Jürgen Strassburger
· 14.03.2023
Gewerblich genutzte Sportboote dürfen künftig nur noch mit Kleinschifferzeugnis geführt werden. Chronologie einer Monsterverordnung
Niemand ahnte Böses, als am 18. Januar 2022 wesentlich Teile der „Verordnung zur Neuregelung befähigungsrechtlicher Vorschriften in der Binnenschifffahrt“ in Kraft traten (BGBl I 2021, S. 4982). Warum auch? Weder die im Wassersport und Wassertourismus tätigen Verbände, Unternehmen und Medien scherten sich um eine Vorordnung, deren Name vermuten ließ, dass hier vornehmlich Belange der Berufsschifffahrt geregelt würden.
Auch der Umstand, dass mit der genannten Verordnung eine weitere Verordnung eingeführt wurde, die unter dem Namen „Verordnung über die Besatzung und über die Befähigungen der Besatzungen von Fahrzeugen in der Binnenschifffahrt“, kurz: „Binnenschiffspersonalverordnung“ - Abkürzung: „BinSchPersV“ - veröffentlicht ist, ließ auf den ersten Blick nicht erkennen, dass es hier einen Zusammenhang zu Sportbooten oder gar dem Sportbootführerschein geben könnte.
Und so dümpelte die BinSchPersV - mit ihren 141 Paragraphen und 33 Anlagen ein wahres Verordnungsmonster aus dem Hause von Verkehrsminister Andreas Scheuer! - unwidersprochen fast ein Jahr lang vor sich hin.
Das änderte sich am 29. Dezember 2022: Das Bundesverkehrsministerium (BMDV) legte die „Erste Verordnung zur Änderung rheinschifffahrtsrechtlicher Vorschriften und weiterer Vorschriften des Binnenschifffahrtrechts“ vor und forderte die Wirtschafts- und Wassersportverbände auf, bis zum 26. Januar 2023 dazu Stellung zu nehmen.
Da die Verbände bis dahin nicht an der Norm- und Verordnungsentwicklung beteiligt worden waren, wird erst jetzt offenbar, dass der Sportbootbereich von der BinSchPersV in vielfacher Hinsicht betroffen ist.
Im Kern geht es die Einführung des so genannten „Kleinschifferzeugnisses“ zum 18. Januar 2022 und die in § 130 BinSchPersV festgelegten Übergangsfristen und Umschreibemodalitäten. Danach gilt, dass gewerblich, beruflich oder dienstlich genutzte Fahrzeuge mit einer Länge von weniger als 20 m künftig nicht mehr mit dem Sportbootführerschein, sondern nur noch mit dem Kleinschifferzeugnis geführt werden dürfen.
Die Verbände stehen Kopf: BinSchPersV und das Kleinschifferzeugnis werden während der boot in Düsseldorf zum alles beherrschenden Thema.
In einer unter großem Zeitdruck erstellten Stellungnahme schlagen die Verbände vor, „den Vollzug des § 130 BinSchPersV auszusetzen, bis eine Reihe von Unklarheiten beseitigt sind und bis der Verordnungsgeber eventuell weitere Fakten zur Abwägung der betroffenen Rechtsgüter vorliegen hat.“ Außerdem wird kritisiert, „dass die Verordnung den grundsätzlichen Bestrebungen, die Freizeitschifffahrt zu deregulieren, geradezu grotesk entgegenstehen“.
Am 15. Februar 2023 kommt es zu einer Online-Besprechung, an der zehn Verbandsvertreter und vier Mitarbeiter des Ministeriums teilnehmen.
Das uns vorliegende Protokoll dieser Sitzung offenbart an mehreren Stellen die an Haaren herbeigezogene Argumentation des Ministeriums. So wird die Einführung des Kleinschifferzeugnisses wie folgt begründet: „Das Kleinschifferzeugnis schließt eine Regelungslücke und gewährleistet damit die Sicherheit und Leichtigkeit des Schiffsverkehrs. Schiffsführer, die gewerblich, beruflich oder dienstlich ein Fahrzeug führen, sollen sich ihrer besonderen Verantwortung bewusst werden und über Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen, um in dem sich durch Innovationen stark verändernden Schiffsverkehr bestehen zu können. Die unternehmerische Nutzung unterscheidet sich durch die Nutzung zu Freizeitzwecken dadurch, dass häufiger, regelmäßiger und unter Zeitdruck ein Fahrzeug geführt wird, wodurch sich größere Risiken und eine erhöhte Verantwortung des Fahrzeugführers ergeben“.
Belastbare Daten zu diesen Thesen legt das Ministerium nicht vor. Vielmehr räumt es ein: „Es gibt bislang noch keine zentrale Erfassung der Unfallzahlen, so dass es keinen Beleg für das Unfallgeschehen mit Fahrzeugen unter 20 m Länge gibt“.
Ausdrücklich verabschiedet sich das Ministerium von der falschen, ursprünglich verbreiteten Behauptung, das Kleinschifferzeugnis diene der Umsetzung einer EU-Richtlinie. Mitnichten, denn die gewerbliche, berufliche und dienstliche Nutzung von Fahrzeugen unter 20 m ist gar nicht Gegenstand von der als Alibi benutzten EU-Richtlinie.
Ausdrücklich räumt das BMDV ein, „dass die Sportbootverbände im Vorfeld der Einführung zum Kleinschifferzeugnis, also schon bei Erlass der ‚Verordnung zur Neuregelung befähigungs-rechtlicher Vorschriften in der Binnenschifffahrt‘ im Jahre 2021, hätten beteiligt werden müssen.“ Eine nachträgliche Rüge für den damaligen Verkehrsminister Andreas Scheuer.
Trotz aller Beteuerungen können die Verbände der Position des Ministeriums nicht folgen und stellen fest, dass es für die Einführung des Kleinschifferzeugnisses keine hinreichenden Gründe gebe und deshalb auch kein Regelungsbedarf bestehe.
Besonders deutlich wird Claus-Ehlert Meyer vom Deutschen Boots- und Schiffbauerverband:
Aus meiner Sicht ist die neue Binnenschiffpersonalverordnung unsinnig, unverhältnismäßig, unüberlegt und komplett überflüssig. Sie schafft nur Probleme und Kosten und verbessert nichts. Sie ist genauso nützlich wie Zahnschmerzen.”
Sorgenvoll blickt auch der Verband Deutscher Sportbootschulen auf die Lage: „Das Kleinschifferzeugnis kann für einige Mitgliedsschulen des VDS ein großes Problem bedeuten: Gerade für Schulen, die vor allem in den Sommerferien mit Saisonkräften arbeiten, stehen der zusätzliche Aufwand und die damit verbundenen Kosten in keinem Verhältnis.“
Auch Steffen Häbich, Leiter der ADAC-Sportschifffahrt ist skeptisch: „Die bereits erfolgte Einführung eines Kleinschifferzeugnisses durch das BMDV bietet nach Ansicht des ADAC keinerlei Mehrwert für Verbraucherinnen und Verbraucher. Zugleich befürchten wir, dass der für die Branche entstehende Aufwand zu steigenden Kosten führen wird.“
Am 21. Februar legt das BMDV eine überarbeitete Fassung der Änderungsverordnung, insbesondere des § 130 BinSchPersV vor. Die Stellungnahme der Verbände erfolgt am 3. März: „Die unterzeichnenden Verbände und Institutionen befürworten zwar die vorgenommenen Änderungen, jedoch lehnen wir nach wie vor den §130 und die Einführung des Kleinschifferzeugnis in seiner angedachten Form grundsätzlich ab. Die Einführung ist aus unserer Sicht nicht notwendig und das Kleinschifferzeugnis trägt nicht zu einer signifikanten Erhöhung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs bei. Zugleich entsteht für die Branche ein unverhältnismäßig großer Mehraufwand, den Änderungen gerecht zu werden.“
Außerdem bezeichnen die Verbände die Verordnung als „formell rechtswidrig“, weil sie nach §§ 47 Abs.1 i.V. mit 62 Abs. 2 Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) „schon bei Erlass der Verordnung im Jahre 2021 hätten beteiligt werden müssen“.
Unterzeichnet ist die Stellungnahme von 15 Verbänden, so u.a. Bundesverband Wassersportwirtschaft (BVWW), Deutscher Boots- und Schiffbauerverband (DBSV), ADAC, Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB), Deutscher Tourismusverband (DTV), Deutscher Motoryachtverband (DMYV), Vereinigung Deutscher Yacht-Charterunternehmen (VDC), Arbeitskreis Charterboot (AKC), Verband Deutscher Sportbootschulen (VDS).
Also stehen wir gut ein Jahr nach dem Inkrafttreten der BinSchPersV vor einer Verordnungsruine, deren Trümmer sich bei Redaktionsschluss dieses Heftes wie folgt lesen lassen:
Nach neuester Fassung des § 130 BinSchPersV
Wer ab dem 18. Januar 2025 ein Kleinschifferzeugnisses erwerben will, muss
„Mit diesen überflüssigen Regelungen schafft man Fachkräftemangel auf dem Verordnungsweg“, kommentiert Dagmar Rockel-Kuhnle, Sprecherin der Kuhnle-Group. „In unserem Charterunternehmen erledigen 42 Skipper höheren Alters mehr oder weniger regelmäßig mit Sportbootführerschein die notwendigen Einweisungs-, Wartungs- und Testfahrten. Woher sollen die Leute kommen, wenn man für genau diese Tätigkeit ab 2025 ein Kleinschifferzeugnis braucht?“
Noch aber ist das letzte Wort nicht gesprochen. Vielleicht lässt sich aus der Verordnungsruine doch noch eine behagliche Behausung zimmern: Man müsste nur dem Vorschlag der Verbände folgen: Das Kleinschifferzeugnis aus der Verordnung streichen und samt § 130 in den Papierkorb legen.
Passiert dies nicht, werden auch die Mitarbeiter von Wassersportzeitschriften, die im Auftrag ihrer Redaktionen für die Erstellung von Reisereportagen oder zu Testzwecken mit Sportbooten unterwegs sind, ab 2025 ein Kleinschifferzeugnis benötigen.
Als Betroffener hätte ich fast vergessen, dass auch die Sportbootführerscheinverordnung zum 1. Januar 2023 geändert worden ist: Die Führerscheinfreigrenze für mit Elektromotor angetriebene Boote wurde von bisher 11,03 kW auf 7,5 kW gesenkt.