Johannes Erdmann
· 13.03.2023
Bordwerkzeug: Auf Booten gibt es immer wieder etwas zu reparieren. Wie gut, wenn das passende Werkzeug dafür an Bord ist. Wir haben uns sieben Komplettsets angeschaut
Egal ob sich der Kleiderhaken in der Eignerkammer von der Wand löst, die Ventile am Motor eingestellt werden wollen oder schlicht eine Glühbirne im Positionslicht gewechselt werden muss – immer wieder wird an Bord Werkzeug benötigt. Deshalb hat fast jeder Eigner über die Jahre eine Kiste mit den nötigsten Hilfsmitteln angesammelt, die mit der Zeit auch immer umfangreicher wird. Aber wie es häufig so ist: Wenn man ein bestimmtes Werkzeug braucht, dann fehlt natürlich genau dieses im Koffer. Entweder weil man es zuvor noch nie benötigt oder weil man es „irgendwo verlegt“ hat.
Dabei gibt es in jedem Baumarkt und bei vielen Ausrüstern kostengünstige und sehr vollständige Komplettsets, in denen die wichtigsten Werkzeuge nicht nur enthalten sind, sondern auch einen festen Platz haben, was der Ordnung an Bord sehr zuträglich sein kann. Doch sind diese Werkzeugkästen auch für den Bordeinsatz geeignet? Lassen sie sich von den Abmessungen her überhaupt gut in die Backskiste bekommen, und bergen die oftmals metallenen Kästen womöglich die Gefahr, beim Hantieren an Bord eine Macke im Gelcoat zu hinterlassen? Wir haben uns einige Werkzeugsets angesehen und uns einen Überblick verschafft.
Was ein komplettes Werkzeugset kosten darf – da sind keine Grenzen gesetzt. Der eine kauft sein Werkzeug im Wochenangebot beim Lebensmittel-Discounter, der andere im Fachhandel seines Vertrauens. Für diesen Vergleich haben wir uns Kästen im unteren bis mittleren Preissektor zwischen 85 und 249 Euro angeschaut, die beim Bootsausrüster zu beziehen sind oder aber im Internet.
Von den vorgestellten Kästen sind aber lediglich zwei speziell für den Gebrauch an Bord entwickelt worden, was sich im Koffermaterial und der Ausstattung spiegelt: Der zwar etwas sperrige, aber dafür schwimmfähige Koffer von A.W. Niemeyer und der etwas größere, aber sehr flache Kasten von Osculati. Alle anderen Kästen verfügen über ein Sortiment, das eher für den gemeinen Heimwerker gedacht ist, aber in groben Zügen auch an Bord hilfreich ist. Neben einem Hammer, einer Knarre mit Nüssen, einigen Schraubendrehern und -schlüsseln sowie Seitenschneider und Kombizange verfügen die meisten Kästen auch über eine Wasserpumpenzange, eine kleine Säge, ein Cuttermesser und Ähnliches.
Wer sich auf dem Markt umschaut, dem fällt zumeist die angegebene Anzahl der enthaltenen Teile auf, mit der die Kästen beworben und verglichen werden. Natürlich freut sich der Käufer, möglichst viele Dinge für sein Geld zu bekommen. Doch die Zahl der Teile allein ist noch kein Qualitätsmerkmal – denn was nützt an Bord eines Bootes ein Phasenprüfer oder eine Wasserwaage? Die können gleich an Land bleiben. Manchmal handelt es sich bei 50 dieser aufgezählte Teile sogar um Kabelbinder … Ein gutes Werkzeugset kann deshalb auch knapp bestückt sein, wie das Beispiel des Osculati-Koffers beweist. Mit 52 Teilen liegt der in der Anzahl der Teile weit hinter den Mitbewerbern der Oberklasse, aber ist dennoch sehr gut ausgestattet, ohne sinnlose Dinge zu enthalten. Deshalb haben wir uns sieben Kästen angeschaut, die unserer Meinung nach einen stimmigen Eindruck machten.
Qualität vor Quantität – und in Sachen Qualität haben wir beim Vergleich und einigen zum Test durchgeführten Wartungsarbeiten an einem Außenborder interessante Überraschungen erlebt. Die Zusammenstellung vieler Kästen ist überraschend durchwachsen, und gutes ist mit mangelhaftem Werkzeug gemischt. Während die Schraubenschlüssel des Famex-Kastens (Compass) geradezu schmeichelhaft in der Hand liegen und das Bitset mit speziellen und seltenen Flügelmutter-Bits und Ähnlichem jeden Schrauber zum Strahlen bringt, wirkt die Wasserpumpenzange desselben Sortiments mit klappriger Funktion und nicht isolierten Griffen geradezu nostalgisch.
Auch die Qualität der Koffer fällt sehr unterschiedlich aus. Zum einen, was die Kofferhülle angeht, die entweder aus Plastik, Aluminium oder sogar Styropor besteht – zum anderen, wie die Werkzeuge darin gehalten werden. Fast alle Werkzeugkästen wurden vorsortiert geliefert. Bis auf den Kasten von Famex, in dem das Werkzeug in Tüten verschweißt erst anhand eines Schwarz-Weiß-Fotos einsortiert werden musste. Doch bereits auf dem Versandweg wurden einige der vorsortierten Kästen geschüttelt und geworfen, wodurch das Werkzeug häufig erst wieder an seinen Platz zurückgeräumt werden musste. Das ist je nach Ausführung der Halterungen gar nicht so einfach. Die Kästen von Mannesmann und Meister sind Vorbilder, was die Ordnung angeht, denn sie verfügen über vorgeformte Taschen, auf die ein Bild von dem Werkzeug aufgedruckt ist. Andere hingegen besitzen nur ein paar Gurtband-Riemen, hinter die das Werkzeug geklemmt werden muss. Doch was kommt wohin? Ohne einen Plan fühlt man sich dabei manches Mal wie ein Kleinkind, das in einem Puzzlespiel Bilder den zugehörigen Umrissen zuordnen soll. Nach dem Vergleich wissen wir nun, dass die Kinder dabei auf das spätere Sortieren von Werkzeugkästen vorbereitet werden …
Nüsse und Zangen werden häufig in Mulden gedrückt, die in die Innenschale des Koffers (Plastik oder Schaumstoff) gefräst oder geformt sind. Schalen aus Plastik, wie beim Koffer von Osculati, bieten durch den Klammergriff in der mit wenig Toleranz gefertigten Mulde zwar häufig einen sehr festen Halt, sodass das Werkzeug nicht so schnell herausfällt – der Nachteil ist jedoch oft auch, dass man das Werkzeug nur mit anderem Werkzeug aus den Mulden heraushebeln kann. Besser schneiden da die Lösungen von Meister und Quantool ab, die das Werkzeug stramm in einem Schaumstoffbett lagern, das jedoch beim Ziehen schnell nach- und das Werkzeug freigibt.
Da sich die Bewertung der Werkzeugkästen also an vielen Gesichtspunkten orientieren muss, haben wir die Bewertungstabelle auch sehr umfangreich ausgeführt und nach Punkten wie der Zusammenstellung des Werkzeugs, Qualität des Koffers und dem Halt des Werkzeugs darin geordnet, aber auch das einzelne Werkzeug einem Praxistest unterzogen.
Dem Sortiment nach am besten für den Einsatz auf Booten geeignet sind – wie zu erwarten, denn sie sind ja schließlich dafür entwickelt worden – die Koffer von Osculati und AWN. Beide Koffer sind außen weich und abgerundet, sodass sie an Bord keine Beschädigungen an Deck hinterlassen können. Im Koffer von Osculati sind neben gutem Werkzeug auch bootsspezifische Extras wie ein Ölfilter-Schlüssel, zöllige Schraubenschlüssel (für amerikanische Motoren) und ein Marlspieker enthalten, im Koffer von AWN zumindest zwei Kerzennüsse, die jedoch offenbar falsch einsortiert wurden, denn es ist zweimal derselbe vorhanden. Das Werkzeug von AWN ist qualitativ hochwertig und wirkt nach dem Test der anderen Kästen bereits sehr vertraut. Kein Wunder, denn auch das AWN-Werkzeug kommt von Mannesmann. Leider fehlt in beiden Koffern eine kleine Knarre, die an Bord eines Bootes in engen Räumen sehr häufig hilfreich ist, wenn man mit der großen nicht nah genug an die Schraube herankommt. Optimal sind zwei Knarren von 1/2 Zoll und 1/4 Zoll samt zugehörigen Nüssen.
In der Gesamtwertung gleichauf liegen zwei Koffer: Der größere (159 Teile) von Mannesmann und der Koffer von Meister. Beide verfügen über ein sehr ausgeklügeltes, übersichtliches, festes, aber auch gut zu entnehmendes Haltesystem aus Taschen, Gurtbändern und Mulden, wobei jedoch bei Meister die Schaustoffmulden etwas besser sind als die Plastikmulden von Mannesmann. Die Taschen für die Zangen sind bei Meister dank zusätzlichem Gummizug ebenfalls etwas fester. Dafür allerdings ist der Alukoffer von Mannesmann qualitativ etwas besser und stabiler.
Auch einige Werkzeuge lassen sich bei Mannesmann angenehmer führen. Vor allem die Schraubendreher liegen ergonomischer in der Hand und erlauben auch mal, ein paar mehr Schrauben zu drehen. Doch das Werkzeug von Meister ist keineswegs schlecht. Das Sortiment ist bei beiden Koffern sehr vollständig. Über die üblichen Werkzeuge hinaus enthält der Koffer von Mannesmann Messschieber, Blechschere, Meißel, Durchschlag und Teleskopmagneten – alles sinnvolle Dinge. Ähnlich ist der Koffer von Meister ausgestattet, mit Seegering-Zange, Feinmechaniker-Bitsatz, Quetschverbinder, Taschenlampe und Kerzenstecker.
Beide Kästen sind deshalb sowohl in Sachen Qualität, Ausstattung und Preis-Leistung eine echte Empfehlung für einen Eigner, der auf viele Eventualitäten vorbereitet sein will. Ist er selbst ein geübter Schrauber und hat noch einen großen und einen kleinen Drehmoment-Schlüssel im Schapp – dann gibt es wenige Reparaturen, die mit diesen beiden Werkzeugkoffern nicht zu schaffen wären.
Wer selbst schon einen Satz Schraubenschlüssel an Bord hat, der kann alternativ auch zum kleinen Mannesmann-Koffer für 85 Euro greifen. Denn bis auf die Schraubenschlüssel ist er recht vollständig und hat im unteren Fach einen Stauraum für eigenes Werkzeug, wie etwa eine gute Crimp-Zange und ein Multimeter. Wer ein kleineres und schickes Trailerboot besitzt, für den kann der neue Quantool-Koffer eine reizvolle Alternative sein, denn mit seinen 48 Teilen ist er für die einfachsten Reparaturen völlig ausreichend. Das hellblaue Bett aus Schaumstoff mit einer Deckschicht aus kohlefaserartigem Plastik lässt das Set sehr hochwertig wirken, und der wasserdichte Koffer verhindert Korrosion durch salzige Luft. Außerdem ist der Koffer mit 139 Euro auch noch günstiger, als es die edle Optik vermuten lässt. Fast zu schade, um damit einen öligen Motor zu reparieren.
Egal welcher – es ist gut, einen Werkzeugkasten an Bord zu haben. Denn das ist es doch, was Bootfahren sprichwörtlich ausmacht: sein Boot an den schönsten Orten dieser Welt zu reparieren.