NorwegenDer Sognefjord

Unbekannt

 · 12.07.2014

Norwegen: der SognefjordFoto: Morten Strauch
Sognefjord

Mehr als 200 Kilometer reicht der längste Meeresarm Europas in die Berge Westnorwegens hinein. Eine Welt zwischen eisigen Gipfeln und dunklen Tiefen.

  Sognefjord:Foto: Morten Strauch
Sognefjord:
Sognefjord: Übersichtskarte
Foto: Christian Tiedt

Der Morgen ist in diesiges Zwielicht getaucht, als die "Rolling Swiss 2" den Hafen von Florø verlässt und vor dem Felsen von Stabben Fyr auf Südkurs schwenkt. Ein bulliger Bohrinselversorger, ganz lahm am Schleppdraht eines Hochseeschleppers, kriecht dem Leuchtturm von der offenen See entgegen. Noch ist es schwachwindig und soll etwas aufklaren, doch die nächste Front naht und soll die Küste schon innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden erreichen.

  Sognefjord:Foto: Morten Strauch
Sognefjord:

Der Höhepunkt unserer Reise

Halb abgeschirmt durch große und kleine Inseln geht es nach Süden, durch den Rekstafjord, den Brufjord und zwischen Askrova und Svanøy hindurch. Kreuz und quer folgen wir den scharfen Scharten im felsigen Rücken des aufsteigenden Küstengebirges. Einige norwegische Motorboote begegnen uns, Küstenfrachter mit nordischen Namen und die Schnellfähren, die nach genauem Zeitplan schnurgerade durch die graue See pflügen. Am Leuchtfeuer von Trætanes, dessen Wohnhaus sogar mit einem senkrechten, roten Streifen gekennzeichnet ist, erwidert ein schwedischer Segler auf Gegenkurs unseren Gruß.

  Sognefjord:Foto: Morten Strauch
Sognefjord:

Kurz bleibt sein Blick an der roten Flagge mit dem weißen Kreuz hängen, die vom Heck unserer Trader 42 nach Backbord ausweht, kein alltäglicher Anblick in diesen Breiten. Die "Rolling Swiss 2", mit der wir in diesem Sommer zwei Wochen lang die Westküste Norwegens erkunden, gehört dem Cruising Club der Schweiz. In Ålesund sind wir vor einigen Tagen an Bord gegangen und haben das berüchtigte Vestkapp auf der Halbinsel Stadlandet umrundet (siehe BOOTE 2/2014). Bevor der Törn für unsere fünfköpfige Crew in Bergen zu Ende gehen und die Yacht an die nächste Besatzung übergeben wird, liegt der eigentliche Höhepunkt aber noch vor uns – der gewaltige Sognefjord.

Mehr als 200 Kilometer tief schneidet er in das Land hinein; damit ist er nicht nur der längste Meeresarm Europas, sondern sogar der längste bewohnte Fjord weltweit, nur übertroffen vom Scoresbysund im eisigen, unzugänglichen Osten Grönlands. Rechnet man die Nebenarme hinzu, die wie die Äste eines Baumes nach beiden Seiten abzweigen, kommt man sogar auf 370 Kilometer. Wir haben eine Woche.

Knapp 1300 Meter unter dem Kiel

Im Granesund kommt noch einmal die Sonne heraus, wenn auch nur zögerlich. Es ist ihr Abschiedsgruß, auch wenn wir das zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen können. Bald schon werden wir uns vorkommen wie in Niflheim, jenem frostigen Nebelreich aus der nordischen Sagenwelt. Doch der mystischen Macht des Sogne-fjords wird das keinen Abbruch tun – eher das Gegenteil ist der Fall ...

Der Krakhellesund bringt uns von Norden zum Sognefjord, der an dieser Stelle, schon nah an der Mündung in das Europäische Nordmeer, rund fünf Kilometer breit ist. Die "Rolling Swiss 2" dreht jetzt den Bug landeinwärts. Der Wind kommt von achtern, von der offenen See, und schiebt uns bald mit stattlicher Welle. Wie von einem Gebläse wird die Gischt von den Schaumkronen gerissen und prasselt gegen die Rückwand der Kuchenbude – der Düseneffekt! Unter uns liegen dabei knapp 1300 Meter, kein Wunder, dass das Echolot nicht mehr mitkommt.
Winzig und verloren schiebt sich ein Kreuzfahrtschiff durch das alpine Panorama. Halbverhangen von grauen Schleiern, schimmern Schneefelder hoch oben an den Flanken der Berge, massige Wolken rollen an ihren Hängen entlang.

Drachengiebel in der Dunkelheit

Gegen 21 Uhr erreichen wir Vik, das am Südufer einer kleinen Bucht liegt. Rund 90 Kilometer haben wir bis hierher schon auf dem Sognefjord zurückgelegt. Wir machen an dem neuen Holzsteg vor dem Souvenirgeschäft fest, eine private Anlage, wie wir bald erfahren. Aber für 200 norwegische Kronen dürfen wir trotzdem über Nacht bleiben. Im Tal breiten sich bereits die Schatten aus, doch ein paar Schritte wollen wir noch laufen. Also geht es durch den Ort hinauf zur Stabkirche von Hopperstad, die ihre geschnitzten Drachengiebel in die Dunkelheit reckt. Das hölzerne Gotteshaus gehört zu den ältesten seiner Art in Norwegen und soll auf das Jahr 1130 zurückgehen.

Das Geheimnis hinter der schwarzen Farbe der stavkirke lüftet Markus am nächsten Morgen für uns, ein Deutscher, den es hierhin verschlagen hat, und der "einfach geblieben" ist, wie er selbst sagt. "Die Substanz wurde schon vor vielen Jahrhunderten erfunden", erzählt er. "Es handelt sich um eine Art Harz, das aus der Wurzel der Kiefer stammt und sieben Jahre lagern muss, bevor es auf das nasse Holz aufgetragen werden kann." Auch für ihre geklinkerten Langschiffe hätten die Wikinger den Anstrich genutzt – "als Antifouling, das hundert Jahre hält."

Kinder baden im Neoprenanzug

Unter einem zerfetzten Himmel schiebt sich die "Rolling Swiss 2" in Begleitung von fünf Beaufort weiter fjordaufwärts. Wo der Fjærlandsfjord nach Norden abzweigt, pendeln große Fähren zwischen den Orten Balestrand und Vangsnes. Vom südlichen Ufer wacht Frithjof, seines Zeichens altnordischer Held, mit strengem Blick über die Wasser. Immerhin 22 Meter ragt die Kolossalfigur auf, ein Geschenk Kaiser Wilhelms II. Der leidenschaftliche Norwegen-Fan reiste 1913 selbst zur Enthüllung: "Wir alle sind Germanen", rief er an der Seite des norwegischen Königs Haakon VII. den geladenen Gästen zu. Der Applaus sei artig gewesen, wurde berichtet, und des Kaisers Matrosen hätten drei donnernde "Hurras" ausgebracht.

Drei Stunden später liegen wir am Gästeschwimmsteg in der geschützten Bucht von Kaupanger, einer Gemeinde am nördlichen Fjordufer. Nebenan baden Kinder in Neoprenanzügen. Es ist zwar August, aber Nordland bleibt Nordland! Auch Kaupanger schmückt sich mit einer Stabkirche, wobei der erste Bau an dieser Stelle noch im Mittelalter zusammen mit dem Ort niedergebrannt worden war: Den Bewohnern hatte die Nachricht nicht gefallen, die ein königlicher Bote überbracht hatte. Kurzerhand erschlug man den Kurier – doch die Strafe folgte auf dem Fuße.

Hochwürden fühlen sich gestört

Das Sogn Fjordmuseum gleich neben dem Anleger erzählt dagegen die Geschichte des Bootes als Kommunikations- und Verkehrsmittel, als es noch keine Straßen am Fjord gab und die Siedlungen nur über das Wasser zu erreichen waren. Dazu gehört auch die Geschichte eines Pfarrers, der sich immer von sechs Männern zum Gottesdienst rudern ließ – sieben Stunden hin, sieben zurück. Die ganze Zeit las er dabei aus der Bibel vor. Man kann verstehen, dass die frommen Bootsleute deshalb gleich doppelt frohlockten, als man endlich einen Motor in das Boot einbaute. Doch zu früh gefreut: Das Klappern des Einzylinders störte den Kleriker beim Vorlesen – und so wurde wieder gerudert.

Das schlanke sognabåt spielte auch in den Anfangstagen des Angeltourismus’ eine wichtige Rolle: Um 1850 führten englische Adlige, die ihre Sommerfrische in Norwegen verbrachten, das Lachsfischen ein. Wieder durften die Bauern "hohe Herrschaften" durch die Gegend rudern – doch diesmal wenigstens für gutes Geld.

Viel Verkehr in Flåm

Feiner, kalter Regen fällt am nächsten Tag. Durch die Scheibenwischer wird die Einfahrt zum Aurlandsfjord sichtbar. Flåm, das am Ende seiner knapp dreißig Kilometer liegt, ist unser Tagesziel. Wir sind angemeldet, ein Muss bei den wenigen Gastliegeplätzen im kleinen Hafen. Der überschaubare Ort ist Besuchermagnet und Verkehrsknotenpunkt. Gleich drei Kreuzfahrtschiffe drängen sich in der engen Bucht. Während die beiden kleineren auf Reede liegen, sitzt die 300 Meter lange "Costa Luminosa" wie der Korken auf der Flasche: Von der 150-Meter-Pier ragt sie so weit in die Hafeneinfahrt, dass nur noch ein schmaler Durchlass bleibt. Im Minu-tentakt runden Tenderboote, Fähren und Ausflugsschiffe das turmhohe Heck des Riesen. Im passenden Moment rutschen auch wir durch. Der Hafenmeister begrüßt uns mit Handschlag.

Flåm, das ist ein bisschen Disneyland in der norwegischen Einsamkeit. Die "Siedlung" ist fast komplett neu, vom einzigen Supermarkt (eine "Goldgrube"), über die Wollpullovershops bis zur Ægir bryggeri mit ihren Sphärenklängen im durchgestylten, rustikalen Schankraum und den blankpolierten Braukesseln. Das Interieur der Mikrobrauerei hätte sicher auch gestandene Wikinger-Legenden wie Erik Blutaxt und Halvdan Svarte beeindruckt, aber beim Preis von 90 Kronen (knapp 11 Euro) für den halben Liter Bøyla Ale hätten sie wohl doch die Klingen gewetzt ...

Auf dem „Dach“ des Sognefjords

Am Bahnhof der Flåmsbana herrscht ein lautes Durcheinander von Sprachen. Führer mit Nummerntafeln schreiten wie Heerführer durch die Menge, ihre Wimpel flattern an den Masten in ihrem Rücken: Frankreich, Deutschland, China. Wie Seezeichen leuchten die übermannsgroßen, grellfarbigen Rucksäcke der vereinzelten Backpacker in der wogenden Masse.

Die einstündige Fahrt mit der Flåmsbahn hinauf nach Myrdal, wo es Anschluss an die Bergenbahn gibt, gilt als Muss. Eine Lok vorn, eine hinten, geht es auf eingleisiger Normalspur auf das subarktische Hochplateau hinauf. Unterwegs: wilde Steigungen, enge Kehren, Wasserfälle und Tunnel. Nur mit der spektakulären Aussicht wird es nichts; die Tickets für 400 Kronen pro Person entpuppen sich bei Regen und Nebel als mäßige Investition. Dafür hätten wir sogar vier Bier in der Brauerei bekommen, plus Trinkgeld ...

Schallschutz im Nærøyfjord

Nur ein vergleichsweise kurzer Sprung ist es am Morgen hinüber in den Nærøyfjord, der auf halber Länge vom Aurlandsfjord nach Westen abzweigt. Obwohl er 18 Kilometer misst, ist er sehr schmal – kaum 250 Meter an der engsten Stelle. Gleichzeitig ragen die Felswände auf beiden Seiten gewaltig in die Höhe. 1760 Meter misst der höchste Grat, und das Echo hallt laut von den steinernen Mauern zurück. Das Schiffshorn darf hier nicht benutzt werden – die Töne könnten Steinlawinen auslösen.

Seit 2005 gehört der Nærøyfjord gemeinsam mit dem bekannteren Geiranger zum Weltnaturerbe der UNESCO, und das zu Recht: So nah es geht, fahren wir an einen Wasserfall heran. Ganz oben scheint das Wasser aus den Wolken zu stürzen, verweht oder rinnt in unzähligen, weißen Adern am zerfurchten Fels herab. Steil ist es, aber nicht zu steil für die Ziegen, winzige, helle Punkte an fast unmöglichen Orten in der lotrechten Wand.

Schon am frühen Nachmittag erreichen wir Bakka auf dem Westufer, ein kleiner Ort mit zwei Dutzend Häusern, die sich an die grünen Hänge ducken, und einer weiß gestrichenen Kirche. Ihr großer, gusseiserner Ofen unter der Orgelempore ist für lange, kalte Wintertage gedacht. Eine abgelegene Gegend. Früher führte nur der Rindalsstieg, jetzt ebenfalls UNESCO-Erbe, hinauf zu den Almhöfen und weiter in die Außenwelt; ein mühsamer Aufstieg nach dem sonntäglichen Gottesdienst.

Bei den Wikingern von Gudvangen

Um andere Götter geht es am gleichen Abend in Gudvangen am Ende des Fjords: Am knisternden Lagerfeuer erzählt Runar der Skalde vom Zeitalter der Asen, vom Meeresgott Ägir, der Bier für die Tafel der Götter brauen soll, und sich deshalb so in seinem Stolz verletzt fühlt, dass er den Inhalt des goldenen Kessels vergällt. Oder von Heimdall dem Wächter, der sich stets mit einem Trank aus schwarzer Erde und Salzwasser – und von Schweineblut stärkte. Und wenn er die kleinen Knochenfiguren aus seinem weiten Umhang zieht und durcheinanderwirbelt und man seinen tiefen Singsang dazu hört, kann man in den Flammen tatsächlich Thor mit der Midgardschlange beim Kämpfen sehen.

Dabei heißt Runar eigentlich Daniel und arbeitet für eine Reederei in Oslo, doch einmal im Jahr kommt er nach Gudvangen, immer Ende Juli zum großen Wikingerfestival. Ein ganzes Zeltdorf entsteht dann, und abends, wenn die letzten Tagestouristen abgezogen sind, ist man unter sich, lebt und lacht und streitet wie vor tausend Jahren. Als wir mit dem Dingi über den stillen Fjord zurück nach Bakka jagen, können wir den roten Schein des Feuers noch lange sehen.

Ab in den Eisschrank!

Noch ein letztes Mal führt der Kurs nach Norden, vorbei an Leikanger und Vangsnes, hinein in den Fjærlandsfjord. Es wird kälter, doch das ist kein Wunder – kein Meeresarm führt näher an den eisigen Panzer des Jostedalsbreen heran, Europas größten Gletscher. Nebel und Seerauch liegen über dem nun fast stillen Wasser, das vom Sediment der Gletscherbäche milchig-grün gefärbt wird. Ein Kajak gleitet lautlos an uns vorbei. Und dann tauchen die Häuser von Mundal wie Schemen aus dem weißen Nichts auf. Nur wenige Kilometer sind es mit dem Linienbus von hier hinauf zum Jostedalsbreen.

Schon 1880, als der schwedische König Oskar II. Mundal besuchte (Norwegen gehörte damals noch zum Nachbarland), lebte man gut vom Tourismus. Auch der Monarch ließ sich zum Gletscher transportieren und wollte dafür zahlen. Doch die stolzen Bewohner lehnten dankend ab. "Dann gebt es den Bedürftigen", sagte er. "Es gibt hier keine", lautete die Antwort. – 100 Jahre später flog der damalige US-Vizepräsident Walter Mondale ein, dessen Vorfahren aus Mundal stammten. Anscheinend kannte er die Geschichte von König Oskar und soll 300 Flaschen Bourbon mitgebracht haben. Dieses Gastgeschenk wurde gern angenommen ...

Wenn die Wolken, wie bei uns, keinen Blick auf das ewige Eis freigeben, kommt trotzdem keine Langeweile auf. Denn Mundal ist ein "Buchdorf": Millionen von Secondhand-Schwarten sind in überdachten Regalen gleich an der Straße aufgereiht oder in den zwölf Antiquariaten aufgestapelt. So stolpern wir auch in den bunten Schuppen von Jan-Peter, der auf Comics spezialisiert ist. Wir erzählen von unserer Reise, die schon in zwei Tagen in Bergen zu Ende gehen wird. "Ist doch ganz einfach", sagt er mit bärtigem Grinsen. "Wenn’s euch gefallen hat, dann müsst ihr wiederkommen!"

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HINTERGRUND

Der Cruising Club der Schweiz

Die Motoryacht "Rolling Swiss II", mit der wir auf diesem Törn unterwegs waren, gehört dem Cruising Club der Schweiz (CCS) und wird für Ausbildungs- und Reisetörns eingesetzt. Die Reviere wechseln dabei von Saison zu Saison, um ein abwechslungsreiches und attraktives Programm anbieten zu können. In diesem Jahr steuert die 13,30 m lange Trader 42 den Ärmelkanal und die Bretagne an. Der seetüchtige Halbgleiter ist technisch auf dem höchsten Stand. Drei Kabinen bieten insgesamt Platz für sechs Crew-Mitglieder. Die Motorbootabteilung bildet eine wichtige eigene Sparte innerhalb des Clubs, der mit rund 6500 Mitgliedern zu den größten der Schweiz gehört und bei der Hochseeausbildung eine Führungsposition in der Sportschifffahrt einnimmt. www.ccs-motorboot.ch