„Al Waab”55 Meter langer Gegenentwurf zu einem Explorer

Uske Berndt

 · 01.04.2023

Nur cruisen: „Al Waabs“ Eigner plant keine langen Passagen. Die 55-Meter-Yacht dient als Ferienhaus zur See
Foto: Pozitif Studio

Das Briefing für „Al Waab“ sagte: viel Wohnraum, viel Decksfläche, unter 500 GT und wenig Leistung. Also zogen die Vripack-Designer den Rumpf auf 55 Meter Länge, machten ihn schmal und zeichneten flexible Grundrisse. Die türkische Werft Alia Yachts setzte den ungewöhnlichen Entwurf um.

Wer sich auf Messen oder in Häfen umschaut, erkennt den Trend zur Langstreckenyacht: große Motorenpakete, alternative Energiekonzepte, enor­me Tankkapazitäten und Stauräume, ideal für Ozean­überquerungen und autarkes Reisen. „Al Waab“, könnte man sagen, ist der Gegenentwurf zu einem Explorer. „Der Eigner wünschte sich ein Apartment auf dem Wasser“, erklärt Konstrukteur Bart Bouwhuis die Pläne. Der Vripack-Kreativdirektor und sein Geschäftspartner Marnix Hoekstra begleiteten das Projekt von der ersten Idee an, auch als Designer für die Außen- und Innenbereiche. Schnell zeigte sich, dass der Auftraggeber aus dem Mittleren Osten – vertreten durch SF Yachts – überhaupt kein Interesse an langen Passagen hatte. „Es ging ihm um küstennahes Cruisen, ums Ankern und darum, das Meer zu genießen“, so Bouwhuis. „Er will Spaß mit seiner Familie haben und Freunde mit an Bord bringen.“

Team meisterte große Herausforderungen

Dann war da noch eine Ansage, die das Team vor größere Herausforderungen stellte: „Die Yacht sollte ein möglichst großes Zuhause auf See sein, aber bitte unter 500 Gross Tons.“ Es hieß also, die Eignerbereiche innerhalb dieser Grenzen möglichst geschickt aufzuplustern. Als Lösung bot sich ein Vierdecker an, extralang und dafür ziemlich schlank: 55 Meter zu neun Metern Breite. Dieses Größenverhältnis wurde über CFD-Kalkulationen so lange optimiert, bis alles passte und die Stahl-Alu-Konstruktion die effizientesten Fahreigenschaften lieferte. „Ein schlanker Rumpf braucht weniger Antriebsenergie und damit natürlich einen kleineren Maschinenraum“, so Bouw­huis. Die beiden 533-Kilowatt-Caterpillar-Motoren geben sich demnach relativ bescheiden, zwölf bis 14 Knoten Maximum taugen nicht zum Angeben, aber den Geschwindigkeitsrausch sucht auf „Al Waab“ ohnehin niemand. Beim Cruisen reichen zehn oder auch acht Knoten völlig aus, ebenso die jeweilige Reichweite von 3000 beziehungsweise 4000 Seemeilen.

Weniger Power bedeutet auch: „Al Waab“ verbrennt 35 Prozent weniger Diesel als ähnlich große Yachten. Der Konstrukteur bekräftigt: „Wir erreichen die gleiche Geschwindigkeit und Reichweite mit weniger Treibstoff.“ Das heißt, dass die Tanks kleiner ausfallen dürfen und so weniger Platz benötigen. Während „Al Waab“ rund 52 000 Liter Diesel bunkert, fasst der etwa gleich lange Explorer „Blue II“ doppelt so viel: „Den Raum, den wir hier wegnahmen, konnten wir den Bereichen für den Eigner zuschlagen.“

Werft Alia Yachts übernahm Realisierung der „Al Waab“

Den Mut und die Kapazitäten für das ambitionierte Zwei-Jahres-Projekt hatte schließlich Alia Yachts. Die 2008 von Gökhan Celik und Ömer Korai gegründete Werft arbeitet im türkischen Antalya und zeigt in ihrem Portfolio vor allem One-off-Motor- und Segelyachten zwischen 25 und 40 Meter. Als bisher größtes Vorhaben lief 2016 die 60 Meter lange „Samurai“ vom Stapel, ein gleich langes Projekt – auch mit Vripack – steht derzeit in den Docks.

„Al Waab“ schneidet im direkten Vergleich mit gleich langen Yachten auf vielen Ebenen hervorragend ab: 42 Prozent mehr Decksfläche, acht Prozent mehr Innenraum. Dazu kommen die Gäste in den Genuss eines hohen Fahrkomforts, „25 bis 30 Prozent weniger Rollen und Stampfen“, konstatieren die Yachtdesigner.

Der niedrige Tiefgang mindert das Vergnügen nicht, sondern sorgt vielmehr an anderer Stelle für noch mehr Spaß. „2,15 Meter sind ideal, um direkt vor der Küste zu ankern“, so Bouwhuis, „am besten ganz nah am Strand, sodass die Gäste hinüber­schwimmen oder -paddeln können.“ Die Wasserfahrzeuge dafür lagern nicht im Heck, sondern etwas tiefergelegt auf dem Bug, ein Kran hilft beim Wassern des Sieben-Meter-Tenders und Zodiac-RIBs. So geht kein wertvolles Interiorvolumen für die Tenderparkplätze verloren, was sich in niedrigeren Gross-Tonnage-Werten niederschlägt, ein cleverer Kniff. „Eine Tender­garage ist reine Volumenverschwendung“, stellt Bart Bouwhuis fest.

Der Lagerplatz bleibt trotzdem außerhalb des direkten Blickfeldes der Gäste, und auch von außen ist nichts zu sehen, der Fuhrpark perfekt vom Schanzkleid verdeckt.“

Diese Stauraumlösung bietet zudem viel Flexibilität. Ein wenig Tetris spielen muss die „Al Waab“-Crew dennoch, denn die beiden Jetskis und weitere Toys befinden sich hinter Bodenklappen unter dem Tender. Beim Manövrieren hilft ein Kran, der bis zu eine Tonne hievt.

Gestaltung mit warmen und heimeligen Farben

Ein Ferienhaus zur See – dazu gehören für die Eigner viel Urlaubsflair, Draußensein, das Gefühl von Weite und Offenheit. Diesen Effekt erreichen zum einen die großzügig bemessenen Außendecks, eine am Mittelmeer gut nutzbare Wohnfläche, die nicht auf das Innenraumvolumen drückt. Auch das auf allen Decks verwendete Bambusholz passt gut ins Ferienkonzept, dessen Farbe laut Bouwhuis „schön warm und heimelig“ wirkt. Das nachhaltig produzierte Holz ziert sowohl die Decken der Salons als auch die der Außenbereiche und hält somit die Räume optisch zusammen. Für das gewünschte Ambiente sorgen obendrein viele Beige- und Brauntöne, etwa für die Bodenbeläge – im Salon liegen Fliesen! –, Decken, Wandverkleidungen und selbst für das Mobiliar.

Wellnesszone: Das Eignerbad nebst Ankleide ist geschickt ausgeleuchtet
Foto: Pozitif Studio

Auf blendendes Weiß wurde komplett verzichtet. Hell ist es trotzdem überall, nur allzu grelles Sonnenlicht bleibt außen vor. Dafür sind die Heckterrassen großzügig überdacht, ebenso die breiten Seitendecks, deren dunkle Deckenpaneele zusätzlich Licht schlucken. Am Abend sorgen innen wie außen geschickt platzierte LED-Streifen für eine indirekte, dimmbare Beleuchtung.

Wichtig für die beliebte Verschmelzung von innen und außen sind nahtlose Übergänge und breite Schiebetüren, dazu kommen bodentiefe Fenster und gläserne und zum Teil herunterklappbare Schanzkleider, die das Meer zum Greifen nah heranrücken. „Seit einigen Jahren können wir Glas als strukturelles Element verwenden“, erklärt der Konstrukteur, „das ermöglicht viel größere Flächen und damit offenere Räume.“ Ein schönes Beispiel dafür ist die gigantische goldschimmernde Wand, die sich im offenen Treppenhaus senkrecht über drei Etagen zieht. Zahllose Kristalle zieren die von hinten beleuchtete Fläche, das Ergebnis ist ein zauberhaftes Lichtspiel. Das viele Glas bereitete den Konstrukteuren jedoch etwas Kopfzerbrechen. „Das Problem mit den großen Fensterpaneelen ist, ausreichend Stauraum zu schaffen“, meint Bouwhuis.

Die Kristallwand an der Treppe zieht sich über drei Etagen
Foto: Pozitif Studio

Virtual Reality kam während Designprozess der „Al Waab“ zum Einsatz

Wie die Yacht innen und außen am Ende wirklich aussieht, wie es sich darin lebt, was von wo aus zu sehen ist – das war selbst für die Eigner keine große Überraschung mehr. Im gesamten Designprozess nutzte das Vripack-Team viel Virtual Reality. Diese Technologie hilft den Konstrukteuren seit fünf Jahren bei der Designarbeit und bereitete auch der Eignerfamilie von „Al Waab“ viel Vergnügen. Einer nach dem anderen setzte sich die VR-Brille auf und erlebte so virtuell die Yacht. „So konnte die Familie die Räume und unser Konzept wirklich verstehen“, sagt Bouwhuis, „und genau sehen, wie alle Bereiche zusammenhängen.“

Neben seiner großen Familie plant der Eigner auch zahlreiche Freunde und Bekannte an Bord einzuladen. „Da braucht es ein flexibles Set-up“, umreißt Bouwhuis das Thema. Aus diesem Grund sollten die Gästesuiten möglichst vielseitig nutzbar sein. Ein gutes Beispiel dafür ist der VIP-Bereich auf dem mittleren Unterdeck. Aus zwei Kabinen wird auf Wunsch eine richtig große. Dafür verschwindet die mobile Trennwand, und die zwei vorher getrennten Einzelbetten gleiten zu einer zentralen Liegewiese zusammen, dazu gibt es jeweils ein zusätzliches Sofabett. „Je nachdem ob eine Familie mit Kindern oder die Großeltern anreisen“, so der Designer. Werden noch mehr als sechs Gästekabinen benötigt, verwandelt sich achtern das große Gym in eine komfortable Suite mit Schlafsofa, die dazu noch einen direkten Zugang zum Beachclub bietet. WC und Dusche gibt es dort ohnehin.

Lieblingsplatz an Bord

Mit ein paar wenigen Handgriffen lassen sich an Bord also 16 bis 18 Übernachtungsgäste unterbringen. Der Eigner selbst wohnt vorn auf dem Oberdeck. Seine Suite nimmt hier nicht die gesamte Breite ein, sondern lässt seitlich Platz für breite Seitendecks, um auf das Vordeck samt Vier-Meter-Pool zu gelangen. Herunterklappbare Balkone laden zur privaten Teestunde ein. Damit die Familie ungehindert hinausschauen kann, mussten Badezimmer und Ankleide einen etwas unüblichen Platz einnehmen, und zwar ein Deck tiefer. Jetzt sind die Räume über ein paar Stufen erreichbar, man kann von oben hineinsehen, und dennoch liegt der lichtdurchflutete und großzügige Wellnessbereich etwas separat vom Schlafplatz, eine Idee, auf die das Vripack-Team sichtlich stolz ist. Bouwhuis’ erklärter Lieblingsplatz an Bord liegt auf dem Hauptdeck, im großen Salon. An Steuerbord, in einer halboffenen Nische, steht ein nicht allzu großer Speiseplatz, „die Frühstücksecke“, wie der Konstrukteur dazu sagt. Jetzt gerät er ins Schwärmen: „Stellen Sie sich vor: früh am Morgen, die Schiebetür ist offen, das Schanzkleid unten, und die ersten Sonnenstrahlen kommen herein. Dazu weht eine leichte Brise. Ah! Dieser Platz ist großartig!“

Lieblingsplatz: Der kleine Frühstücksraum öffnet sich nahtlos zur seitlichen  Terrasse. Dort dämpfen dunkle Deckenpaneele allzu grelles Sonnenlicht
Foto: Pozitif Studio

Technische Daten

  • Länge über alles: 54,85 m
  • Länge (Wasserlinie): 51,90 m
  • Breite: 9,10 m
  • Tiefgang: 2,17 m
  • Verdrängung (leer): 510 t
  • Gross Tonnage: 499 GT
  • Material: Stahl, Aluminium
  • Motoren: 2 x Cat C18
  • Motorleistung: 2 x 533 kW
  • Geschwindigkeit (max.): 12,5 kn
  • Geschwindigkeit (Reise): 10 kn
  • Generatoren: 2 x 125 kW
  • Kraftstoff: 52 000 l
  • Wasser: 18 000 l
  • Gäste: 18
  • Crew: 10
  • Konstruktion: Vripack
  • Exteriordesign: Vripack
  • Interiordesign: Vripack
  • Klasse: RINA
  • Werft: Alia Yachts, 2021
Draufsicht
Draufsicht
Privat: Vorn auf dem kurzen Oberdeck hat der Eigner sein Reich, mit Mini-Pool voraus. Die Lounge achtern ist kleiner als das Außendeck.
Privat: Vorn auf dem kurzen Oberdeck hat der Eigner sein Reich, mit Mini-Pool voraus. Die Lounge achtern ist kleiner als das Außendeck.
Clever: Das Hauptdeck zeigt sich unauffällig, bis auf den kleinen Speise-
platz hinter der Galley. Vorn lagert die Tenderflotte.
Clever: Das Hauptdeck zeigt sich unauffällig, bis auf den kleinen Speise- platz hinter der Galley. Vorn lagert die Tenderflotte.
Geteilt: Die Suiten gehen alle von einem Korridor ab, das spart Platz. Zum Gym mit Schlafplatz führt ein separates Treppenhaus.
Geteilt: Die Suiten gehen alle von einem Korridor ab, das spart Platz. Zum Gym mit Schlafplatz führt ein separates Treppenhaus.

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