Selbst für einen strahlenden Spätsommertag ist es schon am Morgen ungewöhnlich heiß. Für den Nachmittag sind Gewitter angekündigt, die sich über den Höhenzügen des Jura bilden sollen, doch zu diesem Zeitpunkt wollen wir längst in Biel sein, unserem Tagesziel am nördlichen Ende des Bielersees. Während sich die ersten Urlauber vom Campingplatz gleich nebenan bereits in der Badebucht abkühlen, machen wir die Leinen unserer Linssen los und verlassen den Hafen von Le Landeron und steuern hinaus auf den ersten der drei Seen dieser Reise.
Der Törnplan dieser Charterwoche gleicht einer „Tour de Suisse“, einer Rundtour durch unser Nachbarland, wenn auch in kleinerem Maßstab: Drei Seen, vier Kantone und nicht zuletzt zwei Sprachen werden für viel Abwechslung sorgen.
Den passenden Anfang hatte gestern Abend schon die Party vor dem Start gemacht. Nachdem uns Gabaël und Désirée von 3 Lacs Yacht Charter in Empfang genommen hatten, „LʼAreuse“, eine nagelneue Grand Sturdy 35.0 AC, übergeben worden war, hatten wir von den beiden noch den Tipp für die jährliche fête du vin im nahen La Neuveville bekommen. Kurzentschlossen waren die ersten Törnkilometer also im Sattel zurückgelegt worden - auch wenn es nach dem Weinfest nicht ganz so schnell zurückgegangen war...
Kaum hörbar läuft der Diesel, stattdessen begleitet uns das Rauschen des Kielwassers auf unserem Weg. Allein sind wird nicht: Ein Daycruiser mit drei Anglern tanzt in unserer Welle, zwei Schwäne überholen uns mit lautem Flügelschlag und weit voraus, Richtung Biel, sind Segel auszumachen. Zurück bleiben Le Landeron und die Einfahrt zum Zihlkanal.
Nachdem wir La Neuveville an Backbord passiert haben, das nach der gestrigen Fete noch zu schlummern scheint, wird das Ufer schnell steiler. Der Jurasüdfuß rückt hier bis an den See heran. So wird der Übergang vom Gebirge zum Schweizer Mittelland genannt, jenem schmalen und vergleichsweise ebenen Streifen zwischen Jura im Norden und Alpen im Süden. Natürlich wird in dieser Lage Wein angebaut. In ordentlichen Reihen ziehen sich die Rebstöcke hinauf. Weiter oben sind die Hänge dicht bewaldet, nur hin und wieder sieht man verkarstete Felsen hervorragen.
An Steuerbord zieht dagegen die so flache wie schmale St. Petersinsel vorbei. Eigentlich eine Landzunge, die nur durch einen Durchstich beim Hafen Erlach abgetrennt ist. Die Straßenbrücke dort ist aber für Boote unserer Größe zu niedrig. Die einzigen Gebäude gehören zu einem ehemaligen Kloster der Cluniazenser, das heute – wie vielerorts – ein Hotel mit historischem Ambiente beherbergt.
Zu früheren Gästen der Insel gehörten unter anderem der große Aufklärer Jean-Jacques Rousseau (der 1712 in Genf geboren wurde und somit Schweizer war und nicht Franzose, wie oft behauptet) und ein weiteres unvermeidliches Universalgenie seiner Zeit: Johann Wolfgang von Goethe.
Wir haben die Segler erreicht. Oder besser gesagt, sie uns: Es sind Rennjollen, ein Fireball, zwei 49er, und eine Handvoll Kite-Foiler, die im warmen Wind zwischen dem Nordufer bei Ligerz und dem Ende der St. Petersinsel hin- und her schießen. Wer den Bielersee so sieht, würde nicht annehmen, dass er Teil eines ausgeklügelten künstlichen Regulierungssystems ist: der Juragewässerkorrektion. Hinter dem Begriff verbirgt sich nicht weniger als die Veränderung des Laufs der Aare. Seit frühesten Zeiten hatte dieser Fluss, der nahe der italienischen Grenze im Berner Oberland entspringt und nach dreihundert Kilometern in den Hochrhein mündet, den flachen Landstrich östlich des Bielersees immer wieder überflutet und ein wachsendes Sumpfgebiet geschaffen: das Große Moos.
Doch urbarer Boden war kostbar im Mittelland und man beschloss schließlich, die Gegend ein für alle Mal trocken zu legen. Was aus moderner ökologischer Perspektive völlig undenkbar wäre, wurde ab 1868 beherzt angegangen.
Der Fluss wurde mithilfe künstlicher Wasserläufe wie dem Hagneckkanal über den Bielersee umgeleitet. Gleichzeitig bezog man auch den Neuenburgersee und den Murtensee über zwei weitere Verbindungen, Zihlkanal und Broyekanal, in das System mit ein. So entstand nicht nur zusätzliche Nutzfläche für die eidgenössische Landwirtschaft, sondern zugleich das zusammenhängende schiffbare Revier, das wir in dieser Woche erkunden werden.
Nach rund anderthalb Stunden sehr entspannter „Seefahrt“ haben wir Biel erreicht. Wir lassen einem eilig auslaufenden weißen Kursschiff mit dem Rumpf eines Schnellboots den Vortritt, steuern aus dem Hauptkanal des Hafens nach Backbord abgetrennten Sportbootbereich und gehen auf der Innenseite der Außenmole zwischen anderen Motoryachten längsseits. Als wir uns im Restaurant Joran gleich vorne am Hafen angemeldet und den Landstrom gelegt haben, ist die Mittagsstunde durch.
Biel – oder besser gesagt Biel/Bienne, wie es offiziell heißt – liegt zwar im überwiegend deutschsprachigen Kanton Bern, ist aber gleichzeitig die größte zweisprachige Stadt der Schweiz und außerdem die einzige, in der sowohl Deutsch (49 Prozent der 55000 Einwohner) wie Französisch (rund 43 Prozent) Amtssprachen sind. Das führt nicht nur zu zweifachen Beschriftungen im Stadtbild, sondern auch zu einem entspannten kulturellen Mix, der schnell sichtbar und vor allem hörbar wird. Am Unteren Quai entlang (oder eben am Quai du Bas), der das kanalisierte Flüsschen Schüss flankiert, kommen wir schnell zur Nidaugasse, einer Einkaufsstraße, die uns geradewegs in die Altstadt führt. Rund um Untergässli und Obergässli reiht sich Restaurant an Restaurant, mit Cafés und Cocktailbars dazwischen. In der Crêperie Chez Bach & Buck gönnen wir uns ein kanadisches Acadienne (mit Schinken, Käse, Ahornsirup) und ein Indiananas, bei dem der Name Programm ist, bevor wir uns dem widmen, wofür Biel weltweit bekannt ist.
Uhrenweltmetropole. Das ist ebenso wenig übertrieben, wie Paris als Stadt der Liebe zu bezeichnen. Denn dieses Präzisionshandwerk hat Biel und Umgebung mehr geprägt als jeder andere Wirtschaftszweig.
Selbst die sogenannte Quarzkrise der frühen Achtzigerjahre, während der die elektronische Uhr das Ende der mechanischen einläutete, überstand man durch die Ansiedlung neuer Technologien. Gleichzeitig konsolidierte sich die alte Stammindustrie. Nicht nur Rolex produziert heute hier. Was die Stunde geschlagen hat, wird auch auf dem Swatch Omega Campus klar: Vor dem Verwaltungsgebäude steht der originalgetreue Nachbau der „Eagle“, der Mondlandefähre der Apollo-11-Mission. Auch beim „Wettlauf zum Mond“ wurde die Zeit mit Feinmechanik aus Biel gestoppt.
In dem für sich schon architektonisch spannenden Flügelgebäude zur Linken des lunar module erzählt das Omega Museum aber nicht nur diesen Teil der Unternehmensgeschichte. Zwei weitere, völlig unterschiedliche Konstanten der Gegenwart, die mit der Marke fest verbunden sind, kommen ebenfalls zu ihrem Recht: die Olympischen Spiele – und natürlich James Bond.
Eine Etage höher gibt es das komplette Kontrastprogramm zu Hochleistungssport und Leinwandspionage: Die Ausstellung Planet Swatch nimmt den Besucher mit auf eine andere Reise in die Vergangenheit, in die Jugend der Generation Golf. Und die war bunt am Handgelenk. Ein Trend, der allerdings anhält – und ein Museum, das man nicht verpassen sollte. So viel Zeit muss sein, im wahrsten Sinne.
Teil 2 der Reportage mit dem Neuenburgersee folgt demnächst.