Sören Gehlhaus
· 19.06.2024
Voith Schneider Propeller (VSP) nennt sich ein Hauptantriebssystem, das beinahe 100 Jahre alt ist und auf dem Tragflächenprinzip eines Zykloidalpropellers beruht. Im Kreis angeordnete Flügel drehen sich auf einer senkrechten Drehachse mit der gleichen Geschwindigkeit um die Mitte einer Scheibe. Jeder Flügel kann seinen Anstellwinkel verändern, was dynamischen Auftrieb respektive Vortrieb erzeugt. Da die Flügelköpfe miteinander verbunden sind und die Anstellwinkel innerhalb weniger Sekunden verstellt werden können, geschieht der Wechsel von Voraus- auf Achterausfahrt nahezu stufenlos. Ruder sind nicht erforderlich, da die Propeller sowohl Antrieb als auch Steuerung abdecken.
Voith Turbo, eine Sparte des gleichnamigen Heidenheimer Konzerns, betont die schnelle Beschleunigung und den hohen Wirkungsgrad auch im Teillastbereich. Zudem sollen VSP das Halten der Position selbst in rauer See ermöglichen und Stabilisatoren während der Fahrt oder bei Nullgeschwindigkeit überflüssig machen. Zwei VSP erlauben sogar das seitliche Fortbewegen. Verbaut wird der Antrieb in Schleppern, Fähren oder in Schiffen der Offshore-Industrie. Aber auch „Falkor Too“ vertraut seit über zehn Jahren auf zwei Voith Schneider Propeller im Heck, um Beiboote, AUVs oder ROVs sicher an Bord zu bringen. Das 110 Meter lange Forschungsschiff fährt im Auftrag von Schmidt Ocean, einer Stiftung des langjährigen Google-CEOs Eric Schmidt und seiner Frau Wendy.
Seit einem Jahr gibt es den VSP auch als getriebelose, vollelektrische Variante eVSP. Diese soll in der achtblättrigen Ausführung noch leiser sein und die Hintergrundbelastung durch Lärm oder Unterwasserschall für Meeresbewohner senken. Da ist es nur folgerichtig, dass die erste Einheit an die 125 Meter lange „Meteor IV“ geht. Das Forschungsschiff entsteht bis 2026 auf der Neptun-Werft in Rostock, die zur Meyer-Werftengruppe gehört und den Auftrag gemeinsam mit Fassner vom Bundesministerium für Bildung und Forschung erhalten hat. Für den Antrieb sorgen zwei eVSP vom Typ 32X8/285, darüber hinaus wird im Bug ein Voith Inline Thruster VIT 2000-1650H verbaut. Den benötigten Strom erzeugen vier drehzahlvariable Generator-Sets mit je bis zu 1885 Kilowatt Leistung. Jeweils zwei Sets stehen doppelt elastisch gelagert in einem Raum, der vom zweiten Raum wasser- und feuerdicht getrennt ist. Den SCR-Filter zur Reduktion von Stickoxiden ergänzt ein Partikelfilter.
Neben der Manövrier- und Verbrauchsvorteile hat die kompakte Bauweise mit dem integrierten Permanentmagnet-Elektromotor auch Raumvorzüge – und ist damit um so interessanter für Superyachten. Eine erste Referenz im Yachting wird das Konversionsprojekt „Master“, an das zwei elektrische Voith Schneider Propeller gehen. Icon Yachts wandelt im niederländischen Harlingen derzeit eine 66 Meter lange Basis nach Plänen von Espen Øino in einen mit Badeplattform 70 Meter messenden Explorer um. Icon und das Team von Espen Øino International fanden Wege, 80 Prozent des ursprünglichen Schiffes wiederzuverwenden oder upcyceln.
Mit fünf je 500 Kilowatt starken Generatoren als Stromlieferanten sollen sich bei zehn Knoten Fahrt Aktionsradien von bis zu 9000 Seemeilen ergeben. Das einziehbare Bugstrahlruder trägt zum Dynamic-Positioning-Betrieb bei und kann im Notfall als Hauptantrieb agieren. Das Projekt „Master“ soll auch zur Meeresforschung eingesetzt werden, wobei die Tätigkeiten von Tauchgängen mit modernster Sonarausrüstung zur Kartierung des Meeresbodens und zur Identifizierung neuer Meeresarten bis hin zur Unterbringung von Wissenschaftlern an Bord und der Bereitstellung von Platz für ein Labor von Weltklasse gehen. Vorgesehen sei, dass Wissenschaftler ihre Erkenntnisse und ihr Wissen in Echtzeit mit den Gästen teilen.