„c’est normal“Bernico kreiert Carbon-Yacht, die über 100 Knoten fährt

Sören Gehlhaus

 · 25.09.2023

Perfekte Balance: Wenn nur die Oberflächenantriebe und die 1,80 Meter lange Badeplattform Wasserkontakt haben, ist die 50-Knoten-Marke locker geknackt. Bis zu 104 Knoten sind mit Hochoktan-Benzin möglich.
Foto: Tom van Oossanen
Das Erstboot des Supercar-Narrs und Ex-Skiprofis Jon Olsson sollte über 100 Knoten schnell und aus Carbon sein. Nach vier Jahren stellte Bernico sein Carbon-RIB „c’est normal“ fertig, das auch elektrisch fährt.

Stockholms Schärengarten ist ein ruhiges Fleckchen Erde: 30 000 Inseln durchzogen von rund gespülten Granitfelsen und umsäumt von tiefgrünen Wäldern. Durch diese Idylle schießt seit letztem Jahr ein 16 Meter langer Carbonbolide mit über 100 Knoten. Das in schwarz-grauer Camouflage getünchte RIB heißt „c’est normal“ und wurde von Bernico für und mit Jon Olsson gebaut. Der ehemalige Profi-Freeskier forderte die belgischen Bootsbauer mit einem Dayboat mit Kreiselstabilisator heraus, das so schnell ist wie ein Offshore-Renner und so gut verarbeitet wie ein zwei Millionen Euro teurer Supersportwagen.

Jon Olsson ist ein Projektmensch. Der Schwede hat bereits Villen in Marbella aufgewertet oder Fahrzeuge von Porsche, Lamborghini (mit Skiboxen auf dem Dach!), Audi oder Rolls-Royce konzipiert, teils mit aufgebaut und nach gewisser Zeit wieder verkauft. Der 41-Jährige räumte als Freeskier zahlreiche Medaillen bei den X-Games ab, wird nach wie vor von Red Bull gesponsert und gründete 2012 die Taschenmarke Db mit einem Norweger. Sie fragten nicht nur Skifahrer, Snowboarder und Surfer nach ihren Wünschen, sondern auch Stewardessen und Vertreter von Fluggesellschaften.

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Social-Media-Kanäle für Vermarktung hilfreich

Natürlich helfen bei jeglicher Vermarktung Olssons Social-Media-Kanäle, auf Youtube ist er 1,5 Millionen Abonnenten schwer. Sein beliebtester Vlog, neudeutsch für Videotagebuch, wurde 7,1 Millionen mal angeschaut – natürlich war eine Yacht im Spiel, die Pershing seines Schwiegervaters. Als der Schwede vor fünf Jahren sein erstes eigenes Boot anging, lebte er mit seiner Frau und noch ohne die zwei Kinder in Monte Carlo, wo er sich zur Monaco Yacht Show High-Speed-Exponate anschaute. „Die waren alle ganz nett, aber dann sprang ich in ein RIB von Bernico und erlebte 60 Knoten – ohne Schlagen des Rumpfes“, berichtet Olsson in einem seiner vielen Videos.

Ein Partner mit multiplen Powerboat-Weltmeistertiteln war gefunden, das militärisch angehauchte Konzept entwickelte der Schwede. Und das monegassische Büro von The A Group goss seine Ideen und Skizzen in einen Yachtentwurf. „Mir gefiel nicht, dass diese Boote so schmal aussahen. Deshalb der Schlauch. Wir erhöhten die Breite, aber nicht unter Wasser“, sagt er vor der dauerpräsenten Kamera. Der PVC-Ring hat einen Durchmesser von 52 Zentimetern und acht Kammern.

Rumpfform der „c’est normal“ ausschlaggebend

Bernico wurde 1991 von Nico Bertels südlich von Antwerpen gegründet und bestückt auch Superyachten mit Tendern. Sein Sohn Buby Bertels ist Teil des Unternehmens, hat Olssons Alter und produziert selbst Videos. Es gibt Aufnahmen von Werftbesuchen, Olsson mit Maßband hantierend und Myriaden von Ideen und Verbesserungsvorschlägen im Kopf. Unverrückbar war die Rumpfform eines P1-Offshore-Einrumpfers, alles Weitere wurde hinterfragt.

Mit 2,95 Metern ist „c’est normal“ so schmal, dass die Motoren von Mercury Racing versetzt angeordnet sind. Die Aggregate mit Twin Turbo, acht Zylindern von je neun Liter Hubraum und Trockensumpfschmierung geben ihre volle Leistung von je 1140 Kilowatt erst dann frei, wenn im Tank vorn hochoktaniges Benzin gebunkert ist. Das reichte bereits für 104,2 Knoten und das Einstellen des Speedrekords für RIBs. Mit Normalkraftstoff leisten die Mercurys je 993 Kilowatt und sind immer noch schluckfreudig, wie Olsson während einer Überfahrt von Stockholm nach Gotland erfahren musste, als der Tank leer lief und die Küstenwache mit Kanistern aushalf.

Zwei Steuerstände mit je einem Raymarine MFD stehen zur Wahl, damit wie im Offshore Racing backbords der Pilot steuern und gegenüber der Co-Pilot Gas geben kann. Es gibt Module für Trimmklappen und den Oberflächenantrieb, der für anspruchsvolle Bedienung sorgt.

Die „c’est normal“ wird elektrisch angetrieben

Eine weitere Antriebsoption bilden zwei Torqeedos und 250-Kilowatt-Batterien, die zwei Stunden Flüsterfahrt bei acht Knoten zulassen. Ein simples, getrenntes System: Die Propeller der E-Motoren sind fest verbaut und ragen bei hoher Fahrt aus dem Wasser heraus. Angesteuert werden sie wie die Bugstrahlruder über das Lenkrad, das sich zum An- und Ablegen per Klickmechanismus abnehmen lässt. Darin enthalten sind Wippen und ein Smartphone, über das die Mercury-App mit Motordaten versorgt. Eine weitere Reminiszenz an Supersportwagen taucht überall auf: Forged Carbon. Die heiß verpressten Kohlefaserschnipsel kamen durch Lamborghini zu Ruhm und sehen im matten Finish ein wenig wie Marmor aus. Sie finden sich in den vier von McLarens Senna Seats inspirierten Schalensitzen wieder, die sich dank Custom-Federung von Öhlins im Rhythmus der Wellen bewegen.

Die Windschutzscheibe setzte Olsson weit nach vorn und damit die Kabine, wodurch achtern mehr Liegefläche entsteht. Im Bug bleibt Platz für ein V-Bett, unter dessen Matratzenende sich eine Toilette versteckt. Ähnlich modular zeigen sich die zwei Liegen im Cockpit; an den Rückenteilen sind sie frei schwebend; die Fußteile lassen sich abnehmen, einhängen und als Tisch nutzen. Kühlschrankschubladen liegen darunter. Wer ein Powerboat mit den Annehmlichkeiten einer Yacht sucht, sollte drei Millionen Euro bereithalten. Dafür listet Jon Olsson die Bernico 52R auf der Webseite seines eigenen Modelabels namens c’est normal. Er scheint mehr Freude am Prozess des Erschaffens zu haben als am Ergebnis, so gut es auch sein mag.


Technische Daten

  • Länge über alles: 15,94 m
  • Breite: 3,43 m
  • Aufkimmung (Heck): 20°
  • Material: Carbon
  • Motoren: 2 x Mercury Racing V8
  • Motorleistung: 2 x 1140 kW
  • Geschwindigkeit (max.): 104 kn
  • E-Motoren: Torqeedo
  • Kraftstoff: 2000 l
  • Wasser: 150 l
  • Navigation: Raymarine
  • Infrarotkamera: FLIR M-300
  • Decksbelag: Esthec
  • Konstruktion: Bernico
  • Exteriordesign: Jon Olsson, The A Group
  • Interiordesign: Jon Olsson, The A Group
  • Werft: Bernico, 2022
  • Preis: 3 Mio. Euro
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