UnwetterOstsee-Sturmflut in Anmarsch

Boote Redaktion

 · 19.10.2023

Unwetter: Ostsee-Sturmflut in AnmarschFoto: Screenshot/Windy.com
So schwer trifft es die Ostseeküste
Es rollt ein Sturm auf die westliche Ostsee zu - dazu ist Hochwasser vorhergesagt. Diplom-Meteorologe Sebastian Wache hat die Lage eingeschätzt, erklärt und zusammengefasst.

Von Sebastian Wache

Am Mittwoch konnte man bei blauem Himmel und leichtem Südostwind noch einige Boote auf dem Wasser sehen. Doch schon weniger als 18 Stunden später zeigt sich ein ganz anderes Bild. Dichte Wolken, Regen und vor allem Sturm sowie steigende Pegel an der Ostsee.

Was ist passiert? Das Hoch, das am Tag vorher noch für einen goldenen Oktober sorgte, wurde von Atlantiktiefs nach Schweden gedrückt. Dort setzt es sich nun aber für drei Tage fest. Gleichzeitig drücken aber weiterhin starke Atlantiktiefs gegen das Hoch. Das Resultat ist eine immer stärkere Drängung der Isobaren.

Jeder Skipper kennt das von den Wetterkarten. Der Wind legt zu. Und je dichter diese Linien liegen, desto stärker weht er auch. Und wenn man auf die Wetterkarten schaut, dann sieht man Zeitschritt für Zeitschritt wie diese Linien immer enger werden. Es droht also ein Sturm bis hin zu Orkanböen. Das Ganze aus östlicher Richtung. Meist verbindet man eine Sturmflut ja gemeinhin mit der Nordsee und einem strammen Westwindtief. Doch nun haben wir eine sogenannte „High over Low“-Lage. Also auf der Europakarte ein Hoch im Norden über einem Tief. Somit ergibt sich zwangsweise zwischen beiden Systemen ein östlicher Wind.

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Skandinavienhochs

Sie sind dabei oft ja auch mit Schönwetter verknüpft. Doch im Herbst sieht das im Gegensatz zu Sommer meist anders aus. Die Hochs halten sich zwar auch recht lange über dem Norden Europas, doch sind sie bei weitem nicht mehr so ausgedehnt und vollgefüllt mit warmer Luft. Dazu haben, auch aufgrund der Temperaturgegensätze mit schon kalter Luft im Norden und noch warmer Luft im Süden, die Tiefs ausreichend Grundzutaten, um sehr kräftig auszufallen. Wir haben nun also Skandinavienhoch, was rund drei Mal im Jahr vorkommt. Aber eben mit sehr kräftigem Tiefdruckeinfluss an seiner Südkante.

Und da Wasser sehr wenig Reibungsfläche bietet, wird der Wind somit auch kaum gebremst. Die kalte Luft kann vom Baltikum Anlauf nehmen und nahezu völlig ungebremst gegen die Ostseeküste Deutschlands und Dänemarks preschen.

Freier Anlauf auf die deutsche Küste

Durch den Winddruck wird sich so das Wasser an der Küste aufstauen. Die Pegel der Ostsee steigen. Oft tun sie das dann auch nach Tiefdruckeinfluss ohne oder mit nur wenig Wind. Das ist dann der sogenannte “Badewannen-Effekt”. Da schwappt das vom Westwind in Richtung östliche Ostsee gedrückte Wasser einfach nur wieder zurück. Auch das kann schon mal 1 bis 1,20 m über Normal bringen und die Stege in den Häfen überfluten. Gerade erst vor zwei Wochen hatten wir so eine Situation. Das hat schon eine gewisse Regelmäßigkeit.

Doch dieses Mal konnte die Wetterlage vorher über das Skagerrak und Kattegat erst etwas mehr an Wasser in die Ostsee einströmen lassen, so dass der Wasserstand schon mit bis zu 20 cm leicht erhöht war bevor der Ostwind Einzug hielt. Nun kommt auch noch der Sturm dazu, der aufgrund der stationären Lage des Hochs über mehr als 48 Stunden andauern wird und in seiner Stärke sukzessive zulegt. Am Freitag und in der Nacht zu Samstag sehe ich den Höhepunkt mit Böen von 120 bis 130 km/h.

Die Pegel beginnen am Samstag zu sinken

Damit wären wir im Orkanstärkebereich. Erst in der Nacht zu Samstag macht das Hoch über Schweden eine leichte Bewegung von wenigen Kilometern nach Finnland und das reicht dann schon aus, dass das Tief ebenfalls nach Norden auf die Nordsee rausziehen kann. Damit wird voraussichtlich am frühen Samstagmorgen der Wind relativ schlagartig rechts drehen auf Süd und nachlassen. Das reicht aus, dass die Pegel sofort beginnen zu sinken.

Doch bis es soweit ist steigen sie und zwar beachtlich. In Sphären, wie wir sie seit 2017 nicht hatten. Damals stand das Wasser zum Beispiel in Flensburg bei knapp 1,80 m. Sandsäcke und Schotten mussten Häuser schützen. Auch am Hafen geparkte Autos standen im Wasser, wie auch in Lübeck an der Trave oder in Wismar. Dieses Mal könnte es aber noch eine Stufe höher gehen. Denn bei einem Pegel zwischen 1,50 und 2 m über Normal sprechen wir von einem schweren Ostseehochwasser bzw. einer schweren Ostsee-Sturmflut. Ab einem Pegel von 2 m, gar von einer sehr schweren. Und mittlerweile gehen die Prognose des BSH (Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie) sowie der dänische Wetterdienst DMI mit ihren Wasserstandsmodellen in und um Flensburg und Sonderborg einen Höchststand bis an die 2-m-Marke oder sogar drüber.

Vor allem der leichte Südosteinschlag im Wind sorgt dafür, dass sich das Wasser wie in einem Trichter in Richtung Flensburger Förde bündelt. Somit werden hier die höchsten Wasserstände entlang der gesamten Ostseeküste Deutschlands erwartet. Doch auch die möglichen 1,60 m bis 1,80 m in Lübeck und Kiel lassen das Wasser über die Ufer treten. Auch die Wellen der aufgepeitschten See tragen zusätzlich dazu bei. Glück, wer an einem Schwimmsteg liegen darf. Doch die sind allerdings in der Ostsee eher in der Minderheit.

Das krasse Gegenteil findet sich zur gleichen Zeit an der Nordsee. Dort wird das Wasser von den Küsten weggedrückt. Hier ist mit einem Niedrigwasser von -1,50 m bis -2,00 m zu rechnen. Die Fähren zu den Inseln haben bereits angekündigt nicht fahren zu können, da das Wasser dafür nicht mehr ausreicht.

Und generell wird im Norden der Wind auch für einige Schäden sorgen. Sei es an schlecht befestigten Winterplanen, die noch an den in den Häfen liegenden Booten angeschlagen sind. Das große Aufräumen beginnt ab Samstag, wenn wir das Gröbste überstanden haben, doch bis dahin müssen wir die 48 Stunden Dauersturm und Hochwasser erst einmal überstehen.


Der Autor

Diplom-Meteorologe Sebastian WacheFoto: PrivatDiplom-Meteorologe Sebastian Wache

Sebastian Wache ist Diplom-Meteorologe; er arbeitet als Experte für Seewettervorhersagen und professionelles Wetter-Routing sowie als Törn- und Regattaberater bei der Wetterwelt GmbH in Kiel. Regelmäßig gibt er sein Wissen in Seminaren an Wassersportler weiter, zudem präsentiert er gemeinsam mit Dr. Meeno Schrader die tägliche Vorhersage für Schleswig-Holstein im NDR-Fernsehen. Wache ist selbst begeisterter Segler und am liebsten auf Nord- und Ostsee unterwegs.


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