NiederlandeÖstliches IJsselmeer

Unbekannt

 · 01.10.2011

Niederlande: östliches IJsselmeerFoto: Ingrid Bardenheuer
Hindeloopen

Entlang der Ostküste des IJsselmeeres ging BOOTE-Mitarbeiterin Ingrid Bardenheuer auf Törn und stieß auf Menschen, Mythen und moderne Marinas.

  HindeloopenFoto: Ingrid Bardenheuer
Hindeloopen

Seiner Weite gilt unser Sehnen, und der Selbstbestimmung, die es uns verspricht. Wäre sein Wesen gleichbleibend sanft und sein Anspruch an uns nicht so kategorisch, wir würden es bedingungslos lieben: das Meer. Doch muss es gleich diese Wildheit sein, um Freiheit zu spüren? Genügt nicht schon die Ahnung von Abenteuer, um den Alltag für eine Weile hinter sich zu lassen? Ein bisschen Meer eben nur, fesselnd, aber ferientauglich.

Hindeloopen

Das IJsselmeer ist ein solches Gewässer. In manchem gibt es sich so ungestüm wie seine Ahnin, die offene See. Trotz allem ist das IJsselmeer nur das, was die Niederländer unter „Meer“ verstehen: ein Binnensee. Sein Ostufer nahmen wir unter den Kiel. Wir trafen auf eine perfekt ausgelotete Wassersportinfrastruktur und auf die Spuren einer rauen Vergangenheit.

  Östliches IJsselmeer
Östliches IJsselmeer

Das gezeitenlose IJsselmeer erstreckt sich zwischen dem Abschlussdeich im Nordwesten und dem Houtribdeich im Südwesten. Nord-Holland begrenzt es nach Westen, Friesland nach Osten. Südlich der friesischen Küste schließen sich die Ufer von Nordost- und Flevolandpoldern an. Die Oberfläche des IJsselmeers ist knapp doppelt so groß wie die des Bodensees. Doch während dieser auf eine maximale Tiefe von etwa 250 m abfällt, geht es im IJsselmeer höchstens um die 5 m (NAP) hinunter.

Die geringe Wassertiefe zieht bei entsprechenden Wetterlagen eine ruppige Dünung nach sich, die berühmt-berüchtigte „IJsselmeerwelle“. Nicht-seegängigen Booten können die kurzen und steilen Wellen schnell gefährlich werden. Beständig warnt der Wateralmanak 1: „Op het IJsselmeer kann het spoken“ – Auf dem IJsselmeer kann es spuken. Gemeint ist eine gewisse Unberechenbarkeit des Reviers, die Respekt verlangt.

  Östliches IJsselmeer
Östliches IJsselmeer

Das Wetter am IJsselmeer vermag in erstaunlichem Tempo zu wechseln. Gewitter sind heftig und gehen oft mit Sturmböen einher. Plötzlicher Nebel ist ein weiteres Phänomen. Der Wind weht über dem IJsselmeer nur unwesentlich schwächer als über den benachbarten Watten. Während der Sommermonate kommt er häufig aus westlichen bis südlichen Richtungen. Wer die Ostküste des IJsselmeers entlangfährt, befindet sich somit regelmäßig in Lee und muss sich vor Legerwall-Situationen hüten.

Besondere Aufmerksamkeit verlangen die zahlreichen Flachs vor der Ostküste. Bei auflandigem Wind baut sich hier grober Seegang auf. Das Risiko, in der Dünung festzulaufen und aufs Flach gesetzt zu werden, ist nicht zu unterschätzen. Da die Gefahrenstellen aber umfassend betonnt sind, ist sicheres Navigieren kein Problem. Ausreichend markiert sind auch die Zufahrten zu den Marinas.

  Östliches IJsselmeer
Östliches IJsselmeer

Sämtliche Häfen der Ostküste liegen in moderaten Entfernungen zueinander – gut zu wissen, sollte es auf dem IJsselmeer zu „spoken“ beginnen. Die Versorgungsmöglichkeiten sind optimal und die Städte durchweg sehenswert.

Auch das ist das IJsselmeer: tiefblauer Himmel und Sonnenlicht, das in der Bugwelle funkelt, Seeluft und Möwengeschrei, Weite, die den Blick öffnet und eine Ahnung von Ungebundenheit gibt – Genuss pur eben. So leicht war das Leben hier nicht immer.

Man schaute auf sie herab, dabei waren sie doch nur arme Schlucker. Blanke Not hatte sie hart gemacht und die Abwehr eines Angreifers, der sie beständig umlauerte. Die Rede ist von den Schokländern und ihrem Kampf gegen das Meer. Schokland war eine Insel, die wenige Seemeilen südöstlich von Urk in der Zuiderzee lag, dem heutigen IJsselmeer.

Zuletzt maß Schokland kaum mehr als 4 km in der Länge und wenige Hundert Meter in der Breite, ein schmaler Streifen Land, im Westen mehr sumpfig als fest. Die Menschen hatten sich weiter östlich auf selbst errichtete Erdhügel, sogenannte Warften, zurückgezogen. Wenn das Wasser kam, dann überflutete es rasch die morastige Uferkante, stieg hoch zu den Warften und schlug dort gegen Pfahlwerke, die zur Verstärkung der Erdhügel und ihrer Bebauung in den Boden gerammt worden waren.

Im Februar 1825 wird Schokland von einer außergewöhnlich schweren Sturmflut überrollt. Menschen sterben, die Beschädigungen sind immens. Von dieser Katastrophe können sich die etwa 700 Bewohner Schoklands nicht mehr erholen. Die meisten sind durch fehlende Verdienstmöglichkeiten, Hunger und Krankheiten ohnehin schon am Ende. Man beginnt Geld für die Schokländer zu sammeln. Der Staat finanziert den Schutz des Eilands. Sinnlos, meinen Kritiker.

1859 ordnet der niederländische König die Räumung der Insel an. Den Sieg über Schokland trägt aber nicht das Meer davon. Mit der Fertigstellung des Abschlussdeiches im Jahr 1932 wird die offene Zuiderzee zum IJsselmeer befriedet. Vier Jahre später beginnt der Bau des Nordostpolders. Das, was von Schokland übrig geblieben ist, kommt innerhalb des Ringdeiches zu liegen und fällt 1942, mit Abpumpen des Wassers, trocken.

Wer heute über den Nordostpolder schaut, der wird im flachen Terrain eine langgestreckte, nur eben wahrnehmbare Erhebung ausmachen – Schokland. Buschwerk markiert den einstigen Uferverlauf, ein Wander- und Radweg folgt ihm. In einer der letzten Wohnsiedlungen der Insel, in Middelbuurt, ist das Museum
Schokland untergebracht (www.schokland.nl). Von hier aus lässt sich die frühere Insel, seit 1995 UNESCO-Welterbe, erkunden.

Ein lohnendes Ziel, das wir von unserem Liegeplatz in der Marina Schokkerstrand gut erreichen können: per Rad. Damit sind die rund 5 km bis zum Museum flott erledigt. Die Marina Schokkerstrand am Nordufer des Ketelmeers ist eine gepflegte und angenehme Anlage. Badestrand und Restaurant gehören dazu. Landeinwärts erstreckt sich die ganze Weite des Nordostpolders.

Das Ketelmeer ist noch nicht das IJsselmeer, gewiss. Erst nordwestlich der Ketelbrug beginnt, rein formal, unsere Reise. In alten Zeiten gab es hier nur ein Gewässer, das den Takt des Lebens vorgab: die Zuiderzee, eine gewaltige Kraft, die Schok-land attackierte und ein weiteres Eiland in der Nähe – Urk.

Anders als Schokland verfügt Urk über eine ausgeprägte, natürliche Anhöhe, auf die sich die Insulaner bei Hochwasser retten konnten. Dort oben errichteten sie ihre Häuser, nachdem die Zuiderzee auch die letzten tiefer gelegenen Bereiche Urks davongespült hatte. 1844 erhielt die Insel ihre markante Landmarke, den Leuchtturm. Seit der Trockenlegung des Nordostpolders im Jahre 1942 ist auch Urk keine Insel mehr.

Doch während Schokland inmitten des Nordostpolders im musealen Dornröschenschlaf liegt, ist Urk lebendig wie eh und je. Als malerische Hafenstadt am Rande des IJsselmeers, mit vielen hübschen Lokalen versehen, zieht es heute Sportbootfahrer magisch an – zu Recht. Wir machen im Nieuwe Haven fest. Hier wurden 2006 neue Stege ausgebracht, ein Gewinn für den quirligen Ort.

Urk hat eine lange Fischerei-Tradition. Seit Generationen schon fahren die Urker hinaus aufs Meer. Ein harter, gefährlicher Job, der vielen von ihnen das Leben kostete. Oft traf es auf einer Fahrt gleich mehrere Männer einer Familie – Vater, Sohn, Bruder. Erfahrene Fischer blieben auf See, alte wie junge, auch Kinder, kaum älter als zehn Jahre.

Auf der Anhöhe von Urk hat man ihnen ein Denkmal gesetzt. Es stellt eine Fischersfrau dar, die aufs Meer hinausschaut. Die Brüstung zu ihren Füßen trägt Marmortafeln mit den Namen jener, die nicht heimgekehrt sind. Der letzte Eintrag, den wir lesen, datiert von 2009. Darunter liegt ein Strauß frischer Blumen.

Mit gehörigem Abstand zum Flach „Vormt“, das sich nordwestlich der Hafeneinfahrt von Urk befindet, nehmen wir Kurs auf Lemmer. Seeseitig, im Jachthaven Friese Hoek, finden wir einen schönen Platz.

Lemmer ist seit jeher ein quicklebendiger Hafen. Handelsschifffahrt und maritimes Gewerbe prägten den Ort, später die Zuiderzee-Fischerei. Der Abschlussdeich und die nachfolgenden Einpolderungen brachten Lemmer erhebliche Einbußen, ein Los, das die Stadt mit anderen Orten an der ehemaligen Zuiderzee teilt. Inzwischen scheint sich in Lemmer nahezu alles um Wassersport und Tourismus zu drehen.

Auch hier gibt es ein UNESCO-Welterbe: das „ir. D.F. Woudagemaal“, ein dampfbetriebenes Schöpfwerk, das seit über 90 Jahren seinen Dienst verrichtet. Mithilfe dieser Anlage ließe sich das Sneekermeer innerhalb von zwei Tagen komplett leerpumpen. Das ist natürlich nicht die Aufgabe des „ir. D.F. Woudagemaal“.

Gemeinsam mit seinem elektrisch betriebenen Pendant in Stavoren soll es Friesland im Fall extrem hoher Wasserstände vom überschüssigen Nass befreien (www.wou dagemaal.nl). Lemmer selbst bekommt es regelmäßig mit einer Flut ganz anderer Art zu tun: Spätestens zur Hochsaison strömen Wassersportler jedweder Couleur in die Stadt. Lemmers romantisches Stadtfahrwasser, die Zijlroede, wird nun zum Catwalk.

Man flaniert per Boot, auch wenn die Sache irgendwann zur Fummelei ausartet, weil sich andere mittlerweile päckchenweise an den Ufern eingerichtet haben. Aber ein Schlauchboot passt immer und ein kühles Blondes so-wieso. Auf einer vertäuten Stahlyacht zischt die mitgebrachte Zapfanlage, während unter Deck die Bässe wummern. Männer allein unterwegs, wie das eben so ist.

In den Kneipen am Südkai der Zijlroede sind sämtliche Tische mit Aussicht vergeben und die ohne ebenfalls. Ein Stück weiter, wo der alte Binnenhaven beginnt, schleckt der halbe Ruhrpott Eis aus Hörnchen. Es duftet nach Sommer, Kibbeling und Pommes. Von Lemmers zahlreichen Liegeplätzen binnen und buten ist man zu Fuß rasch in diesem herrlichen Getümmel – und ebenso schnell wieder heraus.

Wir haben in einem der Supermärkte eingekauft und sind zurück an Bord. Dämmerung hat sich über den Hafen gelegt. In den Cockpits schimmern Windlichter, nebenan spielen sie Karten, drüben sind zwei ins Gespräch vertieft. Eine Familie kommt vom Pizza-Essen wieder, ein Lachen weht herüber, gedämpftes Reden, für die Hemdenmatze ist jetzt Bettzeit. Für uns auch.

„Kokmeeuwen aan land, onweer voor de hand“, so steht es an der Lemstersluis geschrieben, Lemmers historischer Seeschleuse – gehen die Lachmöwen an Land, liegt ein Gewitter quasi auf der Hand. Glücklicherweise ist das Federvieh auf See, als wir anderntags ablegen. Kompatibel dazu ist der Wetterbericht: trocken, gute Sicht, um die 3 Beaufort.

Dass unser Trip nach Stavoren trotzdem ausgesprochen ungemütlich wird, liegt an der Windrichtung – West, auf Süd drehend. Bis zur Tonne VZ West haben wir Wind und Welle von Backbord. Die Dünung fällt heftiger aus, als es die Windstärke erwarten lässt. Schuld an dem Hack sind die Flachs vor der friesischen Küste, die wir an Steuerbord haben. Als wir endlich nach Nordnordost drehen können, kehrt leidlich Ruhe ein.

Es war einmal eine reiche, raffgierige Witwe. Eines Tages befahl sie einem ihrer Kapitäne: Fahr hinaus und bring mir eine ganze Schiffsladung vom Kostbarsten der Welt! Und der Kapitän machte sich auf den Weg. Im Osten stieß er auf etwas, das ihm als das Kostbarste der Welt erschien – Weizen von allerbester Qualität, goldgelb und rein. Damit kehrte er nach Stavoren zurück. Als die Witwe sah, was der Kapitän geladen hatte, schrie sie empört: Getreide? Kipp es ins Meer und geh mir aus den Augen ...

Der Kapitän segelte hinaus und schüttete das Getreide ins Meer. Dort, wo es versank, vor Stavoren, bildete sich eine mächtige Sandbank. Die hochmütige Witwe aber verlor alsbald durch ein mysteriöses Geschick ihr gesamtes Vermögen.

Wie viele Legenden hat auch diese einen wahren Kern. Im Hoch- und Spätmittelalter war Stavoren eine blühende Handelsmetropole. Der Ort an der vormaligen Zuiderzee hatte mehr Einwohner als heute, und seine Bürger nannte man seinerzeit, wegen ihres Gehabes, „die verwöhnten Kinder von Staveren“. Einer der Gründe für den Niedergang Stavorens war die zunehmende Versandung des Hafens.

„Vrouwezand“ – Frauensand – heißt denn auch die großflächige Untiefe, die sich südlich von Stavoren erstreckt. Das weit hinausragende Flach, das als das heikelste des IJsselmeers gilt, ist betonnt. Auch hier sollte sich niemand bemüßigt fühlen, nach einer „Abkürzung“ zu suchen – es könnte böse enden. Bei westlichen und südlichen Winden drohen einmal mehr Legerwall-Situationen.

Wir umschiffen den „Vrouwezand“ ohne Schwierigkeiten und laufen den Außenhafen der Marina Stavoren an, eine großzügige und erstklassig ausgestattete Anlage. Stavoren, das bis 1982 den Namen „Staveren“ trug, ist die älteste Stadt Frieslands und feiert in diesem Jahr 950-jähriges Bestehen. Der Ort begrüßt uns mit sprödem Charme, bietet aber einige Geschäfte und Lokale. Sehenswert: die Galerie „De Staverse Jol“, untergebracht in einem ehemaligen Kirchenraum. Orgel, Bänke, Leuchter – alles ist noch da, und dazu vieles andere (www.galeriedejol.nl).

In der Nacht kommt Starkwind aus Südwest auf, der noch am nächsten Morgen auf die Küste drückt. Bei auflandigem Wind bugsierte man früher die großen Segler mit Pferdekraft und Schlepptauen, die um Rollpfähle geführt waren, aus dem Hafen. Wir hätten genug Motorkraft, um gegenan zu kommen. Aber wir warten lieber ab. Mittags beruhigt sich die Lage, wir brechen auf nach Hindeloopen.

Ein kurzer Schlag nur, doch erneut Vorsicht: Abseits der betonnten Zufahrt ist es untief. Im Hafen steuern wir den Jachthaven Hindeloopen an, der einlaufend an Backbord liegt. Die Anlage hat denselben Betreiber wie die Marina Stavoren, entsprechend komfortabel geht es auch in Hindeloopen zu. Unseren Liegeplatz bekommen wir wieder vom Hafenmeister zugewiesen. Der Wartekai befindet sich gleich vornean bei der Tankstelle.

Alte Gassen und Fischerkaten, schmucke Kapitänshäuser und Gärten, in denen Stockrosen blühen – Hindeloopen mutet an wie ein Museumsdorf. Am Hafenrund liegen Restaurants, in der zweiten Reihe und dahinter entdecken wir Läden für den täglichen Bedarf und solche zum Stöbern: Antiquariate und eine Chocolaterie, Möbelmacher und ein Stoffgeschäft. Nicht irgendwelche Schränke und Textilien stehen hier zur Auswahl, sondern nach alten Vorbildern bemaltes Mobiliar und feinster Chintz, kunstvoll bedruckt.

Dieses edle Tuch aus aufbereiteter Baumwolle war schon im 17. Jahrhundert begehrt. Schiffe der Vereinigten Ostindischen Kompanie (V.O.C.) brachten es damals aus Indien mit. In jener Ära, es war das berühmte „Goldene Zeitalter“ der Niederlande, wuchs der Wohlstand von Hindeloopen um ein Vielfaches an.

Die Geschichte der Stadt erzählt ein Museum (www.museumhindeloopen.nl). Wir bummeln weiter und kommen an ein offen stehendes Hoftor. „Wie hier voorbij loopt zonder te kijken, miste en ervaring!“, steht auf dem Schild daneben – wer hier vorbeiläuft, dem entgeht was! Wir sind unternehmungslustig und treten ein.

Als sich unsere Augen an das Halbdunkel gewöhnt haben, machen wir eine Halle aus, die bis unters Dach mit Trödel, Antiquitäten, Kuriosa und Schnickschnack vollgestopft ist. Es riecht etwas muffig im „Hindelooper Markt“, aber auch sehr verheißungsvoll. Zwischen Kaffeetassen und Fendern, Silbergabeln und Schullandkarten begeben wir uns auf Safari. Ein toller Spaß.

Weiter geht’s die friesische IJsselmeerküste hoch. Wir fahren immer noch an altem Land entlang, das mit den schnurgeraden Kanten der Polder so gar nichts gemein hat. Die Ufer von Fryslân formte eben die Natur und nicht der Mensch. Auch unsere beiden letzten Ziele auf dieser Reise, Workum und Makkum, stehen auf historischem Grund. Die vorgelagerten Flachs sind wie die vorangegangenen gut markiert.

Von der Tonne H2 – W1, die als Ansteuertonne für Hindeloopen und Workum dient, nehmen wir Kurs auf die Einfahrt ins Het Zool, friesisch It Soal. Dieser knapp 2 km lange Kanal bringt zur Workumer Seeschleuse, die in der Hochsaison schnell zum Nadelöhr wird – wie vergleichbare Passagen auch. Da kann es Sinn haben, sich bereits am Het Zool einen Liegeplatz zu suchen, beispielsweise im großzügigen Jachthaven It Soal.

Zentrumsnah liegt man jenseits der Seeschleuse. Dort, im Herzen von Workum, umfängt einen jenes Flair, das für Friesland so typisch ist. Südwestlich der beweglichen Beginebrêge bemerken wir einen nett gelegenen Holzsteg. Warte- oder Liegeplatz? „Ihr könnt da bleiben. Wegen des Liegegeldes komme ich heute Abend vorbei“, sagt der Brückenwärter und nickt uns freundlich zu.

Hinter den Häusern am gegenüberliegenden Ufer stoßen wir auf zwei Supermärkte. Ebenso schnell erreichen wir Workums Altstadt mit weiteren Geschäften und Lokalen. Auf dem schönen Marktplatz genießen wir erst die Sonne und dann ein „Dokkumer Kofje“, Kaffee mit braunem Zucker, Sahne und einem Schuss Beerenburg.

Kulturelle Kost wird wenige Schritte weiter serviert, im Jopie Huisman Museum, das 2011 sein 25-jähriges Jubiläum begeht (www.jopiehuismanmuseum.nl). Der Workumer Jopie Huisman (1922–2000) war eigentlich Schrott- und Lumpenhändler. Kunst betrieb er als Autodidakt.

„Ik ben begonnen met schilderen, net zoals ik begonnen ben met ademhalen. Zonder dat ik me er van bewust was“, zitieren ihn die Museumsleute, „Het is gewoon een drang, van binnenuit. Net als eten en drinken.“ Ich begann zu malen, wie ich zu atmen begonnen habe. Ohne dass ich mir dessen bewusst war. Es ist einfach ein Drang, von innen heraus. Nicht anders als essen und trinken.

Unsere letzte Etappe ist angebrochen, wir wollen von Workum nach Makkum. Vo-raus am Horizont wird eine dunkle Linie sichtbar – der Abschlussdeich. Bald zeichnen sich auch die Konturen von Kornwerderzand ab, dem östlichen Schleusenkomplex im rund 32 km langen Abschlussdeich. Hier kämen wir hinaus auf die offene See und zu den Watteninseln. Dem Binnenhaven von Kornwerderzand statten wir einen kurzen Besuch ab. Kasematten und Bunkeranlagen springen uns ins Auge. Düstere Zeugen des Zweiten Weltkrieges. Wir drehen ab.

Kaum haben wir den Binnenhaven von Kornwerderzand verlassen, taucht auch schon die Tonne VF2 – MA1 vor unserem Bug auf. Das Fahrwasser nach Makkum beginnt. Der Tonnenstrich leitet uns zum Makkumerdiep, das durch die Makkumer Waard bringt, eine langgestreckte Halbinsel vor Makkum. Am Ende des Makkumerdiep, nördlich des Vissershaven, schlüpfen wir durch die Seeschleuse von Buiten nach Binnen.

An der Grote Zijlroede ist noch ein lauschiges Plätzchen für uns frei. Eigentlich macht ganz Makkum einen lauschigen Eindruck. Und fast wären wir allein mit dem sachlichen Befund, sämtliche Versorgungseinrichtungen entdeckt zu haben, aufs Boot zurückgekehrt.

Doch dann finden wir uns, vis-à-vis der Grote Zijlroede, vor einem unauffälligen Geschäftsgebäude wieder, dessen Auslagen uns auf Anhieb bannen: „Weißes Gold“ und glänzende Fayencen. Wir sind bei Koninklijke Tichelaar Makkum. Die Manufaktur, deren Ursprünge bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen, produziert Porzellan – sogenanntes Weißes Gold – und vor allem regionaltypische Keramik.

Bereits in 13. Generation wird das Unternehmen von der Familie Tichelaar geführt. Nach überlieferten und modernen Vorgaben entstehen Schalen und Miniaturen, Fliesen und anderes, alles von exzellenter Beschaffenheit, vieles davon in einem etwa 1200 qm großen Shop gleich vor Ort zu bewundern – und käuflich zu erwerben, sofern es die Urlaubskasse noch hergibt.

Unsere Reise übers östliche IJsselmeer ist zu Ende. Von Makkum aus nehmen wir Kurs aufs Hinterland. Das ließe sich, je nach Bootshöhe, auch via Workum, Hindeloopen (Durchfahrtshöhe max. 2,50 m), Stavoren, Lemmer und Urk (Durchfahrtshöhe max. 3,40 m) ansteuern. Aber wir wollten ja ein „bisschen Meer“ haben.

WAS SKIPPER WISSEN MÜSSEN

Boot Wir fuhren eine Jeanneau Merry Fisher 805, Länge 8,25 m, Breite 2,94 m, Tiefgang 0,74 m, Durchfahrtshöhe 2,71 m, 200 PS Nanni-Diesel, Höchstgeschwindigkeit 43 km/h, CE-Kategorie B (außerhalb von Küstengewässern).

Führerschein Auf dem IJsselmeer ist zum Führen von Sportbooten, die bis 15 m lang sind und schneller als 20 km/h fahren können, der „klein vaarbewijs“ (II oder A) erforderlich. Dieser Befähigungsnachweis gilt auch zum Führen von Sportbooten mit 15 m – 25 m Länge. Der deutsche Sportbootführerschein See (ausgestellt nach dem 1.1.1974) wird anerkannt.

Tempolimit Innerhalb des markierten Fahrwassers und innerhalb eines Bereiches von 250 m ab Ufer gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h. Außerhalb dieser Flächen besteht keine Geschwindigkeitsbeschränkung.

Wetter und Warnungen Die Küstenwache Den Helder sendet viermal täglich um 8.05 h, 13.05 h, 19.05 h und 23.05 h Ortszeit auf den UKW-Kanälen 23 und 83 einen Wetterbericht für Küste und IJsselmeer. Der Centrale Meldpost IJsselmeergebied in Lelystad bringt stündlich um h + 15 min auf UKW-Kanal 1 eine Lagemeldung mit Wetterbericht. Nautische Warnnachrichten und Sturmwarnungen meldet die Küstenwache auf UKW-Kanal 16 und DSC-Kanal 70.

Liegeplatzpreise Bei einem Bootsmaß von 8,25 m x 2,94 m zahlten wir für eine Übernachtung mit zwei Personen an Bord folgende Liegegelder (ohne Zusatzservice, Stand 2010): 13,45 Euro Marina Schokkerstrand, 15,10 Euro Jachthaven Friese Hoek Lemmer, 20,20 Euro Marina Stavoren Buitenhaven, 20,20 Euro Jachthaven Hindeloopen, 8,80 Euro Workum Binnenhaven, 8,40 Euro Makkum Binnenhaven. Außer den erwähnten Anlegeplätzen befinden sich weitere in den besuchten Städten. Infos siehe Törnliteratur.

Tanken Entlang unserer Strecke gibt es einige Bootstankstellen, unter anderem in Marina Schokkerstrand (D/B), Gemeente Haven Urk (D), Gemeente Binnenjachthaven Zijlroede Lemmer (D/B), Marina Stavoren Buitenhaven (D), Jachthaven Hinde-loopen (D/B), Jachthaven It Soal Workum (D) sowie Marina Makkum (D/B).
Trailerboote Einsetzmöglichkeiten sind in allen von uns angelaufenen Orten vorhanden. Details siehe

Törnliteratur

  • Manfred Fenzl: Das IJsselmeer. Mit Noord-Holland, Randmeeren, Flevoland, Vecht, Eem. Edition Maritim, Hamburg, ISBN 978-3-89225-327-3.
  • Manfred Fenzl: Friesland. Zwischen Ems und IJsselmeer. Mit Route durch das Veen. Edition Maritim, Hamburg, ISBN 978-3-89225-656-4.
  • Jan Werner: Holland 2. Das IJsselmeer und die nördlichen Provinzen. Delius Klasing Verlag, Bielefeld, ISBN 978-3-7688-1180-4.
  • DSV-Verlag (Hrsg.): Das IJsselmeer. Häfen und Schleusen, IJsselmeer, Markermeer, Randmeere. Vertrieb Delius Klasing Verlag, Bielefeld, ISBN 978-3-88412-439-0.
  • ANWB (Hrsg.): Wateralmanak 1. Regelgeving en tips. ANWB, Den Haag.
  • ANWB (Hrsg.): Wateralmanak 2. Vaargegevens. ANWB, Den Haag.
  • Niederländisches Hydrographisches Institut (Hrsg.): Kartenserie 1810 (IJsselmeer, Randmeren und Noordzeekanaal).
  • ANWB (Hrsg.): Waterkaart B (Friesland).
  • ANWB (Hrsg.): Waterkaart Y (IJsselmeer).

Törnetappen

  • Marina Schokkerstrand/Schokkerhaven – Urk: 14 km
  • Urk – Lemmer: 28 km
  • Lemmer – Stavoren: 34 km
  • Stavoren – Hindeloopen: 9 km
  • Hindeloopen – Workum: 4 km
  • Workum – Makkum: 17 km

Gesamt: 106 km