Christian Tiedt
· 27.04.2021
Grüne Welle: Lebensqualität und Nachhaltigkeit werden groß geschrieben in Dänemarks Hauptstadt. Mit dem Elektroboot kam man sich selbst davon überzeugen
Glückliches Kopenhagen! An wenigen Orten weltweit sind die Menschen zufriedener. Regelmäßig schafft es die Millionenmetropole unter die Spitzenreiter entsprechender Studien. Sogar ganz oben stand man schon mehrmals. Der Grund ist einfach: Alle städteplanerischen Anstrengungen am Øresund drehen sich ganz offiziell um Lebensqualität. Sauberes Wasser, Windkraft, zukunftsweisendes Wohnen – viele Wege werden ausprobiert, die nachhaltig nach vorn führen sollen. Was Radfahrer betrifft, ist die dänische Hauptstadt so sehr zum Sinnbild geworden, dass man international inzwischen von copenhagenization spricht, von "Kopenhagenisierung", wenn ihren Konzepten im Zweiradbereich nachgeeifert wird. Der wichtigste Gradmesser des Glücks ist jedoch der "Grünanteil" der Stadt: bepflanzte Dächer, Miniparks, Gärtnern als Schulfach. Die Natur als Nachbar, grünes Kopenhagen! Dabei ist es keine neue Erkenntnis, dass Erholung am besten im Freien zu finden ist. Nur die Voraussetzungen dafür müssen geschaffen werden.
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In Kopenhagen gibt es Frischluft aber natürlich nicht nur im Grünen, sondern mindestens ebenso am "Blauen". Schließlich wird nicht eine Hälfte nur von der Ostsee umschlungen, sondern sogar von ihr durchzogen. Ein Netz von Kanälen lässt zusammen mit den Stränden der Stadt viel Raum zum Runterschalten. Wer eintauchen möchte in diesen Gefühlsmix aus Gelassenheit und Lebensfreude, der muss nicht mehr tun, als im Sommer selbst am Indrehavn aufs Wasser zu gehen. So wie wir – mit dem Elektroboot.
Der Hafen teilt Kopenhagens Zentrum. Auf dem westlichen Ufer, auf Dänemarks größter Insel Sjælland, erhebt sich ganz standesgemäß der repräsentative, herrschaftliche Teil der Stadt. Auf dem östlichen Ufer, und damit auf der wesentlich kleineren Insel Amager, zeigt sich dagegen ihr alternatives, ungebundenes Gesicht. Auf dieser Seite liegt auch die Bootsvermietung von GoBoat Rental, ein langer Schwimmsteg mit Empfangsgebäude. Obwohl es erst früher Nachmittag ist, sind die meisten Liegeplätze bereits leer, die Leihboote unterwegs. Kein Wunder, denn die Sonne strahlt vom Julihimmel. Nach langem Lockdown zählt nun jeder Tag. Wer kann, ist draußen. Die Wiese des Havnepark und die Liegeflächen des Hafenbades gleich neben dem Steg von GoBoat sind schon zu dieser Stunde bunt vor Bikinis, Shorts und Sonnenschirmen. Wir sitzen dagegen nach schneller Anmeldung – zum Glück haben wir reserviert – kurz darauf an Bord unserer graublauen Nummer "18" und bekommen die Basics erklärt. Einen Führerschein braucht man hier nicht; die Pinne des Torqeedo-Elektro-Außenborders am Heck hat jeder nach wenigen Augenblicken im Griff.
Sonnenbrillen auf und ablegen! Unser Törn beginnt. Mit einem großen Gay-Pride-Herz in Regenbogenfarben auf dem Vorschiff geht es hinein ins farbenfrohe Herz Kopenhagens. Die Orientierung fällt leicht, selbst so dicht am Wasserspiegel. Eine vereinfachte Karte haben wir an Bord, die Kanäle sind zudem nur in festgelegter Einbahn-Richtung zu befahren. Schon bevor wir mit leise schnurrendem Motor die sechsspurige Langebro erreicht haben, überholen uns zwei Jetskis im Slalom. Nach der erst 2019 eröffneten Lille Langebro, der bereits dritten Brücke, die Fußgängern und Fahrradfahrern vorbehalten ist, richten wir unseren Bug auf die Einfahrt des Frederiksholms Kanal am linken Ufer: Kopenhagens herrschaftliche Hälfte steht heute zuerst auf dem Programm. Im Uhrzeigersinn wollen wir die Insel Slotsholmen umrunden. Sofort wird es eng. Beide Seiten werden als Liegestellen genutzt. Im Schritttempo passieren wir Inselfähren auf dem Altenteil, umgebaut zu schwimmenden Wohnungen, sowie den rot-weißen Holzrumpf eines weiteren Veteranen, "Fyrskib No XI", wie die goldenen Lettern am Heck verraten. Auf das Feuerschiff folgt eine Reihe kleiner Sportboote an Murings. Laubbäume mit vollen Kronen machen den Wasserweg zur Allee.
Doch dann liegt die Marmorbron mit ihren klassizistischen Rundbögen voraus, und spätestens jetzt könnte man meinen, in Paris zu sein. Denn rechter Hand auf Slotsholmen erhebt sich nun der Namensgeber der Insel: Christiansborg Slot. Zwei Vorgänger brannten ab, das heutige Schloss ist noch kein Jahrhundert alt. Über die Marmorbrücke führt die Westachse über den umbauten Reitplatz in den Ehrenhof, der von den drei Flügeln des Baus eingerahmt und vom Schlossturm überragt wird. Im Inneren hat nicht nur das Parlament des Landes seinen Sitz, sondern auch oberster Gerichts- hof und Ministerpräsidentin. Nachdem der Frederiksholms Kanal in den Slotsholms Kanal übergegangen ist, wartet hinter der Højbro Kopenhagens unbekanntestes Kunstwerk. Die bronzene Figurengruppe, von Suste Bonnén geschaffen, lässt sich nämlich nur erahnen – da sie sich vollständig unter Wasser befindet. Abwegig ist das nicht: Dargestellt ist die Volksballade von "Agnete und dem Wassermann".
Kurz vor dem Ausgang des Kanals gehen wir mit unserer "18" noch eben an der Kayak Bar längsseits, um uns zwischen Palmen am Tresen eine dringend nötige Erfrischung für den zweiten Teil der Reise zu besorgen. Dann vollenden wir unseren Abstecher und kehren vom Slotsholms Kanal zurück auf den breiten Indrehavn. Weiter nach Norden, mit deutlich mehr Verkehr: Im Blick haben muss man die gelben Hafenfähren, die eine Welle werfen und auf schnurgeraden Kursen von einem Anleger zu anderen nicht unbedingt planen, selbst auszuweichen. Gleiches gilt für die zahlreichen Cabrioboote voller Touristen, die aber nicht so schnell unterwegs sind. Deren Haupthaltestelle befindet sich im Nyhavn, dessen Einfahrt nun an Backbord liegt. Mit seinen bunten Häusern und den Traditionsschiffen davor ist dieser Stichkanal – nach der Kleinen Meerjungfrau – Kopenhagens größter Besuchermagnet. Wegen der manövrierenden Cabrios dürfen wir dort aber nicht hinein.
An dieser Stelle geht der Inderhavn auch in den wesentlich breiteren Nordhavn über, der letztlich bei der Langelinie und der Festungsinsel Trekroner zur offenen Ostsee führt. Zwei große Kreuzfahrtschiffe dominieren die Skyline in der Ferne. Das Wasser ist voller Boote, die weiße Linien durch das kabbelige Wasser ziehen: Daycruiser und Spitzgatter, ein Pontonkatamaran mit improvisierter Bar, Segler, SUPs und RIBs. Familien, Pärchen, ganze Partys. Spannende Kontraste auch am Ufer, moderne und klassische Architektur im Wechsel: Altbau, Speicher und Niedrigenergiehäuser nebeneinander, abgestimmt in Form und Farbe. Backbord kommt die schwarze Glasfront des Schauspielhauses in Sicht, gefolgt von Schloss Amalienborg mit seinem im Karree angeordneten Palais und der monumentalen Rokokokuppel der Frederikskirche dahinter. Gegenüber der königlichen Stadtresidenz, genau vis-à-vis an Steuerbord, dominiert jedoch ein anderes Bauwerk den Hafen: Operaen, die königliche Oper. Eröffnet wurde sie 2005. Mit ihrem rund verglasten Foyer und dem scharfen überkragenden Dach gehört das Haus, nicht zuletzt auch wegen seiner spektakulären Lage direkt am Wasser, zu den imposantesten seiner Art weltweit. Operaen ist im wahrsten Sinne ein Geschenk: Gestiftet wurde sie von dem 2012 verstorbenen Kopenhagener Großreeder Arnold Mærsk Mc-Kinney Møller.
Der Stadtteil Holmen besteht aus künstlichen Inseln. Angelegt wurden sie ab dem späten 17. Jahrhundert: Man benötigte damals einen neuen Flottenstützpunkt weiter entfernt vom Zentrum, weil die hölzernen Kriegsschiffe eine große Brandgefahr für die Stadt darstellten. So entstanden im Laufe der Zeit Nyholm, Frederiksholm, Arsenaløen und Dokøen, auf der sich heute die Oper befindet. Nur Nyholm ist noch immer Marinestation und Heimat der königlichen Marineakademie. Die restliche Fläche wird von lichten, modernen Wohnanlagen und Kunstschulen genutzt. Auch diesen Archipel umrunden wir jetzt in leiser Fahrt, vorbei an historischen Schuppen, die früher geruderte Kanonenboote und heute kreative Köpfe beherbergen, und an der Torpedohalle mit ihren exklusiven Apartments. Hausboote findet man hier ebenfalls, edle wie alternative.