Es ist Anfang Mai, Vorsaison. Die Sonne hat zwar schon mehr Kraft als daheim. Aber heiß ist es längst noch nicht. Da wundert man sich abends in Sant Antoni, der zweitgrößten Stadt Ibizas, über die knappen Outfits mancher meist jüngeren Touristinnen. Und fragt sich unwillkürlich: Ab wann ist man eigentlich zu alt für Ibiza? Was kann die Insel noch außer Sex, Drugs und etwas welker Flower-Power gekreuzt mit Jetset? Genauer: Lohnt sich das Revier für einen Törn? Oder sollte man besser gleich hinüber nach Formentera, wenn einem der Sinn nach ruhigen Buchten statt nach Beachclubs und Partys steht?
Sonntagmorgen zumindest ist es noch still. Als läge ganz Ibiza im Dornröschenschlaf. Kollektiv verkatert. Um zehn Uhr sind wir die einzige Crew, die ablegt. Und zwar mit der „Bohème“, einem Katamaran vom Typ Bali Catspace. Erst mal raus aus der Bucht und ein paar Seemeilen weiter ankern. Testen, ob das türkisblaue Wasser vielleicht schon Badetemperatur hat. Die Antwort: hat es nicht! Bibbernd stellt man fest, dass das Meer um die Balearen noch nicht im Sommerbetrieb ist.
Zum Glück kann man sich auf einer der zahlreichen Liegeflächen des großen Zweirumpfers in der Sonne aber rasch wieder erwärmen – und währenddessen ein wenig die Törn- und Reiseführer studieren. Mal sehen, wie sich die Woche, die vor einem liegt, am besten füllen lässt, um einen möglichst umfassenden Eindruck von dem Revier zu bekommen.
So klein der Archipel der Pityusen auch scheint, zu dem neben Ibiza und Formentera einige kleinere, unbewohnte Felseninseln gehören, will die Zeit doch gut genutzt sein. Sonntags, beispielsweise, ist Hippie-Tag in der Cala Benirrás, in der einst Nina Hagen barfuß geheiratet hat. Das will man natürlich erleben. Idealerweise vor Anker liegend, wenn am Ufer die Sonne trommelnd beim Untergehen angefeuert wird.
Eine Stunde vor Sonnenuntergang finden wir einen Platz in der Bucht, wenn auch nur in der zweiten Ankerreihe. Die erste ist schon besetzt. Mit dem Dingi geht es an Land. Der Strand ist gut besucht. Um nicht zu sagen voll, bevölkert von einem jungen, hippen, aber durchaus heterogenen Publikum. Ganz Ibiza-Style. Dazwischen tummeln sich ein paar Altfreaks.
Am südlichen Ende des Strands hat sich eine Menschentraube gebildet. Man kann sie kaum verfehlen. Ekstatisches Getrommel, Jubelrufe und Schwaden von Marihuana machen die Bucht für manchen noch schöner. So schön, dass man nach kurzer Zeit nicht sicher ist, ob man vom Passivrauchen stoned wird oder ob die Stimmung wirklich so betörend ist. Das hat was Peaciges hier. Bongos statt Ballermann. Und ein Hauch von Woodstock. Make love not war. An Gültigkeit hat der alte Hippie-Slogan hier jedenfalls nichts verloren.
Es sind unter anderem diese abendlichen Trommel-Sessions, für die Ibiza bekannt geworden ist. Auch wenn sie vielerorts offiziell nicht mehr promotet werden, finden sie „spontan“ weiterhin statt.
Tags darauf bleiben wir auf Nordkurs. Auf der Suche nach der Brise. Vielleicht geht oben am Kap was. Bei wenig Wind passieren wir den Leuchtturm von Moscarter. Der fällt mit markanter, fast freakiger Bemalung auf. Der Anstrich erinnert fast schon an eine gigantische geringelte Zuckerstange. Hübsch anzusehen. Ebenso das bergige Hinterland, auch wenn das nicht mit dem imposanten Tramuntana-Gebirge auf der großen Schwesterinsel Mallorca mithalten kann.
Mittags lassen wir den Anker in einer urigen Bucht bei Punta Grossa fallen. Dort gibt es eine ungewöhnliche Grotte. Und eine Felsstruktur, wie wir sie so noch nicht gesehen haben: Windungen und Verwerfungen wie bei einem Querschnitt durch ein versteinertes Gehirn. Leider kein Ankerplatz für die Nacht, weil etwas zu exponiert. Am Ende des Tages landen wir daher sehr geschützt zwischen den Felswänden der tief in den Küstensaum schneidenden Cala Llonga. Mit seichtem Strand im Scheitel der Bucht. Im Sommer werden hier die Ankerplätze knapp, und die Ausflugsdampfer und Fähren müssen Slalom fahren.
Wir lassen das Dingi zu Wasser und fragen uns durch. Ein einheimischer Gastronom empfiehlt die Konkurrenz, weil er mit der Saisoneröffnung etwas hinterherhängt. Er empfiehlt das „Can Nuts“ gleich um die Ecke. Ein Restaurant mit Seele. Und Personal in Bestlaune, wie sich schnell herausstellt. Das fällt auf: diese „good vibes“ auf Ibiza. Überall. Bisher hat uns noch niemand schlecht gelaunt bedient. Oder ist das eine Art positiver Post-Covid-Effekt, dass man die Touristen als wichtigsten Wirtschaftsfaktor Ibizas wieder mehr zu schätzen weiß?
Ein neuer Tag. Diesmal steht die Brise, und wir nehmen Kurs Formentera. Die Insel gilt wegen ihrer Strände als die Karibik Europas. Leider können wir sie nicht ganz anliegen. Der Kat segelt nicht die Höhe, die es bräuchte. Macht nichts, weil man sonst ohnehin viel zu schnell da wäre. Das hier ist kein Revier für Meilenmacher. Wir fahren zwei lange Schläge und landen schließlich am nördlichen Ende von Espalmador. Jener flachen, lang gezogenen Verbindungsinsel zwischen Ibiza und Formentera. Nur durch einen überspülten Sandstreifen von Formentera getrennt, liegt der wichtigste Ankerplatz im Süden. Im Sommer ist davor ein großes Bojenfeld ausgebracht. Die Murings müssen dann rechtzeitig reserviert werden, steht im Törnführer. In der Vorsaison hingegen haben wir freie Wahl und ankern gratis auf feinstem Sand. In schwimmbarer Distanz zum Strand, der mit seinen angrenzenden Dünen allerdings eher wie aus Dänemark denn aus der Karibik importiert wirkt. Mehr Anholt als Antigua.
Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorstellen zu können, was hier im Sommer los ist. Einen Vorgeschmack davon bekommen wir, als ein größeres voll besetztes Motorboot vorfährt, mittig in der Bucht vor Anker geht und sämtliche Nachbarcrews ungefragt an einer Junggesellenabschiedsfeier teilhaben lässt. Nur, gut, dass wir nicht in Windrichtung liegen. Musik und Lautstärke sind nicht jedermanns Geschmack. Immerhin, abends ist dann plötzlich Bettruhe.
Nach einer friedlichen Nacht setzen wir über nach Formentera. Alles auf Sicht, den Plotter schaltet man nur aus Gewohnheit an. Das Einlaufen in den Hafen ersparen wir uns. Die Liegegebühren für Katamarane sind auf den Balearen nicht gerade günstig. Und der Watermaker macht uns in puncto Wasser autark. Was wir dabei jedoch nicht bedacht haben, ist der emsige Fährverkehr.
Der bringt selbst einen großen Katamaran aus der Ruhe; es schaukelt mitunter ganz ordentlich. Daher spontane Planänderung. Eigentlich wollten wir an Land und einen Roller für einen Ausflug mieten. Andererseits: Bei einer einwöchigen Charter ist jeder ungesegelte Tag auf dem Wasser verschenkt. So beschließen wir, erst abends wiederzukommen.
Bei halbem Wind aus südöstlicher Richtung geht es gen Westküste. Die Cala Saona wird als schöne Bucht gepriesen. Und irgendwo soll man dort auch Roller leihen können. Doch das stimmt nicht. Jedenfalls nicht, solange das einzige Hotel vor Ort geschlossen hat. Wir trösten uns mit Eis und Kaffee in einer Strandbar.
Abends unternehmen wir einen zweiten Versuch, vor La Savina zu ankern. Die letzten Fähren verlassen gerade die Insel. Es haben sich ein paar mehr Yachten eingefunden. Platz gibt es dennoch genug. Dann: Dingi zu Wasser lassen und klar bei Landgang. Leider flutscht einem Mitsegler das Handy aus der Tasche. Ausgerechnet an seinem Geburtstag. Mit dem Telefon geht mitten in der Hafeneinfahrt auch die Stimmung auf Tiefe. Und die Tapas haben anderswo auch schon besser geschmeckt. Fazit: La Savina hätte man sich getrost schenken können.
Einen letzten Stopp legen wir vor Espalmador ein, dann geht es zurück nach Ibiza. Auch, weil plötzlich massenweise Quallen an den Ufern Formenteras auftauchen. Es wird ein herrlicher Raumschotskurs mit Blick auf die Isla Es Vedrà. Das ist das heimliche oder besser: unheimliche Wahrzeichen Ibizas. Es liegt genau voraus. Man würde gern verweilen, aber die Insel ist zu schroff und abweisend. Vielleicht auch besser so.
Um das felsige Eiland ranken sich etliche Mythen. Frühe Seefahrer behaupten, die Kompassnadel würde in seiner Nähe wild ausschlagen. Etliche Schiffe seien im Nebel von den Klippen angezogen worden und zerschellt. Ein Mönch soll über seine Meditation auf dem Gipfel fast verrückt geworden sein. Ein Riese soll auf Es Vedrà zwei Kinder gefangen gehalten haben, bis er an den Seeigeln erstickt sei, die sie im gaben. Und auch Ufos sind hier angeblich gelandet.
Also nichts wie weg! Wir verholen uns weiter nördlich. Was Ankerplätze angeht, hat man die Qual der Wahl. Die Crew entscheidet sich für etwas mehr Ibiza-Feeling und weniger Nachtruhe: Wir ankern in unmittelbarer Sicht- und Schallweite des Sunset Ashram. Das ist eine Institution in Sachen Sonnenuntergang. Sehr hip und nicht ganz billig. Dafür schweift beim Sundowner der Blick gleich über zwei Buchten. Ein fantastisches Panorama.
Zum Essen ist es uns hier dann aber doch zu laut. Die Geschmacksknospen wollen Ruhe und keine House-Musik. Wir tingeln weiter über die kargen Klippen und landen am Nacktbadestrand, der Playa Nudista in der Cala Escondida. Unterhalb der Felskante findet sich dort die charmante Strandbar „Chiringuito“. Personal und Publikum sind alle spontan sympathisch und bekleidet, was wohl auch der Jahreszeit geschuldet ist. An der Bar ein großes Schild: All you need is Sex. Doch so ganz stimmt das nicht, sonst hätte die Bar trotz bester Lage wohl längst Pleite gemacht.
Ich bestelle einen „Burger beyond“, was immer das auch ist. In jedem Fall eine Überraschung, als hinterher klar wird, dass der nichts mit Fleisch zu tun hat. Trotzdem schmeckt er wirklich gut. Oder hat das Ambiente so betört, dass den staunenden und schwärmenden Gästen alles serviert werden kann?
Die Sonne jedenfalls versinkt spektakulär im Meer, davor ein ankernder Katamaran und ein paar chillige Klänge zum Meeresrauschen. Und mit das Beste: um uns herum nur gut gelaunte Gesichter. Es steckt an, jenes spezielle Ibiza-Flair. Es ist ein ganz eigener Spirit. Anders als auf den anderen Baleareninseln. Irgendwie entspannter.
Die Crew ist sich nach einer viel zu kurzen Woche jedenfalls einig: Die Pityusen sind ein kleines, aber feines Revier mit vielen Möglichkeiten. Da dürfte für jeden was dabei sein. Allerdings ohne Gewähr, was den Sommer betrifft. Im Juli und August könnte es etwas zu hoch hergehen, die Ankerplätze knapp und laut und das Leben etwas zu „loca“, sprich: verrückt werden. Irgendwoher muss der Beiname „Partyinsel“ ja kommen.
Das Revier: Ibiza, Formentera und Espalmador werden als die Pityusen bezeichnet, ein Unterarchipel der Balearen. Die Griechen nannten sie so wegen der damals noch reichlich vorhandenen Pinienwälder. Die Küste Ibizas wird von kleineren sandigen Calas unterbrochen. Die meisten Buchtenufer sind bebaut; totale Einsamkeit findet man hier nicht.
Charter: Wir waren mit einem Katamaran vom Typ Bali Catspace des Vercharterers Rumbo Norte Ibiza unterwegs. Das Schiff kostet in der Vor- und Nachsaison ab 4.780 Euro, im Hochsommer 10.200 Euro (inkl. Endreinigung, Bettwäsche, Außenborder). Die Flotte in Sant Antoni an der Westküste Ibizas umfasst neben weiteren Zweirumpfern auch zwei Monohulls. Buchbar über Master Yachting in Würzburg, master-yachting.de, Telefon 0931/46 59 99 99.
Navigation: Die Küste Ibizas fällt fast überall steil ins Wasser, Untiefen sind rar. Lediglich die Passage zwischen Espalmador und Ibiza, die Freu Grande, sollte bei stärkeren Winden mit Vorsicht befahren werden. Dann herrscht dort rauer Seegang.
Wind & Wetter: Im Sommer tagsüber meist moderater Wind um 4 Bft aus Süd bis Südwest. Kräftigere Winde bringen der Levante aus Ost, der Schirokko aus Süd oder der Poniente aus West. Da die Entfernungen zwischen den Ankerplätzen gering sind, kann man sich jederzeit in eine geschützte Bucht verholen.
Literatur & Seekarten: „Törnführer Balearen“ von Gerd Radspieler, Delius Klasing, 39,90 Euro. Für den Landgang: „Ibiza/Formentera“, Dumont, 12,95 Euro. Sportbootkarten Satz 9: „Balearen“, Delius Klasing Verlag, 64,90 Euro.
Schöne Bucht im Nordwesten Ibizas. Sollte am besten sonntags angesteuert werden. Dann gibt es hier die berühmten Trommel-Sessions. Jeder kann mitmachen; frei sein, high sein oder einfach nur dabei sein. Beim Parkplatz ist ein kleiner Hippie-Markt für Souvenirs.
Außer bei Ostwind liegen Yachten hier sehr geschützt zwischen hohen Klippen. Tagsüber wegen der Ausflugsboote und Fähren etwas rummelig. Das Restaurant „Can Nuts“ können wir empfehlen. Man sollte aber rechtzeitig einen Tisch reservieren.
Ein Ankerplatz findet sich unmittelbar vor dem angesagten Club zu beiden Seiten des Strandes. Abends lässt sich mit DJ-Beschallung der Sonnenuntergang bestaunen. Wer es weniger laut und schrill mag, schlendert ein paar Buchten weiter und sichert sich einen Platz in der „Chiringuito“-Strandbar. Oder man setzt sich auf die Klippen und genießt die Stimmung.
Fast ein Muss auf dem Weg nach Formentera. Die große Strandbucht im Süden des Eilands versprüht im Frühjahr Dänemark-Feeling. Im Sommer liegen Murings aus (reservieren!). Der lange Strand macht nicht nur Kindern Freude. Theoretisch könnte man hinüber nach Formentera schwimmen, doch das sollte man wegen der starken Strömung unbedingt unterlassen!
Im Unterschied zu den auf Formentera ansonsten weitgehend offenen Stränden handelt es sich bei der Cala Saona um eine geschützte Bucht an der Westküste der Insel, die von Klippen umgeben ist. Am Punta Rasa befinden sich zudem einzigartige Unterwasserhöhlen. Und eine nette Strandbar gibt es auch, die mit Blick über die Bucht zum Verweilen einlädt.