Uske Berndt
· 11.12.2023
Künstler beziehen ihre Inspirationen aus diversen Quellen, bei Alberto Mancini war es in diesem Fall ein für New York oder Miami typisches Penthouse mit „grenzenloser“ Terrasse. Transparentes Glas statt Geländer oder solider Wand, freier Blick auf Himmel, Land und – falls vorhanden – Wasser. So ein Ambiente würde großartig auch auf eine Superyacht passen. „In meinem Kopf entstand sofort eine Herausforderung“, sagt der italienische Designer, der daraufhin für die Mangusta Oceano 44 die Konstrukteure der Overmarine Gruppe ordentlich ins Schwitzen brachte.
Riesige, bodentiefe Fensterflächen, gläserne Schanzkleider für die Außendecks – mit diesen Ingredienzien macht der Italiener die neuen Mangusta-Verdränger zu schwimmenden Wintergärten. Bei der Berechnung der Alu-Aufbauten der 44 hatten die hauseigenen und die Konstrukteure von P.L.A.N.A. manch harte Nuss zu knacken. „Die Schanzkleider zu verlieren bedeutet ein Verlust an Festigkeit“, erläutert Mancini. Und schiebt verschmitzt hinterher: „Ich kann mich wirklich nicht an die Details der Diskussionen erinnern. Aber das Projekt durchlief viele Schleifen, ehe wir zum finalen Ergebnis kamen.“ Doch der Aufwand für die 44,47 Meter lange und 8,70 Meter breite Stahl-Alu-Konstruktion hat sich gelohnt. „Ich bin stolz darauf, es ist etwas Einzigartiges, und die Kunden der Oceano 44 und 39 cruisen schon auf dem Mittelmeer und genießen ihre Infinity-Decks.“ Die Oceano 39 ist das jüngste und kleinste Modell der Serie und besteht aus GFK.
Mangusta bewirbt die 44 als „spirituelle Nachfolgerin“ der 43, der ersten Oceano, und bezeichnet den 400-Tonner als eine „Villa over Water“ – ein Titel, den auch Mancini ziemlich zutreffend findet: „Sicher, sie ist auch inspiriert von der modernen Architektur einer Villa.“ Dazu passt das für eine Yacht dieser Größe ungewöhnliche Oberdecklayout der Baunummer eins. Statt eines zusätzlichen Salons oder einer Skylounge mit Glasschiebetüren zu drei Seiten platzierte das Designteam im hinteren Teil eine zweite Mastersuite. In einem Penthouse an Land schlafen die Bewohner schließlich auch im Obergeschoss, schön unbehelligt vom Trubel auf der Beletage. In diesem Fall existiert nur eine Schiebetür zum Heck, die sich jedoch über die volle Breite zieht und wie auf dem achterlichen Hauptdeck einen nahtlosen Übergang zum Außendeck definiert. „Das war eine Option, an die wir schon zu Beginn der Layoutplanung gedacht hatten“, erzählt Mancini. „Tatsächlich betonen die Glaspaneele die dramatische Aussicht, die in dieser Yachtklasse einzigartig ist.“
Da es hier oben keinen Aufenthaltsraum für die zwölf Übernachtungsgäste gibt, steht auf der Terrasse auch kein sonst üblicher Speiseplatz. Die Outdoor-Dinnertafel wartet eine Etage höher, elegant platziert zwischen Bar und Lounge, die Indoor-Variante befindet sich zwei Decks tiefer im Salon. Dieses Konzept ist in sich mehr als stimmig. „So gewinnt man eine private Eignerterrasse. Ich denke, das ist es wert“, kommentiert Mancini die Entscheidung.
Wenn sich die Eigner unter ihre Gäste mischen möchten, haben sie diverse Freiluftflächen zur Wahl. Für einen entspannten Nachmittag eignet sich zum Beispiel das 104 Quadratmeter große Sonnendeck sowie der Beachclub, der sich dank Plattform und klappbarer Seitenterrassen in eine luftige und weitläufige Wassersportbasis verwandelt. Für die Pause zwischendurch finden die Gäste im Innenbereich einen Platz in der Lounge und bekommen dazu einen Drink von der Bar. Der allerbeste Ort zum Sonnenbaden liegt hingegen auf dem vorderen Oberdeck. Hier streckt man sich auf Polstern aus, die im Pool liegen zu scheinen, das Wasser plätschert außen um die von Mancini sogenannte Spaßinsel herum. Selbstverständlich gelangen Gäste hier trockenen Fußes hin, zum Liegeplatz führt ein Steg, den Alberto Mancini sichtlich begeistert, als „tibetische Hängebrücke“ vorstellt. An die 270 Meter lange Schwester, die über einer Tessiner Schlucht schwebt, kommt diese zwar nicht heran, bietet aber ein optisches Highlight.
Das Gleiche gilt für das Treppenhaus, in dem es sich lohnt, eine Weile stehen zu bleiben, den Blick schweifen und das Ganze auf sich wirken zu lassen. „Wir haben hier ein modernes Mosaik aus Leder, Velours und Leder mit strukturierter Oberfläche“, sagt Mancini, der auch die Gestaltung des Interieurs zu verantworten hat. Die verschieden großen grafischen Elemente leuchten in jeweils zwei Blau- und Naturtönen. Mit diesem Muster wollte er die „Illusion eines Wintergartens“ erschaffen. Lederkunst findet sich auch am Betthaupt der oberen Eignersuite, allerdings monochrom in Beige. Hier spült ein dreidimensionaler Fisch etwas maritimes Flair in das sehr dezente Ambiente. Rosafarbene Tupfer finden sich hier und da, auch im Marmor der Badezimmer sowie in den roségoldenen Armaturen.
In der Mastersuite auf dem vorderen Hauptdeck geben ähnliche Farbschattierungen den Ton an. Der Raum verfügt statt über eine große Terrasse an Steuerbord über einen kleinen Balkon, der sich auf Wunsch ausklappt und sich perfekt für den ersten Kaffee am Morgen oder den letzten Drink am Abend eignet. Das nicht ganz so üppig vorhandene Tageslicht macht die teilweise mit Glaspaneelen verkleidete Decke wett, das dahinterliegende Muster evoziert vorbeiziehende Wolken oder Wasserpflanzen. Im Badezimmer lassen Skylights den Pool durchschimmern, das Wasser wirft spannende Lichtspiele in den Raum. Der Zugang zu dieser Oase der Ruhe erfolgt über eine großzügige Ankleide, die die Bewohner wiederum direkt vom Vorflur des Treppenhauses erreichen. Spätestens hier lässt sich das Leitmotiv des Interieurs erkennen, das Mancini so zusammenfasst: „Warm, viel Klasse und ein einladender Minimalismus – das ist mein Motto.“
Auch im Salon zeigt sich Mancinis Vorliebe für Marmor. Der Naturstein, genauer gesagt weiß-grauer Calacatta, bedeckt hier sogar den Fußboden unter den Loungemöbeln sowie dem Speiseplatz für zwölf Gäste. Da die Platten der Minotti-Couchtische exakt der gleiche Marmor ziert, verschmelzen sie scheinbar mit dem Untergrund. Ansonsten arbeitete der Designer wieder Ton in Ton, das Leder der filigranen Sitzgruppe hat die gleiche Farbe wie die Wand- und Deckenverkleidung. Auch die Stühle tragen Beige, was der hochglänzenden Tischplatte – mit Marmoreinsatz – sowie dem spiegelnden Deckenpaneel darüber ein wenig Ruhe entgegensetzt. Selbst der moderne Kronleuchter hält sich vornehm zurück.
Diese Ruhe zeigt sich auch an einem Ort, den man dafür vielleicht nicht so erwartet hätte: das Ruderhaus. Bodentiefe Fenster sorgen für exzellente Sicht, erinnern aber zusammen mit der fast mitten im Raum und nahezu frei aufgestellten Kommandozentrale eher an einen Wohnraum, als an das Reich des Kapitäns. Rund um die Monitore und Anzeigen der Brücke ist viel Platz, hinzu kommt, dass die beiden voluminösen, dreh- und kippbaren Captains Chairs so aussehen, als könne man in ihnen mehr als bequem sitzen. Während die Yacht mithilfe der beiden Zwölfzylinder-Motoren von MTU mit bis zu 16 Knoten durch die Wellen rauscht, lässt sich hier komfortabel mit den Gästen die Reiseroute für den kommenden Tag besprechen. Dieses Brücken-Setup ist für Designer Mancini kein Zufall: „Das Ruderhaus wird immer wichtiger. Die Eigner möchten hier mehr Zeit verbringen, die Fahrt von einer höheren Position aus genießen und von dort auf das Meer schauen.“ Dass letztere Beschäftigung ohne Sichteinschränkung vonstattengeht, versteht sich von selbst.