SchwedenTrollhättekanal

Unbekannt

 · 15.02.2012

Schweden: TrollhättekanalFoto: Morten Strauch
Trollhätte

Im Jahr 2008 durchquerten wir Schweden mit dem Schlauchboot. Auf vielfachen Leserwunsch hier noch einmal die Reportage. Teil 1: der Trollhättekanal.

  Mit dem Schlauchboot quer durch Schweden: auf dem Trollhättekanal.Foto: Morten Strauch
Mit dem Schlauchboot quer durch Schweden: auf dem Trollhättekanal.
 

	Mit dem Schlauchboot quer durch Schweden: auf dem Trollhättekanal.
Foto: Morten Strauch

Die glänzende Wasserfläche scheint endlos. Notgedrungen bleibt der Blick daher an dem feinen, dunklen Strich hängen, der sich am Horizont entlangzieht und das endlose Blau in Himmel und Erde teilt. Man könnte meinen, am offenen Meer zu stehen. Aber es ist nicht das Meer, das vor uns liegt, sondern der Vänern, Europas drittgrößter See. Er ist so groß, dass der Bodensee bequem zehnmal in ihn hineinpassen würde.

Das macht Eindruck, auch an einem so friedlichen Sommertag wie heute. Denn wir wissen: Der Vänern kann auch anders! Weit drüben, gute zwanzig Kilometer entfernt, lässt sich die Küste Västergötlands erahnen: „Sieht noch weiter aus, als es ist“,meint Kollege Morten und blickt auf unser Schlauchboot, dessen Offshore-Eigenschaften bei 3,80 m Länge zugegeben nicht sofort ins Auge stechen ...

  Mit dem Schlauchboot quer durch Schweden: auf dem Trollhättekanal.Foto: Morten Strauch
Mit dem Schlauchboot quer durch Schweden: auf dem Trollhättekanal.

Aber es nützt nichts. Wir müssen hinüber, wenn wir unseren Törn durch Schweden fortsetzen wollen. Wir steigen
ins Boot und zurren alles noch einmal fest: die Tanks, die Taschen und die drei Tonnen aus grauem Kunststoff, die unsere ganze Ausrüstung enthalten. Spätestens jetzt hat das Abenteuer richtig begonnen. „Führt kein Weg dran vorbei“, sage ich zu Morten. „So ist es“, erwidert er und reißt an der Startleine ...

Rückblick:„Trevligt resa!“ zum Start in Göteborg

Ganz Göteborg ist eine Baustelle, besonders am Hafen. Sperrungen und Umleitungen überall, wir kurven Rampen rauf und wieder runter. Die stolze Stadt am Kattegat solle noch schöner werden, heißt es. Im Moment wirkt es eher so, als wolle man sie komplett umpflügen. „Wir bitten um Ihr Verständnis“, steht auf einem
mehrsprachigen Schild. Selbst die Taxifahrer fluchen.

  Mit dem Schlauchboot quer durch Schweden: auf dem Trollhättekanal.Foto: Morten Strauch
Mit dem Schlauchboot quer durch Schweden: auf dem Trollhättekanal.

Am Abend bummeln wir durch Nordstaden, um die lange Autofahrt von Hamburg aus den Beinen zu schütteln: So modern die Wasserfront mit ihrer fantastischen Oper daherkommt, Göteborgs Zentrum, geprägt durch Jugendstilfassaden und prächtige Denkmäler, geht auf das Großbürgertum der Gründerzeit zurück. Inzwischen hat ein bunter Mix die breiten Straßen erobert.

Am Zentralbahnhof vorbei und am Stora Hamn-Kanal entlang, wo die Jugendlichen sitzen, geht es zum historischen Gustav-Adolfs-Platz. Zwischen Kaffeehäusern finden wir ein Steakhaus und breiten vor uns auf dem Tisch noch einmal die Karte aus: Schwedens „Blaues Band“ liegt vor uns. Zunächst wollen wir dem Trollhättekanal hinauf zum Vänern folgen, um dann den See – hoffentlich – irgendwie zu überqueren.

  Mit dem Schlauchboot quer durch Schweden: auf dem Trollhättekanal.Foto: Morten Strauch
Mit dem Schlauchboot quer durch Schweden: auf dem Trollhättekanal.

An seinem Ostufer beginnt der Götakanal und damit auch unsere zweite Reisehälfte. Wenn wir es auch über den Vättern, den zweiten großen See, schaffen, haben wir gute Chancen,unser Reiseziel Mem bei Norrköping zu erreichen. Etwa 400 km und 64 Schleusen trennen die beiden Küsten.

Als die freundliche Bedienung unseren Plan auf dem Tisch erkennt, fragt sie auf Englisch nach dem Rest der Crew. Sie denkt, wir wären mit einer Yacht unterwegs. „Nein, es ist ein sehr kleines Boot“, antworten wir. „Ein
Schlauchboot.“ „Oh!“, sagt sie. Man merkt, dass sie nicht sicher ist, ob wir einen Witz gemacht haben.

Lilla Bommens Hamn, der Sportboothafen von Göteborg, ist unser Startpunkt am nächsten Morgen. Im Schatten der Oper und des nicht weniger modernen „Utkik“ (ein Büroturm in rot-weißer Leuchtturm-Optik) bauen wir unser
Boot auf und wuchten es an einem der Schwimmstege ins Wasser. Zu unserer Überraschung klappt das Verstauen der Ausrüstung in der Bughälfte vor der Sitzbank wie geplant. Alles passt. Jetzt die Spannplane drüber, fertig! Unser Auto ist längst auf dem Langzeitparkplatz des Fährterminals untergekommen – von hier aus geht es auf dem Wasser weiter!

Neben der Sommersonne beobachten auch einige Göteborger unsere letzten Vorbereitungen und wünschen uns Glück und „trevligt resa“ – gute Reise! „Hoffentlich bleibt uns die Sonne treu“, scherzen wir. „Keine Sorge“, beruhigt uns ein Mann aus Stockholm. „Im Osten ist das Wetter noch besser als hier!“ „Immer?“, fragen wir zurück.
„Oh ja, immer.“

Unter dem Bugspriet der stählernen Viermastbark „Viking“ hindurch geht es hinaus auf den Fluss Göta Älv. Links
wären es nur wenige Kilometer bis zum Kattegat, aber wir biegen mit schnurrendem Außenborder nach rechts ab, stromaufwärts auf das „Blaue Band“. Noch säumen Industriegebiete die Ufer, mit Spundwänden, Lagerhallen und Kränen. Klar,auch „Ikea“ darf nicht fehlen.

Durch das uralte Kulturland des Bohuslän

Doch schon nach den ersten Brücken zieht sich die Stadt zurück. Farmland, Wald und Wiesen säumen das Flusstal. Die großen gelb-weißen Holzdalben rechts und links des Fahrwassers sind nicht nur bei den Möwen als Aussichtsplattformen begehrt, sondern lassen mit Kilometertafeln, Befeuerung und Radarreflektoren auf den
Auslegern keinen Zweifel daran, dass der Trollhättekanal eine Großschifffahrtsstraße ist. Es dauert nicht lange, da schiebt sich auch schon ein großer Bug um die Biegung vor uns – ein seltsamer Anblick mitten im schwedischen Idyll. Der Frachter ist ein ausgewachsenes Seeschiff mit hohem Freibord und knapp 90 m Länge. Schnell weichen wir in Ufernähe aus, dann schaukeln wir im Schwell. Ob man uns dort oben überhaupt wahrgenommen hat? Auf dem Radarschirm sind wir mit Sicherheit nicht aufgetaucht ...

Die Fahrt führt durch das uralte, seit Jahrtausenden besiedelte Kulturland des Bohuslän. Lange waren die sanften Hügel mit ihren verstreuten Höfen Grenzland, begehrt und hart umkämpft. Die Bevölkerung musste so mancher Krone dienen, der norwegischen, der dänischen, schließlich der schwedischen. Von ihrer Geschichte
als Zankapfel der Mächte zeugt die alte Burg Bohus. Ihre trutzigen Türme erheben sich auf einer Insel an strategischer Stelle: Hier trennt sich der Nordre Älv vom Göta Älv, um etwas nördlich von Göteborg ebenfalls ins
Kattegat zu münden. Am Fuß der Festung liegt übrigens ein kleiner Gasthafen.

Weiter nördlich erwacht der Fluss zum Leben: Bei der Stadt Göta hat er ein tiefes Tal in die Felsen gegraben und windet sich durch wilde Kurven. Schnell schießt das Wasser durch die Schlucht, zerrt an den angeketteten Tonnen und verpasst ihnen weiße Bärte aus Schaum. Man kann die Wildheit erahnen, die der Göta Älv besaß, bevor er durch Schleusen gezähmt wurde.

Die erste von ihnen lässt nicht mehr lange auf sich warten: In Lilla Edet machen wir am Wartesteg vor der Ströms Sluss fest. Nach einer Viertelstunde öffnet sich das Tor. Wir laufen ein,und während es nach oben geht, erscheint das Gesicht des Schleusenwärters über dem Rand der Kammer: „Hab euer kleines Ding gar nicht gesehen. Aber was soll’s – willkommen auf dem Trollhättekanal!“ Wir bedanken uns für die freundliche Begrüßung und schauen uns gleich hinter der Schleuse den Gasthafen an, in dem nur ein einzelnes Boot liegt, eine 10-m-Segelyacht aus Amerika. Gemeinsam mit der „Aphrodite“ aus Boston wären wir als Exoten hier zwar unter uns, wir wollen aber noch ein Stückchen weiter ins Grüne.

Unseren Platz für die Nacht finden wir in einer kleinen Bucht am Ufer, überragt von alten Eichen. Schnell wird das Boot mit zwei Leinen an Granitblöcken festgemacht und entladen. Hinter den Bäumen erstreckt sich hohe Sommerwiese bis zum nächsten Waldrand, von Nachbarn keine Spur. Wir trampeln einen Pfad ins Gras, aus dem Grillen und Bienen fliehen, und finden den perfekten Platz für unser Lager. Im milden Schein des langen Abends – Mittsommer ist nur zwei Wochen entfernt – schlagen wir unser erstes Camp auf.

Schnell steht das Zelt. „So habe ich mir Schweden vorgestellt“, meint Morten, während unser Abendessen – Elch-Eintopf von „Globetrotter“– auf dem Primus-Kocher köchelt. Langsam, ganz langsam nur zieht die nordische
Nacht herauf.

Trollhättan: wo Schiffe über den Berg steigen

Je näher wir Trollhättan kommen, desto mehr wird das Flusstal zur Schlucht. Wie soll diese steile Wand, an der nur Gemsen zwischen sich festklammernden Kiefern einen Pfad finden, bloß bezwungen werden? Die Antwort liefert die imposante Schleusentreppe von Trollhättan. Früher stürzte der Fluss hier in schäumenden Kaskaden in die Tiefe. Ein schier unüberwindliches Hindernis – etwa für den legendären Wikingerkönig Harald Hardrada,der im Jahre 1064 mit einer Flotte aus sechzig Langschiffen den Göta Älv heraufzog.

Doch der Mensch ist hartnäckig: Hardrada wurde seinem Beinamen als „harter Herrscher“ gerecht und ließ seine Männer die Schiffe auf Rollen über Land transportieren. Später, als der Handel mit dem Vänerland zunahm, schlug man um 1800 die ersten Schleusen in den Stein. Doch schon ein halbes Jahrhundert später mussten sie durch größere, herausgesprengte Neubauten abgelöst werden. Beide Schleusentreppen existieren noch immer als eindrucksvolles technisches Denkmal gleich neben der dritten Treppe von 1916.

Vier Stufen überwinden heute die gut 32 m hinauf nach Trollhättan. Die Kammern bieten genau Platz für einen „Vänermax“-Frachter, das bedeutet, für maximal 89 m Länge und 13 m Breite. Natürlich müssen Sportboote den Großen den Vortritt lassen, aber dafür lohnt sich das Warten: Von unten sieht es tatsächlich so aus, als ob die großen Schiffe über den Berg steigen, Stufe für Stufe ...

Einmal oben, geht es Schlag auf Schlag in Richtung Vänern: Wir passieren die Industriestadt Trollhättan auf dem einzigen, wirklich kanalisierten Abschnitt, gehen gemeinsam mit anderen Sportbooten durch die letzte Schleuse von Brinkebergskulle (wo wir auch die Amerikaner auf der „Aphrodite“ wiedertreffen), und erreichen schließlich über den schmalen Karlsgraben die Stadt Vänersborg am Ufer des Sees, der ihr den Namen gab. Noch trennt uns eine Biegung und die große Klappbrücke vom See, doch wir bemerken schon jetzt den frischen Wind.Steif flattern die schwedischen Flaggen am Sportboothafen an den Masten. Die Binnenfahrt ist vorüber!