Etwa 40 Kilometer flussaufwärts, am Südufer des Bielersees, bereiten ebendiese Dampfbootfreunde, Ralph und Isabelle Sahli, ihre „Isle of Jura“ auf eine Ausfahrt vor. Abgesehen vom Grundprinzip des Antriebs durch Wasserdampf hat die „Isle of Jura“ nicht viel mit der „St. Urs“ gemeinsam. Der erst 22 Jahre alte Bootsrumpf stammt aus einer Werft am Bodensee und wurde in Ralph Sahlis Auftrag anderthalb Meter länger gebaut als für diesen Typ üblich, um Platz für Kessel und Maschine zu schaffen. Letztere ist in diesem Fall eine Eigenkonstruktion.
Gemeinsam mit seinem Vater fräste, bohrte und tüftelte der Maschinenbauer in der hauseigenen Feinmechanikerwerkstatt. „Die Zylinder gab es als Rohguss von einer Gartenbahn-Lok“, erzählt Sahli. „Ich hatte schon einige Erfahrung mit Dampflokomotiven. Bei einem Ausflug nach Brienz Ende der 90er-Jahre platzten wir zufällig in ein Dampfboottreffen. Und da war es sozusagen um mich geschehen.“ Sehr zur Freude seiner Frau Isabelle: „Er hatte damals eigentlich vor, sich zum 50. Geburtstag eine Harley zu kaufen. Stattdessen wurde es ein Dampfboot. Das war mir viel lieber.“ Das Dampfbootfahren wurde zum gemeinsamen Hobby. Auch weil man zum Fahren immer zwei Leute braucht: einen zum Steuern und einen zum Heizen. Das Know-how war schnell angeeignet. Zwei, drei Mitfahrten – und die Sahlis wussten, wie es geht.
Weil sie so umweltfreundlich sind, dürfen Dampfboote auch auf Trinkwasserseen fahren. So schön das Schweizer Seenland auch ist, hin und wieder packen die Sahlis ihre „Isle of Jura“ auf den Trailer, um fremde Gewässer zu erkunden. So waren sie schon auf dem Bodensee, der Mosel, der Lahn und sogar vor der Küste von Monaco unter Dampf unterwegs. „Die Classic Week in Monaco war mal etwas anderes, mit dem Seegang und dem Salzwasser“, erzählt Isabelle Sahli. „Wir hatten einen Süßwassertank vorne, um den Kessel zu befüllen.“ Die meiste Zeit allerdings ist die „Isle of Jura“ am Fuße des Gebirges unterwegs, das auch in ihrem Namen steckt. Häufig machen die Sahlis Ausfahrten mit anderen Dampfbootlern, wie den Schmids, zum Ankern und Baden auf dem Neuenburgersee und auf dem Murtensee. „Das Schöne ist die erzwungene Langsamkeit“, erklärt Ralph.
Man muss sein Timing der Technik anpassen. Man kann nicht einfach an Bord gehen, den Schlüssel umdrehen und losfahren. Das dauert gut eine Dreiviertelstunde, den Kessel anzuheizen. In der Zeit trinkt man halt noch ein Bier.
Das Heizen ist eine Kunst für sich. Würde man zu schnell hochheizen, würde der heiße Dampf in der noch kalten Maschine kondensieren. Behutsam wird die Maschine langsam aufgewärmt, indem die Ventile nach und nach geöffnet werden. Sicherheitsventile sorgen dafür, dass der Druck nicht zu hoch steigt. Im schlimmsten Fall könnte man sonst den Zylinderblock spalten. Eine Respekt einflößende Vorstellung für Laien. Doch die Sahlis sind tiefenentspannt und vertrauen der Konstruktion zu 100 Prozent. Im Gegensatz zur „St. Urs“ hat die „Isle of Jura“ keinen Außenkondensator, wo das Wasser durch ein Kupferrohr außen am Schiff abgekühlt wird, sondern einen Innenkondensator. Das abgekühlte Wasser wird über eine Pumpe zurück in den Kessel geführt. Der geschlossene Wasserkreislauf ist das Grundprinzip aller Dampfbootmaschinen. Nur durch das „Dampfablassen“ geht eine geringe Menge durch den Schornstein verloren.
„Das Wichtigste am Dampfbootfahren ist das vorausschauende Fahren“, erklärt Isabelle Sahli. „Wenn der Druck steigt, weil man ständig nachheizt, kann man nicht einfach zum Ankern anhalten. Rechtzeitig bevor wir anlegen wollen, lassen wir den Kessel runterkühlen. Aber natürlich auch nicht so sehr, dass wir nicht mehr ans Ziel kommen. Das ist die Kunst. Bei der Abfahrt kann man auch nicht lange auf verspätete Passagiere warten. Irgendwann muss man ablegen oder die ganze Energie durchs Pfeifen wieder verlieren. Das will man ja nicht. Aber immerhin freuen sich dann ein paar Passanten.“
Die Vereinigung Schweizer Dampfbootfreunde zählt etwa 140 Mitglieder und rund 40 Dampfboote, von denen allerdings nicht alle betriebsfähig sind. Regelmäßig trifft sich die Community, um gemeinsam auszufahren und sich auszutauschen. „Und jedes Schiff ist anders, keins ist genau gleich“, schwärmt Ralph Sahli. Das Interesse und die Faszination für Dampfboote bei anderen Leuten zu sehen, hat die Sahlis und Schmids dazu bewegt, kommerzielle Fahrten durchzuführen: In einer Eignergemeinschaft bieten sie Fahrten auf dem historischen Dampfschiff „Sirius“ an, das im Übrigen auch aus der Harburger Schlosswerft stammt. Zwei bis drei Mal die Woche fahren sie während der Saison voll besetzt raus auf den Murtensee. Die Gäste sind zum Großteil Touristen. Nostalgie, Gemütlichkeit und begreifbare, sichtbare Technik: Das ist es, was sie anzieht. Und dass man immer etwas zu tun beziehungsweise zum Gucken hat: nachheizen, Druck und Wasserstand kontrollieren, die Maschine ölen. Und das alles vor der idyllischen Kulisse des Juragebirges, das sich entlang der Westufer der drei Seen erstreckt.