Die Brücke ist einer der wenigen nüchternen Räume an Bord von „Viatoris“. Wobei, hinter der Sitzecke für den Nautik-interessierten Eigner lehnt eine goldgerahmte Ikone an der Wand. Der darauf abgebildete heilige Nikolaus ist der Schutzpatron der Seeleute und Reisenden und soll stets über den in Danzig nach Lloyd’s- und MCA-Regeln geschweißten 40-Meter-Verdränger wachen.
Für „Viatoris“, lateinisch für Reisender, setzte der Eigner aus gutem Grund erneut auf die Qualität von Conrad Shipyard. „Es ist die polnische Mentalität, über unsere Arbeit Anerkennung zu erlangen. Vielleicht ist es eine Art Komplex aus der Zeit des Kommunismus und zu großen Teilen mein ganz persönlicher Anspruch“, erklärt Werftchef Mikołaj Król in der opulenten Eignerkabine.
Sternzeichen-Skulpturen rekeln sich auf Wunsch des pragmatischen Eigners für geringen Putzaufwand hinter Glasscheiben. „Moderne Interiors waren ihm zu kalt, nicht heimelig genug“, so Król, der in Absprache mit dem 57-jährigen Eigner den gleichen Stil für alle Räumlichkeiten wählte, lediglich Polsterfarben und Holzarten variierend, Letztere teilweise stark und stets im Kontrast zu Edelstahldetails. In der Eignersuite auf dem vorderen Hauptdeck öffnen sich die beiden Seitentüren nach außen und werden zur seitlichen Begrenzung für das jeweilige abklappbare Schanzkleid. „Zusammen mit den zwei Klappbalkonen im Salon sind das die ersten, die wir verbaut haben – alles von Lloyd’s abgesegnet“, frohlockt der klassisch ausgebildete Architekt an einen samtblauen Sessel gelehnt, den er vor Jahren bei einem spanischen Hersteller fand. Er ist drehbar gelagert und lässt sich um einige Grad neigen.
Im amerikanisch aufgeteilten Bad hinter dem Bett funkeln diverse Spiegel, zwei Marmorarten – sie tauchen überall auf – und zwei der vielen Holzvariationen, die Conrads Tischler mit sieben Lagen Lack versahen. Ursprünglich sollte dieser Raum, wie auch der Salon, mit dunkel gebeizter Eiche getäfelt werden, doch im letzten Moment fiel die Entscheidung für die hellere Palisander-Eiche-Variante.
Auf Eichenparkett in allen Kabinen verständigten sich Eigner und Król, der klarstellt: „Es ist sein Haus auf dem Wasser. Hier sollen sich nicht Freunde oder Chartergäste wohlfühlen, sondern nur er und seine Familie.“ Das spiegelt sich auch in der geringen Crewstärke wider. Zwei LY3-zertifizierte Doppelkabinen für den Ersten und bis zu drei Servicekräfte befinden sich im vorderen Unterdeck, der Rückzugsort des Kapitäns liegt hinter dem Steuerstand.
Den inflationären Einsatz edler Hölzer kann man goutieren oder nicht, handwerklich makellos ausgeführt sind die Arbeiten allemal. Wie auch die in die Decke eingefassten „Klangleuchter“ über dem Eignerbett. Deren Kristallketten bilden bei rauer See eine Soundinstallation, die eine kreisförmige Belüftungsanlage mit 800 Lamellen umgibt, jede einzelne von Hand bemalt und poliert. Diverse Einlässe, oftmals mit indirekter Beleuchtung kombiniert, lassen die Deckenhöhe von 2,10 Meter höher erscheinen. Der Flur wirkt breiter, weil an den Raumübergängen zwei Schiebetüren parken, sich aber nur eine schließt. Spiegel vergrößern und erhellen die Räume zusätzlich. Die von Król entworfene ovale Kommode – drei davon flankieren Salon und Speisetisch – geht unterhalb der ersten Schublade in einen tiefen Block mit zusätzlichem Stauraum über. Derlei optische Tricks und Art-déco-Ausflüge nehmen dem Interior die Anmutung eines Kapitänszimmers. Die abgerundeten Tischecken zeugen von Conrads Erfahrung im Bau sicherer, seegängiger Segelyachten. Dazu passt: Alle Tische sind fest verankert, auch in den beiden Gästesuiten auf dem Unterdeck, wo sich zwei weitere Doppelkabinen befinden. Mittschiffs führt eine Treppe mit Helixgeländer in die Skylounge.
Im Gegensatz zum einfahrbaren TV im Salon ist dieser permanent wie prominent platziert vor zwei samtigen Sofas und einem Sessel. Darüber ist eine Weltkarte aus Holzintarsien in die Decke gearbeitet. Backbords findet sich eine Bar mit Geschirrspüler und Aufzug für Speisen aus der mit Gaggenau-Geräten bestückten Galley ein Deck tiefer. Die Mahlzeiten reicht die Stew außen an einem Tisch für bis zu sieben Personen.
„Das Leben an Bord sollte alles andere als formal sein“, sagt Król auf dem sich anschließenden Achterdeck, während er den ferngesteuerten LED-Screen bis vor die hintere Sitzecke elektrisch ausfahren lässt. Die danebenliegende Bar mit Grill umgibt, wie alle Außenbereiche, eine kunstvoll verzierte Edelstahlreling, eine der vielen Król-Eigenkreationen, die „Viatoris“ zum schwimmenden Conrad-Showroom machen. Alle Niroteile, von den Lüftungsschlitzen bis zu den Rohrleitungen im Motorenraum, stammen aus eigener Herstellung.
Als der Eigner während der Monaco-Messe 2013 Hakvoorts „Apostrophe“ neben Conrads Motorsegler „Lunar“ liegen sah, wusste er, wie seine nächste Yacht aussehen und von wem das Exteriordesign kommen sollte. Ein durchgerechneter Rumpf der Niederländer von Diana Yacht Design und ein bestehendes Styling von Reymond Langton schienen gute Voraussetzungen zu sein, um schnell mit dem Bau beginnen zu können. Der Nachteil: Optische Ähnlichkeit generiert nur bedingt Aufmerksamkeit für ein Format in einer für die Werft neuen Liga. Zudem zögerte Mikołaj Król, das britische Gestalterduo zu kontaktieren, weil ihm bei einem früheren Projekt ein bekannter Yachtdesigner die Zusammenarbeit verweigerte. Jedoch: „Ich rief ihn an, und Andrew (Langton) behandelte meine Anfrage mit Respekt. Wir trafen uns einige Male, und die Chemie stimmte.“
Aus dem südenglischen Bath kamen insgesamt 20 moderne Design-Adaptionen, die sich für den Eigner alle zu weit weg von „Apostrophe“ bewegten. Nach etlichen Iterationen wurde es der Entwurf mit dem X in den Aufbauten, sehr zur Freude von Król, der in dem X-Yacht-Stempel eher eine Visitenkarte als ein Stigma sieht. Den Eigner beruhigte, dass die sich kreuzenden Klingen durch den blau-weißen Übergang, bekannt vom Reymond-Langton-Design „Aviva“, weit weniger martialisch als in weißen Aufbauten auf weißem Rumpf wirken. Nur passt das sportliche X nicht recht zum gemächlichen Gemüt von „Viatoris“.
Im Motorenraum arbeiten zwei CAT-Sechszylinder mit insgesamt 1000 Kilowatt Leistung, die den Stahl-Alu-Verdränger auf 13 Knoten bringen. Bei 10,5 Knoten ermöglichen die sparsamen Dieselaggregate und 48 600 Liter im Bunker 4000 Seemeilen lange Reisen.
Da es den Eigner nicht ins offene Meer, aber täglich in die Sauna zieht und diese nicht in einem selten geöffneten Beachclub verkümmern sollte, funktionierte Conrad das Sundeck zum Beach-Penthouse um. Gegenüber der 2,50 mal 1,50 Meter großen Sauna stehen Laufband und eine Sprossenwand aus Technogyms Kinesis-Serie für Funktionstraining bereit. Für die anschließende Entspannung sorgt ein zwei Tonnen Wasser fassender Jacuzzi.
Bei Bedarf gelangen zwei Sonnenschirme nach oben, die sonst den sechs Quadratmeter großen Sunpads auf dem Vorschiff Schatten spenden. Hinter dem Bug verstaut die Crew ihren fast vier Meter langen Williams-Tender, der auf längeren Passagen auf das Achterdeck wandert, um das Kollisionsschott freizuhalten. Ein Jettender von Castoldi parkt in der Lazarette neben einem Jetski.
Conrad bietet „Viatoris“ als Semi-Custom-Format unter der schmucklosen Bezeichnung C133 an. Durchaus attraktiv sind die Reymond-Langton-Entwürfe der 3,50 Meter längeren C144, der 47 Meter langen C155 und der C133S. Das Facelift mit nahezu geradem Steven bringt einen Volumenzuwachs von 25 Gross Tons und schafft Raum für eine weitere Crewkabine im Bug. Mikołaj Król ist zuversichtlich, dass bis zum Ende des Jahres ein weiterer C-Serien-Auftrag mit X-Faktor eingeht. Für „Viatoris“ berechnete Conrad letztlich 16,9 Millionen Euro. Ohne Hochglanz-Interior, den vier Klappbalkonen und Verbundsicherheitsglas von Tilse überweisen Eigner rund zwei Millionen Euro weniger. Die kleinste und günstigste Zusatzausstattung, das Nikolaus-Bildnis auf der Brücke, hat sich bereits bewährt. Während der zehntägigen Jungfernfahrt nach Norwegen legte der Heilige seine schützende Hand über die 393 Gross Tons, als sich „Viatoris“ für 40 Stunden und mit zwei Knoten durch einen veritablen Sturm kämpfte.