Christian Tiedt
· 01.12.2024
Alle Wege führen nach Sneek – zumindest alle Wasserwege. Das ist schon ewig so, und das zu Recht. Denn die historische Stadt liegt im Zentrum Frieslands. Und Fryslân (wie es hier heißt) ist vom nassen Element einfach nicht zu trennen. Eine Provinz auf eigenem Kiel sozusagen. Wahrzeichen dieser besonderen Verbindung ist das Waterpoort im Herzen Sneeks. Das doppeltürmige Tor strahlt prachtvoll in der Dunkelheit und spiegelt sich im Hafenbecken. Wieder liegt Regen in der Luft, nicht zum ersten Mal auf diesem Törn. Und wenn schon. Im Friesischen bedeutet wetter schließlich Wasser.
Als unsere Horizon vier Tage zuvor die Charterbasis von Le Boat im Binnenhafen von Hindeloopen verlässt, ist der Himmel wolkenlos und der Wind kaum zu spüren. Das soll sich bald ändern: Schlechtwetter ist im Anmarsch – aber nicht zu schnell, hoffentlich. Denn wir wollen noch an den Strand. Zu Beginn folgen wir dem Yndyk in südlicher Richtung, dem ersten der zahlreichen Wasserwege, die wir in der kommenden Woche befahren werden.
Diese Gräben und Kanäle wurden schon vor langer Zeit gezogen, um die großen Moore zu entwässern und etwas zu machen aus dem flachen Land nahe der Nordsee. Auf den Äckern ziehen Trecker ihre Bahnen, die Kühe stört das nicht. Nur vereinzelt erheben sich Höfe, die Dächer tief nach unten gezogen. Im Westen verläuft die Deichlinie. Auf der anderen Seite geht der Blick in die Weite. Man kann, wie man hier sagt, schon heute sehen, wer morgen zu Besuch kommt.
Da wird es ausgerechnet nach oben eng: Mit der Eisenbahnbrücke von Hindeloopen und der Kruisslootbrug kurz darauf haben wir die beiden einzigen echten Hindernisse des Törns voraus. Beide Brücken sind unbeweglich und haben eine Durchfahrtshöhe von nur drei Metern. Da bleibt kaum eine Handbreit zwischen der Oberkante der Flybridge unserer Horizon und den Trägern aus Stahl und Beton. Wer hier von oben fährt, muss sich ganz flach machen. Bequemer geht’s von unten.
Hinter der Kruisslootbrug geht es in einsamer Fahrt weiter auf dem schnurgeraden Jan Broerskanaal, der aber schon nach zwei Kilometern in die Moarre einmündet, den südwestlichsten der Seen von Súdwest-Fryslân. Entstanden sind sie bereits während der vorletzten Eiszeit vor 200.000 Jahren, als sie von den vorrückenden Gletschern in den lehmigen Grund gepflügt wurden. Das Fahrwasser ist durchgehend betonnt und gehört zum Johan Frisokanaal, der IJsselmeer und den in Richtung Groningen führenden Prinses Margrietkanaal verbindet.
Eingefädelt in die Prozession der Stahlverdränger, Sloepen und Segelyachten, die in beide Richtungen zieht, folgen wir der Seenkette ins Binnenland. Auf Moarre (Niederländisch: Morra) folgen Holken und Fluezen (Fluessen), der mit knapp sieben Kilometern längste See des Reviers. Unser Tagesziel liegt an seinem nordöstlichen Ende: Langehoekspolle, eine von mehreren künstlichen Inseln, die in den Siebziger-Jahren als Wellenbrecher für die Stadt Heeg angelegt wurden.
Alle bieten geschützte Liegeplätze, die kostenlos sind, außer schicken Pollern aber keinen weiteren dauerhaften Service. Dafür gibt es Natur pur, Wiesen mit Grillplätzen, ein wenig lichten Wald – und auf Langehoekspolle sogar einen richtigen Sandstrand! Klar, Friesland ist nicht Fidschi. Immerhin war gerade noch von Gletschern die Rede. Aber baden kann man. Und wenn man danach unter dem Sonnenschirm die Augen schließt, vergisst man eh alles um sich herum …
Über Nacht wechseln wir von der Südsee zurück an die Nordsee: Die Sonne ist weg, der Himmel trüb. Für den Nachmittag sind Wind und Regen angekündigt. Der Tagesplan wird entsprechend angepasst, die Etappe verkürzt: auf knappe acht Kilometer bis nach Woudsend, den eigentlich angedachten Zwischenstopp in Heeg lassen wir aus. Wir überqueren das Hegemer Mar (Heegermeer), das an den Fluezen anschließt, runden das ebenfalls künstliche Eiland van Heeg und fahren in den Wâldseinder Rakken ein.
Der windet sich ein wenig durch die Felder und Weiden, bis an Steuerbord eine der typischen Neubausiedlungen am Wasser beginnt: Garage vorn und Steg hinten. Eine Fahrtenyacht im Garten, das hat nicht jeder! Abgelöst wird das schicke Quartier von einem Campingplatz, ebenfalls mit Anlegern, versteht sich. Und dann schließt der Jachthafen De Rakken an, mit Gästeplätzen direkt am Ufer. Bei inzwischen ordentlichem Nordwest müssen wir beim Anlegen zwar vorsichtig manövrieren, doch die nette Hafenmeisterin ist schon zur Stelle.
Wir bezahlen 25 Euro mit Strom und machen uns auf den Weg in den Ort, über uns dahinstürmende Wolken. Typisch für Friesland: Auch die Geschichte dieses kleinen Ortes abseits der Küste ist vom Wasser geprägt. Selbst von hier gingen im 18. Jahrhundert Dutzende seegängiger Frachtsegler auf Fahrt. Ein wuchtiges Zeugnis dieser Zeit erhebt sich gleich am Ufer der Ie, die durch Woudsend führt: Es ist die Sägemühle De Jager.
Der prächtige Galerieholländer wurde 1719 errichtet und ist dank umfangreicher Restaurierung und der fleißigen Arbeit freiwilliger Hände noch immer funktionstüchtig – samt windbetriebenem Sägewerk. Frische Späne, tadelloses Tauwerk und der Geruch von Öl sind der Beweis. Heute nationales Denkmal, lieferte der Veteran früher den Grundstoff für Frieslands Wirtschaft: Planken, Bohlen und Bretter für den Schiffs- und Wasserbau.
Vor der Mühle fallen die ersten Tropfen, bald schüttet es. René sprintet durch den Regen hinüber zu Omke Jan, winkt mich heran. Eigentlich ist es noch etwas früh fürs Abendessen, aber warum nicht? Der historische Gasthof bringt Produkte aus der Region auf den Tisch, etwa Käsesuppe mit Âlde Fryske Tsiis und Steak vom Frysk Black Angus. Dazu een biertje. Großartig. Ohne das Wasser von oben wären wir hier nicht gelandet. Manchmal muss man eben Pech haben!
Während sich das Tief weiter austobt, setzen wir am nächsten Tag die Fahrt fort, nach Süden Richtung Lemmer. Im Friesennerz auf der Flybridge, mit dem Kaffeebecher in der Hand. Nach der Einfahrt in die Ie wartet die erste von vielen Klappbrücken. Deren Betrieb funktioniert fantastisch in Friesland; das Personal hat alles im Blick und öffnet umgehend, Wartezeiten sind selten – etwa bei den wenigen Eisenbahnbrücken, bei denen man sich ohnehin anmelden muss.
Die Sägemühle mit ihren großen, festgezurrten Flügeln zieht vorbei, dann öffnet sich die schiefergraue Fläche des Sleattemer Mar (Slotermeer) vor uns – mit ordentlicher Welle von querab. Die über - kommende Gischt hat es auf uns abgesehen. Fluchend und lachend flüchten wir nach unten, wo es warm und trocken ist. Seefahrt im Binnenland!
Zurück auf der Ie umrunden wir Sleat (Sloten), die kleinste Stadt der Niederlande – ein Privileg aus alter Zeit, kaum tausend Menschen wohnen hier. An der Nieuwe Langebrug werden dann drei Euro fällig – das einzige Mal auf unserer Reise. Das lange übliche klompgeld, die Brückengebühr, wurde fast überall in der Provinz abgeschafft. Für die wenigen Ausnahmen ist es sinnvoll, immer etwas Kleingeld parat zu haben. Nach weiteren anderthalb Stunden auf Ie und Lange Sleat erreichen wir schließlich Lemmer. Am Ufer der Sylroede finden wir westlich der Flevobrug einen schönen Passantenplatz. 16,50 Euro bezahlen wir hier am Automaten, für den Strom gibt es eine aufladbare Wertkarte.
Das Wetterkarussell dreht sich weiter: Am Nachmittag reißt der Himmel fertiggestellte „Kirche am Hafen“, weiter zur Lemster Sluis, die den Weg frei macht zum IJsselmeer, und dann vom Seehafen an Strand und Deich entlang zum Woudagemaal, dem einzigen noch betriebsfähigen Dampfpumpwerk der Welt. Seit 1920 haben seine vier 500 PS starken Tandem- Dampfmaschinen und acht Zentrifugalpumpen dabei geholfen, das einen halben Meter unter dem Meeresspiegel liegende Friesland trocken zu halten. Moderne Helfer sind hinzugekommen, sodass die Anlage heute nur noch bei Sturmfluten unterstützt. Seit 1998 ist es Unesco-Weltkulturerbe. Leider ist das Besucherzentrum geschlossen, doch selbst der Blick durch die großen Glasfenster auf glänzende Schwungräder und Kessel ist eine kleine Zeitreise.
Zeit zur Weiterreise! Von der Küste wollen wir nun zurück ins Binnenland. Alle Wege führen nach Sneek, richtig, und unserer führt heute über den Prinses Margrietkanaal, was allerdings nicht nur Kanalfahrt bedeutet: Auch hier werden zwei große Fryske marren durchquert, zunächst der Grutte Brekken (Grote Brekken), dann der Kûfurd (Koevordermeer). Im Kanalabschnitt dazwischen sorgt der 118 Meter hohe Sendeturm von Spannenburg für eine der seltenen Situationen, in denen man in der friesischen Landschaft den Kopf in den Nacken legen muss.
Der Prinses Margrietkanaal ist nicht nur viel befahrener Großschifffahrtsweg, auf dem uns in kurzer Folge ein Schubverband und zwei große Motortankschiffe entgegenkommen, sondern auch Teil der Staande Mastroute, auf der dank Viadukten und beweglichen Brücken auch Segler die gesamten Niederlande von der Westerschelde bis zur Ems auf dem Binnenweg passieren können.
Über den Wite Brekken und die Wâldfeart gelangt unsere Horizon schließlich nach Sneek (auf Friesisch: Snits) und über die Prinsengracht in den Kolk, das Hafenbecken im Herzen der Stadt, direkt am historischen Waterpoort. Das elegante doppeltürmige Bauwerk aus dem späten 15. Jahrhundert steht wie kein anderes für Frieslands Bezug zum Wasser und seine große Geschichte, in die wir nun im Fries Scheepvaart Museum tiefer eintauchen wollen.
Von unserem Liegeplatz an der Geeuwkade (für den Liegeplatz bezahlen wir per Online-Portal 17 Euro) schlendern wir über die Wonderbrug und durch das Waterpoort. Zwischendurch lässt sich schon gut beobachten, wie die Marke „Fryslân“ heute zu Geld gemacht wird. Besser gesagt das rote pompeblêd, das sich auf der Flagge der Provinz findet und eigentlich ein Teichrosenblatt darstellt, von den meisten Touristen aber für ein Herz gehalten wird – was dem Absatz alles andere als abträglich ist, egal ob auf Bierkrügen oder Badelatschen.
Erneut setzt Regen ein, doch im Museum stört er nicht. Modelle, Exponate und Bilder erzählen etwa vom friedlichen Aalhandel mit England im 17. Jahrhundert, aber auch von den Kämpfen zur gleichen Zeit – und ihren Helden wie Tjerk Hiddes de Vries: „Der Friese“ hatte entscheidenden Anteil an der in den Niederlanden legendären Viertagesschlacht von 1666 – eines der längsten Seegefechte überhaupt und eine der schwersten Niederlagen der Royal Navy. Fischerei und Frachtschifffahrt werden aber ebenso behandelt – und natürlich die Sportschifffahrt. Friesland ist schließlich Friesland.
Unsere Runde nähert sich nun ihrem Ende, nur ein Ort liegt noch vor uns: die Hafenstadt Warkum (Workum), wie Sneek eine der alten Elf Steden mit historischem Stadtrecht. Dafür folgen wir dem Wimerts, einem knapp neun Kilometer langen Kanal bis Boalsert (Bolsward) und dann der Warkumer Trekfeart nach Süden. Als wir später am Passantenanleger von Warkum liegen, bei Sonnenschein mit einem letzten biertje auf der Flybridge, wird es auf dem Wasser noch einmal lebendig: Ein Stand-up-Paddler zieht vorbei, kurz darauf eine zweiter, dann ein dritter. Dutzende folgen, die Frauen und Männer auf den Brettern in unterschiedlichen Stadien der Erschöpfung. Es ist das Teilnehmerfeld der SUP 11-City-Tour, 220 Kilometer in fünf Tagen. Die Sommervariante der Elfstedentocht im Winter, mit Schlittschuhen auf Eis – wenn es friert. Dafür zieht jetzt ein Event auf dem Wasser die Sportler aus der ganzen Welt an. Aus Australien, Peru und Kanada – alle Wege führen nach Friesland!
Unterwegs waren wir mit einem Boot der Horizon-Reihe des Anbieters Le Boat in der Ausstattungsvariante mit zwei Doppelkabinen. Neben der Charterbasis in Hindeloopen für Törns in der Provinz Friesland hat die in insgesamt acht europäischen Ländern und Kanada vertretene Firma in den Niederlanden noch einen weiteren Stützpunkt im Angebot: Vinkeveen zwischen Amsterdam und Utrecht. Informationen: Le Boat, Theodor-Heuss-Str. 53–63, Eing. B, 61118 Bad Vilbel, Tel. 06101/5579175.
Horizon 1 (GFK-Verdränger) · Länge: 11,50 m · Breite: 4,25 m · Kojen: 4 (2 Doppelkabinen) · WC/Dusche: 1/1 · besondere Ausstattung: Bugund Heckstrahlruder, zweiter Fahrstand (innen), Gasgrill, Backofen, Klimagerät, Flybridge. Preisbeispiele je nach Saison: ab 2449 € (Start: 7.4.2025), ab 4469 € (Start: 12.7.2025), ab 3029 € (Start: 20.9.2025). Daneben bietet Le Boat am Standort auch noch weitere Bootstypen unterschiedlicher Größen und Preisklassen an. Für die Charter wird kein Bootsführerschein benötigt.
Törnführer „Friesland“ von Manfred Fenzl. Auflage von 2023. 232 Seiten, 173 Abbildungen, 100 Pläne, geb., Format: 18,1 x 24,8 cm. ISBN: 978-3-667-12214-8. Preis: 49,90 Euro. delius-klasing.de
Navi-App Navigations-App „Waterkaarten“ für iOS, Android und Windows mit den Gewässerkarten der ANWB mit allen nautischen Informationen (neben den Niederlanden sind auch Belgien, Deutschland, Frankreich und Großbritannien abgedeckt). Mit Planungstool und AIS-Funktion. Kostenlose Probewoche. Pro Nutzerkonto nutzbar auf bis zu drei Endgeräten (wie Laptop, Tablet, Smartphone). Preis je nach Laufzeit: 13,99 Euro/ Monat, 39,99 Euro/3 Monate (Saison), 49,99 Euro/Jahr. waterkaarten.app