Thomas Kittel
· 13.10.2022
Glanzvoller Auftritt: Auch Frankreichs Südküste zwischen Golfe du Lion und Côte d’Azur kann sich mehr als sehen lassen
Der Wind hat sich völlig gelegt, als wir Spanien entlang seiner bergigen Küste verlassen und mit Port Vendres unser erstes französisches Ziel auf unserer Mittelmeerreise ansteuern – einen gut geschützter Naturhafen, der die ganze Palette der Schifffahrt und nicht nur Sportbootgeschwader zu bieten hat. Man liegt direkt in der Stadt und taucht gleich in eine andere Kultur ein. Der Hafenmeister ist zwar bemüht, überanstrengen möchte er sich aber nicht. So stöhnt er laut und vernehmlich auf, als wir ihn bitten, uns mit den Muringleinen zu helfen.
Mit Gruissan folgt dafür dann das totale Kontrastprogramm: Um das historische Dorf herum hat man in die Lagune hinein eine neue Kunstwelt aus Hafenbecken, Wohnungen und Restaurants gebaut. Früher wurde hier der alte Wasserweg zur wohlhabenden Textilstadt Narbonne kontrolliert. Heute hat man von der Ruine des verbliebenen Schlossturms einen fantastischen Blick auf den Ort, das Meer und die Salinen, die noch immer große Mengen Meersalz gewinnen.
Hier gehen wir auch der rosa Farbe der Wasserflächen auf den Grund. Sie entsteht durch das Halobacterium salinarum – von dem Deutschen Heinrich Klebahn vor über 100 Jahren entdeckt und 2017 zur „Mikrobe des Jahres“ gekürt – kein Scherz. Diese Mikrobe zählt zu den Archaeen – Urformen des Lebens, die zwar Bakterien ähneln, aber tatsächlich enger verwandt sind mit Pflanzen und Tieren. Archaeen sind oft an sehr außergewöhnliche Lebensräume angepasst – so beispielsweise an heiße Quellen, extrem saure Gewässer oder an hohe Salzkonzentrationen. Diese Mikrobe gedeiht besonders gut in Salinen und Salzlaken, die sie so rotviolett einfärbt. Und diese Farbstoffe nehmen dann ihren Weg durch die Nahrungskette: Die Mikroben werden von kleinen Salzkrebsen gefressen, von denen sich wiederum Flamingos ernähren. So kommen auch die Vögel zu ihrem auffälligen rosaroten Federkleid.
Weniger wissenschaftlich geht es in Sète zu, das wir bei herrlichem Wetter erreichen. Da die Marina für uns nur einen Platz ohne Strom und Wasser zu bieten hat, legen wir uns lieber ins Zentrum, eingerahmt von einer Klapp- und einer Drehbrücke. Der frühere Handelskai ist wie in so vielen Häfen für urbanes Wohnen hergerichtet worden. Palmen, verkehrsberuhigte Wege, Strom, Wasser, Beleuchtung – gepflegter kann man städtisch kaum liegen. Den guten Eindruck des Liegeplatzes kann Sète bei einem ersten abendlichen Spaziergang allerdings noch nicht bestätigen. Erst im Lauf der Zeit – der Mistral hält uns drei Nächte fest – gewinnen wir der Stadt nach und nach etwas mehr ab.
Wir nutzen die Zwangspause zur Erkundung des Umlandes mit einem Mietwagen. Erstes Ziel ist Montpellier – eine dynamisch wachsende Kulturstadt mit knapp 300 000 Einwohnern, von denen über 60 000 Studenten an den drei großen Universitäten sind. Und so umfängt uns auch die Atmosphäre in der Innenstadt: lebendig, musikalisch, jung – es erinnert uns an Aachen mit seiner „sprudelnden Vielfalt“. Zwar drückt die zunehmende Hitze etwas auf die Unternehmungslust, aber das kann uns den Spaß an diesem Ausflug nicht verderben. Besonders beeindruckt uns die Kathedrale Saint-Pierre mit ihrem gewaltigen Eingangsportal.
Außerdem besuchen wir ein echtes touristisches Kleinod: Aigues-Mortes – eine mittelalterliche Kleinstadt innerhalb vollständig erhaltener Stadtmauern. Früher mal als Hafen geplant, liegt es durch Verlandung heute kilometerweit landeinwärts und ist nur noch über Kanäle zu erreichen – unter anderem den hochfrequentierten Canal du Rhône à Sète mit seinen zahlreichen Charterbooten und der sehenswerten Eisenbahndrehbrücke.
Dann hat der Mistral ein Einsehen und lässt uns mit einem Tag Verspätung den Vieux Port von Marseille anlaufen. Schon von Weitem grüßt die hochgelegene Basilika Notre-Dame de la Garde. Marseille habe ich zuletzt vor über 40 Jahren gesehen und bin angenehm überrascht: Was früher ein schmuddeliger Handelshafen war, entpuppt sich heute als schick herausgeputzte, riesige Marina mitten im Zentrum der Stadt. Wir liegen längsseits direkt vor dem alten Rathaus, von wo unzählige Restaurants ohne allzu schweißtreibende Fußwege zu erreichen sind.
Am letzten Abend wird uns noch ein Portemonnaie gestohlen – aus einer mit Reißverschluss gesicherten Tasche. Doch nach einer eher frustrierenden Tour zu Polizei und Fundbüro geschieht am nächsten Morgen, bereits auf See, das schier Unglaubliche: Eine deutsche Stimme meldet sich am Telefon. Die heimatliche Sparkasse ist dran und berichtet, dass eine in Marseille lebende Deutsche eben angerufen habe. Sie hat das Portemonnaie gefunden – ohne Bargeld, aber mit allem sonstigen Inhalt. So chartern wir im nächsten Hafen ein Taxi und holen es noch am selben Tag in größter Eile in Marseille ab. Das trifft sich gut, denn auch meine Schiffspapiere hatte man vergessen, mir zurückzugeben – das hatte ich beim Auslaufen glatt übersehen.
Diese Zeit hätten wir allerdings lieber genutzt, um die Reize unserer nächsten Station voll auszukosten. Die Île des Embiez liegt zwar sehr nah am Festland, ist aber bis heute nur mit einer kleinen Fähre zu erreichen und hat daher ihren wunderschönen, etwas abgeschiedenen Inselcharme behalten. Seit 1958 gehört sie der Familie von Paul Ricard, der durch seinen „Ricard“ – vergleichbar mit „Pernod“ – offenbar in der Lage war, die Insel zu erwerben und zu entwickeln. Selbst für ein kleines, aber feines Weingut ist Platz.
Auf der Weiterfahrt nach Le Lavandou nervt zum wiederholten Male unsere Elektronik mit einer neuen Fehlermeldung: „AIS SRM Alarm – Off Position“. Von Raymarine in Hamburg kommt eine prompte Antwort, die mich auch sofort beruhigt. Offenbar handelt es sich um die Warnmeldung eines anderen Schiffs und nicht unseres Systems – die Mienen entspannen sich wieder.
Den für Le Lavandou im Reiseführer angekündigten „provenzalischen Charme“ suchen wir zwar vergebens. Dafür landen wir im hervorragenden „Planches et Gamelles“ mit der Spezialität Hummerrisotto und genießen zum wiederholten Male die gute französische Küche.
Die Strecke von Le Lavandou in die Bucht von St. Tropez gleicht zunehmend einer Wasserautobahn. Motorgetriebene Fahrzeuge jedweder Couleur überwiegen – je PS-stärker, umso besser. Es wird gebrettert, was das Zeug hält, und entscheidend ist der kürzeste Weg, egal wer da gerade wo herumfährt. Rücksichtnahme ist hier ein Fremdwort – und von „Seemannschaft“ haben zumindest die gnadenlos knatternden Schaumschläger noch nie etwas gehört. Das Wasser in der Bucht kommt selbst bei Windstille nicht zur Ruhe – das braucht wirklich kein Mensch.
St. Tropez selbst ist ständig überfüllt und daher gar nicht erst Zielhafen. Vielmehr haben wir das nahe gelegene Port Grimaud ausgewählt – ein in den Sechzigern entstandener postmoderner Hafenort, der sich am Vorbild Venedigs orientierte und wunderbar gelungen ist. Inzwischen haben die über fünfzig Jahre seines Bestehens Port Grimaud eine natürliche Patina verliehen, sodass immer mehr Touristen von seinen Reizen angezogen werden. Wie manch anderer Hotspot des Mittelmeers muss aber auch Port Grimaud aufpassen, nicht an der eigenen Attraktivität zu ersticken.
Allerdings haben wir bei der Reservierung nicht erkannt, dass es hier drei Yachthäfen gibt. Der, den wir anfunken, hat offenbar keine Reservierung von uns, und der, bei dem wir vermutlich reserviert haben, meldet sich weder am Telefon noch per Funk. So landen wir schließlich im benachbarten Port de Cogolin. Wir lassen unser Dinghy herunter und fahren zum Einkaufen und Sightseeing – in der Tat ein Gefühl wie in Venedig.
Während wir an Bord zu Abend essen, überraschen uns die Marineros mit einiger Selbstherrlichkeit. Ohne nur einen Ton zu sagen, bindet man unser Dinghy los und schleppt es auf die andere Schiffsseite. Man brauche den Platz für ein hereinkommendes Schiff, erklärt man mir – allerdings erst auf meine verblüffte Nachfrage. Das kann man ja verstehen, aber auf der anderen Schiffsseite habe ich keinen Kran. Wie soll ich dann bitte das Dinghy an Bord kriegen? Mürrisch knurrend bringt man das Beiboot wieder herüber, und wir hieven es in Windeseile an Deck, bevor sich der motorisierte Kollege in die Parklücke zwängt.
Und dann kommt Antibes! Die Platzreservierung im Port Vauban gestaltet sich zwar etwas schwierig, aber nach acht bis zehn Telefonaten mit unterschiedlichen Damen bekommen wir schließlich einen Liegeplatz im Port Vieux zugesagt. Und der ist richtig schön: kurzer Fußweg in die Altstadt, nur ein paar Schritte zur Badebucht am Meer und alle Annehmlichkeiten einer großen modernen Marina – Herz, was willst du mehr? Antibes verzaubert uns mit seinem Charme und verkörpert für uns so etwas wie einen maritimen Sehnsuchtsort, an dem wir drei Tage bleiben. Trotz seiner Reize ist Antibes irgendwie „normal“ geblieben – ein ganz normaler Ort für ganz normale Leute. Der Schickimicki-Faktor eines St. Tropez fehlt hier völlig, und auch das mondäne Cannes wirkt deutlich weniger anheimelnd. Antibes ist dagegen genau unsere Kragenweite mit sehr hohem Wohlfühlfaktor – hier sind wir nicht zum letzten Mal gewesen.
Der Port Vieux in Nizza bietet dann erneut ein Kontrastprogramm: Mitten in der Stadt gelegen, spielt sich hier Hafenleben in allen Facetten ab. Ob Fähren nach Korsika, Touristen- oder Taucherboote, Yachten oder Fischerboote. Es gibt ständig etwas zu beobachten – wie bei einem Film auf der Panoramaleinwand.
Bevor wir Nizza verlassen, legt die Megayacht „Savannah“ des schwedischen Milliardärs Lukas Lundin ab. Während des Manövers müssen alle Sportboote in Bereitschaft bleiben, um bei Bedarf ihre Muringleinen zu lösen. Diese Maßnahme hat ihre Ursache wohl in einem Unglück, das sich hier vor einiger Zeit abgespielt haben soll, als ein größeres Schiff sich in den Leinen verheddert und hohen Schaden angerichtet hat.
Heute geht alles glatt, und wir laufen nach Freigabe durch Port Control in Richtung Monaco aus – dem nächsten Highlight unserer Côte-d’Azur-Tour. Vorbei am riesigen Kreuzfahrer „Celebrity Reflection“ in der Bucht von Villefranche-sur-Mer geht es entlang der Küste und vorbei an Cap Ferrat und Cap d’Ail zum Port Hercule im Fürstentum Monaco. Wir werden trotz unserer für hiesige Verhältnisse bescheidenen Abmessungen von der Capitainerie professionell empfangen und erhalten einen sehr schön gelegenen Liegeplatz. Als die Dämmerung einsetzt, entfaltet Monaco seine besonderen Reize. Die großen Superyachten sind majestätisch beleuchtet, und auch an Land verwandeln sich viele der tagsüber unscheinbaren Hochhäuser in glänzende Lichterbäume. Oft vergisst man, dass Monaco nicht zu Frankreich und schon gar nicht zur EU gehört. Aber spätestens beim Telefonieren wird man daran erinnert, dass hier ein kleiner souveräner Staat sein eigenes Ding macht.
Das Wetter ist inzwischen unerträglich schwül geworden. Zur erwarteten Augusthitze gesellt sich eine ungewöhnlich hohe Luftfeuchtigkeit – in Monaco messen wir morgens unglaubliche 91 Prozent! Man braucht sich noch nicht einmal zu bewegen, um in Schweiß auszubrechen. So freuen wir uns über jedes bisschen Fahrtwind und genießen die Weiterfahrt nach Menton. Der charmante französisch-italienische Grenzort, der in seiner Geschichte zwischen den beiden Ländern öfter den Besitzer gewechselt hat, liegt überaus reizvoll und bietet bis heute eine sympathische Mischung der Kulturen beider Länder.
Die große Marina Menton Garavan erwartet uns schon und ist mit ihrer Werft auch ein Kandidat für unser diesjähriges Winterlager. Aber noch ist es nicht so weit – unser letzter Hafen dieses Reiseabschnitts liegt noch vor uns: Sanremo, die Stadt des Musikfestivals und der Blumen. Der große Yachthafen bietet an palmengesäumter Promenade Platz für viele Gäste. Er wäre noch schöner anzusehen, wenn die große alte Bauruine am Hafeneingang endlich verschwunden wäre. Sanremo selbst bietet für jeden etwas: pralles italienisches Leben, eine sehenswerte Altstadt, eine pulsierende Einkaufsstraße oder ein vielfältiges Kulturprogramm.
Wenn wir zurückblicken, haben uns die Preise in den Häfen am meisten verblüfft. Wir hatten an der Côte d’Azur den teuersten Abschnitt des Mittelmeers erwartet. Trotz klingender Namen liegt das Preisniveau der Liegegebühren aber deutlich unterhalb der Costa Brava und nur bei etwa gut der Hälfte der Balearen. Auf den Inseln sitzen die wahren „Piraten“, wie wir auch auf der nächsten Etappe rund um Korsika feststellen werden. Also auf zur Côte d’Azur! Denn was die Attraktivität angeht, scheut diese wunderschöne Küste ohnehin keinen Vergleich.
Amtliche Sportbootkartensätze: NV.Atlas France „FR 9: Cabo Creus to Toulon“ und „FR 10: Toulon to Menton-Monaco“. Übersegler, Revierkarten und Detailpläne, Format: 30 x 42 cm, broschiert, Maßstab: 1 : 150 000/1 : 50 000 (Revierkarten). Download für digitale Karten. Preis: je 49 Euro. nvcharts.com/shop
1. Sehnsuchtsort Antibes: Hafen, Altstadt, Kastell, Markthalle, Restaurants, Badebucht, Picasso-Museum – oder als Ausgangspunkt für Fahrten entlang der Küste, etwa nach Cannes oder Nizza. Darf man auf keinen Fall verpassen!
2. In die Berge: Abstecher zu den nicht weit entfernten malerischen mittelalterlichen Dörfer im bergigen Hinterland der Küste. Zum Beispiel ins berühmte Èze Village, nach Roquebrune oder Peillon.
3. Die Flusstäler: Ausflüge mit Auto oder Bahn in die zum großen Teil naturbelassenen schroffen Täler der Flüsse Var (am besten von Nizza aus) oder Roya (Ventimiglia).
Unser Boot: Marlow Explorer 72 (GFK) · Länge: 23,66 m · Breite: 6,13 m · Tiefgang: 1,45 m · Verdrängung: 63 t · Reisegeschwindigkeit: 10 kn · Reichweite: 3500 sm (6 kn) · CE-Kategorie: A · Motorisierung: 2 x 1000 PS (Diesel)
Das Revier Als Côte d’Azur („Azurblaue Küste“) wird ein Teilstück der französischen Mittelmeerküste bezeichnet. Der Name ist eine Schöpfung des Dichters Stéphen Liégeard, der 1887 ein Buch mit dem Titel „La Côte d’Azur“ veröffentlichte. Bei der Abgrenzung des geografischen Küstenbereichs gehen die Meinungen dagegen ziemlich auseinander. Die engste Definition umfasst nur die Küstenlinie des Département Alpes-Maritimes von der Halbinsel Pointe Nôtre Dame bis nach Menton an der französisch-italienischen Grenze. Andere Quellen beginnen weiter westlich in St. Tropez, Hyères, Toulon oder sogar schon in Cassis bei Marseille. Die Großregion entlang der Küste trägt den Namen Provence-Alpes-Côte d’Azur.
Der westliche Teil der französischen Mittelmeerküste von der Mündung der Rhône bis zur spanischen Grenze ist dagegen Teil der Großregion Occitanie und liegt entlang des rund 90 Seemeilen breiten Golfe du Lion. In diesem Abschnitt werden die flache Küste und ihr Hinterland von großflächigen Feuchtgebieten und Lagunen geprägt. Dazu gehört die als Naturpark ausgewiesene Camargue ebenso wie die großen Binnenseen (Étangs) de l’Or, de Thau, de Leucate und weitere.
Die Anbindung Über die schiffbare Rhône und den im Norden weiterführenden Rhein-Rhône-Kanal (Canal du Rhône au Rhin) ist die französische Südküste mit dem europäischen Binnenwasserstraßennetz und Deutschland verbunden. Der von der Kleinen Rhône abzweigende Canal du Rhône à Sète wiederum stellt das Bindeglied zum Canal du Midi, einem der populärsten Binnencharterreviere Europas.
Der Mistral Während die Küstengewässer navigatorisch bei guter Seemannschaft nicht für größere Probleme bekannt sind (vom hohen Verkehrsaufkommen im Bereich der Häfen einmal abgesehen), kann der Mistral schon eher zum Risiko für den Törnablauf werden: Dieser trockene, kalte Nordwind tritt beim Durchzug einer Kaltfront über Frankreich auf. Er wird zwischen Pyrenäen und Alpen hindurchgepresst und kann durchaus Orkanstärke erreichen. In der Regel muss mit etwa 8 Beaufort gerechnet werden, wobei Stärke und Windrichtung je nach geografischer Lage auch variieren können. Über der offenen See nimmt die Windstärke weiter zu. Eine typische Wetterlage mit Mistral hält durchschnittlich drei bis vier Tage an.