ReiseReif für die Inseln – Unterwegs auf den Bahamas

Christian Tiedt

 · 24.01.2023

Robinson-Moment auf Man-O-War Cay: Mehr Karibik-Feeling geht kaum
Foto: Nils Günter

Im Norden der Bahamas liegt die Sea of Abaco. Eine Kette von Inseln schützt sie vor dem offenen Atlantik. Sie sind unser Ziel auf diesem Entdeckungstörn mit Charterkatamaran

Mit der Havanna in der Hand blickt Ernie hinaus auf den Atlantik. Die Brandung am Riff ist der Abschiedsgruß des letzten Hurricane der Saison. Der Sturm hat die Bahamas erst vor wenigen Tagen überquert. Ernie ist gestern zurückgekehrt. Eigentlich heißt er Dwight und lebt in Austin. Doch sein Spitzname stammt von hier. Auf einer der legendären Partys auf dieser Insel hat er ihn von seinen Freunden bekommen. Das war Ende der Neunziger: „Die fanden, dass ich wie Hemingway aussah.“ Und tatsächlich: die hohen Augenbrauen, der volle, inzwischen silbrig gefleckte Bart, die Zigarre. „Schreibst du auch?“, frage ich. „Um Himmels willen“, antwortet er grinsend und tippt auf sein Smartphone: „Nur Fotos.“ Ich verstehe: Der alte Mann, Instagram und das Meer.

Ernie ist nicht der Einzige, den es immer wieder zu Nipper’s Beach Bar & Grill zieht, wenn er im Norden der Bahamas ist. Die Location hoch oben auf den Dünen von Great Guana Cay ist weit über die Insel hinaus bekannt. Hier strahlt die ganze Farbenpracht der Karibik um die Wette, nicht zuletzt das tropische Gelb in den Gläsern: Nipper Juice, so begehrt, dass die Gäste Thermosflaschen mitbringen, um sie in bester Piratenmanier bis zum Rand mit diesem „Saft“ abfüllen zu lassen. Der hat es in sich. Schließlich will niemand trockenfallen, wenn es nach dem Feiern zurück an Bord geht.

Wir sind nicht so vorbereitet – doch das ist auch ganz gut so. Denn schließlich haben wir noch einiges vor. Unser Landfall hier steht ganz am Anfang unseres Chartertörns durch die Abacos, jene Inseln im Norden der Bahamas, zu denen auch Great Guana Cay gehört. Sollen wir trotzdem mal nippen? „Don’t worry about a thing“, flötet Bob Marley von der Bar. Na, wenn das so ist: Cheers!

Sechs Stunden zuvor: Wir sind unterwegs! Noch begleitet uns die flache Silhouette von Great Abaco Island an Backbord. Tatsächlich ist es eine schmale Halbinsel, auf der Marsh Harbour liegt. Der Ort dient dem Archipel, der neben der rund einhundert Kilometer langen Hauptinsel noch Dutzende kleiner bis kleinster Eilande umfasst, als Verkehrsknotenpunkt. Hier sind wir mit dem Jet aus Atlanta gelandet, und hier befindet sich die Charterbasis von The Moorings, bei der wir unseren Motorkatamaran übernahmen: einen 433 PC. Diese schwimmende Urlaubsplattform lässt auf zwei Rümpfen keine Wünsche offen.

An diesem Ort strahlt die ganze Farbenpracht der Karibik um die Wette

Unser Kurs folgt den empfohlenen Linien, die in unserem „Explorer Chartbook Near Bahamas“ eingetragen sind, südlich um Sugar Loaf Cay herum und dann nach Norden bis Point Set Rock, bevor es in Richtung Nordwesten geht. Das Revier für die nächsten Tage ist die flache Sea of Abaco. Sie bedeckt einen Teil der Little Bahama Bank, eines dicht unter der Oberfläche liegenden Plateaus. Im Osten wird diese meist nur drei bis vier Meter tiefe Lagune durch eine Kette lang gestreckter cays (sprich: „kiehs“) vom offenen Atlantik abgeschirmt. Ihr klares Wasser leuchtet azurblau bis türkis, heller in Richtung Ufer, und wird immer wieder von dunklen Flächen durchzogen.

Dem ground reading, also dem „Lesen des Meeresbodens“ ist im Handbuch sogar eine ganze Doppelseite gewidmet. Da Sände veränderlich sind, kann es bei einem Gezeitenunterschied von einem Meter durchaus auf die richtige Interpretation ankommen. Dunkles Blaugrün bedeutet Bewuchs, nur die seltenen blue holes, die von kräftigem Indigo sind, deuten auf wirklich tiefe Trichter hin.

Das Panorama wird immer wieder unterbrochen von den felsigen Umrissen der Cays, auf denen von der kleinen Hütte bis zum stattlichen Anwesen alles dabei ist. Wie viele Inseln hier wohl in Privatbesitz sind? Im Osten gibt es immer wieder Öffnungen hin zum Atlantik, längst nicht alle dieser channels sind schiffbar. Weiße Brecher zeigen an, wo weit draußen die Barriere der vorgelagerten Riffe verläuft. Jenseits fällt der Grund innerhalb weniger Meilen bis auf tausend Meter Tiefe ab. An diesen Durchgängen spüren wir auch im Inneren mehr Dünung und Strömung.

Andere Boote sehen wir kaum, einen Segler aus Kanada auf Gegenkurs, einige Sportangler, die mit drei und mehr Außenbordern große Welle machen. Die Saison hat noch nicht begonnen. In dreieinhalb Meter Wassertiefe fällt unser Anker schließlich in Fisher’s Bay auf der Innenseite von Great Guana Cay. Motor aus, Badeleiter runter! Mit der Taucherbrille lässt sich die Kette auf dem nur leicht bewachsenen Sandgrund gut verfolgen. Der Haken hat sich vorbildlich eingegraben.

Wenig später ziehen wir unser Dingi auf den warmen Sand und sind endgültig auf den Bahamas angekommen: Palmen, wildes Grün, hölzernes Treibgut. Golf-Carts parken am Strand. Wir folgen der schmalen Straße aus Betonplatten zum Hafen, der fast leer ist, und dann einem handgemalten Wegweiser hinein in den Busch. Wir wollen schließlich zu Nipper’s, der Bar vom Beginn dieser Geschichte. Weitere Holzpfeile auf dem kurzen Stück könnte man so übersetzen: „Hier geht die Zeit rum wie im Flug“ oder „Wa-rum sind die Dinos ausgestorben? Sie hatten nichts zu trinken.“ Wir sind auf dem richtigen Weg.

Einem handgemalten Wegweiser folgen wir hinein in den Busch

Um am nächsten Morgen wach zu werden, springen wir über Bord. Dann geht es Richtung Südosten nach Man-O-War Cay, das schon bald in Sicht kommt. Wir steuern Low Place an, eine kleine Bucht zwischen Corn Bay im Norden und Scopley Rock. Wieder fällt der Anker auf knapp vier Meter Wassertiefe. Da es jetzt nahezu windstill ist, kann man bis zum Grund sehen – und dass unsere Kette ein Datenkabel kreuzt, das über den leicht bewachsenen Boden verläuft. In der Karte ist es nicht eingezeichnet. Beinahe hätten die Insulaner heute auf Netflix verzichten müssen. Erneut wassern wir das Schlauchboot. Die westliche Zufahrt zum Naturhafen von Man-O-War (der Begriff bedeutet Segelkriegsschiff ) erscheint sehr flach. Nils lotet mit dem Paddel: kaum ein Meter Wasser in der Fahrrinne bei halber Tide. Deutlich sind die Furchen zu erkennen, die der eine oder andere Kiel im Sand der Barre hinterlassen hat.

Dahinter tauchen entmastete Segelyachten auf, die an ihren Murings wie vergessen wirken. Sie erinnern an Hurricane Dorian: Im Spätsommer 2019 traf das Auge dieses Monstersturms auf die Abacos. Mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 296 Stundenkilometern, einer sieben Meter hohen Flutwelle und einem Meter Regen schlug er eine Schneise vollkommener Verwüstung. Mindestens 74 Menschen starben, Hunderte sind bis heute vermisst. Zu sehen sind die Zerstörungen kaum noch. Auch hier ragen überall neue Dächer aus der Vegetation.

Was wir bereits über Man-O-War wissen: Ganz im Gegensatz zu ihrer Nachbarin Great Guana ist diese Insel dry, also „trocken“. Alkohol gibt es hier nicht. Was daran liegen mag, dass ihre Gemeinschaft einst von gottesfürchtigen Loyalisten gegründet wurde, Unterstützern der britischen Krone, die nach der amerikanischen Revolution das Weite suchten und es gar nicht so weit entfernt auf den Bahamas fanden. Wir machen am public dock fest und klettern an Land. Die Namen dieser Familien werden wir schon bald herunterbeten können: Albury, Sweeting, Sands, Weatherford. Sie begegnen einem überall hier, der erste gleich am Anleger: Denn die Alburys, oder besser: die Albury Brothers, gründeten auch die erste Bootswerft auf den Bahamas. Gleich drei Werkshallen an der waterfront gehören dazu, gebaut werden offene Sportboote zwischen 18 und 25 Fuß, robuste Runabouts mit klassischen Downeaster-Linien.

Auch der Ort macht einen völlig anderen Eindruck als Great Guana Cay. Wenn die Golf-Carts nicht wären, wähnte man sich in einer Kolonialsiedlung des neunzehnten Jahrhunderts, mit weißen Fassaden in ordentlichen Reihen und gepflegten Gärten davor. Dazu passt das Heritage Center am Queen’s Highway: Das Inselmuseum ist in einem historischen Holzhaus untergebracht, dass dem Hurricane wie durch ein Wunder standgehalten hat. Sein Café, das einzige der Insel, wirkt überaus einladend. Wir gönnen uns lemon cake und iced latte zum Frühstück.

Selbst die Queen war hier schon zu Besuch

Die Ausstellung ist ein wahres Sammelsurium des Lebens auf Man-O-War über die Jahrzehnte: vergilbte Bücher und Bilder (selbst die Queen war hier schon zu Besuch), dazu Alltagsgegenstände von der Waage bis zur Schreibmaschine. Viele davon sind so verrostet, als hätten sie jahrelang auf dem Grund der Lagune gelegen. Dabei ist es nur eine Folge der feuchten, salzhaltigen Luft. Andere wirken wie neu. Die goldene Rolex zum Beispiel, die für immer erstarrte, als Dorian die Zeit anhielt.

Wir überqueren die Insel und treffen nahe an der Atlantikseite auf den Friedhof. Frische Blumenkränze und Grabsteine im Dünensand, ein ungewohnter Anblick. Dahinter der urwüchsige Strand, begrenzt von Buschwerk und Palmen. Bis zu den Knöcheln sinkt man im weichen Brandungsstreifen ein, immer wieder schäumt die Gischt um die Knie, und es scheint, als wolle sie hinausziehen, was sie einmal zu fassen bekommen hat. Es ist unser Robinson-Moment. Nach einigen Hundert Metern endet der Weg an scharfkantigen Felsen. Ein Blick zum Horizont, hinter dem mehr als dreitausend Seemeilen liegen, dann kehren wir um. Unsere Spuren hat sich längst das Meer geholt.

Fortsetzung folgt demnächst.


Service

 | Karte: Christian Tiedt

Törnetappen

S Marsh HarbourGreat Guana Cay: 12,5 sm

  1. Great Guana Cay Man-O-War Cay: 7,5 sm
  2. Man-O-War CayElbow Cay: 6,5 sm
  3. Elbow Cay Little Harbour: 19,5 sm
  4. Little HarbourMarsh Harbour: 15,5 sm

Z Marsh Harbour

Gesamtstrecke: 61,5 sm

Literatur

Revierhandbuch The Cruising Guide to Abaco 2022“ (erscheint jährlich, an Bord vorhanden) von Steve, Jon und Jeff Dodge. White Sound Press; 176 S., 84 Revierkarten und -detailpläne, 88 Fotos, Revier- und Hintergrundinfos, Gezeitentabelle, Wegpunkte, Format 28 x 22,5 cm, spiralgeb.; 45,60 €. Bezug über: www.hansenautic.de

Sportbootkarten NV Atlas Bahamas 9.1 Northwest“ (2022/23) von NV Charts; 26 S., 7 Übersegler, 16 Revierkarten, Format A3, geheftet, mit Marinaguide (50 S., A4); 69,80 €. www.nvcharts.com

UNSER BOOT: Moorings 433 PC (Motorkatamaran) · Länge: 13 m · Breite: 6,72 m · Tiefgang: 1,00 m · Reisegeschwindigkeit: 8 kn · Motor: 2x 320 PS (Diesel) · Plotter · Dingi in Davits · Generator · Wetbar/Grill · Kabinen: 3 (3 Doppelkojen) · Dusche/WC: 2 · Preisbeispiele für eine Charterwoche: ab 8644 Euro (Start: 1. November 2023), ab 11.774 Euro (Start: 1. April 2024)

CHARTERN: Der Stützpunkt Marsh Harbour auf Great Abaco in den Abacos ist Teil des weltweiten Charterangebots von The Moorings. Das Unternehmen verfügt in den Bahamas über eine zweite Basis in Nassau (das Revier sind die Exumas) und noch über fünf weitere in der Karibik. Informationen: The Moorings, Theodor-Heuss-Str. 53–63, Eingang B, 61118 Bad Vilbel, Tel. 06101-55 79 15 22. www.moorings.de

Nautische Informationen

Das Revier: Über knapp 100 Kilometer erstreckt sich die Sea of Abaco vor der Ostküste der Insel Great Abaco. Im Osten wird die Salzwasserlagune durch eine Kette lang gestreckter Cays vom offenen Nordatlantik abgegrenzt. Auf der Seeseite sind wiederum Korallenriffe vorgelagert. Die Sea of Abaco ist größtenteils flach (zwei bis vier Meter) mit gleichmäßigem Bodenprofil, was die Navigation zum einen erleichtert, aufgrund des mittleren Tidenhubs von rund einem Meter aber nicht nur in sehr flachen Bereichen besondere Umsicht bei der Navigation voraussetzt. Fahrwasser sind auf der Karte ausgewiesen, Betonnung ist jedoch kaum vorhanden. Alle Skipper benötigen einen entsprechenden nautischen Befähigungsnachweis ihres Heimatlandes.


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