Dieter Wanke
· 19.01.2022
Klein und fein: Der Ortasee ist der kleinste der Oberitalienischen Seen. Eingerahmt von Bergen und Wäldern, gibt es eine Insel und hübsche Gemeinden
Mit knapp 14 Kilometer Länge und nur 2,5 Kilometer Breite ist der Ortasee ein recht überschaubares Gewässer im nördlichen Piemont. Mit dem Boot sind alle Ziele schnell erreicht. Umso mehr Zeit bleibt also, die kleinen Gemeinden rund um das Gewässer zu erkunden oder den herrlichen Ausblick in einem der zahlreichen Straßencafés oder Restaurants zu genießen. Zu entdecken gibt es viel.
Das Gewässer ist ideal für Trailerboot-Kapitäne. Möglichkeiten zum Wassern sind an mehreren Stellen vorhanden. Und wer ein Wohnmobil als Zugfahrzeug hat, findet auch dafür einen Stellplatz. Im Gegensatz zu den großen und bekannten Seen in Norditalien geht es jedoch wesentlich beschaulicher zu. Auch der Tourismus ist hier weniger dominant als bei den üblichen Zielen. Deshalb nennen die Mailänder den See auch La Cenerentola, also „Aschenputtel“. Der geringe Bekanntheitsgrad hat einen Grund, denn rund um den See dominierte bis in die 1980er-Jahre die Industrie. Das Gewässer war in schlechtem Zustand. Insgesamt also ein Ambiente, was nicht gerade Touristen anlockte. Das hat sich in den letzten 30 Jahren jedoch gravierend geändert. Heute sind die Industriebetriebe weitgehend verschwunden, und die Wasserqualität ist auf einem Spitzenniveau. Die schöne Landschaft inmitten der Berge macht den Ortasee also fast zu einem Geheimtipp für die Fans italienischer Kultur und Lebensart, die dem Massentourismus etwas entgehen wollen. Wer kein eigenes Boot mitbringen will, findet auch Chartermöglichkeiten. Und die sind insbesondere für angehende Wassersportler interessant, die noch nicht über einen Bootsführerschein verfügen. Denn auf italienischen Gewässern gelten andere Regeln. Hier sind Boote mit italienischer Zulassung und Motoren bis 29,4 kW (40 PS) führerscheinfrei. Entsprechend gestaltet sich auch das Angebot an Charterbooten, die in der Regel mit angeflanschten 40er-
Außenbordern angeboten werden. Die Leistung ist gerade für den kleinen Ortasee völlig ausreichend, um mit der Familie an Bord auch in Gleitfahrt die schönen Ziele an den Ufern ansteuern zu können.
Das Örtchen Pella befindet sich am steilen Westufer des Sees mit Ausblick auf die Isola San Giulio. Im Zentrum gibt es eine Uferpromenade mit Steganlage. Außerdem warten eine kostenlose Sliprampe sowie Stellplätze für Wohnmobile am Ortseingang. Wer chartern will, findet bei Motonautica San Giulio (www.msg-bassotto.it) vier Prua al Vento Jaguar 5.4 mit Honda BF 40 für Tagestouren. Auf dem Gelände der Familie Bassotto gibt es einen kleinen Hafen, kompletten Service mit Kran, Liegeplätze und eine von insgesamt zwei Tankstellen am See. Außerdem sind mit Casa Wanda (www.casawanda.de) und Casa Gora dei Mulini (www.casagora.de) zwei Ferienhäuser im Angebot. Nur wenige Schritte zurück in der Ortsmitte befindet sich das vorzügliche Ristorante Imbarcadero (www.ristoranteimbarcadero.com) direkt am Ufer. In unmittelbarer Umgebung des Orts gibt es außerdem mehrere kleine Strände und Badebuchten für Bootssportler.
Wer sich auf den Weg entlang der Nordwestküste macht, wird vor der größten Stadt Omegna am Nordzipfel keinen weiteren Ort besuchen können, denn hier dominiert Steilküste. Ankern ist an einigen Stellen für einen Badestopp durchaus möglich. In einem der Ortsteile am Ende des Sees wartet dann der kleine Hafen Porticciolo Di Bagnella, wo es für Sportboote die Möglichkeit gibt anzulegen. Der Ort ist seit der späten Bronzezeit besiedelt und blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Hier befindet sich ein Zentrum der metallverarbeitenden Industrie. Bekannte italienische Marken wie Alessi oder Bialetti sind in Omegna ansässig. In einem Museum für Kunst und Industrie im Forum von Omegna (www.forumomegna.org) kann die Geschichte des in der Region ehemals stark vertretenen Industriezweigs der Haushaltswaren betrachtet werden.
Bei einem Spaziergang durch die Stadt lässt sich dann noch die schöne Kulisse mit zahlreichen historischen Gebäuden genießen. Dazu gehören die Kirche Sant’Ambrogio aus der Spätromanik, die Überreste des alten Stadttors Porta della Valle aus dem 12. Jahrhundert und die alte Brücke aus dem 15. Jahrhundert.
Im Zentrum kann der Tag dann in einem der vielen Restaurants ausklingen.
An der Ostseite des Ortasees befindet sich das Mekka für Camper mit Wassersportambitionen, denn hier gibt es fünf Campingplätze direkt am See. Das Spiel beginnt etwas südlich von Omegna mit Camping Punta di Crabbia (www.campingpuntacrabbia.it). Der Platz verfügt über einen Strand und ein Restaurant. Viele Wassersportarten wie Wasserski, Tauchen oder Angeln gehören zum Angebot. Jetskis und Motorboote können gemietet werden. Etwas weiter südlich folgt Camping Allegro (www.campeggioallegro.it). Hier gibt es auch einen Kran zum Wassern und sechs Plätze am Steg. Stellplätze für Trailer sind ebenfalls vorhanden. Infrastruktur ist rund um den Platz zu Fuß erreichbar. Es folgt Camping Verde Lago (www.campingverdelago.it) in Pettenasco, nur einen Kilometer vor Orta San Giulio mit privatem Sandstrand und Pizzeria. Trailer können auf dem Platz geparkt werden. Bojenplätze sind ebenfalls verfügbar. Camping Orta (www.campingorta.it/de) befindet sich in der Bucht unmittelbar an der Halbinsel. Die Möglichkeit, zu wassern, sowie Trailer- und Bojenplätze sind ebenso vorhanden wie ein Steg. Eigene Gastronomie und Einkaufsmöglichkeiten gehören auch zum Angebot. Wer mehr Ruhe sucht, wird am südlichen Ende des Ortasees bei Camping Miami Di Rossini Antonio (https://camping-miami-di-rossini-antonio.business.site/) mit Sandstrand fündig. Einige Bojen sind auch hier vorhanden, nur das Wassern muss an einem anderen Ort vorgenommen werden. Wie an fast allen Seen gibt es natürlich auch am Ortasee Regeln, die beachtet werden müssen. Es gilt ein genereller Uferabstand von 100 Metern. Dieser Bereich darf nur zum An- und Ablegen mit maximal fünf Knoten und rechtwinklig zum Ufer befahren werden. Wasserski und Wakeboard sind nur von 8 bis 20 Uhr mit einer Höchstgeschwindigkeit von 25 kn und einem Brettsportler erlaubt, zwischen der Insel und Orta aber nicht gestattet. Die Höchstgeschwindigkeit für andere Boote liegt am Tag bei 20 und nachts bei vier Knoten. Angeln vom Boot ist mit Fischereikarte – beim Gemeindeamt oder Fremdenverkehrsamt erhältlich – möglich.
Die größte Konzentration an hübschen Zielen finden Besucher auf der Halbinsel um Orta San Giulio. Die malerische Ortschaft ist das touristische Zentrum am See. Den Kern bildet die Piazza Mario Motta mit ihren Straßencafés und Restaurants sowie einem herrlichen Ausblick über den Hafen zur Isola San Giulio, die ebenfalls zur Gemeinde gehört. Jeden Mittwoch gibt es auf dem Platz einen Wochenmarkt, und zwar seit dem Jahr 1228. Außerdem steht hier das ehemalige Rathaus von 1582 sowie viele andere historische Gebäude, in denen oft liebevoll geführte Geschäfte kulinarische Spezialitäten oder Mitbringsel anbieten. Ein kurzer Spaziergang führt zur 1485 erbauten Kirche Santa Maria Assunta am oberen Ortsende.
Eine weitere Kirche im Ort Oratorio di San Rocco stammt aus dem Barock. Ein besonderes Highlight der sakralen Baukunst, der Sacro Monte d’Orta, ist nach gut einem Kilometer Fußmarsch erreicht. Den Weg zur Andachtsstätte zu Ehren von Franz von Assisi säumen 20 Kapellen, er trifft am Gipfel auf die Kirche San Nicolao Francesco. Beeindruckend an dem Komplex, der zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, ist ein aufwendiges Arrangement von sehr detailreich ausgeführten Terrakotta-Statuen. Auf dem Weg zum Berg liegt auch die Villa Crespi, die 1879 von einem Industriellen als Landsitz im maurischen Stil errichtet wurde und heute ein Hotel ist. Empfehlenswert ist ein Spaziergang entlang der Uferpromenade mit einem herrlichen Ausblick über den See und die Insel.
Die Isola San Giulio liegt nur 400 Meter vom Ufer in Orta entfernt und ist leicht mit dem Boot zu erreichen. Auch Ausflugsboote bieten die Überfahrt an. Das kleine Eiland misst nur 275 mal 140 Meter und ist weitgehend bebaut. Zentrale Gebäude sind die Basilica di San Giulio und der dazugehörige Bischofspalast. Laut der Legende soll der heilige
Giulio die Insel von Schlangen und Drachen befreit und dort dann eine Kirche errichtet haben. Ursprünglich dominierten hier die Geistlichen das Geschehen, und im Palazzo del Vescovo di Novara residierte der Bischof von Novara. Das ehemalige Seminar aus dem 19. Jahrhundert wird aktuell von Schwestern der Benediktiner genutzt. Heute gibt es auch einige wenige Privathäuser auf der Insel. Die gut sichtbaren Anlegestege im Süden sind den Fährbooten vorbehalten. Etwas weiter nördlich an der Ostseite befindet sich aber direkt am Ufer das Ristorante San Giulio (www.ristorantesangiulio.com) mit einigen Anlegemöglichkeiten am privaten Steg für Gäste, die mit dem Boot kommen. Die Gaststätte in der Villa Tallone, einem der ältesten Gebäude der Insel, hat einen Speisesaal aus dem 18. Jahrhundert und eine herrliche Panoramaterrasse mit Blick auf Orta San Giulio. Besser lässt sich ein Bootsurlaub am schönen Ortasee kaum genießen.
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