Christian Tiedt
· 15.11.2022
Klassiker zum Abschluss: Die dritte Etappe durch den Süden Schwedens bietet auf dem Weg zurück zur Ostsee noch einmal jede Menge Highlights. Der Göta-Kanal hält, was er verspricht
Coast to coast. Es gibt diese Traumstraßen, diese Magistralen der Sehnsucht, auf denen der Weg selbst das Ziel ist und das eigentliche Ankommen so lange wie möglich hinausgezögert wird. Darunter sind Legenden wie die Europastraße 6 zum Nordkap, die Panamericana von Alaska nach Feuerland oder eben die legendäre Route 66, die an den Ufern des Lake Michigan beginnt und bis an die Pazifikküste Kaliforniens führt. Man braucht nur einzusteigen und den Blick nach vorn zu richten, damit ein einmaliges Abenteuer seinen Lauf nimmt.
Weizenfelder, wilde Landschaften und einen weiten Horizont vor der Windschutzscheibe gibt es aber nicht nur auf vier Rädern und einem Band aus glänzendem Asphalt: Auch eine Wasserstraße in Europa kann da mithalten. Sie zieht sich durch den Süden Schwedens, ebenfalls von Küste zu Küste, eine nautische Route 66.
Ihre 400 Kilometer lange Strecke lässt sich in drei Abschnitte einteilen: Den Anfang macht der Verlauf des Trollhätte-Kanals von Göteborg an der Ostsee hinauf nach Vänersborg am Vänern. Über diese Etappe berichteten wir in Teil 1. Im Anschluss folgte dann die Überquerung des größten schwedischen Sees von Vänersborg bis zum kleinen Ort Sjötorp am Ostufer des Vänern im zweiten Teil der Serie. Die erste Hälfte der Reise liegt damit bereits hinter uns, doch der lange Weg hat sich gelohnt: Denn was uns nun erwartet, ist nicht nur geografisch gesehen der Höhepunkt des ganzen Abenteuers: der historische Göta-Kanal.
Der westliche Teil des Göta-Kanals, der sogenannte Västgötadelen, beginnt am unteren Stemmtor von „Sjötorp 1“, der ersten von insgesamt 58 Schleusen auf dem verbleibenden Weg zur Ostsee. Ein kleiner weißer Leuchtturm aus Holz hilft bei der Ansteuerung. Wer schon einen langen Tag hinter sich hat, kann erst einmal im unteren Vorhafen festmachen. Das Büro der Göta kanalbolag, der Betriebsgesellschaft des Kanals, findet man direkt an der Schleusenkammer. Dort erfolgen Anmeldung und Bezahlung der Passage, wenn beides nicht bereits vorab online erledigt wurde. www.avtal.gotakanal.se
Seine Bekanntheit hat Sjötorp gänzlich dem Kanal zu verdanken, gestern wie heute. Zwar sind die Tage als wichtiger Umschlagplatz für Waren vorbei, doch dafür kommen heute Touristen und Tagesausflügler. Der gemütliche Ort ist mit Cafés und Restaurants gut vorbereitet. Am Hafen stehen noch die hübsch restaurierten roten Gebäude der kanalbolag, sogar ein Trockendock gibt es noch. Und das Kanalmuseum dort stimmt zusätzlich auf die kommenden Törntage ein.
Natürlich können die ersten „Stufen“ auf dem Göta-Kanal auch gleich in Angriff genommen werden: „Sjötorp 1“ ist dabei nur die erste von acht Schleusen im Bereich des Orts, wobei der obere Vorhafen für Gäste zwischen den Doppelschleusen „2-3“ und „4-5“ liegt. Eine gute Gelegenheit, sich an die baulichen Eigenheiten auf dem Kanal zu gewöhnen. Ringe und Poller zum Führen der Leinen gibt es nämlich nur oben neben dem Kammerrand, die steinernen Kammerwände dagegen sind glatt und bieten keine Hilfen. Das bedeutet, dass bei der Bergschleusung ein Besatzungsmitglied schon vor dem Tor mit der Vorleine übersteigen und das Boot nach guter alter Art mit etwas Motorunterstützung in die Kammer „treideln“ muss. Der durchschnittliche Hub beträgt etwa 2,5 Meter, 10-Meter-Leinen sind also angemessen.
Nachdem die Vorleine übergelegt und zurück an Bord gegeben wurde, nimmt die Person an Land die Achterleine an und wiederholt den Vorgang. Das klingt umständlich, sorgt aber für kontrollierte Abläufe und ist spätestens beim Verlassen von Sjötorp ohnehin längst zur Routine geworden – zumal auch das freundliche Schleusenpersonal immer alles im Blick hat. Allein unterwegs ist man ohnehin fast nie, der Schleusenbetrieb sorgt dafür, dass sich kleine Konvois bilden, die dann gemeinsam durch die Landschaft ziehen.
Dieses Panorama, durch dessen Felder, Wiesen und Wälder sich der Wasserweg nur windet, hieß früher Västergötland und ist heute Teil der größeren Provinz Västra Götalands län, die sich bis zum Vättern erstreckt. Der See bildet die Grenze zu Östergötland. Dementsprechend sind die beiden Streckenabschnitte des Göta-Kanals benannt: Der Westteil, Västgötadelen, verbindet Sjötorp mit Karlsborg über eine Distanz von 65 Kilometern. Hinter Lyrestad klettert er in schneller Folge über drei Doppel- und eine Dreifachschleuse bei Hajstorp bis auf knapp 87 Meter über dem Meer. Töreboda bietet sich für das Ende der ersten Tagesetappe an. Auf diesem Niveau geht es am nächsten Tag zunächst noch einige Kilometer weiter, bis der Göta-Kanal schließlich mit 91,5 Metern seinen höchsten Punkt erreicht: die Lanthöjde, markiert von einem Obelisken. Er steht auf einer kleinen Insel, die ent-stand, als eine sehr enge Kanalschleife an dieser Stelle nachträglich mit einem Durchstich begradigt wurde.
Nirgendwo im gesamten Reiseverlauf ist man dem Himmel Südschwedens so nah wie auf den stillen Weiten des Viken. Hier verläuft die Wasserscheide zwischen den Küsten. So dient die letzte Schleuse bei Tåtorp auch lediglich der Niveauregulierung im Kanal hinunter nach Sjötorp. Der Viken ist sein natürliches Reservoir. Wer Zeit gutmachen möchte, kann auf den nächsten 22 Kilometern nun den Hebel auf den Tisch legen. Man kann sich aber auch Zeit lassen und die Fahrt in aller Ruhe genießen, mit wild bewaldetem Ufer im Hintergrund und winzigen Inseln davor, gerade groß genug für einzelne Kiefern. Enge Stellen wie der Brosundet sind mit Schwimmstangen betonnt. Die Passage endet mit der Durchfahrt des Spetnäskanal und des Billströmmen. Hier rücken die Felswände so dicht heran, dass es eine Einbahnregelung gibt: Fahrzeuge auf Ostkurs haben Vorrang.
Es folgt Forsvik, wo eine Plakette daran erinnert, dass König Karl XIII. im Jahr 1813 persönlich anreiste, um die erste Schleuse des Göta-Kanals einzuweihen – und Schwedens erste eiserne Klappbrücke, heute ein technisches Denkmal. Weiter geht es am Tonnenstrich entlang über den flachen Bottensjön nach Karlsborg.
Dass der 5000-Einwohner-Ort seit je eine wichtige Garnison der schwedischen Armee war, merkt man nicht auf den ersten Blick. Selbst die mächtige, 1870 fertiggestellte Festung macht da keinen Unterschied – was zum einen an skandinavischer Lockerheit liegen mag, zum anderen aber sicher auch an der einfachen Tatsache, dass selbst königliche Leibhusaren im Sommer gern Tarnanzug gegen T-Shirt tauschen. Sand und Sonne am Strand locken an heißen Tagen aber nicht nur Soldaten, sondern auch Urlauber. Bootsgäste finden Liegeplätze zwischen Bottensjön und Vättern auf beiden Seiten der Klappbrücke am Rödesundet. www.vastsverige.com/karlsborg
wirkt wie eine Kerbe, die vor Urzeiten in den Granit Götalands geschlagen wurde. Tatsächlich machen Geologen tektonische Prozesse vor rund 800 Millionen Jahren für seine Entstehung verantwortlich. Mit einer Ausdehnung von 120 Kilometern in Nord-Süd-Richtung und 1900 Quadratkilometer Fläche steht der Vättern nach dem Vänern in Schweden zwar nur an zweiter Stelle – aber er ist immer noch viermal so groß wie der Bodensee. Die Kanalroute führt quer hinüber: 33 Kilometer trennen Karlsborg von Motala am Ostufer. Achtung aber bei unsicherer Witterung! Denn woher der See seinen ominösen Namen hat, ist nicht schwer zu erraten.
Während Jonköping und die Insel Visingsö im Süden für Abstecher zu weit entfernt sind, liegt der reizvolle Norden in Schlagdistanz. Knapp 50 Kilometer sind es durch den Norra-Vätterns-Schärengarten und den dicht bewaldeten Stora Hammarsundet bis ins hübsche Kleinstädtchen Askersund. Etwas abseits zwar, dafür ein echter Geheimtipp. www.visitaskersund.se
zumindest sollte man aber auf keinen Fall auslassen – denn nirgendwo im Revier macht man spektakulärer fest. Tatsächlich befinden sich die Liegeplätze für Gäste direkt im ehemaligen Wassergraben unmittelbar unterhalb der Mauern von Schloss Vadstena. Mitte des 16. Jahrhunderts ließ Gustav Wasa die imposante Anlage als Reichsburg errichten. Heute gilt sie als Musterbau für die schwedische Wehrarchitektur der Renaissance (www.vadstenaslott.com). Und Vadstena hat noch mehr steinerne Schmuckstücke zu bieten, etwa das älteste Rathaus des Landes (aus dem 15. Jahrhundert) und die gotische Klosterkirche des Birgittinnen-Konvents von 1440. Außerdem lässt sich prächtig schlemmen, etwa im Wasa in der Storgatan. Andererseits kann man bei dieser königlichen Aussicht direkt vom Liegeplatz auch an Bord sehr nobel tafeln ...
dagegen gilt in mehrfacher Hinsicht als moderne „Hauptstadt“ des Göta-Kanals. 1810 erfolgte hier der erste Spatenstich. Baltzar von Platen, Offizier, Politiker und treibende Kraft hinter dem Projekt, zentrierte die gesamte notwendige Infrastruktur für die jahrzehntelangen Arbeiten in Motala, das im seinerzeit landwirtschaftlich geprägten Schweden zum ersten Industriestandort überhaupt wurde. „Verkstad Motala“ wurde bald zu einem Markenzeichen für Dampfmaschinen weltweit.
Noch heute hat die Kanalgesellschaft ihren Sitz am Hafen, und ihr Gründer ist ihr so nah wie eh und je: Es war die Epoche der Spätromantik, als der auf Rügen geborene Graf 1829 in Christiania, dem heutigen Oslo starb – drei Jahre vor der Fertigstellung seines Kanals. Sein Grab wurde auf eigenen Wunsch hin jedoch am Ufer in Motala errichtet, auf einer erhöhten Terrasse mit freier Sicht auf den Wasserweg. 1834 nahm das erste Dampfschiff den Liniendienst zwischen Göteborg und Stockholm auf. Sein Name: „Admiral von Platen“.
Die Schwimmstege des gästhamn befinden sich an der Einfahrt zur östlichen Kanalhälfte noch vor der ersten Schleuse am nördlichen Ufer.
Rund 90 Kilometer fehlen noch auf dem Weg zur Ostsee. Es ist die Strecke des östlichen Kanalteils, des Östgötadelen. Von Motala geht es nun immer weiter hinunter. Den Anfang macht die Schleusentreppe von Borenshult mit fünf unmittelbar aufeinanderfolgenden Kammern hinab zum Boren. Der zehn Kilometer lange, schilfumsäumte See ist so flach, dass es untiefe Stellen sogar in scheinbar offenem Wasser gibt. Sie sind nur auf der Südseite betonnt. Vorsicht deshalb bei schlechter Sicht.
In Borensberg folgt erneut eine Niveauschleuse. Danach zieht der Kanal seine Schleifen ungestört durch die sanft gewellten Felder der alten Kulturlandschaft Östergötlands. Bauernhöfe, Getreidesilos und die geraden Baumreihen von Alleen prägen das Bild. Auf dem Treidelpfad am Ufer sind Wanderer und Fahrradfahrer unterwegs, und die fernbedienten Rollbrücken öffnen sich wie von selbst für die Konvois aus Sportbooten.
Die ruhige Landpartie führt jedoch mitten in das größte Volksfest der gesamten Passage – und auf die bekannteste Bühne: die Schleusen von Berg. Hinter Ljungsbro fällt das Gelände zum letzten großen See im Kanalverlauf, dem Roxen, sehr schnell ab. Überwunden wird der Höhenunterschied auf dem letzten Kilometer vor dem Ufer von nicht weniger als elf Schleusen. Scharen von Touristen sorgen dafür, dass sie ihren Status unter den bekanntesten Fotomotiven Schwedens nicht verlieren. So berühmt ist das Ensemble, dass zwei seiner „Mitglieder“ sogar königliche Namen tragen: Auf die Doppelschleuse Berg folgen nämlich die Oscars-Schleuse, ebenfalls mit zwei Kammern, und schließlich die Carl-Johans-Schleusentreppe mit sieben Kammern am Stück.
Exakt 28,8 Meter liegen zwischen oben und unten, und da der Verkehr immer nur in eine Richtung läuft, wundert es nicht, dass das Erlebnis einige Stunden in Anspruch nehmen kann, besonders, wenn man nicht sofort an die Reihe kommt. Viele übernachten ohnehin im Hafenbassin auf halber Höhe, noch oberhalb der Schleusentreppe. Hier liegt man geschützter als direkt am See – und hat es näher zu den Erfrischungen.
Ein straffer Zeitplan sorgt dafür, dass die allermeisten Crews den Roxen ohne Zwischenstopp überqueren. Dabei bietet der See die Möglichkeit zu einer weiteren reizvollen Törnverlängerung: Am Südufer bei Linköping zweigt der Kinda-Kanal ab, neben dem Dalsland-Kanal am Vänern die zweite mit dem Hauptsystem verbundene historische Wasserstraße. In diesem Sommer feiert das immerhin 80 Kilometer lange Nebensystem seinen 150. Geburtstag – doch im Gegensatz zum lebendigen Göta-Kanal scheint die Zeit hier tatsächlich stehen geblieben zu sein. Ein Revier nah der Natur und voller Ruhe. www.visitlinkoping.se/kinda-kanal
Doch auch der Göta-Kanal lässt es nach dem Rummel in Berg nun wieder deutlich ruhiger angehen: Der letzte Abschnitt der Reise hat begonnen, kaum mehr als 20 Kilometer sind verblieben, am Ufer wieder Wald und Felder. Der Asplången wird durchfahren, noch einmal folgt eine Reihe von Doppel- und Einzelschleusen, dann ist Söderköping erreicht, der letzte größere Ort am Göta-Kanal. Auch dieses schmucke Städtchen zieht Touristen an; der gästhamn liegt direkt im Zentrum, umgeben von Cafés und gleich neben der Lock, Hop & Barrel Brewery. Den vollen Überblick bekommt man noch einmal vom Aussichtspunkt auf dem Ramunderberg, der gleich nördlich des Kanals aufragt. visit.soderkoping.se
An der Schleuse von Mem kommt der Göta-Kanal kurz darauf völlig unspektakulär zu seinem Abschluss – und damit auch unsere 400 Kilometer lange Reise auf der maritimen Traumstraße quer durch den Süden Schwedens, Sveriges Route 66. Die andere Küste ist erreicht. Voraus liegen nun der langgezogene Slätbaken-Fjord, der wunderschöne Schärengarten von Sankt Anna und dahinter schließlich die offene Ostsee. Nachdem man auch das untere Stemmtor von Mems sluss hinter sich gelassen hat, machen die Liegeplätze im Vorhafen jedoch noch das verlockende Angebot für eine allerletzte Nacht am Göta-Kanal – auch wenn man schon wieder Salzwasser unter dem Kiel hat.
GEWÄSSERKARTEN NV. Atlas Binnen, Band 8: „Göta kanal & Trollhätte kanal, Passage Vättern und Vänern“. Abgedeckt ist die gesamte Strecke in Ost-West-Richtung von Mem bis nach Göteborg inklusive der großen Seen Vättern und Vänern. Ausgabe: 2016, Maßstab: 1 : 35 000, Spiralbindung, Format: 21 x 42 cm, Preis: 38 €. ISBN 978-3-667-11346-7. www.nvcharts.com
SEEKARTEN DK-Sportbootkarten Satz 14: „Götakanal mit Vänern und Vättern. Göteborg bis Mem mit Göta Älv und Trollhätte Kanal“. Ausgabe: 2020, Format: 44 x 60 cm (A2), Einzelkarten, 3 Übersegler, 23 Revier- und Detailkarten, Revierführer mit Hafenplänen und Kanal- karten, Preis: 79,90 €. ISBN 978-3-667-11915-5. www.delius-klasing.de
REVIERFÜHRER Aktuelle nautische und touristische Informationen findet man außerdem auch auf Deutsch auf der Internetseite des Göta-Kanals (www.gotakanal.se/de). Dort kann auch die Broschüre „Skipperguide“ für die Saison 2021 als PDF kostenlos heruntergeladen werden.
NAUTISCHE INFORMATIONEN Die Länge des Göta-Kanals von Sjötorp am Vänern bis Mem an der Ostsee beträgt 190 Kilometer, wobei rund 85 davon auf die Seen im Verlauf entfallen. Auf den Kanalabschnitten beträgt die maximale Tiefe in Fahrwassermitte 2,8 Meter, die Höchstgeschwindigkeit dort beträgt 5 Knoten. Es gibt mehr als 20 Gasthäfen. Insgesamt müssen 58 Schleusen, die bis auf zwei Ausnahmen (Niveauschleusen in Tåtorp und Borensberg) mit Personal besetzt sind, und eine Vielzahl von beweglichen, fernbedienten Brücken passiert werden. Die Berufsschifffahrt beschränkt sich auf lokal operierende Ausflugsschiffe (dazu gehören auch die historischen Passagierdampfer, die zwischen Stockholm und Göteborg pendeln). Um im Fahrplan bleiben zu können, haben sie an Schleusen und Brücken immer Vorfahrt.
Gesamtstrecke (Göta-Kanal): 190 km
Gesamtstrecke (quer durch Schweden): 440 km