Kirche, Kunst und Kommerz. Die Trinität des kölschen Way of Life bedeutet konkret: Dom, ein Dutzend romanische Kirchen, zwei Dutzend Top-Museen, mehr als 60 Galerien, 4000 Kneipen und natürlich den (nach eigenem Verständnis) spektakulärsten Karneval des gesamten Universums. Urheber dieses egozentrischen Selbstbilds sind die Römer. In treuer Pflichterfüllung für Allgott Jupiter und Kaiser Claudius stampften sie am unwegsamen Ufer des germanisches Niederrheins eine Art Liliputausgabe der Tiber-Metropole aus dem Boden. Und gaben ihr alle Feier- und Vergnügungsrechte, die Rom auch hatte. Mit dieser Mitgift schwang sich Köln zu einem Wirtschaftswunderkind der Extraklasse auf. Steuern, Stapelrecht und der Verkauf von (vermeintlichen!) Reliquienknochen füllten Privatschatullen und Stadtsäckel. Das ging so lange gut, bis Christoph Kolumbus Amerika „entdeckte“. Mit den neuen Überseemärkten rutschten reiche Flussstädte wie das „hillije Kölle“ (heiliges Köln) in die Bezirksliga ab. Es dauerte 400 Jahre, bis die Industrialisierung wieder den Klingelbeutel im Kölner Dom fütterte.
Lage, Lage, Lage ... dieses Grundpostulat der Immobilienbranche gilt auch für Sportboothäfen. Je zentraler und ruhiger sie liegen, desto attraktiver – und teurer – sind sie. Ein Musterbeispiel ist der Kölner Rheinau-Sporthafen. „Ich habe den schönsten Arbeitsplatz der Welt“, schmunzelt Karl-Heinz Zündorf. Damit meint der Herr über die 150 genialsten Liegeplätze zwischen Köln und Koblenz nicht nur die grandiose „Aussich op d’r Dom“ (Aussicht auf den Dom), sondern auch das muschelwurfnahe Schokoladenmuseum, das historische Hafenamt mit seinen Zoll- und Lagerhallen und natürlich die gut 60 Meter hohen, an ein umgekehrtes „L“ erinnernden, hyperstylischen Kranhäuser. „Das sind Leuchttürme der Architektur“, begeistert sich der 67-Jährige und nimmt damit – bewusst oder auch nicht – das schief-schräge Gebäude-ensemble im Medienhafen einer rund 60 Flusskilometer talwärts gelegenen „No-Name-Stadt“ aufs Korn. Ohne weiter auf die ach so kultivierte Rivalität zwischen Köln und (der aus kölscher Sicht „unaussprechlichen“ und damit nicht existenten NRW-Landeshauptstadt) Düsseldorf einzugehen, fragt er, ob wir noch tanken müssen. Ich nicke, steuere die Zapfsäule neben dem Hafenbüro an und fülle den Tank unserer Bayliner 195 BR.
Samstag, 9 Uhr. Wir lassen die historische Drehbrücke am Ausgang der Marina im Heckwasser. Steuerbord gibt sich das futuristisch designte Schokoladenmuseum mit der weltgrößten Ausstellung in Sachen Geschichte und Gegenwart des Kakaos die Ehre. Auf dieses – wenn man so will – Kulturgut der Maya-Götter folgt als Vertreter des christlichen Glaubens der heilige Nikolaus. In seiner Funktion als Schutzpatron der Seeleute wacht er als große Sandsteinfigur über die Schifffahrt auf dem Rhein. Mit einem freundlichen Gruß an den überirdischen Seenotretter legen wir den Bug unseres Daycruisers in Richtung Bonn. Während die Menschenschlange am Riesenrad vor dem Schokoladenmuseum immer länger wird, bummeln wir ein rund 1,5 Kilometer langes Ensemble aus Open-Air-Bistros, Bars, hippen Bürohäusern und luxussanierten Kornspeichern entlang. Krönender Schlusspunkt dieses Arbeits-, Wohn- und Ausgehareals ist der „Alte Herkules“. Mit einer Tragkraft von 30 Tonnen war der 1898 in Betrieb genommene Hafenkran der Shootingstar unter den damals insgesamt 35 Verladehebern.
Ein paar Zündtakte hinter dem Kran liegt die „Rheinstation“ vor Anker. Getreu dem Motto „aus zwei mach eins“ besteht das 60 Meter lange Schiff aus dem Bug der 1885 vom Stapel gelaufenen „Baden 24“ sowie dem Heck der 27 Jahre jüngeren „Desdemona“. Rund 50 Jahre diente die Konstruktion dem Rudersport-Referat der Universität Köln als Bootshaus. 2002 dann zog die Wissenschaft als Untermieter ein und kontrolliert seitdem die Qualität des Rheinwassers. „In Schulnoten ausgedrückt“, erklärt der Forschungsleiter Frank Nitsche, „ist die Wasserqualität an unserer Messstation 2+“.
Weniger Ort der wissenschaftlichen Erkenntnisfindung als vielmehr Kult-Adresse für Club-, Chill-out- und Biergartenfans sind die weiter bergwärts gelegenen Bootshäuser. Auch sie haben ihre Geschichte. So lief die „Alte Liebe“ 1911 als eine Art schwimmender Tante-Emma-Laden vom Stapel, der Rheinschiffer mit Trink- und Esswaren versorgte. Das „Rodenkirchener Bootshaus“ wiederum war ein Braunkohlefrachter. Heute liegt das hübsch restaurierte Schmuckstück 50 Meter vom Ufer entfernt vertäut im Flachwasser des Rheins. Seine große Open-Air-Terrasse wartet mit bürgerlicher Küche und leckerem Kölsch (das ein Düsseldorfer nie anfassen, geschweige denn trinken würde ...) auf. Apropos Rodenkirchen: Das „Veedel“ (Stadtviertel) könnte so etwas wie die tektonische Verschiebung der Syltplatte an das Niederrheinische Becken sein – was natürlich völlig aus der Luft gegriffen ist. Aber erstens ist die Dichte der herrschaftlichen Villen kaum geringer als in Westerland und zweitens reihen sich die Badebuchten hier wie Perlen aneinander. Nirgendwo sonst kann man herrlicher die Zehen im Sand vergraben und den Picknickkorb samt obligatorischem Pittermännchen (10-Liter-Kölschfass aus Holz) auspacken. Nicht umsonst trägt das gottgelobte Flecken Ufererde den Beinamen „Rodenkirchener Riviera“.
Rodenkirchen ist (oder besser gesagt war bis zur Eingemeindung in die Stadt Köln 1975) ein Dorf. Gleiches gilt für die südlicher gelegenen „Veedel“ Weiß und Sürth. Wir geben Gas, die Bayliner hebt sich aus dem Wasser, gleitet eine Handvoll Flusskilometer an grünen Auen und dahingepuzzelten Schöner-Wohnen-Häusern entlang, passiert das rechtsrheinische Porz mit seiner malerisch gelegenen Sportbootmarina und erreicht die Personenfähre Zündorf-Weiß. Betreiber dieses fluvialen Brückenschlagunternehmens ist Heiko Dietrich. „Alles selbst gebaut und von der Schiffsuntersuchungskommission amtlich abgenommen“, erklärt der 79-Jährige. Aus ganz anderem Holz, aber nicht minder wasser(sport)affin, ist Achim Pesch. Der studierte Betriebswirt hat das rund zwei Flusskilometer südlicher gelegene, 60 Jahre alte „Sürther Bootshaus“ 2018 erworben und den maroden Abbruchkandidaten zu einer „Lecker-essen-Location“ mit cross(kölsch)kultureller Küche kernsaniert.
Weiss, Sürth und jetzt Wesseling. Das 15 Flusskilometer bergwärts vom Kölner Dom gelegene 35 000-Einwohner-Städtchen beherbergt eines der größten petrochemischen Werke der Republik. Wir stoppen auf, lassen einen entgegenkommenden, geschätzt 120 Meter langen Tanker in den vormals Wesselinger heute Godorfer Hafen einlaufen und geben wieder Gas. Beide Uferseiten sind grün. Buchen, Eichen und Pappeln feiern blickdichte Brüderschaft. Mit der Spaghetti-schmalen, 1,6 Kilometer langen Flussinsel Herseler Werth auf der Steuerbord- und der kleinen Lux-Werft auf der Backbordseite rückt Mondorf ins Bild. Vor uns am Horizont reckt sich das Siebengebirge in den Himmel, zwei Kilometer hinter dem einstigen Korbflechter- und Fischerdörfchen verbindet die Friedrich-Ebert-Brücke das rechtsrheinische Beuel mit dem Zentrum der 320 000-Einwohner-Stadt Bonn.
Leider, leider hat die ehemalige Bundeshauptstadt keinen Sportboothafen. Da wir uns die Stadt kurz anschauen wollen, steuern wir den Mondorfer Yachthafen an. Der Bootsparkplatz liegt einen Muschelwurf vor der Mündung der Sieg in den Rhein quasi mitten im Wald. Er ist, wenn manʼs humorvoll sieht, aber auch Beispiel rheinländischer Geschäftstüchtigkeit. Bis in die 1970er-Jahre wohnten und lebten die Mondorfer ohne direkte Verkehrsanbindung an Bonn – wie böse Zungen behaupteten – im Nirgendwo. Das wollte und sollte man mit dem Bau der Landstraße L 269 ändern. Der „Anschluss an die Zivilisation“ musste hochwassersicher sein. Daher wurden Fahrdämme aufgeschüttet, die wiederum nichts anderes als – dreimal dürfen Sie raten – der Aushub des heutigen Sportboothafens waren ...
Glaubt man den einschlägigen Bike-Magazinen, ist Radeln gesünder als jede Medizin. Ergo mieten wir uns am Anleger der Mondorfer Rheinfähre ein paar Drahtesel. Nach einem schnellen Kaffee auf der Terrasse des „Fährpavillon Graurheindorf“ geht es dann am Ufer entlang Richtung Bonn-City. Nach sechs Kilometern haben wir den Münsterplatz und damit das historische Rokoko-Postamt mit dem Denkmal des berühmtesten Sohnes der Stadt, Ludwig van Beethoven, erreicht. In langem Mantel mit wallendem Haar und grimmigem Blick schaut das Komponisten-Genie in die Ferne. Ob er sich ärgert? Weil ihn Alexander von Humboldt bei der Einweihung des Denkmals als „groben Kerl“ bezeichnet haben soll? Oder sein weltberühmtes Klavierstück „Für Elise“ in einem James-Bond-Film das übliche Hormon-Szenario des Geheimagenten musikalisch untermalt? Wie dem auch sei, wir schauen uns die Altstadt mit ihrem großen Marktplatz und dem prachtvollen Rokoko-Rathaus an, werfen einen Blick in Beethovens Geburtshaus und radeln dann weiter ins Bundesviertel, sprich: ins vormals westdeutsche Zentrum der Politmacht. Im Schnelldurchgang wird die Bundeskunsthalle absolviert, dem giftgrünen Trabi im Haus der Geschichte Hallo gesagt und Konrad Adenauers Büste vor dem ehemaligen Bundeskanzleramt in Augenschein genommen. Vor der Rückfahrt zum Boot gönnen wir uns auf der Dachterrasse der „Konradʼs Sky Bar“ noch einen Crémant. Während das Nobelgetränk von den Hängen der Loire in den Gläsern perlt, ziehen 17 Stockwerke tiefer die Frachter auf dem Rhein ihre Bahn.
Das Siebengebirge ist ein Sammelbecken für Märchen und Sagen. Eine davon erzählt die Entstehungsgeschichte. So soll hier in grauer Vorzeit ein See über die Ufer getreten sein und ganze Dörfer verwüstet haben. In ihrer Not baten die Menschen die Riesen um Hilfe. Sieben von ihnen schulterten ihre Schaufeln, kamen und schippten einen Ablaufkanal. Nach getaner Arbeit klopften sie die Erdklumpen von ihren Schaufeln. Dabei türmte sich besagtes Gebirge auf (das laut Wikipedia nicht aus sieben sondern rund 50 Bergen besteht). Der wohl berühmteste ist der Drachenfels. Anfang des 19. Jahrhunderts hatte der Zufall den britischen Poeten Lord Byron in die Region geführt. Überwältigt von der Landschaft griff er zur Feder und hob das bis dato touristische Aschenputtel auf den Thron der Sehnsuchtsziele. Damit hatte er eine Reisewelle losgetreten, die allein dem Drachenfels Tausende Besucher täglich beschert. Aber auch der Wein von seinen sonnendurchfluteten Hängen hat seine Fans. Ob er, um sinngemäß Konrad Adenauer zu zitieren, ein probates Mittel ist, um den Verstand auf Touren zu bringen, steht dahin. Was die Qualität betrifft, so war der ehemalige Kölner Oberbürgermeister und spätere erste Kanzler der Bonner Republik mehr als überzeugt. Das sahen die Tester des Weinfachblatts „Falstaff“ ebenso und prämierten den Steingasse Riesling Jahrgang 2022 des Weinguts Pieper mit 94 (!) Punkten.
Sonntag, 9 Uhr: Unsere Bayliner liegt am Steg des WSV in Bad Honnef an der Leine, wir haben fünf Fußminuten von Adenauers Wohnhaus im kleinen, aber feinen Hotel zum Wein übernachtet und fahren jetzt mit Deutschlands ältester Zahnradbahn den Drachenfels hinauf. Zwar ist der 321 Meter hohe „Berg“ kein Mount Everest, doch die Aussicht vom „Gipfel“ herunter ins Rheintal hätte selbst Caspar David Friedrich begeistert. Über das 100 Meter tiefer gelegene Schloss Drachenburg hätte der bekannteste Maler der deutschen Romantik wohl eher den Kopf geschüttelt. In der Rekordzeit von zwei Jahren – die Fertigstellung des Kölner Doms dauerte 632 (!) Jahre – klotzte sich ein zu Geld gekommener Börsenspekulant 1882 hier eine Art rheinisches Neuschwanstein hin. Dessen Venusterrasse (!) zwei goldene Hirsche bewachen ...
Zwischen Köln und Linz gibt es offiziell fünf Sportboothäfen. Doch tanken kann man nur in Köln. Zwar ist unsere Bayliner kein Schluckspecht, aber 200 PS sind 200 PS und ein 130-Liter-Tank ist nicht der Vater aller Reichweiten. Was also tun? Das Boot bis zum letzten Tropfen leer fahren? Besser nicht! Also verlegen wir uns vom Wasser auf die Schiene und steigen nach unserem Drachenfels-Ausflug in Königswinter in den Regionalexpress. Nach wenigen Minuten entlang dahingewürfelter „Hübscher-wohnen-Häuschen“ rückt die berühmte Weltkrieg-II-Brücke von Remagen – oder besser gesagt: ihre unzerstört gebliebenen Brückentürme – ins Bild. Kurz darauf erreichen wir Linz. Das 6000-Einwohner-Städtchen war im Mittelalter so etwas wie der südlichste Außenposten der Hohen Herren zu Köln. Heute präsentiert sich die fachwerküberbordete Liliput-Urbane als Touristenmagnet. In der ehemaligen Apotheke gleich neben dem historischen Rathaus, übrigens das älteste in Rheinland-Pfalz, hat sich Beethovens Bruder Nikolaus die ersten Sporen als später erfolgreicher Apotheker verdient. Ludwig selbst, heißt es, habe hier neben der Musik auch gern dem Kartenspiel gefrönt.
Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt: Um 16.25 Uhr nehmen wir das Linienschiff zurück nach Bonn, steigen an der Insel Grafenwerth aus, nehmen die Brücke über den Altarm des Rheins zum Liegeplatz unseres Daycruisers und wecken die Pferdekoppel des MerCruisers zum Leben. Mit einem Blick auf den 16 Meter langen, 1917 vom Stapel gelaufenen Aalschokker „Aranka“ geht es in flotter Fahrt, nein, nein, nicht direkt in den Rheinau-Sporthafen, sondern zum Essen auf die Terrasse des „Sürther Bootshauses“.
Wir ordern Thunfisch auf Ratatouillegemüse. „Zu trinken?“, fragt die Kellnerin. „Rosé“, antworten wir, „ wenn möglich vom Weingut Pieper.“ „Tut mir leid“, achselzuckt die Dame, „wir haben keine Drachenfels-Weine auf der Karte. Unser Rosé kommt aus der Pfalz.“ Okay ... erstens greift in solchen und ähnlichen Fällen Artikel 1 des kölschen Grundgesetzes, sprich: Et es, wie et es (es ist, wie es ist), und zweitens liegt die Pfalz – Bacchus sei Dank – zumindest nicht in Düsseldorf ... kurzum: Wir bestellen eine Flasche mit vier Gläsern.
Liegeplatz: Rheinau-Sporthafen (rheinau-sporthafen.de). Charterpreise: Sundowner (2 Stunden) 195 Euro, halbtags (4 Stunden) 285 Euro, ganztags (8 Stunden) 399 Euro, Wochenende: 899 Euro (alle Preise zuzüglich Sprit). Kaution: 300 Euro. Voraussetzung: Sportbootführerschein Bereich Binnen. Internet: sailcademy.com
Bayliner 195 BR, Länge: 5,79 m, Breite: 2,41 m, Tiefgang: 0,99 cm, Baujahr 2008, Motorisierung: 200 PS (4,3 L MerCruiser Benzin-Innenborder), Höchstgeschwindigkeit: 70 km/h, zugelassen für 6 Personen.