Majestätisch breitet der König der Lüfte seine Schwingen aus, erhebt sich von dem toten Baumstumpf, von dem er uns eben noch misstrauisch gemustert hat, und gleitet direkt vor unserem Bug dicht über dem Wasser ans andere Ufer. Was für ein erhabener Anblick! Wir können unser Glück kaum fassen. Da ahnen wir noch nicht, dass dies nur der erste von vielen Adlern war, die uns ab diesem Moment hinter fast jeder Flussbiegung erwarten. Einst galten sie als fast ausgestorben. Heute brüten im Peenetal dank umfangreicher Renaturierungsmaßnahmen wieder Hunderte Fisch- und Seeadler. Ein Paradies für Fische, Vögel und Menschen, die Ruhe, Natur und Abgeschiedenheit suchen, so hat man uns versprochen, als wir gestern in Neukalen gestartet sind.
Die Marina in Neukalen ist eine von fünf Charterbasen von Yachtcharter Schulz. Unser Charterboot für die Woche ist die „Monique 2“, eine sehr geräumige 11,50 Meter lange Gruno 37 Excellent. Der kleine Sportboothafen liegt idyllisch am Ende eines schmalen Kanals, der vom Kummerower See abfließt. Bunte Bootshäuschen säumen das Ufer, eine Trauerweide wiegt sich im Wind über einem kleinen Steg – man könnte auch länger verweilen. Wir aber brennen darauf, einen der letzten unverbauten Flüsse Deutschlands zu erkunden, und legen deshalb früh am Morgen ab. Nach nur zwei Kilometern erreichen wir den Kummerower See, der glatt wie ein Spiegel unter grauem Himmel vor uns liegt, als wir den schmalen Neukalener Peenekanal hinter uns lassen. Es ist noch früh in der Saison und außer uns kaum jemand auf dem Wasser. Vom Kummerower See aus schlängelt sich die Peene über 83 Kilometer gemächlich in nordöstlicher Richtung, bevor sie schließlich östlich von Anklam in den Peenestrom mündet. Kein Stau und kein Wehr reguliert sie, nur in städtischen Bereichen gibt es Uferbefestigungen. Aufgrund ihres geringen Gefälles von nur 24 Zentimeter war das nie nötig. Bei Ostseehochwasser oder starkem Ostwind lässt sich das Phänomen beobachten, dass die Peene „rückwärts“ fließt.
Drei Hindernisse gibt es aber dennoch auf unserem Törn: Die seltenen Öffnungszeiten und großen Entfernungen zwischen den Klappbrücken in Demmin, Loitz und Anklam erfordern eine genauere Törnplanung und gutes Timing. Weil wir zur Mittagsöffnungszeit in Demmin sein wollen und uns am Morgen noch nicht der Sinn nach Fisch steht, lassen wir das Ausflugslokal „Aalbude“ beim Abfluss der Peene aus dem See links liegen. Zu einer anderen Tageszeit und später in der Saison muss man hier auf die kreuzende Personenfähre achtgeben und Glück haben, noch einen der Längsseitsliegeplätze zu ergattern. Was folgt, ist ein Abschnitt, auf dem es uns streckenweise schwerfällt zu glauben, dass wir uns noch in Deutschland befinden. Der Fluss schlängelt sich durch ein ausgedehntes Sumpfgebiet mit mangrovenähnlichem Uferbewuchs. In einem Seitenarm döst ein Angler auf seinem kleinen Boot. Libellen flitzen durchs Schilf.
Viel zu früh erreichen wir Demmin. Die Brücke öffnet erst in einer Stunde. Wir hatten gehofft, vor der Brücke Mittagspause machen zu können und entspannt die Öffnung der Brücke abzuwarten. Doch eine richtige Wartestelle, wie wir sie aus Schleusenrevieren kennen, gibt es hier nicht. Also heißt es flussauf- und -abwärts fahren, bis die Brücke öffnet. Am Telefon sagt uns der Hafenmeister der hinter der Brücke liegenden Marina, dass er keinen Platz mehr für uns hat. Wir machen an der Kaimauer hinter der Brücke fest, um uns wenigstens für die Weiterfahrt zu stärken. Der eigentlich geplante Landgang aber fällt flach. Denn die Poller liegen so weit auseinander, dass wir das Boot nicht sicher festmachen können. Also Planänderung: In Loitz sichert man uns einen Liegeplatz für die Nacht zu. Wir müssen nur pünktlich zur Brückenöffnung um 15:30 Uhr dort sein.
Ab Demmin beginnt der Unterlauf der Peene. Zwei Nebenflüsse, die hier dazustoßen, lassen den Fluss auf die doppelte Breite anschwellen. Die Schleifen werden immer weiter. Hier wird klar, wie die Peene zu ihrem Beinamen „Amazonas des Nordens“ kam. Das Peenetal ist das größte zusammenhängende Niedermoorgebiet Mitteleuropas. Die naturbelassene Flusslandschaft mit ihren moorigen Flussauen, Tümpeln, Weihern und Seen ist ein Rückzugsort für viele seltene und bedrohte Pflanzen und Tiere. Biber, Otter, Seeadler und Eisvögel sind hier zu Hause. Ein Rotmilan kreist über uns. Links und rechts säumen den Fluss immer wieder zugewucherte Torfstiche – Zeugnisse einer Zeit, in der der Fluss sehr wohl wirtschaftlich genutzt wurde. Heute sind sie als Flachwassertümpel ideale Rast- und Brutplätze. Als wir Loitz etwa 30 Minuten vor Brückenöffnung erreichen, frischt der Wind auf. Zwar verdrängt er die Wolken und lässt endlich die Sonne rauskommen, doch der Zeitpunkt ist ungünstig. Denn leider stehen wir erneut vor dem Problem, dass es diesseits der Brücke keinerlei Wartemöglichkeit gibt. Und so bleibt wieder nur auf und ab fahren, bis das grüne Licht anspringt.
Jenseits der Brücke machen wir zunächst wie telefonisch mit dem Hafenmeister vereinbart direkt unter dem großen Speicher längsseits fest. Doch der Wind bläst zu stark, die Nacht würde ungemütlich werden. Also parken wir in das windgeschützte Hafenbecken um. Die Sportbootmarina in Loitz und das alte Bahnhofsgebäude wurden vor einigen Jahren liebevoll restauriert. Liegestühle vor dem Speicher laden zum Sundowner in der Abendsonne ein. Wir aber machen uns auf den Weg in den Ort. Denn vor einiger Zeit ist Loitz mit einer neuen Sehenswürdigkeit in die Schlagzeilen geraten. Ein lokaler Künstler hat es sich zur Aufgabe gemacht, das triste Graubraun vieler verlassener und maroder Wohnhäuser in dem Ort aufzuhübschen, und hat überall Gemälde an den Hauswänden und in zugenagelten Fenstern hinterlassen. Eine kostenlose und wirklich beeindruckende bunte Freilichtgalerie, die man nicht verpassen sollte. Als wir am nächsten Morgen ablegen, lässt die angekündigte Sonne auf sich warten. Vor uns liegen 46 Kilometer und keine Brücken bis nach Anklam. Ohne Zeitdruck geht es entsprechend auf den vielleicht schönsten Abschnitt der Peene.
Charter: Yachtcharter Schulz mit Sitz in Waren an der Müritz betreibt ein Stationsnetz mit Standorten in Waren, Röbel, Granzow, Neukalen, Barth und Kröslin und deckt damit fünf Reviere zwischen Berlin, der Mecklenburger Seenplatte und der Ostsee ab. Die Flotte besteht aus rund 170 Hausbooten und Motoryachten mit einer Länge von bis zu 15 Metern, in denen bis zu 12 unterkommen. Viele der Schiffe und Reviere können ohne Sportbootführerschein befahren werden. Kontakt: www.charter-schulz.de An der Reeck 1a, 17192 Waren (Müritz) Tel.: 03991/12 14 15
Boot: Die Gruno 37 Excellent bietet Platz für vier Personen in zwei Doppelkabinen. Länge: 11,30 Meter, Breite: 3,75 Meter. Ausstattung: Pantry mit mehrflammigem Kochfeld, Kühlschrank, eine Nasszelle mit Waschbecken, WC und Dusche, ein weiteres WC mit Waschbecken und separater Dusche, Heizung, Außensteuerstand unter komplett verschließbarer Persenning mit Sitzgruppe, Bug- und Heckstrahlruder
Revier: Um auf Peenestrom und Achterwasser ein Boot zu führen, sind der Sportbootführerschein Binnen und der Sportbootführerschein See Voraussetzung. Staus, Wehre oder Schleusen gibt es entlang der Peene nicht. Dafür müssen die Öffnungszeiten der drei Klappbrücken in Demmin, Loitz und Anklam bei der Törnplanung berücksichtigt werden. Da das Peenetal auf fast der gesamten Länge Naturschutzgebiet ist, gelten erhebliche Einschränkungen für das Befahren der Altarme und Torfstiche sowie das Betreten der Uferbereiche: 99 Prozent sind gesperrt. Sportboothäfen gibt es wenige. Einige Wasserwanderrastplätze sind mit Liegeplätzen für kleinere Boote ausgestattet. Auf Peenestrom und Achterwasser muss man sich penibel an die Fahrwasserbetonnung halten.
Literatur: Kartenwerft Binnenkarten Atlas 1: Oder und Haff mit Peene – 2025, 49,90 Euro, ISBN 9783944082493, www.hansenautic.de NV Gewässerkarten Binnen Atlas 3 – Nördliche Oder und Peene, 44,99Euro, ISBN 9783910644793, www.nvcharts.com