Videos und Handybilder eines Buckelwals vor der Nordspitze von Rügen, nahe Nonnevitz, sorgen seit gestern für viel Aufsehen und Spekulationen. Auf vielen Aufnahmen und Videos sieht man, wie das Tier beeindruckend mit seiner Schwanzflosse auf die Wasseroberfläche schlägt. Meldungen darüber gab es unter anderem von Bild, Stern, Ostsee-Zeitung und dem NDR. Auch in den sozialen Netzwerken wurde der Wal ein Hit. Alle rätseln darüber, wie das Tier so weit in die Ostsee gelangt ist - und wonach es hier sucht.
Judith Denkinger vom Deutschen Meeresmuseum in Stralsund hat über eine Museumssprecherin den Medien bestätigt, dass auf den Videoaufnahmen eindeutig ein Buckelwal zu sehen ist. Die Expertin vermutet, dass es sich um ein männliches Jungtier handelt. Das Verhalten des Wals, insbesondere das Schlagen der kräftigen Schwanzflosse aufs Wasser, sei typisch für männliche Buckelwale, die so unter anderem Weibchen anlocken. Normalerweise kommen Buckelwale in der Ostsee nicht vor. Denkinger spricht von einer Fehlmigration und hofft, dass der Wal den Weg zurück in die Nordsee findet.
Viele aufgeregte Urlauber, die Zeugen des Schauspiels wurden, schickten ihre Fotos und Videos an die Tierrettung Vorpommern-Rügen. Die Tierretter setzten sich daraufhin mit dem Meeresmuseum in Verbindung und leiteten die Informationen an die Fachleute weiter. Dank dieser Zusammenarbeit konnten sich die Wissenschaftler rasch ein umfassendes Bild von der “ungewöhnlichen und sehr beeindruckenden Situation” machen, erklärten die Tierretter.
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Die Sichtung dieses majestätischen Meeressäugers hat nicht nur Touristen und Einheimische in Aufregung versetzt, sondern auch die Aufmerksamkeit von Meeresbiologen und Umweltschützern auf sich gezogen. Buckelwale, die normalerweise in den tieferen Gewässern der Ozeane zu finden sind, sind für ihre spektakulären Sprünge und ihre komplexen Gesänge bekannt. Ihr Auftauchen in der vergleichsweise flachen Ostsee wirft Fragen auf und bietet gleichzeitig eine einzigartige Gelegenheit zur Beobachtung und Forschung.
Seit Jahresbeginn wurden in der Ostsee mehrfach Buckelwale gesehen. Im Mai entdeckten Feuerwehrleute ein Tier nur etwa 800 Meter vor Ahrenshoop. Auch bei einer Sichtung am Ostermontag nahe Hiddensee vermuten Experten anhand eines Videos, dass es sich um einen jungen Buckelwal handelte. Bei Travemünde wurde im Frühjahr ebenfalls ein Wal gesichtet, bei dem es sich laut der Leiterin der Nabu-Landesstelle Ostseeschutz wahrscheinlich um einen jungen Buckelwal handelte.
Diese Häufung von Sichtungen ist höchst ungewöhnlich für die Ostsee und hat Wissenschaftler dazu veranlasst, mögliche Gründe für dieses Phänomen zu untersuchen. Einige Theorien beinhalten Veränderungen in den Nahrungsketten aufgrund des Klimawandels, Störungen in den üblichen Migrationsrouten oder möglicherweise sogar eine Zunahme der Walpopulation in den angrenzenden Gewässern der Nordsee.
Dr. Maria Schmidt, eine führende Meeresbiologin an der Universität Rostock, wird wie folgt zitiert: “Die wiederholten Sichtungen von Buckelwalen in der Ostsee sind ein faszinierendes Phänomen. Es könnte ein Indikator für größere ökologische Veränderungen in unseren Meeren sein. Wir müssen diese Entwicklung genau beobachten und analysieren, um mögliche Auswirkungen auf das gesamte marine Ökosystem zu verstehen."
Die Anwesenheit der großen Meeressäuger in der Ostsee bringt jedoch auch Herausforderungen mit sich. Die relativ flachen Gewässer und der intensive Schiffsverkehr in der Region können Risiken für die Wale darstellen. Experten betonen die Notwendigkeit erhöhter Wachsamkeit und angepasster Schifffahrtsrichtlinien, um mögliche Kollisionen zu vermeiden.
Passend zu diesen ungewöhnlichen Sichtungen wurde vor Kurzem die Whale Alert App, die bisher nur in Nordamerika verfügbar war, nun auch für europäische Gewässer eingeführt. Die App soll helfen, gefährliche Begegnungen zwischen Schiffen und Walen zu reduzieren. Andreas Dinkelmeyer, Kampagnenleiter IFAW Deutschland, betont die Bedeutung der App.
Laut Expertenschätzungen kämen auf jeden registrierten angefahrenen Wal etwa 20 weitere, die nicht dokumentiert seien. Die Einführung der Whale Alert App in Europa markiere einen bedeutenden Schritt im Meeresschutz und in der Walbeobachtung. Sie biete nicht nur eine Plattform für Bürger und Wissenschaftler, um Walsichtungen zu melden, sondern diene auch als wichtiges Instrument zur Vermeidung von Kollisionen zwischen Schiffen und Walen.
Dr. Lukas Weber, ein Experte für Meeressäugetiere am Alfred-Wegener-Institut, erklärt: "Die Whale Alert App ist ein Paradebeispiel dafür, wie moderne Technologie zum Schutz der Meeresfauna eingesetzt werden kann. Sie ermöglicht es uns, Echtzeitdaten über Walbewegungen zu sammeln und diese Informationen direkt an Schiffskapitäne und andere relevante Akteure weiterzuleiten. Dies kann entscheidend dazu beitragen, Kollisionen zu vermeiden und unsere Meeresökosysteme besser zu schützen."
Die App ermöglicht es Nutzern, Walsichtungen zu melden und Warnmeldungen zu erhalten. Ein integrierter Indikator schätzt das Kollisionsrisiko basierend auf Größe, Geschwindigkeit und Position des Schiffes. Zudem können Nutzer eine Zertifizierung als "vertrauenswürdiger Beobachter" erhalten. Die App informiert über geltende Vorschriften und Befahrensregeln und gibt Hinweise zum Verhalten in Gebieten mit kürzlichen Walsichtungen.
Dies dürfte auch für Segler interessant sein, die entlang der iberischen Atlantikküste sowie in der Straße von Gibraltar unterwegs sind. Dort kommt es seit mehreren Jahren immer wieder zu Attacken von Orcas auf Segelyachten. Meist werden dabei die Ruderanlagen zerstört, mehrere Boote sind aber auch bereits infolge der Attacken gesunken.
Da Wissenschaftler bis heute über das Verhalten der Tiere rätseln und die Orcas zuletzt ihren Aktionsradius ausdehnten auf die bislang als einigermaßen sicher geltenden küstennahen Bereiche, ist die internationale Segel-Community dankbar um jede Informationsquelle. Die Whale Alert App könnte dazu beitragen, schnellere und genauere Hinweise über die jeweils aktuellen Aufenthaltsorte der iberischen Orcas zu erhalten.
Für die Berufsschifffahrt oder aber auch für große, schnelle Hochsee-Regattayachten könnte die App ebenfalls spannend sein. Sie integriert laut ihren Machern komplexe Algorithmen, die verschiedene Faktoren berücksichtigen, um das Risiko von Wal-Schiff-Kollisionen in Echtzeit zu berechnen. Dazu gehören unter anderem historische Daten über Walrouten, saisonale Migrationsmuster und bekannte Futtergründe.
Ein besonders innovatives Feature ist die Möglichkeit für Nutzer, sich als "vertrauenswürdige Beobachter" zertifizieren zu lassen. Diese Funktion zielt darauf ab, die Qualität und Zuverlässigkeit der gemeldeten Sichtungen zu erhöhen. Um diese Zertifizierung zu erhalten, müssen Nutzer einen Online-Kurs absolvieren, der grundlegende Kenntnisse über Walarten, ihr Verhalten und die korrekte Identifizierung vermittelt. Dr. Sophie Müller, Meeresbiologin und Mitentwicklerin der App, erläutert: "Die Zertifizierung als vertrauenswürdiger Beobachter ist ein wichtiger Schritt zur Qualitätssicherung der Daten. Es ermöglicht uns, zwischen zufälligen Beobachtungen und fundierten Meldungen zu unterscheiden, was die wissenschaftliche Verwertbarkeit der Daten erheblich verbessert."
Damien Demoor, Gründer und CEO von GREENOV, betont die Möglichkeit für Meeresliebhaber und Fachleute aus der Seefahrt, sich aktiv für den Schutz der Wale einzusetzen. Die gesammelten Daten werden von Meeresbiologen genutzt, um Vorkommen, Fressverhalten und Wanderungsmuster von Walen zu untersuchen. Virgil Zetterlind, Mitbegründer von Conserve.IO, weist zudem darauf hin, dass die App die Navigation in einem Netzwerk sich überschneidender und stetig verändernder Schutzgebiete und Schifffahrtswege erleichtert.
Auch Prof. Dr. Hans Schmidt, Leiter des Instituts für Meeresökologie an der Universität Kiel, unterstreicht die wissenschaftliche Bedeutung der App: "Die Whale Alert App revolutioniert unsere Möglichkeiten zur Walforschung. Die Fülle an Echtzeitdaten, die wir durch die breite Nutzerbasis erhalten, ermöglicht uns Einblicke in das Leben der Wale, die wir bisher nicht hatten. Dies ist besonders wertvoll für das Verständnis, wie sich Walpopulationen an veränderte Umweltbedingungen anpassen."
Darüber hinaus spielt die App eine wichtige Rolle bei der Sensibilisierung der Öffentlichkeit für den Walschutz. Indem sie Nutzern ermöglicht, aktiv an der Walbeobachtung und dem Schutz dieser Tiere teilzunehmen, schafft sie ein Bewusstsein für die Herausforderungen, denen Wale in den heutigen Ozeanen gegenüberstehen.
Für die Zukunft sind verschiedene Verbesserungen und Erweiterungen der App geplant. Dazu gehören die Integration von Unterwassermikrofonen zur akustischen Erkennung von Walen, die Entwicklung von KI-gestützten Bilderkennungsalgorithmen zur automatischen Identifizierung von Walarten aus Nutzerfotos und die Ausweitung der App auf andere gefährdete Meerestiere wie Delfine und Meeresschildkröten.
Dr. Michael Brown, leitender Wissenschaftler bei Conserve.IO, blickt optimistisch in die Zukunft: "Die Whale Alert App ist erst der Anfang. Wir sehen ein enormes Potenzial für die Erweiterung dieser Technologie auf andere Bereiche des Meeresschutzes. Unser Ziel ist es, ein umfassendes digitales Ökosystem zu schaffen, das Wissenschaft, Naturschutz und die verantwortungsvolle Nutzung der Meere miteinander verbindet."