High Speed Boat Operations Forum 2023Wo Bootsbau, Wissenschaft und Streitkräfte aufeinandertreffen

Leonie Meyer

 · 05.09.2023

Speed in den Schären: Bei dem High Speed Boat Operations Forum 2023 geht es um den Erfahrungs- und Wissensaustausch. Ein Hauptteil besteht aus Testfahrten mit Hochgeschwindigkeitsbooten
Foto: HSBO
Im Hafen der schwedischen Stadt Göteborg treffen sich alle zwei Jahre Bootsbauer, Ausrüster, Wissenschaftler, militärische und medizinische Einsatzkräfte, um sich über ihre Arbeitserfahrung auszutauschen. Das BOOTE-Magazin durfte Teil des High Speed Boat Operations Forum 2023 sein

Die Sonne scheint über das Wasser zwischen dem Hafen von Göteborg und den Stegen im Stadtteil Eriksberg. Eine leichte Brise weht. Ich weiß, gleich geht es endlich an Bord. Vor mir liegt die Q50 Triple Motor der spanischen Werft Quer Barcelona. Das Boot sticht ins Auge. Der Rumpf wird mit einem auffälligen Splittertarnmuster aus Schwarz-, Weiß- und Grautönen umgeben. Die abgerundeten Linien und die Form insgesamt erinnern an eine Badewanne in einem strahlenden Weiß. Nur eben, dass sie von drei Volvo-Penta-Motoren D6-440 angetrieben wird. Vorne prangt die Aufschrift QUER, darunter die Logos von Ull­man Dynamics und Volvo Penta.

Es werden noch letzte Vorbereitungen für die Sea Trials, die Testfahrten, getroffen. Zwei weitere Sitze werden am zweiten Tag an Bord montiert, sodass nun acht Teilnehmende des High Speed Boat Operations Forum, auch HSBO genannt, die Möglichkeit haben, das Boot und dessen Fahrverhalten kennenzulernen. Das HSBO ist ein Treffen von Bootbauern, Ausrüstern, Wissenschaftlern sowie militärischen und medizinischen Einsatzkräften. Für zweieinhalb Tage liegt der Fokus auf dem Erfahrungs- und Wissensaustausch. Gründer ist der studierte Mediziner Johan Ullman aus Schweden, der bei der Organisation von seiner Familie unterstützt wird. Mit 15 Fach- und Rettungskräften wurde das Forum erstmals 2003 auf die Beine gestellt, jetzt sind es mehr als 400, die weltweit anreisen.

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Spezielle Sitze zum Fahren mit Hochgeschwindigkeitsbooten konstruiert

Die Jockeysitze an Bord der Q50 sind schwarz und haben ein sportliches Design. Auffällig: die Federungen und der Schriftzug Ullman. An dieser Stelle kommt die Anti-Schockeinwirkung ins Spiel. Die Sitze sind darauf ausgelegt, die Auswirkungen von Erschütterungen und Vibrationen zu reduzieren – mithilfe von Beinbewegungen können diese zusätzlich abgefedert werden. Die Sitze bieten eine effektive Stoßdämpfung und tragen zur Minderung von Vibrationen bei, die auf den Körper übertragen werden.

Wenn die Rettungskräfte zu ihrem Einsatz auf das offene Meer fahren, kommen, wie Johan Ullman erklärt, verschiedene Faktoren zusammen: „Die Wetter- und Seegangsbedingungen, die Bauweise und das Material des Bootes.“ Der Fokus des Unternehmens liegt auf Sitzen und dem wissenschaftlichen Teil dahinter – insbesondere der Verhinderung von Verletzungen. Davon bekomme ich heute einen Eindruck.

Testfahrten und Fachvorträge beim High Speed Boat Operations Forum

Das soll aber nicht das Einzige sein: Parallel zu Testfahrten mit mehr als 25 Hochgeschwindigkeitsbooten zwischen 4,5 und 14 Meter besteht das Programm aus circa 30 Fachvorträgen. Einen davon hält Jeb Kucik, Anästhesiologie-Fachbereichsleiter bei der U.S. Navy. Wie er erklärt, ist es auffällig, dass 85 Prozent der U.S. Navy aus der Millennial-Generation bestehe, die viel Wert auf Gesundheit für den Körper, aber auch Auswirkungen auf die Gesundheit lege. Sie verteilen und spezialisieren sich auf operative Gebiete, wie Fliegen, Tauchen oder Einsatz in der Marine. „Unsere Arbeit überschneidet sich auch mit der der Armee unseres Landes sowie der Küstenwache“, sagt Kucik. So versuchen sie beispielsweise gemeinsam herauszufinden, aus welchem Grund jemand mit gesundheitlichen Schäden von einer Mission zurückkehrt. Außerdem wollen sie ihre Kooperationen in Europa erweitern. Neben medizinischen Stützpunkten in Spanien und Italien möchte die U.S. Navy künftig in die Nähe von London expandieren. Kucik und seine Kollegen beschäftigen sich ebenfalls mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz. „Dadurch haben wir schon Blutreserven per Drohne anliefern können“, sagt Kucik.

Ein weiterer Experte ist Kai-Thorsten Bretschneider, der für das Schifffahrtsmedizinische Institut der Deutschen Marine arbeitet. Er macht deutlich, dass es empirisches Wissen über Gesundheitsschäden aufgrund von extremen Geschwindigkeiten für die Crew gibt. Dazu zählen unter anderem: Bandscheibenvorfälle, Wirbelfrakturen, Verstauchungen, Zerrungen und auch Hör- und Konzentrationsstörungen. Weitere Nebeneffekte sind geistige Einschränkungen, wie Müdigkeit, Erschöpfung und Bewusstlosigkeit. „Das führt zur kurzfristigen Reduzierung der geistigen und körperlichen Fitness“, erklärt Bretschneider die Auswirkungen auf die militärische Einsatzfähigkeit. „Unterschieden wird zwischen Schockeinwirkungen und Vibrationen.“ Bei Ersterer kommt es auf Wetter- und Seegangsbedingungen, den Kurs, die Geschwindigkeit, das Fahrverhalten, die Körperhaltung, die Blickrichtung und anatomische Bedingungen an. „Ein Soldat, der beispielsweise hinten auf dem Boot positioniert wurde, kann seinen Körper selbst nicht vor Schockeinwirkungen schützen, weil er die Gefahren von vorne nicht wahrnehmen kann“, sagt der Fachgebietsleiter der Schifffahrt- und Arbeitsmedizin. Eine falsche Welle kann bereits als Auslöser für akute Verletzungen reichen. Auf der anderen Seiten gibt es die Vibrationen, die durch die Rumpfform, den Motor, die Geschwindigkeit und den Kurs entstehen können. Jedoch können auch sie langfristige gesundheitliche Folgen für Besatzungsmitglieder haben. Hierfür gibt es laut Kai-Thorsten Bretschneider Grenzwerte und anerkannte Messmethoden, die zur Kontrolle von Langzeitgefahren im Arbeitsleben geeignet sind. Wenn beispielsweise ein Soldat für 40 Jahre fünf Tage die Woche für täglich acht Stunden auf einem RIB im Einsatz ist, dann erleidet er nach Angaben Bretschneiders gesundheitliche Schäden. Weitere Fragen, die er mit seinem Team erforschen möchte, sind unter anderem: Was sind die tatsächlichen Belastungen auf anatomische Strukturen? Was sind die kurz-, mittel- und langfristigen Belastungen? Welche Möglichkeiten zur Prävention gibt es im militärischen Kontext?

Zusammenkommen bringt Erkenntnisse

Neben den Vorträgen und Testfahrten gibt es eine Ausstellungshalle. Hier präsentiert unter anderem Renée St. Lawrence vom Unternehmen Skydex Materialen für abfedernde Bodenbeläge. Zudem gibt es die Möglichkeit, sich auszutauschen und über die Arbeit zu sprechen. So erklärt mir Ted Berggren, Schiffsführer des UMS-Motorbootes, dass es gerade noch rechtzeitig fertiggestellt werden konnte. Der russiche Angriffskrieg in der Ukraine hatte Folgen für die Materialanlieferung. „Manche Stellen müssen wir deshalb noch verschönern“, sagt er. Johan Ullman berichtet, dass Teilnehmende das Forum als „überaus erleuchtend“ bezeichnen. Man hat zum Beispiel durch die Zusammenkunft von Medizinern, Wissenschaftlern und Seestreitkräften erkannt, dass Letztere auch Hirnverletzungen bei ihrer Mission erleiden können – ohne es direkt zu merken. Das zeigte sich in einer Studie mit 36 Teilnehmenden, darunter auch welche von der Deutschen Marine.

Endlich geht der Skipper auf das Boot. Er gibt uns ein Zeichen, dass wir an Bord kommen dürfen. Die Stimmung ist gut und locker. Vor mir sind eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter von Volvo Penta. Sie wollen wissen, wie das Boot mit ihren Motoren fährt. Das ist auch die Aufgabe eines Mitarbeiters des Schifffahrtsmedizinischen Instituts der Deutschen Marine. Er geht vor und fragt: „Wollen wir uns direkt die volle Dröhnung geben und nach vorne gehen?“ Ich zögere nicht und antworte mit einem klaren „Ja“. Ich verstaue meine Kameratasche sicher in der Fahrerkabine. Sie befindet sich mittig auf der Q50. Das Deckshaus ist ebenfalls weiß, die Scheiben ringsum sind abgedunkelt. Oben weht die spanische Flagge. Als ich nach vorne gehen will, erinnert mich ein Crewmitglied an die Rettungsweste. Im selben Moment händigt er mir eine aus, während der Schiffsführer ruhig die weitere Sicherheitsausrüstung erklärt. Seine Stimme wird vom leichten Brummen der drei Innenbord-Motoren begleitet. Sicherheit steht an erster Stelle. Das gilt auch für Einsatzkräfte von Seenotrettungsgesellschaften oder der Marine, schließlich riskieren sie ihre Leben, um andere zu retten.

Jeder der Teilnehmenden schaut sich interessiert auf dem Boot um. Wie fühlt sich das Material an? Welche Bordinstru­mente sind verbaut? Ich nehme auf dem vordersten Sitz an Steuerbord Platz. Kleinere Personen könnten durchaus ein Problem mit dem Abfedern des eigenen Körpers haben. Mit meinen 1,58 Metern komme ich nicht ganz auf den Boden. Zum Festhalten haben wir in der ersten Reihe silberne Stahlbügel vor uns, die an den Jockeysitzen befestigt sind. Mein Sitznachbar von der Deutschen Marine ist auch bereit. Ich beobachte die anderen Boote an der Steganlage. Es ist ein ständiges An- und Ablegen. Es spricht sich rum, dass das Boot der Werft Zulu Marine ein Gefühl des Fliegens vermitteln soll. Auch das knallrote Schlauchboot der Yachtwerft Meyer fällt zwischen den dunklen Booten auf.

Die Testfahrt startet

Jetzt geht es los: Ein Crewmitglied holt die weißen Leinen ein und stößt uns vom Steg ab. Als der Skipper den Gang einlegt, reagiert die Q50 sofort. Die kräftigen Motorengeräusche lassen erahnen, dass hier gleich eine schnelle Testfahrt bevorsteht. Der Skipper manövriert das Boot geschickt aus der Lücke heraus. Von dem überschaubaren Anleger in Eriksberg nehmen wir mit 8 Knoten Kurs auf die Nya Älfsborg, eine historische Festung auf einer kleinen Insel in den Schären, die steuerbords an der Hafenausfahrt liegt. Die Sonne scheint aufs Deck, eine Abkühlung bekommen wir durch den Fahrtwind. An Steuerbord von uns thront der orangefarbene Kran von Eriksbergs Mekaniska Verkstads AB, eine ehemalige Werft. Was einst ein Dock war, ist heute ein Sportboothafen für anliegende Bewohner des Viertels. Das alles lassen wir hinter uns. Das Wasser ist recht ruhig, es gibt nur kleine Wellen. Doch je weiter wir rausfahren, desto dunkler wird der Himmel. Graue Wolken schieben sich vor die Sonne. Meine Sonnenbrille lasse ich trotzdem auf, schließlich werden wir gleich an Geschwindigkeit zulegen. Circa 20 Minuten dauert es, die Hafengrenze zu überqueren, an der Skipper den Gashebel umlegen dürfen.

Ein letzter prüfender Blick des Schiffsführers auf die Sicherheitsausrüstung. Dann informiert er uns, dass er Gas geben wird – und schiebt den Hebel kontrolliert bis zum Anschlag nach vorne. Kaum haben wir den geschützten Bereich des Hafens hinter uns gelassen, zeigt das Boot, was es kann. Zum Glück befinden sich meine Hände an dem montierten Bügel zum Festhalten. Das Gefühl in dem Jockeysitz strahlt einen Hauch von Rennsport-Atmosphäre aus. Die 15 Meter lange Q50 beschleunigt kraftvoll und erzeugt einen breiten Streifen Gischt parallel zum Boot. Der Schiffsführer schlägt Haken, lenkt scharf ein und beschleunigt wieder, um die Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit der Q50 zu demonstrieren. Ich verlagere mein Körpergewicht entsprechend der Geschwindigkeit. Meine Hände am Bügel, ein Fuß auf dem Boden und der andere an der Treppenstufe, die zum Bug führt. Das Wasser schäumt am Rumpf entlang. Während dieser Manöver wird mir vor Augen geführt, warum Rettungswesten, Sportsitze und auch Sicherheitsgurte bei dieser Art von Einsätzen unverzichtbar sind. Die Vibrationen des Motors durchdringen den gesamten Rumpf. Als wir mit einem Maximum von 54 Knoten über die Wellen eines anderen Bootes fahren, springen wir mit der Q50 über sie. So kommen wir den realen Einsatzbedingungen möglichst nahe. Das Boot setzt nach dem Sprung wieder hart ein. Hier wird die Wirkung des Aufpralls deutlich: Das Boot gibt ihn weiter an den Sitz und dieser wiederum weiter an den Körper. Ich spüre den Aufprall, aber der Sitz fängt meinen Körper wieder auf. Zeitgleich verwende ich meine Beine zum Abfedern der Schockeinwirkung. Die Kurven, die der Skipper fährt, führt er präzise aus. Wenige Minuten später reduziert er das Gas. Leerlauf.

Adrenalin beim High Speed Boat Operations Forum garantiert

Ein anderer Teilnehmer des HSBO übernimmt das Steuer der spanischen Q50. Auch ich wechsle in die Fahrerkabine. Der Gashebel wird wieder bis nach vorne umgelegt. Wir bekommen noch ein letztes Mal enge Kurven demonstriert. Nach einer circa 15-minütigen Testfahrt in den Schären Göteborgs steuern wir die Hafeneinfahrt wieder an. Die Geschwindigkeit wird auf 8 Knoten gedrosselt und der Schiffsführer übernimmt das Steuer. Meine Körperhaltung geht direkt in den Entspannungsmodus, jetzt kommt auch die Sonne wieder raus. Wir tuckern am Marine-Stützpunkt, der Festung und dem orangefarbenen Kran vorbei. Der Skipper legt parallel zum Steg an. Die drei Volvo-Penta-Motoren werden abgestellt. Das Adrenalin spüre ich immer noch.


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