Boote Exclusiv
· 04.12.2023
Nicht wenige Saisonplanungen beinhalten die Überfahrt von der Küste Südfrankreichs in die Ägäis. Auf der Überfahrt geht es durch die Meerenge zwischen Sizilien und Tunesien – Kurs auf Lampedusa. Lampedusa ist eine geografisch zu Afrika, politisch aber zu Italien gehörende Insel im Mittelmeer. Die Insel war bis vor Kurzem recht unbekannt und zählt gerade einmal 4500 Einwohner. Nun liegt die Insel nicht nur zufällig auf der Route von Superyachten, sondern ist aufgrund ihrer Nähe zur libyschen Küste Teil einer bekannten Flüchtlingsroute. Immer wieder geraten Flüchtende in Seenot, während sie auf völlig überfüllten und seeuntauglichen Booten die gefährliche Überfahrt über das Meer wagen und damit ihr Leben riskieren. Lampedusa ist Synonym für die gefährliche Flucht auf dem Seeweg nach Europa geworden, Fluchtrouten finden sich an vielen weiteren Orten im Mittelmeer:
14. Juni 2023: Die Besatzung der „Mayan Queen IV“ wird mitten in der Nacht Zeuge eines folgenschweren Bootsunglücks. Ein libysches Fischerboot navigiert Richtung Italien und kentert 47 Seemeilen vor der südwestlichen Küste Griechenlands. An Bord befinden sich laut Schätzungen bis zu 750 Menschen, darunter auch Frauen und Kinder. Die griechischen Behörden leiten groß angelegte Such- und Rettungsmaßnahmen ein. Staatliche Schiffe sind jedoch weit von der Unglücksstelle entfernt. Näher am Unglücksort befinden sich lediglich drei zufällig vorbeifahrende Schiffe. Eines dieser Schiffe ist die in Deutschland gebaute Superyacht „Mayan Queen IV“, die – dank des beherzten Eingreifens der Crew – bei diesem tragischen Vorfall 104 Menschen retten kann. Alle Personen werden in Griechenland an Land gebracht und in die Fürsorge der örtlichen Behörden übergeben.
Zehn Tage später: Die 58-Meter-Yacht „W“ kreuzt weit vor der Küste Spaniens. Fassungslosigkeit auf der Brücke, als die Crew einen aus dem Meer ragenden Arm zu sehen glaubt, der ihnen winkt. Tatsächlich hat die Crew das Winken eines 29-jährigen Mannes erkannt, der bereits seit fünf Tagen auf See treibt und sich in einer hoffnungslosen Situation befindet. Zuvor hatte er versucht, mithilfe einer Plastikschwimmhilfe die Flucht nach Europa anzutreten. Ein Wunder, dass er mitten auf dem Meer von der Crew gefunden wurde. Die Besatzung der „W“ zögerte nicht, brachte den Mann an Bord und behandelte ihn sofort. Der Mann hatte einen schweren Sonnenbrand und offene Wunden vom Salzwasser. Der 29-Jährige war zum Zeitpunkt der Rettung so schwach, dass er mit einem Rettungshubschrauber abgeborgen werden musste.
Zurück in die Vergangenheit: Im Oktober 2022 gerieten drei überladene Boote im zentralen Mittelmeer in Seenot. Zu ihrer Hilfe eilte das Rettungsschiff „Humanity 1“ und es gelingt der Besatzung des Schiffes, 180 Menschen an Bord zu nehmen. Auch in diesem Fall müssen die Überlebenden umgehend medizinisch versorgt werden. Die „Humanity 1“ begibt sich auf die Suche nach einem sicheren Ort zur Ausschiffung der geretteten Personen. Der Kapitän des Schiffes bittet die italienischen und maltesischen Behörden insgesamt 21-mal um Erlaubnis, die Personen an Land zu bringen. Bis er eine Antwort erhält, vergehen zwölf Tage. Die italienische Regierung erlaubte nur eine selektive Ausschiffung im Hafen von Catania. Alle übrigen Personen erhalten die Anweisung, die italienischen Hoheitsgewässer zu verlassen. Der Kapitän kommt dieser Anordnung nicht nach und bleibt im Hafen. Er bleibt, bis auch die übrigen Überlebenden an Land gehen können.
Drei Beispiele aus den letzten zwölf Monaten, die zeigen, welch aktuelle Relevanz das Thema Seenotrettung im Rahmen der andauernden Flüchtlingsbewegung über das Mittelmeer erhalten hat. Juristisch kein einfaches Thema – oder doch? Welche Verpflichtungen bestehen, wenn eine Yacht auf ein überbesetztes und vom Untergang bedrohtes Flüchtlingsboot trifft? Rechtlich ist jeder Yachteigner zur Rettung von Menschenleben verpflichtet Das wichtigste und grundlegendste Prinzip einer jeden Seenotsituation ist die Pflicht zur Rettung von Menschenleben. Dies ist nicht nur eine moralische Verpflichtung, sondern auch im internationalen Seerecht verankert.
Maßgebliche rechtliche Grundlagen sind vor allem die internationalen Abkommen SOLAS (Internationale Konvention zum Schutz des Lebens auf See) und SAR (Such- und Rettungs-Konvention). Ein Kernthema beider Konventionen ist es, das Leben auf See zu schützen. Die Konventionen richten sich an Schiffe/Schiffseigner und die zuständigen Staaten und legen Richtlinien für die Rettung von Schiffbrüchigen fest. Im Lichte dieses international geltenden Rechtsrahmens sind Schiffe, unabhängig von ihrer Größe und ihrem Zweck, dazu verpflichtet, Menschen in Seenot zu retten.
Für Schiffe unter deutscher Flagge ist die Verordnung über die Sicherung der Seefahrt zu beachten. Auch darin ist die Pflicht zur Seenotrettung niedergeschrieben. Die Nichteinhaltung der seerechtlichen Pflichten bei der Seenotrettung kann schwerwiegende rechtliche Konsequenzen für Schiff und Besatzung haben. Es können Bußgelder verhängt werden oder auch strafrechtliche Konsequenzen folgen. Wer es unterlässt, eine gebotene Hilfeleistung zu erbringen, macht sich strafbar. Im Falle der unterlassenen Hilfeleistung drohen beispielsweise nach deutschem Recht bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe.
Gemäß des geltenden internationalen Rechts sind Kapitäne dazu verpflichtet, die zuständigen Seenotleistellen unverzüglich zu informieren, wenn sie auf ein Schiff in Seenot gestoßen sind. Diese Meldung sollte den genauen Standort, die Anzahl der sich an Bord befindlichen Personen und eine Beschreibung der Situation enthalten. Die Kooperation mit der zuständigen Seenotleitstelle ist von entscheidender Bedeutung, um eine koordinierte und schnelle Rettungsaktion sicherzustellen. Es ist international rechtlich sehr klar geregelt, dass die Anweisungen der Seenotleitstellen genauestens zu befolgen sind. Nachdem die zuständigen Behörden informiert wurden, werden diese regelmäßig zunächst die Ersthilfe koordinieren und sodann Maßnahmen für eine sichere Verbringung und dauerhafte Rettung der betroffenen Personen treffen. Auch hierzu gibt zumindest grundsätzliche Regelungen.
Gemäß der SOLAS- und SAR-Konvention müssen die Geretteten an einen sicheren Ort gebracht werden. Was ein sicherer Ort ist, wird in beiden Abkommen jedoch nicht genau definiert. Es besteht Einigkeit, dass ein sicherer Ort dort anzunehmen ist, wo für die Geretteten keine Lebensgefahr besteht und ihre menschlichen Grundbedürfnisse gedeckt werden können.
Lässt man die politisch aufgeladene Flüchtlingsdebatte ungeachtet, ergibt sich ein auf den ersten Blick ein recht „unkomplizierter“ Fall: die Behörden ordnen in internationaler Abstimmung die Einfahrt in den nächstgelegenen europäischen Hafen an und seitens der betroffenen Behörde wird die erforderliche Genehmigung erteilt, diesen Hafen auch anlaufen zu dürfen.
Was jedoch passiert, wenn – wie im Fall der von Sea-Watch betriebenen „Humanity 1“ keine Einigung über den Zielhafen erreicht werden kann? In diesem Fall geben die einschlägigen internationalen Übereinkommen den örtlichen Behörden einigen Spielraum zu ablehnenden Entscheidungen. Es fehlt schlicht an einer mit der Seenotrettungsplicht des Einzelnen korrespondierenden Aufnahmeverpflichtung der Küstenstaaten. Obwohl die SOLAS- und SAR-Konvention die Rettung auf See regeln, enthalten sie keine Bestimmungen, die Küstenstaaten zwingen, ihre Häfen für die Aufnahme von Schiffbrüchigen zu öffnen. Küstenstaaten haben volle Souveränität über ihre Häfen und haben in der Vergangenheit die Bereitschaft gezeigt, diese Eigenständigkeit auch auszuüben.
Für einen Yachteigner, der zuvor seiner rechtlichen Verpflichtung zur Rettung von Menschenleben nachgekommen ist, und nun – vermutlich ohne die notwendige medizinische und logistische Ausrüstung – eine unbestimmte Zahl (verletzter) Personen an Bord hat, ist schwerlich vorstellbar, dass sich der in Abstimmung mit den Seenotrettungsbehörden ausgewählte Küstenstaat weigert, die Erlaubnis zur Hafeneinfahrt zu erteilen. Gerade weil anzunehmen ist, dass eine Yacht in Erfüllung rechtlicher Verpflichtungen und nicht mit Blick auf eine eigene politische Agenda gehandelt hat, schätzen wir das Risiko, dass aus einer erfolgreichen Seenotrettung eine Odyssee wird, als gering ein.
Legen Sie daher ruhig Kurs Lampedusa an. Die beiden jüngsten Beispiele mit „Mayan Queen IV“ und „W“ haben gezeigt, dass Seenotrettung auch von Superyachten erfolgreich betrieben werden kann, Menschenleben rettet und nicht zu einer komplizierten Irrfahrt führt. Sollten Sie tatsächlich auf ein in Seenot geratendes Flüchtlingsboot treffen, ist juristisch (und moralisch) Ihr erstes Ziel die Rettung von Menschenleben. Befinden sich geborgene Personen an Bord Ihrer Yacht, geht es neben den erforderlichen unmittelbaren Rettungsmaßnahmen darum, die zuständigen Behörden zu kontaktieren und mit den staatlichen Rettungskräften zu kooperieren. Sollten Sie in eine Situation geraten, in der Ihnen die Einfahrt in einen Hafen verwehrt wird, empfehlen wir, weitere staatliche Akteure, beispielsweise den Flaggenstaat oder die diplomatischen Vertretungen Ihres Heimatlandes beizuziehen, um schnelle und praktische Lösungen zu finden.
Die Yachtanwälte Dr. Tim Schommer (tim.schommer@clydeco.com) und Dr. Volker Lücke (volker.luecke@clydeco.com) betreuen seit über 18 Jahren Yachtmandate aus dem In- und Ausland. Sie beraten im Rahmen der Planungs- und Bauphase, des An- und Verkaufs, der Eignerstruktur, des Yachtbetriebs inklusive Versicherung, Crewing und Charter sowie der Abwicklung von Schäden und Ansprüchen Dritter.