Lasse Johannsen
· 02.08.2023
Mit Kriegsende im Frühjahr 1945 begann eine gigantische Munitionsverklappung in deutschen Gewässern. Bis heute liegen rund 1,6 Millionen Tonnen alter Munition auf dem Grund von Nord- und Ostsee. Die sollen nun sukzessive geräumt werden, bevor der Sprengstoff die Meeresumwelt belasten und in die Nahrungskette gelangen kann. Alexander Bach, Referent bei der Sonderstelle „Munition im Meer“ des schleswig-holsteinischen Umweltministeriums erklärt im Gespräch mit der YACHT die Hintergründe.
Ich glaube, was wir jetzt sehen, ist das Ergebnis der Arbeit aus den letzten 15 Jahren.
… eine Bestandsaufnahme dessen, was in den deutschen Gewässern der Nord- und Ostsee liegt. Es wurden damals Empfehlungen abgegeben, wie man damit umgehen müsse. Die Einschätzung war aber, dass keine großflächige Gefahr besteht. Mittlerweile hat sich der Blick ein bisschen gewandelt, bei Untersuchungen vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel wurden in jeder Wasserprobe Sprengstoffe nachgewiesen.
Nicht immer in hohen Konzentrationen, die größten Belastungen bestehen in den Versenkungsgebieten. Aber es werden mittlerweile überall Munitionsrückstände nachgewiesen. Diese Erkenntnis und die Ergebnisse der Kiel Munition Clearance Week, die hier im September 2021 stattgefunden hat, haben die Politik wachgerüttelt.
Eine der größten Fachmessen zu dem Thema, auf der 700 internationale Experten über die neue Gesamtbewertung diskutiert haben und auf der Bundestagsabgeordnete und Mitarbeiter aus den verschiedenen Verwaltungsbehörden zugegen waren oder sich darüber informiert haben. Ich glaube, das war ein entscheidender Beitrag dazu, dass im Herbst 2022 schließlich die Haushaltsmittel freigegeben wurden. Und der Beschluss, dazu langfristig einen fairen Beitrag zu leisten, findet sich auch im schleswig-holsteinischen Koalitionsvertrag wieder.
Die Verteilung ist noch so, wie es 2011 festgestellt wurde. Wir kennen die Versenkungsgebiete und darüber hinaus munitionsbelastete Flächen, die schon im Bericht von 2011 kartiert sind. Das sind in der deutschen Nord- und Ostsee, also sowohl dem Küstenmeer als auch der Ausschließlichen Wirtschaftszone, insgesamt zirka 1,6 Millionen Tonnen Munitionsaltlasten. Davon 1,3 Millionen Tonnen in der Nordsee und 300.000 Tonnen in der Ostsee.
Die Erkenntnisse darüber, wie die Munition da unten liegt.
Sie ist zum Teil durchgerostet, zum Teil aber auch noch fast wie fabrikneu. Die durchgerostete Munition macht unserer Umwelt Probleme, weil der Sprengstoff ins Wasser und damit in die Nahrungskette gelangen kann. Die geschlossene Munition macht uns nicht ganz so viele Sorgen – aber in den Verklappungsgebieten sehen wir, dass sie teilweise in Schichten übereinanderliegt. Und das ist eine enorme Herausforderung bei der Bergung.
In den Versenkungsgebieten findet sich alles, was das Kriegsgeschehen hergegeben hat. Von Torpedos über Bomben, Seeminen, Artilleriemunition und Granaten bis hin zu Handwaffenmunition.
Nur ein kleiner Teil, so zirka 5.000 Tonnen. Davon 90 Tonnen in der Nordsee, der Rest in der Ostsee. Wobei das betroffene Versenkungsgebiet im Kleinen Belt liegt, aber da die Verladung in Flensburg erfolgte und mit der Verklappung schon auf dem Weg zum Versenkungsgebiet begonnen wurde, rechnen wir sie zu den deutschen Munitionsaltlasten hinzu.
Der Bericht wurde fortgeschrieben. Dafür wurde eine zentrale Meldestelle für Munitionsfunde beim Maritimen Sicherheitszentrum in Cuxhaven eingerichtet. Die hat schon 2012 den Betrieb aufgenommen. Da gehen seither alle Meldungen hin, die in irgendeiner Weise mit Munition im Meer zu tun haben. Etwa über Funde bei Baggerarbeiten in den Offshore-Windparks. Oder durch die Kampfmittelräumdienste, wenn sie zu einem Fundort gerufen werden. Damit haben wir einen guten Überblick darüber, was in den Gewässern passiert. Wir haben mit Partnern aus der Wissenschaft außerdem viel kartiert. Über die Versenkungsgebiete in der Lübecker Bucht und der Kolberger Heide können wir mittlerweile fast fotorealistisch sagen, was für Munition da liegt und in welchem Zustand sie ist. Und zusätzlich haben wir Methoden entwickelt, wie wir überwachen können, welche Schadstoffe in die Meeresumwelt gelangen und wie viele. Das konnten wir vorher nicht. Mittlerweile können wir schnell und sehr genau sagen, wenn sich von der Munition Sprengstoffe gelöst haben. Die meisten Ergebnisse dieser Untersuchungen sind in den Berichten veröffentlicht, die auf der Seite munition-im-meer.de einzusehen sind.
Überall dort, wo unmittelbare Gefahr für Leib und Leben besteht, werden der Kampfmittelräumdienst und die Wasserstraßen und Schifffahrtsverwaltung im Rahmen ihrer Zuständigkeiten aktiv. Wenn etwa in einer Schifffahrtsstraße Munition mit Gefahrenpotenzial für die Schifffahrt gefunden wird, dann wird sie geräumt.
Wir haben beim sogenannten Muschelmonitoring in den Versenkungsgebieten Konzentrationen festgestellt, bei denen Jungfische in Laborversuchen nach 24 Stunden tot waren. Das war aber zehn Zentimeter neben offen liegendem Sprengstoff. Schon in ein bis zwei Meter Entfernung fallen die Messwerte ab. Auch die flächige Verteilung geschieht nicht so schnell, wie man sich das vorstellt. Außerhalb der Versenkungsgebiete haben wir daher auch noch keine Belastung in schädlicher Höhe nachweisen können. Das bedeutet, dass Fische und Muscheln weiterhin gegessen werden können, die werden ja nicht in Versenkungsgebieten gefangen. Aber wir untersuchen die Auswirkungen auf die Nahrungskette.
Das kommt immer wieder vor. In Schleswig-Holstein meistens in Form von Munitionsteilen. In Mecklenburg-Vorpommern ist auch weißer Phosphor zu finden, der so ähnlich aussieht wie Bernstein und aus Brandbomben in Versenkungsgebieten stammt, die dort liegen. Wer sich nicht sicher ist, ob er wirklich Bernstein gefunden hat, legt den Strandfund in einen Blechtopf, und wenn er nach einem Tag trocken ist und sich noch nicht entzündet hat, ist es im Regelfall kein Phosphor.
Wir arbeiten intensiv bei Helcom mit, der Organisation zum Meeresumweltschutz der Ostsee. Da gibt es ein Expertennetzwerk, das nennt sich Submerged. Das hat jetzt eine Einschätzung über die Munitionsbelastung der Ostsee insgesamt erstellt. Doch es gibt noch kein tatsächliches, einheitliches Lagebild. Aber wir haben zumindest einen Überblick darüber, wie es in der Ostsee aussieht. Und wir versuchen im Rahmen dieses Expertennetzwerks ein Monitoring für die gesamte Ostsee aufzubauen. Die Munitionsaltlasten sind einfach ein internationales Thema.
Bisher wurde nur in Einzelfällen geräumt. Zum Beispiel bei Gefahr im Verzug oder Bauprojekten. Was wir jetzt wollen, ist, wirklich Masse bergen und entsorgen.
Das wird derzeit überlegt. Für die Bergung können wir vorhandene Technologie nutzen, was uns allerdings noch fehlt, ist die entsprechende Entsorgungskapazität. Dabei ist die gesamte Prozesskette anzuschauen. Vom Aufspüren über die Entschärfung bis zur Bergung und Entsorgung. Diese vier Schritte kann man einzeln gehen oder kombinieren.
Das hat viele Gründe. Alles, was das Meer mit seinem blauen Teppich bedeckt, sieht man erst mal nicht mehr. Aber nach dem Zweiten Weltkrieg gab es auch schon relativ zügig Aktionen, die Munition wieder zu räumen. Nicht zu entsorgen, aber zu sprengen oder rauszuholen und woanders zu versenken. Und dann gab es eine Zeit, in der das Thema aus dem Blick war und es eine gewisse Verantwortungsdiffusion gegeben hat. Und dann ist es letztendlich natürlich auch immer eine Geldfrage. Jetzt haben wir aber einen Zustand erreicht, an dem alle Beteiligten sagen, das wollen wir gemeinsam schaffen.
Es beginnt damit, dass Taucher mit Kameras helfen herauszufinden, in welchem Zustand die Munition ist. Ist sie durchgerostet, ist noch ein Zünder drauf, ist der Sprengstoff möglicherweise schon zu sehen? Der wird über die Jahre unter Wasser nicht ungefährlicher, sondern sogar schlagempfindlicher.
Nein. Da werden Sperrgebiete eingerichtet, mit ausreichend großem Sicherheitsradius, damit weder Wassersportler noch Taucher und auch die Schifffahrt nicht gefährdet werden. Und wenn die Sprengung unumgänglich ist, werden entsprechende Sicherheitsmaßnahmen eingeleitet. Davon gehen wir bei der Flächenräumung aber nicht aus.
Wenn in der Seekarte „Unrein, Munition“ steht, dann wurde da etwas gefunden oder man weiß, dass dort Munition versenkt wurde. Meist steht dann auch dabei „Fischen und Ankern verboten“, und genau das sollte man dann dort auch nicht tun. Alles, was in irgendeiner Weise geeignet ist, den Grund zu berühren und dort Munition auszulösen, sollte man vermeiden. Ich kenne zwar keinen Fall, in dem ein Anker alte Munition ausgelöst hat, aber vor zwei Jahren hatte ein Fischer vor der britischen Küste eine Mine in seinem Netz, die dann ausgelöst hat, was auch zu Personenschäden führte. Die Gefahr ist also durchaus da.
Weil die Fischer heute immer noch ganz genau wissen, wo die alte Munition liegt. Wir sehen auf Unterwasserkartierungen sogar ganz deutlich, dass die Spuren der Schleppnetzfischerei regelrecht um die versenkte Munition herum verlaufen.
Tatsächlich das Durchrosten. Die dünnwandige Munition ist oftmals jetzt schon so weit durchgerostet, dass der Sprengstoff offen liegt. Die Menge an Sprengstoff, der sich mit der Meeresumwelt verbinden kann, wird immer größer, und damit auch deren Belastung und die Wahrscheinlichkeit, dass Schadstoffe in die Nahrungskette gelangen.
Ich hoffe doch sehr, aber ich habe die Befürchtung, dass ich ihn nicht mehr erleben werde (lacht). Es ist eine Generationenaufgabe. Eine gut eingestellte Entsorgungsanlage schafft vielleicht drei Tonnen am Tag. Bei 1,6 Millionen Tonnen kann man sich leicht ausrechnen, wie lange das dauert.
Was man schon unmittelbar nach der Verklappung wieder geräumt hat, waren die Hauptschifffahrtswege und die Fischfanggebiete. Etwa den Kiel-Ostsee-Weg, den Kiel-Flensburg-Weg oder den Fehmarnbelt. Weil dort ja schließlich Menschen gearbeitet haben, die man schützen wollte. Was man nicht gemacht hat, war, die Versenkungsgebiete zu beräumen, die hat man belassen.
Nein, die haben ja ihre eigenen Probleme mit Altlasten. Im Rahmen der Archivrecherche nutzen wir aber die Aufzeichnungen der Alliierten, weil die sehr genau festgehalten haben, wann wo was auf welches Schiff verladen wurde und wo das hinfahren sollte.
Es gibt die Internetseite Munition im Meer, da kann man sich informieren. Dort finden sich auch Handlungsempfehlungen für Munitionsfunde am Strand. Denn immer, wenn man dort etwas Unbekanntes findet, ist Vorsicht geboten.