Marcus Krall
· 23.04.2023
Köche von Weltklasse, rustikale Abenteuer und eine atemberaubende Natur: Norwegen bietet frische Routen für neugierige Superyachteigner. BOOTE EXCLUSIV stellt das hochinteressante Reiseziel vor.
„Norwegen im Oktober?“ Meine Bekannten von der Côte d’Azur tippen sich an die Schläfen. „Möchtest du depressiv werden? Komm lieber runter nach Monaco. Wir müssen eine Yacht überführen.“
Das Angebot klingt gut, doch das Neuland lockt. Norwegen schickt sich gerade an, verstärkt große Yachten in den hohen Norden zu lotsen. „Superyacht Norway“ heißt die eigens dafür gegründete Organisation, und Ola Hiis Bergh ist ihr Marketing-Frontmann. Und entgegen aller Befürchtungen begrüßt uns der ehemalige Tourismusdirektor Bergens in seiner Heimat – einer der regenreichsten Großstädte Europas (240 Tage/Jahr) – bei strahlendem Sonnenschein. „Ich glaube, das Land möchte Werbung für sich machen“, sagt er in lupenreinem Deutsch, schmunzelt und lässt das Programm per Blitzstart beginnen – wir können nur wenige Tage bleiben, möchten aber möglichst viel sehen. Auf der Fahrt in die Stadt erklärt Hiis Bergh kurz die Historie von Superyacht Norway. Gerade einmal zwei Jahre alt ist der Verbund, der von verschiedenen Agenturen und Restaurants finanziert wird und vor allem Lobbyarbeit für die dünn besiedelte Destination (5,2 Millionen Einwohner auf 385 000 Quadratkilometern) betreibt. „Den Grundstein dafür“, so erklärt unser Fahrer, „habe ich quasi unbewusst während meiner Zeit als Tourismusdirektor gelegt.“ Als die Kreuzfahrtbranche in Europa noch in den Kinderschuhen steckt, gründet Hiis Bergh „Cruise Norway“, einen Zusammenschluss von Häfen und Anlegern, um sich bei den Reedereien besser präsentieren zu können, die dann ihre Schiffe gen Norden und nicht nur in das Mittelmeer schicken sollen. „Die Initiative war extrem erfolgreich und hat Norwegen wohl Hunderttausende von zusätzlichen Touristen beschert“, so Hiis Bergh, der nach seiner Pensionierung – der Mann ist nämlich inzwischen über 80 Jahre alt! – als Kreuzfahrt-Consultant weiterarbeitet.
Die Anfrage von Inge Halstensen aus Bekkjarvik, rund 25 Seemeilen südlich von Bergen, bringt dann das Thema Superyacht endgültig ins Rollen. Halstensen möchte mit seinem Hotel samt angeschlossenem Restaurant auch gern vom Kreuzfahrtboom profitieren. Die Anlage stellt sich jedoch als zu klein für die inzwischen sehr voluminösen und mitunter mit vielen Tausend Passagieren besetzten Schiffe heraus. „Hier hast du keine Kapazität für mehr als 500 Gäste“, lautet das Resümee von Hiis Bergh. Er schlägt dem sichtlich enttäuschten Halstensen jedoch eine Alternative vor: Große Yachten könne man hier sehr wohl unterbringen. Halstensen – vom Naturell her vielleicht noch etwas zurückhaltender als der gemeine Norweger – soll förmlich gejubelt, Hiis Bergh jegliche Unterstützung zugesagt, aber auch zur Bedingung gemacht haben, dass sich Halstensen um den Aufbau einer gewissen Infrastruktur kümmere. „Mit nur einem Satz“, so Hiis Bergh, „hatte ich quasi einen neuen Job.“
Inzwischen rollen wir durch die Innenstadt Bergens. Es steht an: ein Lunch auf dem Fischmarkt („Fisketorget“ auf Norwegisch) sowie eine Fahrt mit der Fløibanen, die auf einen der sieben Hügel führt, die Bergen umgeben und der 280 000-Einwohner-Stadt eben so viel Regen bescheren, weil die Wolken an ihnen hängen bleiben. Es sind zwei empfehlenswerte Programmpunkte: Auf dem Fischmarkt gibt es einen Crashkurs in Sachen Nordmeer-Seafood, das auch auf die Yachten geliefert wird – selbst die langbeinigen Königskrabben –, und vom 320 Meter hohen Fløyen überblicken wir die Stadt und insbesondere die Anleger für die großen Yachten. Zentraler, das wird von hier oben klar, kann man in Bergen eigentlich nicht residieren. Gigayachten wie „A“ oder „Eclipse“, die beide schon hier waren, ankern oder legen am Festingskaien an. Mehrere bis 60 Meter lange Formate machen direkt vor dem 4-Sterne-Hotel „Havnekontoret“ fest und befinden sich damit nur wenige Schritte von der historischen Tyskebryggen (Deutsche Brücke) und ihren Handelshäusern aus der Hanse-Zeit entfernt.
Hier versteckt sich in einer Seitenstraße auch die Silbermanufaktur „Arven“, die unter anderem an das norwegische Königshaus liefert, für nahezu jedes Budget Produkte bietet und (nach Voranmeldung) auch Rundgänge in der Produktion erlaubt. Der weibliche Teil unserer kleinen Reisegruppe muss jedenfalls mit sanftem Druck nach draußen gedrängt werden – es geht schließlich weiter gen Norden.
Kalvåg, rund 100 Seemeilen von Bergen entfernt, heißt das nächste Ziel. Von hier aus werden wir uns dann wieder gen Süden orientieren. Vier Stunden benötigt die Speedfähre bis zum Anleger unweit des kleinen Fischerdorfs, dessen Attraktion an diesem dunklen Abend noch hell erleuchtet ist. Das Restaurant „Knutholmen“ der Familie Fosse wirkt dabei fast ein wenig unwirklich. Während in den Gassen kein Leben zu spüren ist, sitzen im „Knutholmen“ trotz später Stunde noch einige Norweger und trinken (sündhaft teuren) Wein. „Willkommen“, strahlt Svein Inge Fosse, Seniorchef des „Knutholmen“, und lässt den „Catch of the day“ auftischen. Seine Tochter Martina, jung, aber schon preisgekrönt, hat Heilbutt mit Roter Bete und jungen Kartoffeln kombiniert. Auf einer Skala der besten Fischgerichte meines Lebens belegt dieser Teller einen Platz unter den Top Ten. „Wartet mal ab“, relativiert ihr Vater indes, „morgen veranstalten wir hier ein Seafood-Büfett. Das loben sogar die Einheimischen.“
Der nächste Morgen. Kalvåg präsentiert sich äußerst farbenprächtig. Weiße, rote, grüne und gelbe Holzhäuser, sogenannte Rorbuer, flankieren den sehr geschützten Hafen, der früher der Schifffahrt als Schlechtwetterzuflucht diente. Es gibt zwei Galerien, einen Supermarkt, sogar ein Spa sowie natürlich das „Knutholmen“, wo Svein Inge Fosse bereits die Überlebensanzüge parat gelegt hat. Es geht zum Hummerfang, das avisierte Seafood-Büfett muss noch aufgestockt werden. Nur jetzt, im Oktober/November, ist es Privatpersonen ohne gewerbliche Lizenz erlaubt, bis zu zehn Hummerkörbe auszulegen – am guten Bestand soll sich schließlich noch die nächste Generation erfreuen. „Hierher“, sagt Fosse, als wir zwischen den Felsen die Hummerkörbe aus dem Wasser ziehen, „habe ich auch schon Yachteigner mitgenommen. Den macht dieses Ursprüngliche sichtlich Spaß.“
„Savannah“, „Northern Star“, „Luna“, „Kamalaya“, „Ilona“ und „Serene“ hatte er schon vor Ort. Bis zu 140 Meter Yacht passen an den Kai. Ankern ist natürlich auch möglich. Es kann zollfrei getankt, Security bereitgestellt, ein Helikopter geordert und natürlich jegliche Art von Entertainment organisiert werden. „Für den ,Serene‘-Eigner und seine Gäste haben wir beispielsweise ein Dinner an einem einsamen Strand organisiert, für einen anderen Yachteigner ein Lunch auf einem Felsen mit Blick auf den offenen Atlantik.“ Die Langleinen-Fischerei käme ebenfalls sehr gut an, so Fosse. „Ich lege die Leine tags zuvor aus, sodass die Gäste am Folgetag auch wirklich etwas fangen und dann abends bei uns essen können.“
Auch wir sind erfolgreich und ziehen drei Hummer, mehrere Fische und reichlich Taschenkrebse aus den Körben. Abends liegen sie bereits auf dem Büfett, das tatsächlich seinesgleichen sucht und erneut Martinas Kochkünste untermauert. Wer allerdings hofft, bei ihr demnächst auf Ibiza oder in Monaco speisen zu können, muss enttäuscht werden. Die Küchenchefin baut gerade ein Haus in Kalvåg!
Am nächsten Morgen hat ein Bekannter Fosses mit seiner gut 20 Meter langen Fleming direkt vor dem „Knutholmen“ festgemacht. Er lädt zur Besichtigung ein, doch wir müssen weiter gen Süden.
Das nächste Ziel heißt Gudvangen am Nærøyfjord, einem 18 Kilometer langen Nebenarm des gigantischen Sognefjords und gleichzeitig Weltkulturerbe. Wir fahren aus Zeitgründen mit dem Auto, per Yacht wären es von Kalvåg 141 Seemeilen. Etwa auf der Hälfte des Weges nach Bergen müsste der Kapitän in den Sognefjord – übrigens der tiefste Europas (bis 1308 Meter!) – abbiegen und dann zwischen rund 1000 Meter hohen Felsen ans südöstliche Fjordende in Richtung Bakka und Gudvangen fahren. Hier, im schmalsten Fjord Europas, kann geankert oder im sehr ursprünglichen Dorf Bakka mit maximal 50 Yachtmetern festgemacht werden.
Wenngleich Gudvangen die etwas bessere Infrastruktur bietet, lautet die BOOTE EXCLUSIV-Empfehlung für diese Region Bakka. Hier bleibt man vom Kreuzfahrttourismus und den Passagieren der Hybridfähre weitgehend verschont und kann problemlos mit dem Tender das brandneue Wikingerdorf oder die magischen Höhlen in und bei Gudvangen besuchen. Für beide Attraktionen seien, so heißt es, vollkommen individuelle Programme wie private Konzerte oder Wikinger-Dinner vereinbar.
Im nur 20 Meilen entfernten Flåm, unserem nächsten Etappenziel durch Fjord-Norwegen, bietet sich eine ähnliche Struktur wie in Gudvangen. Der Ort ist vornehmlich auf Kreuzfahrttouristen ausgerichtet. Es steht ein 80 Meter langes Dock für Yachten bereit, an dem auch „Smeralda“ bereits für 14 Tage lag.
Ruhiger geht es indes im benachbarten Aurland unterhalb des Aussichtsfelsens Stegastein zu. Ein Helipad im Ort erleichtert spontane An- und Abreisen. Per Beiboot ist Flåm in wenigen Minuten erreicht. Jon Olav Stedje heißt dort der Marina-Manager, der mit seinem Team im näheren Umkreis für Adrenalinschübe jeglichen Levels sorgen kann. „Wir organisieren für unsere Gäste Ski- und Kletterausflüge, Paragliding, Skydiving oder Lachsangeln.“ Auch RIB-Touren, Besuche auf örtlichen Farmen oder ausgedehnte Trekkingtouren stehen auf der Liste möglicher Aktivitäten. „Wer danach etwas zu feiern oder zu verarbeiten hat, für den reservieren wir die örtliche Brauerei“, schmunzelt Stedje und zeigt auf ein kirchenähnliches Gebäude unweit des Anlegers, wo preisgekröntes und derzeit sehr angesagtes Craft Beer hergestellt wird. Wer sein Geld möglichst „zielführend“ anlegen möchte, bestellt das „Tors Hammer“ mit 13,2 Prozent!
Wir entscheiden uns hingegen für eine andere Attraktion und fahren mit der Eisenbahn hinauf nach Myrdal. Die sogenannte Flåmbahn legt auf diesen 20 Kilometern über 800 Höhenmeter zurück, fährt durch 20 Tunnel und bietet fantastische Ausblicke. An der Strecke, die Anschluss an das internationale Schienennetz bietet, wurde von 1923 bis 1944 gebaut; für einen Tunnelmeter benötigten die Arbeiter früher rund einen Monat. Wer hier heute mit einer gewissen Privatsphäre durchrollen möchte, kann übrigens einen ganzen Waggon für sich reservieren.
Auch unser Norwegen-Shuttle, gesteuert von Ola Hiis Bergh, rollt weiter durch die beeindruckende Landschaft. Vom Sogne- geht es an den Hardangerfjord und dort direkt nach Norheimsund. Das örtliche maritime Museum bietet einen Blitzrundgang, verdient danach durchaus das Prädikat „sehenswert“ und bietet – für historisch affine Eigner interessant – die rund 15 Meter lange Gentleman’s-Yacht „Faun“ zur Tagescharter samt Besatzung an. Rund 300 Euro pro Stunde kostet die geschichtsträchtige Ausfahrt, auf der auch für die passende Bewirtung gesorgt werden kann. Wir lernen dabei etwa, dass die Orte rund um Norheimsund für Obstanbau und Apfelsaft landesweit berühmt sind. Nahezu jeder Hof produziert eine eigene Geschmacksnote, und wohl jeder Norweger hat darunter seinen ganz eigenen Favoriten.
Unseren entdecken wir in Lofthus, wo das Hotel „Ullensvang“ zum Superyacht-Norway-Konglomerat gehört und einen Saft serviert, der die deutschen Bioladen- und Reformhaus-Produkte blass aussehen lässt. Seit 1846 wird das Hotel, inzwischen in fünfter Generation, von der Familie Utne betrieben und ist seitdem von zwei auf 344 Betten erweitert und mit einem 40-Meter-Anleger sowie einem Helipad ausgestattet worden. Ein Highlight ist der 88 Meter lange (!) Außenpool, der – beleuchtet und beheizt – an einem kalten Spätherbsttag ein spektakuläres Badeerlebnis bietet; der andere Höhepunkt verbirgt sich in den Gewölben des preisgekrönten Hotels. Es ist der Weinkeller des „Ullensvang“, der nicht nur bloßes Lager für edle Tropfen – etwa seltene Veuve Clicquot Ponsardin – ist, sondern gleichzeitig ein privates Speisezimmer. „Der Tisch in der Mitte“, erklärt uns der Maître d’hôtel, „wurde früher von Apfelbauer zu Apfelbauer weitergegeben. Daran wurden hier im Ort alle Feste gefeiert. Irgendwann hat ihn sich die Familie Utne dann gesichert und hierhergestellt.“ Die Atmosphäre hier unten ist jedenfalls äußerst festlich und eignet sich hervorragend für einen besonderen Anlass.
Ein weiterer kulinarischer Höhepunkt der Tour steht bei unserem letzten Stopp an. In Bekkjarvik, der Gründungsstätte von Superyacht Norway, betreibt die Familie Johannessen die „Bekkjarvik Gjestgiveri“, wo kein Geringerer als quasi der „Koch-Weltmeister“ von 2015 am Herd steht. Ørjan Johannessen gewann zu dem Zeitpunkt die Goldmedaille beim Bocuse d’Or, dem wohl prestigeträchtigsten Kochwettbewerb der Welt, der nur alle zwei Jahre stattfindet. „Seit dem Sieg“, sagt Johannessen, „haben die Reservierungsanfragen im Restaurant stark zugenommen.“ Sogar anbauen musste man und kann nun rund 250 Gäste bewirten. Geboten wird, was die Fischer frisch anliefern; zu den immer verfügbaren Klassikern gehören die Fischsuppe, der Seeteufel und das Fleisch der auf der Insel frei laufenden Schafe. Die drei Letztgenannten probieren wir allesamt und lassen die leeren Teller mit einem „Exzellent“ zurückgehen. Dass Johannessen zum Zeitpunkt des Törns vor Ort weilt, ist Glück. Normalerweise reist er im Herbst und Winter; inzwischen wird er weltweit für Events gebucht. Catering für Yachten, so sagt er noch, bevor er wieder zurück in die Küche muss, sei natürlich möglich und auch schon gebucht worden.
Am Kai von Bekkjarvik, das der Fischereiunternehmer Inge Halstensen für den Tourismus erschlossen hat, können dabei drei bis zu 70 Meter lange Yachten festmachen. An Land erwarten Eigner und Gäste dann ein Shoppingcenter samt Spa, Outdooraktivitäten und natürlich die Gjestgiveri, die beinahe allein einen Norwegenbesuch wert ist.
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 02/2017 von BOOTE Exclusiv.