Was Hans Stützle fasziniert, das sind all diese Details, all die kleinen, bis ins Allerletzte durchdachten Lösungen, die sie auf seiner 1928 gegründeten Bootswerft Winkler bauen. Begeistert kann der Bootsbauermeister darüber berichten, mit einem Strahlen in den Augen sämtliche Finessen erklären, während wir in einem der Bildbände blättern, die von der Produktion eines Tenders erzählen.
Da ist zum Beispiel die 104 Meter lange „Quantum Blue“, die hier gleich zwei Beiboote bekommen hat, ein Coupé und Cabrio. Die Linien des elf Meter langen Rennbootrumpfes entwarf die Hydrodynamik-Koryphäe Ocke Mannerfelt, sein Sohn Ted sorgte für das Exteriorstyling. Zwölf Gäste finden in dem Shuttle Platz, auch voll beladen rauscht er mit seinen zwei 223 Kilowatt starken Motoren mit 42 Knoten dahin. Innen im Salon, der mit formverleimtem, in einem Stück elegant ringsum laufendem Teak ausgelegt ist, hört man dann nur ein ganz leises Säuseln aus dem Maschinenraum. Alles ist perfekt getrimmt, ausbalanciert, ohne Trimmklappen, ohne Blei, sagt der Werftchef: „Die Hydrodynamik ist so wichtig! Nur wenn das Boot technisch gut ist, ist es auch für die Crew gut. Und der Eigner ist nur glücklich, wenn die Crew gut klarkommt.“ Das ist seine Philosophie.
Also sind selbst die Halterungen für die Champagnergläser in den Armlehnen aus einem soliden Block gedreht, nicht geschweißt – damit sich auch ja kein Dreck am Boden absetzt, dem das Personal am Ende nur schwer beikommen kann. Auch die kleinsten Räume sind innen licht und weiß, auch jene für Anker, Fender, Rettungswesten, selbst der Maschinenraum ist, anders als sonst bisweilen, gut zugänglich, selbst auf See und in seiner Tender-Garage. Es gibt keine Hohlräume, die einfach zulaminiert sind, keine Luke, die einfach in ihrem Dichtungsgummi liegt, es gibt Lenzrohre für die Becherhalter am Fahrstand, es gibt feste Stufen in der vor Seewasser geschützten Vorpiek, beleuchtete Taschen, eine eigens konstruierte Badeleiter zum Falten und ein LED-Lichtsystem, das sich – natürlich – über ein Tablet steuern lässt. „Es macht einen solchen Spaß!“ Ein Jahr haben sie an dem Coupé gebaut, nach eineinhalb Jahren auch das Cabrio übergeben.
„Mit dem Bau dieses Tenders ist unser handwerklicher Horizont nochmals um ein gutes Stück erweitert worden“, heißt es auf der Werft. Da ist etwa der formverleimte Handlauf auf dem Dach: Damit die Beschläge exakt dasselbe Strak haben, wurde eigens ein sechs Meter langes Ovalrohr gewalzt, aus dem einzelne Teile passend ausgeschnitten wurden, selbst die Klampen sind so geschliffen, dass sie mit dem Strak mitlaufen. Handwerkliche Perfektion ist hier Mindeststandard. Über alle Schiffsgewerke hinweg.
Stützle ist ein Allrounder, einer, bei dem ein Ruderboot genauso seinen Platz hat wie die Segelschiffe aus den umliegenden Vereinen. „Wir machen den klassischen Winterlagerbetrieb – mit allem, was dazugehört“, sagt Stützle, und dass ihm das „ganz wichtig“ ist. 70 Schiffe lagen hier vergangenen Winter, darunter viel örtliche Bootsprominenz. Manche Schiffe und Vereine kommen seit Jahrzehnten immer wieder. 2008 haben sie eine 45-Fuß-Rennsegelyacht ausgeliefert, die von Judel & Vrolijk gezeichnete „Leu“. 2015 verließ der erste Superyacht-Tender den Hof, für „Quantum Blue“.
Und alles soll stets hier auf der Werft entstehen können. Das macht heute kaum noch einer in der Branche, Stützle bildet zudem selbst aus, im traditionellen wie im modernen Bootsbau, er baut mit Holz ebenso wie mit Metall, im Faserbund ebenso wie mit Karbon. Dazu kommt die ganze Technik, die Farbarbeiten, eine eigene Motorenschlosserei hat er auch. Warum? „Weil wir sonst nicht die Qualität liefern können, die ich liefern möchte! Und nicht flexibel genug sind.“ Wenn eine Werft bei ihm anruft und sagt: „Kümmert euch darum!“, dann kümmert er sich. Was auch immer anliegt. „Wir versuchen, Arbeiten zu machen, von denen der Eigner langfristig etwas hat“, sagt Stützle.
Das Büro des CEO befindet sich in einer 2010 im Passivhaus-Standard neu erbauten Halle. „Damals haben die Leute zu mir gesagt: ‚Du spinnst! Wann willst du das alles wieder reinverdienen?‘ Heute ist das Gold wert!“ Wenn er was macht, dann richtig. Von seinem Büro aus kann man durch die bodentiefen Fenster den ganzen Hof überblicken, bis hinunter zur Lesum. Auf dem langen Konferenztisch liegt noch ein mit Blattgold überzogenes G, das einmal zum ausgreifend geschwungenen Schriftzug am Heck einer Superyacht gehörte. Den Buchstaben haben sie zuerst aus Edelstahlplatten ausgebrannt, dann ballig geschliffen, mit dem Kugelhammer beschlagen, gestrahlt, mit Epoxy beschichtet und am Ende mit Blattgold überzogen und klarlackiert. In Barcelona wurde der hinterleuchtete Schriftzug erstmontiert, ein Jahr später musste er in Sri Lanka ausgetauscht werden – ein neuer Eigner, ein neuer Name. Also liegt das G jetzt wieder hier.
Steht man vorne am Steg, wo gerade die „Bank von Bremen“ liegt, sind flussaufwärts schon die Bauten von Abeking & Rasmussen zu sehen. Dort, wo die kleine Lesum in die große Weser mündet und vor 400 Jahren der erste künstlich angelegte Hafen Deutschlands entstand, ragen heute die riesigen Hallen der Lürssen-Werft auf. Früher saß dort der Bremer Vulkan, der bis in die 90er-Jahre zu den ganz großen Werften Europas zählte und lange schon untergegangen ist. Bremen, das ist für viele bis heute ein Ort industriellen Niedergangs, ein Sinnbild sozialdemokratischen Argwohns gegen die Reichen. Und doch ist an den nördlichen Ausläufern der einst so calvinistischen Stadt ein Hotspot der Superyacht-Branche entstanden.
Auch Hans Stützle hat bei Lürssen sein Handwerk gelernt. Als er anfing, 1992, wurde gerade die 46 Meter lange „Falco“ ausgeliefert, zwei Jahre später die 72 Meter lange „Coral Island“. „Das war riesig“, sagt Stützle, ja: „gigantisch!“ Er wurde quasi ins Superyacht-Business hineinsozialisiert. „Die Qualität der Arbeit bei Lürssen hat mich von Anfang an fasziniert. Das war genau mein Ding.“
Geboren ist der 52-Jährige in Bonn, später wuchs er in Stockholm auf, wo die Familie ein Internationales Folkeboot segelte, mit dem mittlerweile die Lehrlinge der Werft unterwegs sind, nach Feierabend, am Wochenende.
Nach der Schule war mir klar, dass ich eine handwerkliche Ausbildung machen will.“
Sein Vater riet ihm, Bootsbauer zu werden, dabei war er selbst Politikwissenschaftler, später Chefredakteur des Berliner Tagesspiegels, schließlich Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Die Lürssen-Werft kannte er noch aus seiner Marinezeit.
1995 fing Stützle auf der Bootswerft Winkler an. Im Jahr zuvor war er mit seinem Schwiegervater in Westafrika auf einem Tankschiff unterwegs gewesen, während an Land die Kriege tobten, Raketen über Freetown flogen und in Monrovia die Leichen auf der Barge lagen. Die Werft an der Lesum hatte ihn schon vorher fasziniert; er hatte der Chefin gleich gesagt, dass er gerne ihre Firma kaufen wolle.
Die war damals noch ein klassischer Service- und Reparaturbetrieb mit fünf Mitarbeitern. 2001 wurde Stützle Werftbesitzer, heute arbeiten 35 Menschen hier, dazu kommen Subunternehmer. „Die Leute sind sehr flexibel“, sagt der Chef, der mit dem Rad zur Arbeit kommt, „lauter fantastische, loyale Mitarbeiter“ – die von Januar bis Mai auf Urlaub verzichten und auch mal Überstunden machen, wenn das Projekt eben fertig werden muss, der Tag, die Uhrzeit keine Rolle spielt. Man steht eng beisammen hier. Und der Chef mittendrin. Stützle ist einer, den seine Leute duzen, einer, der zum Rauchen zu ihnen kommt. Mittlerweile arbeitet sein Sohn Paul in der Firma, früher auch seine damalige Frau, eine gelernte Bootsbauerin.
Durch seine Kontakte zu Lürssen habe er immer wieder die Chance bekommen, in neuen Bereichen zu arbeiten. 2010 haben sie hier einen knapp dreieinhalb Tonnen leichten Mast für das „Project Coco“ gebaut; heute heißt das 61 Meter lange Schiff „Lady Kathryn V“, 2011 war der Geräteträger fertig, „mit allem Drum und Dran“. Mit seinen 8,8 Metern in der Höhe hat er gerade eben noch durch das neue Hallentor gepasst. 2015 bauten sie einen weiteren Megayacht-Mast, für „Shergar“, ebenfalls von Lürssen. Das 45 Knoten schnelle Pininfarina-Design hat innen liegende Radarantennen und Kommunikationsgeräte; die Aufbauten haben sie damals auf dem Werfthallendach getestet, die Detailkonstruktion kommt vom Designbüro Beiderbeck, das auch in der Nachbarschaft sitzt und mit dem die Werft schon seit 2006 eng kooperiert.
Später entstand der Tender für die 140-Meter-„Solaris“ von Roman Abramowitsch an der Lesum, nachdem dessen Vertreter das Beiboot der „Quantum Blue“ inspiziert hatte. Den 12,40 Meter langen Tender zeichnete – wie das Mutterschiff – der renommierte Designer Marc Newson, das Engineering kommt von Patrick Banfield. Mit seinen zehn Tonnen Leergewicht ist er deutlich seegängiger als das „Quantum Blue“-Shuttleformat. Angetrieben wird er von zwei Sechszylindern mit je 328 Kilowatt, 40 Knoten ist das Boot schnell. Angesichts des Ukraine-Krieges und der damit verbundenen Sanktionen sei das Geschäft mit russischen Eignern aber zum Erliegen gekommen. Vier Aufträge hatte er noch aus diesem Kreis, davon „zwei richtig große“, für die er schon allerlei Materialien eingekauft hatte. „Aber wir können das gut kompensieren“, sagt Stützle, der Markt für Tender sei ohnehin ein schwerer. „Wir müssen ja keinen bauen!“
Aktuell entstehen in den Winkler-Hallen zwei Decksmöbelpakete für Megayachten. Mitten in der Halle haben sie deshalb eine von fünf Außenduschen aufgebaut. Sie wurden auf der Werft konstruiert, bis hin zu dem großen Duschkopf mit seinen elegant geschwungenen Linien. Es gab nichts Passendes auf dem Markt, sagt Stützle, nicht in seiner Qualität, also haben sie einfach alles selbst entworfen. Im Sommer werden die Außentreppen eines weiteren Großformates hier gefertigt.
Derweil wartet ein anderes Projekt auf dem Hof. Ein 27 Meter langes Dampfschiff, 1898 aus Holz gebaut. Seit Mitte der 80er stand die „Aloma“ an Land, 2020 hat Stützle sie gekauft, nun will er sie restaurieren; die Interior- und Exterior-Pläne entwarf das Beiderbeck-Design-Team mit Sitz auf der anderen Seite der Lesum. Das Schiff zu behalten, ist keine Option: „Das kann ich mir nicht leisten!“ Früher wurde Queen Victoria von England damit gelegentlich zu ihrem Landsitz gefahren, heute gibt es kaum noch Schiffe aus jener Zeit, schon gar keine, deren Geschichte so lückenlos dokumentiert ist. Die „Aloma“ soll wieder in Fahrt kommen, das hat er der ehemaligen Eignerin versprochen. „Wir können das Schiff hier komplett restaurieren!“ Da ist es wieder, das Strahlen in seinen Augen.