden und Felder der Berkshire Downs – eine Idylle, die geradezu auf Landschaftsmaler mit romantischer Ader zu warten scheint. Der Bootsverkehr ist beachtlich, sicher kein Wunder bei dem Wetter: Neben Charterbooten und Narrowboats sind Stahlverdränger, Kajütboote, Sloepen und klassische „Launches“ unterwegs. Größere Ausflugsschiffe trifft man dagegen nur im Bereich der Städte an, ansonsten gibt es keinerlei Berufsschifffahrt.

In weiten Schleifen zieht sich der Fluss durchs Land; die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 8 km/h garantiert stressfreies Reisen, und auch der Ablauf in den Schleusen (heute liegen nur zwei auf unserer Route) ist entspannt.
Alle Schleusen werden von 9 bis 19 Uhr durch Personal bedient, außerhalb dieser Zeiten (auch während der Mittagspause) weist ein blaues Schild am Tor auf „Self Service“ hin – Selbstbedienung. Der Ablauf hängt von der jeweiligen Technik ab, er ist auf Englisch erklärt. Sollte man mit der Sprache nicht ganz so sicher sein, lässt man einen anderen vor – oder hält sich einfach an die Betriebszeiten. Das durchschnittliche Gefälle pro Staustufe beträgt etwa 1,50 m.

Zum Abend machen wir in der ersten größeren Stadt fest: Auf dem Südufer liegt Reading, am Nordufer Caversham, dessen „public moorings“, also öffentliche Liegeplätze, direkt am Stadtpark liegen. Festmachen bedeutet hier (wie fast überall), zwei lange Haltenägel in den Uferboden zu schlagen, an denen Vor- und Achterleine befestigt werden. Die meist gerade Abbruchkante des Ufers ist dafür gut geeignet. Caversham gehört sicher nicht zu den
Höhepunkten im Revier, dafür sind die Versorgungsmöglichkeiten ausgezeichnet. Die Liegegebühren werden übrigens fast überall am Boot kassiert – wenn denn jemand zum Kassieren kommt. Besteht „Bringschuld“, wird darauf hingewiesen. In Caversham jedenfalls lässt sich niemand blicken, um die ausgewiesenen 4,95 £ einzufordern.

Hinter Caversham Lock wird das Land wieder flach und der Fluss breiter. In Sonning dürfen wir uns während der Mittagspause in der Schleuse zum ersten Mal „selbst bedienen“. Die Wochenendhäuser am Ufer nehmen zu; weite Rasenflächen, die jedem Golfplatz Ehre machen würden, akkurat gestutzte Hecken, Kleinkunstwerke der englischen Landschaftsgärtnerei. Dazu moderne Niedrigenergiearchitektur neben uraltem, efeubehängtem Fachwerk und viktorianischem Sandstein. Die Bootsschuppen am Wasser sind mindestens so edel wie die hölzernen Schmuckstücke in ihrem Inneren. Unter dunklen Planen blitzt ihr polierter Lack hervor.
Durch den Hintergarten der englischen „Upperclass“ und zwei weitere Schleusen, Shiplake und Marsh Lock, erreichen wir schließlich das altehrwürdige Henley-on-Thames.

Im „Rowing Museum“ wird schnell klar, dass der Ort seine große Geschichte als Zentrum des Rudersports in erster Linie der einfachen Tatsache zu verdanken hat, dass er an einem der wenigen Flussabschnitte liegt, die für Bootsduelle geeignet sind: Henley Reach. Über fast zwei Kilometer zieht sich die Themse hier schnurgerade durch die Wiesen, ideal für den „Royal Regatta Course“. An seinem Ufer machen wir fest, bezahlen am Kassierboot , das gleich längsseits kommt, 6 £ für die Ehre, und erkunden den Ort, der sich sehr britisch gibt und auf Touristen und Gäste gut vorbereitet ist. Wer sich der Tradition anpassen möchte, trägt „boater“, den flachen Strohhut mit farbigem Band, und trinkt „Pimm‘s“ – einen Erfrischungscocktail auf Kräuterbasis, der auch gern mit Gurkenscheiben serviert wird.

Zurück auf dem Boot, machen wir es uns auf der Flybridge bequem, während die Luft vom Peitschen der Ruderblätter durchschnitten wird. Zweier-, Vierer- und Achter schießen die mit weißen Leitwerken markierte Bahn entlang, nur zum Training, versteht sich. Schuljungen sind es, College-Mädchen, Clubs mit bunten Wimpeln an den schlanken Rümpfen, und natürlich ehrgeizige Freizeitsportler. Am Ufer folgen die Coaches auf Fahrrädern und rufen Anweisungen über das Wasser: „Smooth, now, steady!“ Nach der wunderschönen Natur des Goring Gap ist Henley schon das zweite Highlight auf unserem Törn, doch auch das dritte ist nicht mehr weit entfernt: Windsor.

Während der Wind am nächsten Tag erstmals etwas Kühlung bringt und die Eiswürfelbestände schont, folgen wir dem Fluss weiter und haken fünf Schleusen ab, bevor wir nach dem schon fast verwunschen-waldigen Abschnitt des Cliveden Reach die Stadt Maidenhead und Boulter‘s Lock erreichen – die letzte Schleuse des Tages. Es ist schon nahezu dunkel, als wir wieder fest am Ufer liegen, weit und breit allein. 8 £ soll es diesmal kosten, doch erneut scheint man auf unser Geld verzichten zu können. Auch die späte Stunde stört nicht weiter, denn das Einzige was sich über Maidenhead sagen lässt, ist, dass es auf dem Weg nach Windsor liegt.

London rückt näher, keine Frage: Nach Bray Lock wird nicht nur der Fluss städtischer, mit mehr Bebauung an den Ufern, auch der Verkehrslärm des nahen „Motorways“ – der Autobahn – schwingt jetzt im Hintergrund ständig mit. Über uns schweben nun Großraumjets zur Landung auf dem Flughafen von Heathrow ein. Sie kommen aus allen Ecken des ehemaligen Empires, aus Pakistan, Singapur und Australien. Noch eine Schleuse in Boveney, und zur Rechten beginnt eine Pferderennbahn, die wir einmal fast komplett umrunden müssen, dann noch unter einer alten Brücke aus Gusseisen hindurch, und die majestätische Silhouette von Windsor Castle mit seinem mächtigen Rundturm liegt vor uns. Fast in seinem Schatten befinden sich die öffentlichen Liegeplätze am Ufer einer Wiese.

Schnell schlagen wir unsere Pflöcke an freier Stelle ein. Unter blauem Himmel machen wir uns auf zum Schloss, gerade rechtzeitig zur Wachablösung, die mit schmetternden Marschklängen das Tor durchschreitet, das den Namen Heinrichs VIII. trägt. Natürlich darf man sich den Besuch von Windsor Castle nicht entgehen lassen – auch wenn die Queen nicht zu Hause ist, wie die fehlende Standarte auf höchster Zinne zeigt. Ein standesgemäßes Erlebnis ist es jedenfalls, am Ende unseres Törns auf dem „Royal River“ – denn das Ziel ist fast erreicht; 10 km sind es noch bis Chertsey. Fast kann man es vom Castle sehen.

WAS SKIPPER WISSEN MÜSSEN

Die Firma Le Boat ist der größte Anbieter von Hausbootferien in Europa; die im hessischen Bad Vilbel ansässige Firma gehört zu TUI Travel und bietet 43 Charterstützpunkte in acht Ländern, die Flotte umfasst mehr als 1000 Boote der verschiedensten Typen. In Großbritannien bietet Le Boat Reviere in England (darunter die Themse), Schottland und Irland an. Die von uns gefahrene One-Way-Option gibt es erst seit 2010.
Information und Buchung: Le Boat, c/o Crown Blue Line, Theodor-Heuss-Str. 53-63, 61118 Bad Vilbel, Tel. 06101-557 91 66. www.leboat.de

Das Boot Unterwegs waren wir mit einem 11,45 m langen Hausboot der Tango-Klasse. Die Aufteilung mit zwei (trennbaren) Doppelkojen bzw. zwei Kabinen im Heck ist für eine Familie oder zwei Paare bestens geeignet. Das Innere ist geräumig und gemütlich und die Küchenausstattung komplett. Der Typ verfügt neben einem Innen- auch über einen zweiten Außensteuerstand. Beim Manövrieren hilft ein Bug­strahlruder, und als Navigationsgrundlage befindet sich eine ausreichende Gewässerkarte mit allen wichtigen nautischen Informationen an Bord. Für das Revier ist das robuste Boot bestens geeignet.

Das Revier Die Themse ist im von uns befahrenen, nur knapp 60 km langen Abschnitt im Charter führerscheinfrei und auch von Anfängern gut zu meistern – besonders bei der Fahrt zu Tal. Die Navigation ist einfach, das vergleichsweise häufige Schleusen (21 Staustufen) durch den geringen Hub und das hilfreiche Personal nach anfänglicher Eingewöhnung ebenfalls anfängergerecht. Die Selbstbedienung sollte nur durchgeführt werden, wenn man die englischen Instruktionen genau verstanden hat und mindestens zu dritt ist, damit zwei Personen das Boot halten können. Vorsicht ist im Bereich der Wehre geboten, da ihre Stufen zum Teil dicht am Fahrwasser liegen. Liegestellen zum Übernachten sind überall ausreichend vorhanden. Sollten die öffentlichen Plätze (die selten über jegliche Art von Service verfügen) alle belegt sein, sind die anderen auf der Karte markierten Stellen entlang der Ufer eine durchaus reizvolle Alternative – besonders in der Natur im ersten Törnabschnitt. Bei den An- und Ablegemanövern dort sollte man nicht zu viel Gas geben, um die Böschung nicht zu beschädigen. An mit Schildern gekennzeichneten Privatgrundstücken („private“ – „no mooring“) darf übrigens auf keinen Fall festgemacht werden.

Die Törnetappen: