ReiseAlbanien - Küste der Überraschungen

Thomas Kittel

 · 27.06.2023

Auf der Fahrt von Durrës nach Orikum.
Foto: Thomas Kittel
Seit Jahren erkunden Thomas und Jutta Kittel Europas Reviere mit ihrer „Azura“ auf eigenem Kiel. Ihre Touren führten die Marlow 72 bereits zum Nordkap, um die britischen Inseln herum und über Biskaya und die Straße von Gibraltar ins Mittelmeer. Zuletzt erkundeten sie die kroatische Küste und danach - im ersten Teil dieser Geschichte - das südlich anschließende Montenegro mit der Bucht Kotor. Nun geht es weiter: nach Albanien.

Nach Montenegro liegt nun die „große Unbekannte“ vor uns – die Etappe durch Albanien. Was wird uns dort erwarten? Wir lesen viel, aber wissen immer noch sehr wenig über dieses Land. Die Berichte erzeugen teils Skepsis, teils Unsicherheit – nichts für schwache Gemüter, bei denen allein das Wort „Albanien“ Erinnerungen an finstere kommunistische Zeiten wach werden lässt. Traut man den verbreiteten Vorurteilen, müsste man fast einen Bogen um Albanien machen. Und manche machen es auch tatsächlich so und wählen die Route über Italien, um nach Griechenland zu gelangen.

Auch wir sind bis zuletzt von Zweifeln geplagt und warten sehnlichst darauf, jemanden zu treffen, der von Süden hochkommt und Albanien durchfahren hat – sozusagen Informationen aus erster Hand und vor allem aktuell, denn auch in Albanien bleibt die Zeit nicht stehen.

In Bar – dem letzten montenegrinischen Hafen zum Ausklarieren (oder von Albanien kommend umgekehrt) – treffen wir endlich auf einen deutschen Segler auf dem Weg nach Norden, der seine Yacht in Griechenland gekauft hat und nun in die Nähe von Triest überführt. Er ist mit seiner Familie einschließlich kleiner Kinder unterwegs und nimmt uns alle schweren Gedanken, die unseren Kopf seit Tagen umnebeln. Zwei Fragen beschäftigen uns dabei besonders:

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Wo und wie kann man in Albanien anlegen? Und wie funktioniert das mit den sogenannten „Agenten“, von denen überall die Rede ist, wenn es um die Ein- und Ausreiseformalitäten geht?

Dass die maritime Infrastruktur für Sportboote in Albanien noch unterentwickelt ist, stellt für uns keine Überraschung mehr dar. Darauf weist jeder Bericht, den wir gelesen haben, ausdrücklich hin. Lässt sich also unsere Planung, Albanien mit drei jeweils etwa 60 Seemeilen langen Etappen zu durchqueren, überhaupt realisieren? Die klare Antwort ist „Ja“. Die von uns ins Auge gefassten Häfen Durrës, Marina di Orikum und Saranda lassen dies ohne weiteres zu. Natürlich sind auch andere Aufteilungen der etwa 350 km langen albanischen Küste denkbar, wobei als weitere mögliche Anlaufhäfen Shëngjin und Vlore in Frage kommen.

Durrës: unser Tor nach Albanien

Während in der Literatur über Durres – den größten albanischen Fähr- und Frachthafen in der Nähe der Hauptstadt Tirana – immer noch der Eindruck erweckt wird, hier müsse man sich als Sportboot wie ein ungeliebter Fremdkörper zwischen Fähren und Frachtern herumschubsen lassen und solle daher besser sein Schiff nicht verlassen, sieht die Realität inzwischen völlig anders aus.

Am nördlichen Ende des großen und gut geschützten Hafenbeckens hat ein Privatinvestor den Kai und zwei alte Piers so aufbereiten lassen, dass man getrost von guten Liegemöglichkeiten wie in einer kleinen Marina sprechen kann. Es gibt Liegeplätze mit Muringleinen, aber auch längsseits wie zum Beispiel für uns. Stromanschlüsse bis 32A und Wasser sind vorhanden und auch weitere Versorgungsmöglichkeiten werden angeboten. Der Bereich gehört zum offiziellen Hafengebiet, das komplett eingezäunt und rund um die Uhr bewacht ist. Sorgen um die Sicherheit braucht man sich also auch nicht zu machen.

Die Stadt Durrës selbst stellt alles auf den Kopf, was wir bislang von Albanien erwartet haben. Bereits beim Einlaufen wird eine Skyline sichtbar, die keinen Vergleich mit manch westlicher Hafenstadt zu scheuen braucht.

Tatsächlich hat Durrës so gar nichts mit der von sozialistisch inspirierten Prachtbauten geprägten Atmosphäre mancher Ostblockstädte gemein hat. Flaniert man dann abends auf der ausgesprochen ansprechend gestalteten Seepromenade, könnte man erneut meinen, in ein westliches Seebad geraten zu sein. Ein Restaurant und Hotel folgt auf das nächste und zieht unglaublich viele Besucher magisch an. Die Qualität der internationalen oder auch traditionellen albanischen Küche lässt keine Wünsche offen – und wenn man dann die Rechnung bekommt, möchte man es fast nicht glauben: Preise, die bei uns schon lange der Geschichte angehören.

Durrës wurde von den Griechen im 7. Jahrhundert v. Chr. als Kolonie gegründet. Die Stadt hatte bei den Römern, aber auch später bei den Byzantinern eine strategisch wichtige Rolle.

Die Handelsstraße Via Egnatia begann in Durrës und führte durch das Landesinnere der Balkanhalbinsel nach Konstantinopel. Das erst 1966 wiederentdeckte römische Amphitheater bot Platz für 15-20.000 Zuschauer und war damit das größte seiner Art auf dem Balkan. Es zeugt von der Bedeutung, die Durres als Hafenstadt seinerzeit hatte. Auch heute ist Durrës nach Tirana die wirtschaftlich wichtigste Stadt des Landes.

Der Agent: unser Mann für alle Fälle

Im Bereich des Tourismus wird viel und relativ gut englisch gesprochen und verstanden. Ob das aber auch für die Behörden gilt, haben wir nicht ausprobiert, sondern stattdessen einen sogenannten „Agenten“ engagiert. Er nimmt einem nicht nur alle Formalitäten der Ein- und Ausreise ab, sondern steht für organisatorische Dinge wie Liegeplatz reservieren, Taxi bestellen, Restaurants empfehlen oder Besichtigungsprogramme zusammenstellen gegen eine überschaubare Gebühr zur Verfügung. Wir haben durch die Arbeit des Agenten ein „all inclusive“-Gefühl entwickelt, wie wir es beim Ein- und Ausklarieren in Kroatien oder Montenegro gerne gehabt hätten. Dort mussten wir den Hürdenlauf zu Polizei, Zoll und Port Authority mit allen Überraschungen beim Erklären, Stempeln und Bezahlen selbst durchführen - und hätten darauf gerne verzichtet.

Der Agent in Durrës stellt sich als ein ausgesprochen lebenserfahrener und geschichtsbewanderter Mann heraus. Wir laden ihn und eine seiner beiden Töchter, die noch zuhause wohnt, zum Abendessen ein und erfahren viel über Albanien, seine Geschichte, die kommunistische Phase und den langsamen Wandel von der späten Öffnung bis heute. Es ist bewundernswert, wie optimistisch und freundlich dieses Land und seine Menschen daherkommen. Natürlich ist Albanien immer noch ein unterentwickeltes und im Vergleich mit Westeuropa armes Land. Das merkt man vor allem an den Straßen und Bauten außerhalb der Touristenmeilen. Aber es gibt einen zupackenden Spirit und eine Art Aufbruchsstimmung, die wir so nicht erwartet haben.

Tirana: wie eine westliche Metropole

Das wird uns auch bei unserem Besuch in der Hauptstadt Tirana bewusst. Wir mieten ein Auto – natürlich vermittelt durch unseren Agenten – und fahren über eine Art Autobahn ins Zentrum dieser pulsierenden Stadt. Traditionelle Gebäude werden überragt durch neue Hochbauten, die auch in jeder westlichen Großstadt stehen könnten. Es wird gebaut, gebaut, gebaut. In den häufig von Bäumen gesäumten Straßen liegt ein Geschäft neben dem anderen. Von den Bedürfnissen des täglichen Bedarfs bis hin zu ausgesprochenen Feinkostläden, die man auch bei uns zuhause nicht an jeder Straßenecke findet. Manchmal fühlt man sich fast wie auf den Boulevards einer westlichen Metropole – kaum zu glauben, aber wahr.

Von Tirana aus fahren wir zur Festung von Kruja in die albanischen Berge. Sie war das Zentrum der Kämpfe von Fürst Skanderbeg und seiner Liga von Lezha im Mittelalter Albaniens gegen das Osmanische Reich. Durch seine Verteidigung des Fürstentums Kastrioti gegen die Osmanen erhielt er von Papst Calixtus III. den Ehrentitel „Kämpfer des Christentums“ und von Papst Pius II. den des „neuen Alexanders“ in Anspielung auf Alexander den Großen. Heute wird er von vielen als albanischer Nationalheld geehrt. Ihm ist auch das in den achtziger Jahren entstandene und geschmackvoll in das Burgareal integrierte Skanderbeg-Museum gewidmet.

Orikum: Albaniens einzige Marina - bislang

Unser nächstes Ziel ist die Marina di Orikum – die derzeit einzige wirkliche Marina Albaniens. Gut geschützt am Ende einer langen Bucht gelegen wurde diese Marina mit markanten Bauten und allen notwendigen Versorgungseinrichtungen ausgestattet. Gegründet von Italienern hat es vor kurzem einen Besitzerwechsel gegeben. Die neuen albanischen Eigentümer investieren und erweitern die Marina mit zusätzlichen Liegeplätzen. Die neuen Steganlagen sind bereits ausgelegt und werden spätestens in der nächsten Saison voll betriebsbereit sein.

Wir liegen wie im Mittelmeerraum üblich mit dem Heck zum Kai und genießen die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft des Personals. Die abendliche Stille ist fast unwirklich und der Sonnenuntergang lässt an Romantik nichts zu wünschen übrig.

Die Umgebung – insbesondere in Richtung der attraktiven Hafenstadt Vlore – ist touristisch voll erschlossen und mit zahlreichen modernen Hotels und Restaurants bebaut. Hier herrscht sommerliche Ferienstimmung wie an vielen Küsten des Mittelmeeres.

Einer der letzten wilden Flüsse Europas

Wer es etwas albanisch-natürlicher mag, sollte in den nahegelegenen Ort Orikum ausweichen. Dort findet man alles, was man zum Leben braucht. Auch unseren Mietwagen erhalten wir dort für unsere geplante Fahrt ins Landesinnere. Ziel ist das Tal des Flusses Vjosa (albanisch Vjosë), der im Epirus im Nordwesten Griechenlands entspringt und in Albanien in die Adria mündet.

Der Flusslauf der Vjosa ist bis heute von allzu großer Besiedelung und von Industrialisierung verschont geblieben. Auch die Mündung liegt entfernt von größeren Orten in einem unberührten Küstenstreifen.

Die Vjosa zählt zu den wenigen größeren naturbelassenen Flüssen Europas. Was das bedeutet, können wir uns mit unseren europäischen über Jahrhunderte eingefassten, verkürzten und kanalisierten Flüssen kaum noch vorstellen. Aber auch hier hatte die Diskussion um eine stärkere wirtschaftliche Nutzung des Flusses begonnen – zum Beispiel durch Aufstauen. Bis der gesamte Lauf des Flusses auf albanischem Boden im Frühjahr dieses Jahres zum Nationalpark erklärt wurde. Ein Sieg für die Natur.

Saranda: dritter und letzter Stop in Albanien

Letzter Hafen zum Ausklarieren wird für uns Saranda – schon ganz in der Nähe der griechischen Insel Korfu. Saranda ist ebenfalls ein beliebter Touristenort. Davon künden nicht nur die hellen Leuchtreklamen um das Hafenbecken herum, sondern auch die in der Luft liegende Beschallung. Ab und an fährt ein bis zur Mastspitze grell beleuchtetes Piratenschiffimitat raus und verstärkt den Eindruck eines touristischen Hotspots.

Zwischen Korfu und Saranda pendeln ständig Fähren, zum Teil mit schnellen (und beim Start sehr lauten) Tragflügelbooten. Lärm und Schwell im Hafen müssen wir ertragen – der Platz ist alternativlos.

Diesmal ist unser Agent weiblich und wartet schon am Kai auf uns – vermittelt durch den Agenten aus Durrës. Hier sind die Anlegemöglichkeiten allerdings sehr begrenzt, sodass wir am Kai für größere Schiffe festmachen müssen. Es wäre durchaus ausreichend Platz für längsseitiges Anlegen, aber die riesigen „Dämpfer“ an der Kaimauer für die großen Schiffe lassen das nicht zu. Da es hier keine Muringleinen gibt, muss mit Buganker angelegt werden – ein Manöver, das wir bislang nur einmal ausführen mussten und das nicht zu unseren bevorzugten Anlegemethoden gehört.

Trotz zweier Anläufe gelingt es uns nicht, den Anker richtig zu positionieren und genug Kette auszulegen. Obwohl wir beim zweiten Mal glauben, es geschafft zu haben, belehrt uns unser Schiff eines Besseren. Im Laufe der Stunden werden die Heckleinen immer schlaffer und als es dunkel ist, beginnt das Schiff schließlich mit dem Heck die Kaimauer zu berühren. Mit Heckfendern vermeiden wir zunächst, dass etwas beschädigt wird.

Erst als die schwedische Segelcrew unseres Nachbarschiffes vom Dinner zurückkommt, naht die Erlösung. Sie sehen sofort, was los ist und bieten uns ihre Hilfe an. Gesagt, getan – wir binden das Schiff nochmal los, fahren vor und fangen nochmal von vorne an. Nach kurzer Zeit liegt unser Schiff wie eine Eins – aber ohne die Hilfe hätten wir es wohl nicht geschafft. Mit einem gemeinsamen Bier bei uns an Bord bedanken wir uns für den tollen Einsatz und freuen uns auf eine ungestörte Nachtruhe.

Letzte Formalitäten und Kurs auf Korfu

Am nächsten Morgen verabschieden wir die hilfreiche Segelcrew mit der schwedischen Gastlandflagge. Agentin Jelja erledigt alle Formalitäten und ist ein wenig betrübt darüber, dass wir schon abreisen. Gerne hätte sie uns noch ein Stück Albanien gezeigt – etwas, was sie mit ihrer Firma „Saranda Summer Tours“ oft macht. Aber uns ruft Korfu – wir haben leider etwas Zeit verloren und wollten eigentlich schon drei Tage weiter sein. So heißt es also wieder Abschied nehmen, Anker einholen und Kurs auf Korfu. Die Wetter- und Seebedingungen sind fantastisch und so lassen wir uns etwas mehr Zeit, während wir an der Nordostküste Korfus in Richtung Marina Gouvia entlangschippern.

Für alle, die wie wir am Anfang noch im Zweifel sind, ob man die Albanien-Route machen kann, sei nochmal gesagt: man kann! Auch wir würden es wieder genauso machen – mit den Erfahrungen der Durchreise erst recht.

Ja – man verlässt die EU und hat dadurch Formalitäten zu erledigen, die einem aber bequem abgenommen werden. Auch die Sicherheit ist in den von uns genutzten Häfen kein Thema gewesen. Eine Vignette wie in Kroatien, Montenegro oder Griechenland gibt es nicht. Die Preise sind generell niedrig, die Qualität gut. Und man lernt ein freundliches Land in Aufbruchstimmung kennen, das so viel anders ist als unsere Vorstellungen oder Vorurteile.


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