Friedrich W. Pohl
· 08.04.2023
Im Jahre 1994 lieferte Lürssen das Bannenberg-Design mit spektakulärem Interior unter dem Namen „Coral Island“. Ein neuer Eigner übernahm die 72 Meter nach einem Refit an der Weser und taufte die Legende „Coral Ocean“.
Refit? Musste sein. Änderungen? Nur wenige. Was war 2016 auch schon groß zu verbessern an einem Design, das mit einem so einfallsreichen Konzept wie ausgefallenen Interior als Neubau 1994 die mittlerweile weltweit bedeutendste Yachtwerft mit Kurs auf den Mittleren Osten verließ? Der Neubau „Coral Island“ stellte damals mit seinen gut 72 Metern das Nonplusultra einer Entwicklung dar, die heute immer noch nicht ihr Ende erreicht hat.
Der erste Eigner hatte den bereits damals erfolgreichen Designer Jon Bannenberg beauftragt, ihm bei Lürssen an der Weser eine beneidenswerte Yacht ins Wasser zu setzen. „Die eindrucksvolle Hecklandschaft inklusive ausfahrbarer Badeplattform und die geöffnete Bordwand lassen auf eine Yacht schließen, bei deren Realisierung die Bremer Werft ihr gesamtes technisches Know-how einsetzen konnte“, schrieb BOOTE EXCLUSIV im Heft 2/1994. Mehr war nicht zu sehen. Das Interior der „Coral Island“ gehörte bis zur Monaco Yacht Show 2016 zu den bestgehüteten Geheimnissen der Branche. Das Schweigen war vollkommen gewesen, einschließlich der Diskretion des Designers.
Der Australier Jon Bannenberg, Jahrgang 1929, hatte sich vor der Beschäftigung mit diesem Projekt in London als Barpianist einen bescheidenen, mit der Gestaltung einiger Erster-Klasse-Suiten auf Cunards Kreuzfahrer „Queen Elizabeth 2“ einen bemerkenswerten und mit zwei Yachten namens „Carinthia“ bei Lürssen für den deutschen Kaufhauskönig Helmut Horten einen nicht mehr zu überhörenden Ruf erzeichnet. „Carinthia VI“, 71 Meter lang, Baujahr 1973, gilt heute noch als Styling-Ikone des vergangenen Jahrhunderts. Die Bezeichnung „Stylist“ konnte Bannenberg übrigens nicht leiden. Stylist, das hieß für ihn, mit einem Friseur verwechselt zu werden.
Bannenberg zog den Vergleich mit einem Dirigenten vor, der zwar kein Instrument nach Art eines Virtuosen spielen könne, jedoch alle Instrumentalisten in einer gelungenen Aufführung symphoniere. Und in der Tat gelang Bannenberg weit mehr als nur eine gefällige Silhouette mit dauerwelligen Aufbauten und glamourösen Innereien. Er vereinte gerade auch bei „Coral Island“ die Konstruktion, die technische Architektur, die äußere Erscheinung und die Inneneinrichtung zu einem Gesamtkunstwerk. Er betreute Hunderte Eignerträume in England, den Niederlanden, seiner Heimat Australien und eben in Deutschland, bei Lürssen. „Carinthia VI“ heißt heute „The One“, erreicht mit ihrer Länge nach über vierzig Jahren gerade einmal Platz 164 auf der BOOTE EXCLUSIV-Liste, taugte bis zu einem verheerenden Brand aber immer noch für einen Hingucker.
Für Lürssen bedeutete „Coral Island“ 1994 einen weiteren großen Sprung nach vorn. Sie festigte für die Bremer den Einstieg in die Welt der ganz Großen.
Ein Gym mit Sportmaschinen einzubauen, ein Spa mit Dampfbad, das hieß vor über zwanzig Jahren, eine Yacht einer neuen Nutzung zuzuführen. Plötzlich ähnelte die Reise mit einer Yacht bei Bedarf einem Aufenthalt in einem Sanatorium. Dass heute Massageliegen, Hamams, Friseursalons (!) und Laufband-Folterstudios ab einer gewissen Größe für selbstverständlich gehalten werden, verdanken die Nachfrager auch „Coral Island“, einer Pioniertat.
Im Winterhalbjahr 2015/16 machte Lürssen sich an eine zweite Überarbeitung der „Coral“, nach einer Überholung 2009 und ganz unabhängig von den regelmäßigen Wartungen in Bremen über die Jahrzehnte. Dieses Mal standen nicht nur Schönheitsreparaturen im Pflichtenheft; unter einem neuen Eigner veränderte die Legende mit ihrer leichten Verschiebung im Namen auch ihre Funktion: „Coral Ocean“ lädt seit 2016 auch Chartergäste ein. Sie steht dem fahrenden Yachtvolk zur freien Verfügung. Auf der Monaco Yacht Show im selben Jahr stellte „CO“ sich zum ersten Mal dem Charterpublikum vor.
Geblieben ist ein äußeres Design, das sich sofort zu erkennen gibt, auch im Dämmerlicht und damit unabhängig von der bisher nicht imitierten Rumpflackierung, einen Hauch changierend zwischen Elfenbein und Zahnbeige. Sie blieb bisher in dieser Klasse einmalig, ebenso wie der zentral mittige Treppenaufgang achtern in der Längsachse über drei Decks und das extrem lang abfallende Heck, das einfach nicht aufhören will.
Ungewöhnlich bis heute muten auch Eigenheiten im Grundriss und in der Raumaufteilung an. Ein Patio in der Art mediterraner Innenhöfe mit kreisrundem, knapp metergroßem Bulleye-Guckloch in den Pool durch die Innenwand öffnet mit einem geschwungenen Niedergang das Topdeck aufwärts zum Sundeck. Tagsüber würfelt hier unten eine Gräting auf dem Sundeck das Sonnenlicht.
Und was hat sich beim Interior geändert, um der Charterklientel zu gefallen? Fast nichts. Die Bannenberg-Einrichtung mit Strandhaus-Charakter von 1994 blieb erhalten, man könnte meinen, für die Ewigkeit. Genau so wie sie auf der Monaco Yacht Show zu sehen war, hätte „Coral Ocean Island“ auch bereits auf der damals noch höchst bescheidenen Monaco 1994 gewirkt, wenn sie denn damals überhaupt zur Besichtigung freigegeben worden wäre. Bannenbergs Sohn Dickie, der zusammen mit Simon Rowell lückenlos die Nachfolge im Studio des Altmeisters angetreten hat, sah noch einmal, vermutlich auch zur Bewahrung des Erbes, hier und dort auf Details, was das Siegel Made by Jon Bannenberg jedoch nicht einschränkt.
Veränderungen an „Coral“ galten den Anforderungen des Chartermarkts, die in Sachen Sicherheit über die technischen Ansprüche einer rein privat genutzten Yacht hinausgehen. Eine Charteryacht verlangt zusätzlichen Aufwand.
Was aber fällt heute auf? Es sind die Vorhänge vor den nicht allzu großen Fenstern der Aufbauten, die aus der Zeit gefallen scheinen. Heute arbeiten die Designer mit Jalousien, die über ein smartes Mobiltelefon oder Pad die Räume abdunkeln. Dieses Merkmal mag für die einen oldfashioned wirken, andere nennen es anheimelnd.
Beim Interior verließ Bannenberg sich damals nicht ausschließlich auf die Wirkung archaisch anmutender afrikanischer Plastiken; er setzte auf ausgefallenes Material und markante Einzelstücke beim Möbeldesign. Im großen Salon entfalten rauer Marmor, gebürstete Eiche und Muscheln ihre Wirkung. Im Speiseraum setzte Bannenberg Baumrinde ein. Handgetuftete Teppiche aus Schurwolle mit einem Muster brechender Wellen unterstreichen in den Gästekabinen auf dem Unterdeck die Strandhaus-Atmosphäre.
Die VIP-Suite auf dem Oberdeck empfängt die wichtigen Gäste mit Birkenpaneelen, Eichenparkett und Pergamentbespannungen. Möbel aus Treibholz verbreiten ein Crusoe-Ambiente. Im zweiten Salon auf dem Oberdeck zieht indisches Elefantenzaumzeug die Blicke an. Tische aus Granit, Treibholz und Beton zentrieren Sitzgruppen. Für seine Suite wählte der erste Eigner den vorderen Teil des Topdecks zwischen Sundeck und Brücke. Hier faszinieren Federn von Inkaschmuck. Ein Büfett zitiert mit einer Collage aus Secondhand-Brettern auf Polynesisch die japanische Wabi-Sabi-Ästhetik: Schönheit durch schlichte Unvollkommenheit, Grazie durch Makel.
Refit gehört zu Lürssens Kerngeschäft, kein Wunder bei der Zahl der Yachten aus eigenem Hause, die die Standorte zwischen Bremen und Wolgast anlaufen. Es gilt die Maxime, dass eine Yacht nach ihrem Refit mit einem Neubau vergleichbar sein müsse. Die Eigner danken es. 25 der längsten 100 Yachten des BOOTE EXCLUSIV-Rankings befahren die Meere mit dem Logo aus Vegesack. Tendenz: weiter steigend!