Ein Text von Markus Gehrlein
Am 29. Mai sind wir nach dem alljährlichen Grand Banks Rendezvous in Heiligenhafen mit dem Ziel gestartet, das Nordkap zu erreichen. Für unseren Labrador Aick, der bereits seit 15 Jahren fest zur Crew der CHI gehört und weit über 20 Länder mit uns bereist hat, wird es vielleicht die letzte große Reise werden. Da wir 2013 schon einmal die Lofoten besucht haben, ist uns der hohe Norden nicht fremd.
Heute ist der 20. Juni. Gestern Abend gegen 20 Uhr haben wir den kleinen Hafen Tonnes östlich des Polarkreis Denkmals, der Globus Skulptur auf der Vikingen Insel, erreicht. Ab hier navigieren wir im Nordpolarmeer. 1170 Seemeilen liegen in unserem Kielwasser. Alles in Allem sind wir gut vorangekommen. Im Kattegat und Skagerrak hätten wir uns zwar bessere Wetterbedingungen gewünscht, konnten aber jeden Tag unseren Plan erfüllen. Unser heutiges Tagesziel heißt Bodø. Die Route führt überwiegend durch bezeichnetes Fahrwasser, das durch unzählige Inseln guten Schutz gegenüber dem Nordatlantik bietet. Nach 65 Meilen erreichen wir am frühen Abend unser Etappenziel. Der Gästesteg ist belegt und wir finden wieder einen Platz bei den Fischern. Der belebte Hafen wird gerne von Charterern zum Crewwechsel angelaufen. Denn hier gibt es nicht nur einen gut angebundenen Flughafen, sondern auch sehr gute Möglichkeiten zur Versorgung und es ist ein guter Ausgangspunkt für die Überfahrt zu den Lofoten. Die Stadt präsentiert sich mit einigen neuen und sehr modernen Häusern und wurde vor kurzem für seine nachhaltige Stadtentwicklung ausgezeichnet. Im Hafen selbst scheint die Zeit allerdings seit unserem letzten Besuch vor zehn Jahren stehen geblieben zu sein.
Im Seegebiet nördlich von Bergen spielen die Gezeiten und die damit verbundenen Strömungen durchaus eine navigatorische Rolle. Die Tide beträgt hier gut 2,5 Meter.
Etwa 15 Meilen südöstlich von Bodø befindet sich der Saltstraumen, ein Sund mit dem stärksten Gezeitenstrom der Welt.”
Bei entsprechenden Bedingungen erreicht die Strömung dort fast 20 Knoten und entwickelt mächtige Strudel. Mit Strömungen bis sechs Knoten sollte man in den Sunden hier im hohen Norden bei entsprechenden Wetterbedingungen generell rechnen. Für unsere weitere Route bis Tromsø gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Den äußeren Weg über die Lofoten, den Raftsund und Vesterålen oder den inneren Weg am östlichen Rand des Vestfjord entlang, einem anspruchsvollen Seegebiet und Laichstelle des Kabeljaus, der im Spätsommer aus der Barentssee seinen Weg hierher findet und als Skrei (Wanderer) auch bei uns als Delikatesse sehr geschätzt wird. Wir entscheiden uns für den inneren Weg durch den Tjeldsund, vorbei an Harstad bis nach Tromsø. Von Bodø aus geht es zunächst vorbei an Nordskot, einer Bucht mit glasklarem smaragdgrünem Wasser. Wir passieren den Leuchtturm Tranøy Fyr und laufen den Hafen auf der kleinen Insel Hamarøy an. Wie so oft auf unserer Reise sind wir die einzigen Gäste. Auf der Pier steht ein alter Walfänger, der wohl zeitweise einen Pub beherbergt, der aber wie alles weitere zurzeit leider geschlossen ist. Für uns kein Problem. Im Wesentlichen sind wir Selbstversorger. Wir haben eine geräumige Gefriertruhe mit eigener Batterie und ein umfangreiches Getränkelager an Bord. Das macht uns über weite Strecken unabhängig. So können wir die entlegensten Buchten sehr entspannt genießen. Es ist der 21.Juni – Sonnenwende und es weht kaum Wind. Es ist traumhaft schön hier.
Leider müssen wir unsere Reise bereits am nächsten Morgen fortsetzen und diesen schönen Ort verlassen. Der Wetterbericht meldet für die nächsten Tage jeweils 24 Sonnenstunden und die wollen wir nutzen, um Strecke zu machen. Vor uns liegt noch ein Stück des Vesfjords, der als Seegebiet mit zeitweise gefährlichem Seegang eingestuft ist. Heute ist es allerdings sehr friedlich und wir haben eine entspannte Überfahrt. Am Vormittag hat die Landschaft noch einen zauberhaften Schleier und wie schon seit Tagen säumen schneebedeckte Berge unseren Kurs. Narvik lassen wir im Osten liegen und passieren den Tjeldsund, Finnsnes und Gibostad, bis wir am 23. Juni nach Durchfahrt der Stromschnelle Rystraumen Tromsø erreichen. Tromsø selbst haben wir für die Rückreise im Programm, so dass wir bereits am nächsten Morgen unsere Reise fortsetzen.
Die Wassertemperatur ist in den vergangenen Tagen immer weiter gesunken. Bei einer Tagestemperatur von 14 Grad zeigt unser Wasserthermometer nur noch acht Grad an. Nachdem wir die 46 Meter hohe Brücke über den Tromsøsund passiert haben, hüllt uns dichter Nebel ein. Monika steht am Ruder und schaltet unbeeindruckt das Radar und die Positionslampen ein. Wir sind ein seit vielen Jahren eingespieltes Team und können uns in jeder Situation blind aufeinander verlassen. Dennoch halten wir in solchen Situationen gerne gemeinsam Ausguck. In den norwegischen Sunden sind viele Schnellfähren unterwegs, die mit 33 Knoten oft sehr schnell auftauchen. Nach zwei Stunden lichtet sich der Nebel und das Eismeer zeigt sich wieder von seiner schönsten Seite.
Am 25.Juni erreichen wir nach 27 Tagen und 1565 Seemeilen planmäßig Hammerfest bei 70°40` Nord 23°41`Ost. Bis Honningsvåg 1998 den Status einer Stadt erhielt, galt Hammerfest als die nördlichste Stadt der Welt. In der Ansteuerung erwartet uns ein Begrüßungskomitee aus Weißseitendelfinen. Einer der Delfine berührt bei seinem waghalsigen Sprung sogar unsere Bordwand und schaut mir dabei durch die offene Seitentür des Ruderhauses aus einer Entfernung von etwa einem Meter in die Augen. Aick verschwindet sofort unter den Salontisch und auch wir sind zu erschrocken, um auch nur ein Foto zu schießen.
In der Hafenanlage wird zurzeit vieles umgebaut und wir finden nur mit Mühe einen Platz, obwohl außer uns hier nur eine weitere Gastyacht liegt. Unser Boot hat damit den nördlichsten Punkt unserer Reise erreicht. Mit dem E-Mietwagen wollen wir die restlichen 205 Straßenkilometer bis zum Nordkap fahren. In Norwegen gibt es eine hervorragende Infrastruktur für E-Mobilität. Mittlerweile fahren sogar viele Fähren und auch große Schiffe rein elektrisch und im kleinsten Hafen findet man Ladestationen für elektrisch angetriebene Boote. Das trifft allerdings am nördlichsten Ende des Kontinents nur bedingt zu. Und so gerät unser Tagesplan gehörig aus dem Ruder als wir mit gerade mal elf Kilometern verbleibender Reichweite auf der Anzeige am Ziel ankommen. Eigentlich soll es hier zwei Ladepunkte für E-Autos geben. Doch mit Entsetzen stellen wir fest, dass auf diesen mit dicken Lettern „Tesla only“ drauf steht. Wir probieren es trotzdem und nach einer Stunde werden uns 30 Kilometer Reichweite angezeigt. OK. In Honningsvåg soll es die nächste Schnellladesäule geben. Das sind 33 Kilometer und es geht ja mehr bergab als bergauf. Wir fahren los und lassen das Auto rollen wo immer es geht, nur nicht bremsen! Und tatsächlich erreichen wir Honningsvåg mit einem Rest von drei Kilometern Reichweite. Wir sind erleichtert. Jetzt noch schnell die passende App herunterladen und 50 Kwh fließen leise zu unserer Batterie.
Auch wenn wir uns unseren Ausflug zum nördlichsten Punkt des europäischen Festlandes anders vorgestellt haben: eine Fahrt durch wunderschöne Landschaften und atemberaubende Tunnel, die teils 200 Meter unter dem Meeresspiegel verlaufen, liegt hinter uns. Zeitweise blockieren Rentiere unsere Weiterfahrt. Einfach traumhaft schön. Am späten Abend sind wir wieder an Bord. Ab morgen steuern wir wieder südliche Kurse an.