RevierUSA Maine

Christian Tiedt

 · 27.09.2021

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Foto: Morten Straucht

Down East: Die Atlantikküste im äußersten Nordosten der USA verläuft weit weg vom Alltag. Freizeit und Freiheit liegen dafür umso dichter beieinander

Als die Vereinigten Staaten noch jung waren und das Landesinnere kaum erschlossen war, dienten Schiffe als das wichtigste Kommunikationsmittel zwischen den ehemaligen Kolonien. Besonders Boston entwickelte sich zum Zentrum des schnell zunehmenden Handels entlang der Atlantikküste. Segler, deren Bestimmungshäfen in Maine lagen, nahmen von dort aus Kurs nach Osten. Dabei hatten sie den vorherrschenden Wind im Rücken, eine meist rasche und unkomplizierte Passage für Besatzungen und Passagiere, downwind eastward. Verkürzt wurde daraus down east, und diese Bezeichnung stand bald nicht mehr nur für die verheißungsvolle Reise selbst, sondern auch für deren Ziel. Sie blieb erhalten. Wer heute von Down East spricht, versteht darunter meist die östliche Hälfte des Bundesstaates Maine, von der weiten Penobscot Bay bis hinauf nach Kanada, eine Strecke von rund 120 Seemeilen in annähernd gerader Linie. Das Bild, das sich dabei von Bord bietet, hat sich seit den Anfängen der Nation nur wenig verändert: Der Nordatlantik brandet noch immer an eine wild zerklüftete, dicht bewaldete Felsküste. Granit, von Gletschern geformt. Vorgelagerte Inseln und historische Leuchttürme sind Wegmarken und wichtige Fixpunkte zugleich. Hinter diesem schroffen Äußeren jedoch verbirgt sich in mancher Hinsicht das Paradies. Wer auf eigenem Kiel kommt, entdeckt geschützte Buchten und lebendige Häfen, in denen die maritime Tradition weiter hochgehalten wird. Und das alles inmitten prachtvoller Natur. Da überrascht es kaum, dass diese äußerste Ecke des Landes nicht nur für die lo­kale Sportbootszene, sondern weit über ihre Grenzen hinaus eine geradezu magische Anziehungskraft besitzt. Let’s go Down East!

Noch mehr Informationen? Den Revierbericht "Down East" finden Sie mit weiteren Bildern in BOOTE-Ausgabe 10/2021 seit dem 15.09.2021 am Kiosk oder online im Delius Klasing-Shop.

Auch wenn die Region keine fest definierten geografischen Grenzen hat, beginnt sie für viele im Westen mit der Penobscot Bay. Die Bucht eignet sich schon deshalb dafür, weil sie im wahrsten Sinne einen Einschnitt markiert: Aus den dichten Wäldern des Hinterlandes kommend, mündet der Penobscot River hier auf breiter Front in den Golf von Maine. Vor 10 000 Jahren, als der Meeresspiegel noch sehr viel niedriger lag, verzweigte sich der Fluss hier in sumpfigem Flachland in eine Vielzahl von Mündungsarmen. Dann stieg das Wasser wieder, und das Delta versank. An seiner Stelle blieb jener markante Trichter zurück, der nahezu dreißig Seemeilen ins Land hineinreicht und auf der Seeseite ebenso breit ist. Eine Vielzahl von Inseln liegt über seine Wasserfläche verstreut. Von den beiden größten, Deer Island und Vinalhaven, verfügt besonders die Letztere mit Carvers Harbor über einen sehr aktiven Stützpunkt des wirtschaftlich sehr bedeutsamen Hummerfangs.

Der Yachtsport auf der Penobscot Bay konzentriert sich dagegen in den Kleinstädten entlang ihres Westufers. Wo früher die Holzindustrie boomte und in guten Jahren ganze Flotten von Schonern vom Stapel liefen, hat der Tourismus das Ruder übernommen: Im Sommer verdreifacht sich die Einwohnerzahl von Orten wie Belfast, Camden und besonders Rockland. Dem maritimen Erbe hat das keinen Abbruch getan. Es wird umso engagierter gepflegt, besonders in den gastfreundlichen Yachtclubs. Daneben scheint die Ferienzeit zudem ein einziges Fest zu sein, meist mit direktem – oder zumindest indirektem – Bezug zum Meer. So lockt Rockland zum North Atlantic Blues Festival, Camden zum Windjammer Festival, Belfast zum Harbor Fest. Kein Abend im August ohne Feuerwerk!

Doch sobald man dem Wind weiter folgt, kehrt die Ruhe zurück: Im Osten wird die Penobscot Bay von Mount Desert Island begrenzt, der größten Insel Maines. Als der Entdecker Samuel de Champlain zu Beginn des 17. Jahrhunderts vor der Küste kreuzte, benannte er sie nach ihren kahlen Bergrücken, monts déserts. Tatsächlich ist der Gipfel des 466 Meter hohen Cadillac Mountain der höchste Punkt entlang der gesamten US-Ostküste – und während des Winterhalbjahres der erste Ort, der von den Strahlen der aufgehenden Sonne berührt wird.

Davon abgesehen ist Mount Desert allerdings alles andere als eine Wüstenei – im Gegenteil. Der Großteil ihrer Fläche gehört zum Acadia National Park. Die Siedler, die ihrem französischen Landsmann nachgefolgt waren, hatten bei ihrer Ankunft in der neuen Welt geglaubt, das Paradies auf Erden gefunden zu haben: Acadié, das mythische Arkadien. Auch dieser Name ist geblieben. Wer den Pfaden des Parks für ein paar Stunden zwischen Rotfichten, Hemlocktannen und Pinien hindurch folgt oder einen Nachmittag am perfekten Strand von Sand Beach verbringt, weiß warum. Für Bootsurlauber ist Mount Desert aber nicht nur aufgrund der grünen Idylle ein verlockendes Ziel: Dass die Insel im Sommer zu einem meet and greet für Yachten aller Größen wird, liegt auch an ihren drei hervorragenden Häfen: Southwest und Northeast Harbor bieten sowohl geschützte Bojenfelder und Steganlagen mit vollem Service. Dazu kommt Bar Harbor, das nicht nur der touristische Dreh- und Angelpunkt der ganzen Region ist (selbst Kreuzfahrtschiffe schauen hier vorbei), sondern sogar landesweit bekannt. Natürlich gibt es gleich an der waterfront auch ein Geschäft, dass 365 Tage im Jahr Weihnachtsartikel verkauft – obwohl Santa Claus am Nordpol wohnt und nicht in Maine. Ein bisschen Kitsch muss eben sein. Gegen ein Blueberry Ale oder Coal Porter bei der Atlantic Brewing Company ist nach einem anstrengenden Tag im Paradies dagegen aber wirklich nichts einzuwenden. Schließlich braucht man neue Energie, wenn am Abend die Zangen gezückt werden für die Schlacht am Hummerbuffet!

Ein Elch auf dem Dach und Hummerscheren an der Fassade, damit auch die Kreuzfahrtpassagiere sofort merken, dass sie in Maine gelandet sind. Die High Street von Bar HarborFoto: Morten Strauch
Ein Elch auf dem Dach und Hummerscheren an der Fassade, damit auch die Kreuzfahrtpassagiere sofort merken, dass sie in Maine gelandet sind. Die High Street von Bar Harbor

Davon abgesehen ist Mount Desert allerdings alles andere als eine Wüstenei – im Gegenteil. Der Großteil ihrer Fläche gehört zum Acadia National Park. Die Siedler, die ihrem französischen Landsmann nachgefolgt waren, hatten bei ihrer Ankunft in der neuen Welt geglaubt, das Paradies auf Erden gefunden zu haben: Acadié, das mythische Arkadien. Auch dieser Name ist geblieben. Wer den Pfaden des Parks für ein paar Stunden zwischen Rotfichten, Hemlocktannen und Pinien hindurch folgt oder einen Nachmittag am perfekten Strand von Sand Beach verbringt, weiß warum. Für Bootsurlauber ist Mount Desert aber nicht nur aufgrund der grünen Idylle ein verlockendes Ziel: Dass die Insel im Sommer zu einem meet and greet für Yachten aller Größen wird, liegt auch an ihren drei hervorragenden Häfen: Southwest und Northeast Harbor bieten sowohl geschützte Bojenfelder und Steganlagen mit vollem Service. Dazu kommt Bar Harbor, das nicht nur der touristische Dreh- und Angelpunkt der ganzen Region ist (selbst Kreuzfahrtschiffe schauen hier vorbei), sondern sogar landesweit bekannt. Natürlich gibt es gleich an der waterfront auch ein Geschäft, dass 365 Tage im Jahr Weihnachtsartikel verkauft – obwohl Santa Claus am Nordpol wohnt und nicht in Maine. Ein bisschen Kitsch muss eben sein. Gegen ein Blueberry Ale oder Coal Porter bei der Atlantic Brewing Company ist nach einem anstrengenden Tag im Paradies dagegen aber wirklich nichts einzuwenden. Schließlich braucht man neue Energie, wenn am Abend die Zangen gezückt werden für die Schlacht am Hummerbuffet!

Je weiter man nach Osten kommt, desto stärker wird der Pulsschlag des Ozeans spürbar: Beträgt der mittlere Tidenhub in Bar Harbor noch moderate 3,60 Meter, nimmt er nun rasant zu. 50 Seemeilen weiter in Cutler sind es bereits 4,80 und in Eastport auf Moose Island an der Grenze zu Kanada eindrucksvolle 6,20 m. Doch all das ist nichts im Vergleich zu jenem Gewässer, das aufgrund seiner besonderen hydrologischen Beschaffenheit für diese immer steiler aufsteigende Gezeitenkurve verantwortlich ist: zur hier beginnenden Bay of Fundy. Zweimal am Tag muss sich der Atlantik in die 120 Seemeilen lange und 35 Meter breite Bucht zwischen der Halbinsel Nova Scotia und der gegenüberliegenden Küste der Provinz New Brunswick hineinzwängen und dabei gleichzeitig die Kante des Kontinentalschelfs überwinden. Es ist das gewaltigste Nadelöhr der Welt: Einhundert Milliarden Tonnen (!) Seewasser werden täglich bewegt, mehr als von allen Flüssen unseres Planeten im gleichen Zeitraum gemeinsam. Die kinetische Energie würde – wenn nutzbar – spielend ausreichen, um ganz Kanada mit Strom zu versorgen. Gleichzeitig sind die auftretenden Gezeiten auch die höchsten der Welt, im Mittel liegen 13 Meter zwischen Hoch- und Niedrigwasser, zu Springzeiten sind es sogar 16 Meter.

Gemessen an der Einwohnerzahl der kleinen Küstenorte verfügt Down East Maine über eine sensationelle Anzahl von Bootsliegeplätzen, etwa hier in Southwest HarborFoto: Morten Strauch
Gemessen an der Einwohnerzahl der kleinen Küstenorte verfügt Down East Maine über eine sensationelle Anzahl von Bootsliegeplätzen, etwa hier in Southwest Harbor

Das sind die nautischen Extreme, die unweit des östlichsten Hafens der Vereinigten Staaten herrschen. Auch wenn man in Lubec (nach Lübeck benannt) selbst "nur" mit 6,40 Metern und den entsprechenden Gezeitenströmen zurechtkommen muss. Der 1300-Einwohner-Ort wird lediglich durch die Passage der Lubec Narrows von der bereits zu Kanada gehörenden Insel Campobello getrennt. Wer hier ein Boot hat, dem sind die Maritimes, wie die Küstenprovinzen des Nachbarlandes genannt werden, näher als der Rest der USA. Genau genommen endet Down East aber an anderer Stelle: Die Halbinsel Quoddy Head ragt mit ihrem felsigen Ende noch ein wenig weiter in die Bay of Fundy hinein als Lubec. Auf ihr liegt der absolut östlichste Punkt des Landes. Nur Nova Scotia muss noch umschifft werden, bevor es jetzt mit dem Wind auf den offenen Atlantik hinausgeht. Nächster Landfall: Portugal.