Alles begann mit Pietro Riva, der 1822 in Laglio (bei Como) geboren wurde, ein Jahrhundert vor dem legendären Carlo Riva. Pietro erlernte die Kunst des Tischlerhandwerks von seinem Vater und den Schiffsbauern in der Gegend von Como.
Im Frühjahr 1842 ergab sich dann eine Gelegenheit, die sein Schicksal für immer verändern sollte. Nach einem schweren Sturm im Norden Italiens kam ein Fischer aus Sarnico an den Comersee, lernte Pietro kennen und erkannte dessen Fähigkeiten, sodass er ihn mit der Reparatur seiner Boote beauftragte.
Und so machte sich der zwanzigjährige Pietro Riva auf den Weg zu dem Abenteuer, das sein Leben verändern sollte. Er reiste nach Sarnico und begann in einer Industriehalle am Fluss Oglio mit den Reparaturarbeiten an den beschädigten Booten. Alles unter den neugierigen und aufmerksamen Blicken der Einheimischen, die die Fähigkeiten des jungen Außenseiters schnell schätzen lernten. So sehr, dass bald viele von ihnen begannen, ihn mit der Reparatur ihre Boote zu beauftragen und neue bauen zu lassen.
Zu seinen ersten Aufträgen gehörten ein Fischerboot -bekannt als „naet“- und ein Beiboot im Como-Stil, also in der Version der berühmten„Inglesina“, die in der Gegend von Como gebaut wurde. Ein Auftrag führte zum nächsten und Pietro ließ sich dauerhaft in Sarnico nieder, wo er seine Familie gründete.
Nur eines seiner Kinder – Ernesto – erbte die intensive Leidenschaft für Boote und experimentierte mit verschiedenen Antriebsarten, unter anderem mit den damals noch neuen Verbrennungsmotoren. Auf diese Weise kam er auf die Idee des Motorboots und gründete um 1860 zusammen mit seinem Vater die erste Riva Bootswerft am Iseosee in einem Schuppen, der wegen seiner Blechbedachung (ital. „tesa“) Tesone genannt wurde.
Neben den kleinen Fischer- und Beibooten konnten nun auch große Passagierboote zu Wasser gelassen werden. Eines der ersten und wichtigsten Projekte war ein dampfgetriebenes Boot für den Transport von Waren und mindestens 25 Passagieren, das von einem Geschäftsmann aus Como in Auftrag gegeben wurde. Die Belegschaft wuchs von vier auf zehn Mitarbeiter und die Werft entwickelte sich zu einem richtigen Unternehmen.
1907 übernahm Serafino Riva die Leitung der Werft und machte dort weiter, wo sein Vater aufgehört hatte, aber er legte den Grundstein für eine große Wende: Rennboote. Wie auch heute bot der Rennsport die Möglichkeit, mit Materialien und Technologien zu experimentieren, die dann bei Freizeitbooten erfolgreich eingesetzt wurden.
Nach dem Ersten Weltkrieg, zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, entwickelten sich Motorbootfahrer zu einer Elite von immer aktiveren und leidenschaftlichen Enthusiasten. Serafino war fasziniert von der Geschwindigkeit auf dem Wasser und beteiligte sich an der Entwicklung des ersten Außenborders. Daher stellte die Werft in den 1920-er-Jahren den Bau großer Schiffe ein und konzentrierte sich ausschließlich auf Rennboote. Serafino wurde schnell zum Maßstab für alle Top-Motorbootrennfahrer der damaligen Zeit. Es dauerte nicht lange, bis er begann, mit Ole Evinrude, dem Erfinder kleiner, leichter und preiswerter Außenbordmotoren, zusammenzuarbeiten, um sein erstes Rennboot zu bauen. Serafino nahm selbst an zahlreichen Rennen teil, sowohl als Konstrukteur als auch als Fahrer. Außerdem stellte er ein Team von Fahrern zusammen, darunter Giudo Paglia, Carillo Pesenti und Giuseppe Guerino.
Die 1930er-Jahre begannen mit einem erstaunlichen Sieg in einem Rennen, das als das interessanteste und schwierigste der Welt angesehen wurde: von Pavia nach Venedig, eine Strecke von 431 km auf dem tückischen Fluss Po. Dieser Erfolg festigte den Ruf der Werft und Serafino fuhr fort, den Produktionsprozess zu perfektionieren. In Zusammenarbeit mit dem Designer Gerolamo Caviglia baute er zwischen 1934 und 1938 sechs einsitzige Rümpfe. Der erste von ihnen, „Sans Atout“, war für Augusto Valtolina bestimmt, der damit im August 1934 mit 107,685 km/h den Geschwindigkeitsweltrekord im Rennsport aufstellte. Fünf Monate später, im Januar 1935, wurde das gleiche Boot auf den Namen „Giovinezza“ umgetauft und an Ferdinando Venturi verkauft. Auch Venturi gewann das Rennen mit einer Geschwindigkeit von 109,725 km/h.
Das Ende der 1930er-Jahre brachte Riva eine ununterbrochene Serie von Siegen, Rekorden und Titeln, wobei Riva-Boote in allen Außenbordmotoren-Klassen von 250 cm³ bis 1.000 cm³ den ersten Platz in der Rangliste belegten. Die europäischen Spitzenfahrer in der Kategorie Outboard Racing (Klasse X-1000) waren die Brüder Augusto und Renzo Romani, die mit beachtlichen fünf Riva-Motorbooten antraten. Von den 1930er- bis zu den 50er-Jahren fuhren sie insgesamt 104 Siege und 40 Platzierungen unter den ersten drei ein, gewannen sechs europäische und elf italienische Meisterschaften und stellten zwei Weltrekorde auf.
Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges fielen dann aber der Ruhm, der Erfolg und die Begeisterung für den Rennsport – vorübergehend – in sich zusammen.
Nach den Kriegs- und Nachkriegsjahren übernahm Serafinos ältester Sohn Carlo 1949 im Alter von 27 Jahren das Familienunternehmen und entwarf seine Boote in Anlehnung an die offenen Motorboote der amerikanischen Marke Chris-Craft. 1950 wurde ihm die Leitung der Riva-Werft offiziell übertragen.
Im Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg, das von der industriellen Umstellung in Italien und dem Mythos von der Geschwindigkeit und der Rennwagen beherrscht wurde, verstand Carlo den Zeitgeist und begann in den 50er-Jahren mit der Produktion von Holzbooten mit unverwechselbarem Design.
Zu den Rennbooten kamen die ersten Runabouts und der nächste Schritt war die Serienproduktion: Corsaro (1946), das erste Boot; Ariston (1949), der Stammvater der Motorboote der Marke; Tritone (1950), das erste zweimotorige Boot; Florida, dessen Name eine Hommage an die Vereinigten Staaten und das magische Florida ist. Die unter der Leitung von Carlo Riva produzierten Boote nahmen die Nachfrage vorweg und setzten Modetrends, angetrieben durch einen einzigartigen und zeitlosen Fokus auf Details, die den Unterschied zu anderen Marken ausmachten.
Im Jahr 1956 begann L’Ingegnere, wie Carlo Riva auch genannt wurde, die Zusammenarbeit mit dem Designer und Architekten Giorgio Barilani, dessen grafisches und gestalterisches Fachwissen typisch für Riva wurde. Er leistete einen entscheidenden Beitrag zur Entstehung der Legende, als er 1962 auf der dritten Mailänder Bootsmesse die Aquarama vorstellte, welche sofort eine unwiderstehliche Anziehungskraft entwickelte und zu einer „Marke innerhalb der Marke“ wurde. Sie schaffte es, neue Maßstäbe zu setzen. Die neuen Markenzeichen fanden sich seitdem in der fugenlosen, tiefroten Mahagonibeplankung aus einem einzigen Mahagonibaum, starken Innenbordmotoren mit dem typisch satten Klang, viel blank poliertem Chrom, der Panoramascheibe, einem klassischen Armaturenbrett mit weißem Steuerrad, weißen Ledersitzen und dahinter eine gepolsterte Liegefläche. Die Aquarama war das Motorboot, das von dem jungen Gianni Agnelli zum ersten Mal Probe gefahren und zum Symbol Rivas wurde, bis heute. Der Name des Bootes war inspiriert von amerikanischen „Cineramas“, experimentellen Breitwandkinos. Im Jahr 1963 wurden 21 Aquaramas ausgeliefert. Im Jahr darauf wurde die Super-Version entwickelt, 1971 folgte die Special-Version. 765 Aquaramas wurden produziert, davon 306 Aquaramas (1962–1971), 175 Aquarama Super (1963–1971), 7 Aquarama Lungos, und 277 Aquarama Specials (1971–1996).
In dieser Zeit verkörperte Riva italienische Exzellenz in der ganzen Welt und war eine bevorzugte Marke des internationalen Jetsets. Die Auswahl edler Materialien, die sorgfältige Pflege und die Liebe zum Detail sowie die Handwerkskunst machten die Boote zu Objekten der Begierde für Könige und Königinnen, Schauspieler, Geschäftsleute und Champions. Carlo Riva ging auch 1969 mit den Bedürfnissen der Zeit, als er beschloss, das erste Boot aus Glasfaser zu bauen. Gleichzeitig gründete er den Riva Boat Service, um seine Boote zu verkaufen und technische Unterstützung für die Eigner anzubieten. Trotzdem kam es in diesem Jahr zu einem Bruch, der das Ende des Familienunternehmens einläuten sollte.
Aufgrund gewerkschaftlicher Unruhen verkaufte Carlo schließlich die Werft im September 1969 an den US-Konzern Whittaker. Zwei Jahre blieb er aber noch Vorsitzender und Geschäftsführer und übergab die Leitung 1971 an seinen Schwager Gino Gervasoni, seinem Partner seit 1950. Nachdem Carlo die Werft 1972 verlassen hatte, verlagerte er seine Interessen auf den Porto Turistico Internazionale di Rapallo (Internationaler Yachthafen von Rapallo), der am 25. Juli 1975 nach ihm benannt wurde. Im Jahr 2005 wurde er im Fürstentum Monaco, Rivas „Heimat“ an der Côte d’Azur, von Alberto II. von Monaco mit dem Titel „Personnalité de la Mer“ geehrt. Carlo Riva starb am 10. April 2017 in Sarnico, vielleicht „mit einem Hauch von Nostalgie für ein großartiges Leben, das er in vollen Zügen gelebt hat; mit hoher Geschwindigkeit und umgeben von Booten“, wie er selbst zu sagen pflegte.
Carlo Riva hatte viele öffentlichkeitswirksame Erfolge, aber ein sportlicher ist weniger bekannt als die anderen. Es war im Jahr 1953, nachdem Carlo die Leitung der Werft übernommen und beschlossen hatte, die Rennabteilung zu schließen. In diesem Jahr, zur Zeit des traditionellen Powerboat-GP von Sebino, erhielt er Besuch von Gianni Sironi, einem Journalisten der Gazzetta dello Sport und Motorbootexperte. Sironi fragte ihn nach der „Tritone“, dem neuen und ungewöhnlich schnellen Riva-Runabout. Carlo erzählte ihm, dass es eine Höchstgeschwindigkeit von 70 Stundenkilometern haben sollte.
Sironi wies ihn darauf hin, dass der Geschwindigkeitsweltrekord für diese Kategorie (International Run-about, Klasse 1) bis dato unter 70 km/h läge, sodass es fast eine moralische Verpflichtung sei, zu versuchen, ihn zu brechen. Carlo hatte es bis dahin nie versucht und wie er selbst einmal zugab, reizte ihn diese Art von Erfahrung nicht besonders. Der Rekordversuch fand Ende Oktober während der vom italienischen Motorbootverband organisierten „Rekordwoche“ auf einer vor der Riva-Werft gelegenen Strecke statt, als Hommage an Serafino Riva.
Die Tritone hat nicht enttäuscht: Carlo brach den Weltrekord mit einer Geschwindigkeit von 75,15 km/h und stellte neue Langstrecken- (24 Meilen) und Stundenrekorde auf.
Carlo Riva und Carlo Rossi, damaliger technischer Leiter des Riva Monaco Boat Service, wagten sich 1972 daran, eine Aquarama in ein Rennboot zu verwandeln. Ziel war es, an einem Bootsrennen von England nach Monaco teilzunehmen, der vom Offshore Powerboat Club of Great Britain organisiert worden war. Es war ein verrücktes, fast unmögliches Unterfangen, aber das Talent und die Hartnäckigkeit von Carlo Riva und Carlo Rossi sowie dessen Sohn Gianfranco verwandelten eine Aquarama Super von 1970, die „Zoom“, in ein seegängiges Rennboot. Es wurden einige technische Änderungen vorgenommen, wie beispielsweise die Verlegung des Cockpits nach hinten, um Platz für einen zusätzlichen Kraftstofftank im Vorschiff zu schaffen und den Rücken des Fahrers aufgrund der geringeren Aufprallkräfte im Seegang zu entlasten. Am wichtigsten war der Einbau wettbewerbsfähigerer Motoren. Dabei fiel die Wahl auf zwei 350-PS-starke Crusader-Benzinmotoren. Zunächst war der Offshore Powerboat Club of Great Britain nicht bereit, die Aquarama Super zum Rennen zuzulassen, mit der Begründung, dass sie technisch nicht konkurrenzfähig sei. Doch schließlich erhielt die „Zoom“ die Starterlaubnis, mit Gianfranco Rossi am Steuer.
Als das Boot während des Rennens das spanische Marbella erreichte, stellte sich heraus, dass die Treibstofftanks aufgrund gerissener Schweißnähte ausgetauscht werden mussten, denn es bestand die Gefahr einer Explosion während der Fahrt.
Carlo Riva gelang es noch am gleichen Abend, zwei neue 200-Liter-Tanks einzubauen. So war die „Zoom“ um zwei Uhr morgens in Puerto Banús in Marbella nach endlosen Problemen wieder voll einsatzfähig und konnte ihre außergewöhnliche Leistung vollenden.
Sie belegte den ersten Platz in ihrer Kategorie mit einem stundenlangen Vorsprung vor ihren Konkurrenten und den zweiten Platz in der Gesamtwertung hinter dem Offshore-Rennboot des englischen Fahrers Bellamy.
Carlo Riva hätte sich nie vorstellen können, ein so hervorragendes Ergebnis zu erzielen und er erinnerte sich immer mit Rührung an den Moment, als Gianfranco Rossi mit seinen Abenteurerkollegen Ettore Andenna und Renato Mazzazzi den Kai in Monte Carlo betrat.
Sie hatten ein außergewöhnliches Kunststück vollbracht und der ganzen Welt die bemerkenswerte Seetüchtigkeit und Zuverlässigkeit der Aquarama gezeigt.
1965 beschloss Carlo Riva, die Werft in Sarnico um ein repräsentatives Büro zu erweitern. Das Ergebnis war „La Plancia“ – „Die Brücke“, ein Projekt, das von einer Schiffsbrücke inspiriert war.Sie wurde von Carlo Riva selbst in Zusammenarbeit mit dem Architekten Giorgio Barilani entworfen, dem Erfolgsduo der Aquarama.
Als Carlo 1971 die Werft verließ, unterzeichnete er eine Klausel, die es ihm erlaubte, seine geliebte „La Plancia“ noch zehn Jahre lang zu benutzen. Bis wenige Jahre vor seinem Tod kam er immer wieder ins Büro und freute sich, ein paar Stunden wieder auf seinem „Fahrersitz“ zu verbringen.