Andreas Fritsch
· 05.02.2024
Nachdem der erste Schock über verwüstete Häfen, gesunkene oder stark beschädigte Yachten überwunden war, begann praktisch nahtlos ein Wettlauf gegen die Zeit: Hunderte Eigner mussten ihre Boote sichern und begutachten lassen sowie einen Werftplatz in den ohnehin schon gut ausgelasteten Betrieben an der Küste ausfindig machen. Wen es bei der Sturmflut ganz schlimm getroffen hatte, der musste sich gar auf die Suche nach einem neuen Schiff begeben. Die Hafenbetreiber wiederum sahen sich mit vom Sturm und den Wellen zerschlagenen Steganlagen konfrontiert. Sie müssen neue Pfähle rammen, ganze Stege ersetzen, Molen flicken oder erhöhen, Strom- und Wasserleitungen samt zugehöriger Säulen reparieren. Und das alles, bis die Saison wieder startet.
Fünf Monate aber sind nicht lang. Wer um die Auslastung der wenigen Wasserbaufirmen, um Materialengpässe und um den Fachkräftemangel weiß, dem schwante schon im November, dass es eng werden könnte. Grund genug, auf Stippvisite entlang der Küste zu gehen: Was hat sich nach der Katastrophe in den Häfen getan? Und wie schreiten die Bootsreparaturen in den Werften voran, auf deren Höfen sich die beschädigten Motor- und Segelboote wie in einer Warteschlange hintereinander reihen?
Mit am schwersten getroffen hatte es den von der Sporthafen Kiel GmbH betriebenen Yachthafen von Schilksee. Kurz nach den Unglückstagen kam bereits die Frage auf, ob die Kieler Woche gefährdet sei. Zugleich zitterten Hunderte von Dauerliegern um ihren Platz; Ausweichmöglichkeiten sind in den fast allerorten entlang der Küste ausgebuchten Häfen rar. Allein in Kiel standen 2023 rund 400 Eigner mit ihren Schiffen auf der Warteliste.
Ein Ortstermin Mitte Januar mit dem Geschäftsführer der Sporthafen Kiel GmbH Philipp Mühlenhardt gewährt einen überraschend guten ersten Eindruck von der aktuellen Lage in Schilksee: Das Chaos ist beseitigt. Es stehen zwar noch etwa ein Dutzend beschädigte Boote auf dem Areal. Einige zieren angeklebte Zettel, meist von polnischen Bootsbauern: „Ich werde ihr Boot kaufen!“ Doch Mühlenhardt winkt ab: „Die Schnäppchenjäger waren natürlich längst alle da. Die meisten Schiffe sind inzwischen aber bereits auf Werften und Service-Betriebe verteilt – oder abgewrackt worden.“
Der Kieler weiß, wovon er spricht, ihn hat es selbst erwischt. Seine Sweden Yacht 340 hatte nach dem Sturm riesige Löcher und Macken im Rumpf. Aus dem Urlaub reiste er hektisch kurz vor dem Sturm noch an, sicherte, was zu sichern war, brachte zig Leinen aus. Vergebens. Das Schiff liegt jetzt in der Knierim Werft. Begutachteter Schaden: um Haaresbreite unter Versicherungswert. „Wir wollten uns nicht trennen, es hängen ja viele Erinnerungen an dem Boot. Letztlich war es eine Bauchentscheidung“, erzählt Mühlenhardt. Die gröbsten Schäden an seinem Schiff sind mittlerweile beseitigt, er darf auf den nächsten Sommer hoffen. Anderen Eignern geht es ähnlich.
In Schilksee bauen derweil Handwerker im eiskalten Ostwind bei Minusgraden die Hauptstege wieder auf. Einige sind noch bis auf die Unterkonstruktion abgeräumt, lediglich neue T-Träger sind schon montiert. „Wir haben direkt nach dem Sturm dringend benötigtes Material auf Vorrat gekauft. Wir ahnten ja, dass Lieferengpässe drohen“, so der Hafenchef. GFK-Unterkonstruktionsträger, Hölzer, Gitterplatten – vieles liegt bereit oder ist schon verbaut. Sogar das Hafenbecken ist neu vermessen, die Trümmer von Tauchern beseitigt, die Einfahrt auf Versandung geprüft. „Wir hatten Glück, das Vermessungsboot eines Seekartenverlags war verfügbar.“
Mühlenhardt ist optimistisch. „Die Kieler Woche werden wir schaffen, auch die Liegeplätze sollten klar sein. Die Reparatur von Stromsäulen und Wasseranschlüssen kann hier und da allerdings länger dauern.“ Sichtlich gelitten hat auch der aus Natursteinen errichtete Wellenbrecher. Er wird bis zur Saison wieder auf das alte Maß von 2,5 Metern erhöht. Doch die Frage ist: Muss er für die Zukunft nicht deutlich erhöht werden? Wie sich später zeigt, stehen auch andere Häfen wie Damp oder Maasholm vor dem gleichen Problem.
„Natürlich wäre eine Erhöhung für die Zukunft sinnvoll. Doch das ist leider sehr aufwändig“, erklärt Mühlenhardt. Man könne nicht einfach den bestehenden Wellenbrecher um einen Meter aufstocken. Das würden die vorhandenen Steine nicht halten. Sie eignen sich nicht als Fundament für einen weiteren Aufbau. Heißt: Neubau. „Das ist ein Millionenprojekt. Die Frage, wie es zu stemmen ist, wird uns noch etwas länger beschäftigen.“
Wir sind optimistisch, dass in Schilksee alle Plätze zum Saisonstart wieder nutzbar sind – Strom und Wasser vielleicht etwas später”
Dabei hatte das Land Schleswig-Holstein nach der Sturmflut schnelle Hilfe zugesagt. Aus Kiel hieß es in einem ersten Papier, ein Wiederaufbaufonds von Land und Kommunen solle die Kosten für Infrastruktur-Anlagen zu 75 Prozent unterstützen. Allerdings: Die dafür nötige Förderrichtlinie ist noch immer nicht veröffentlicht, und die Zeit bis zum Saisonbeginn wird immer knapper.
Offene Finanzierungsfragen bremsen auch Arbeiten in Damp und Maasholm aus, wie die Bürgermeisterin von Damp sowie die Geschäftsleitung der Gemeinde Maasholm bestätigen. In Damp sperrt ein riesiger Bauzaun das Hafenareal ab, das noch deutliche Spuren der Verwüstung zeigt. Bürgermeisterin Barbara Feyock berichtet: „Wir warten auf die Förderrichtlinie, und wir müssen mit dem Pächter des Hafens besprechen, wie es weitergehen kann. Die Steinmole ist teils um einen Meter abgesackt, da besteht Handlungsbedarf.“
Wann der Hafen wieder voll betriebsbereit ist, sei zurzeit nicht absehbar. Die benötigten Gelder allein aufbringen, dazu sind kleinere Kommunen nicht in der Lage. In Eckernförde beispielsweise werden die von der Sturmflut verursachten Schäden an Stränden und ufernahen Anlagen auf über drei Millionen Euro geschätzt. Daher haben die Stadtväter nun beschlossen, befristet einen Sturmflut-Soli von 50 Cent auf die Kurabgabe zu erheben. Auf diese Weise will man 500.000 Euro zusammenbekommen. Not macht erfinderisch.
Anderswo geht es hingegen schnell voran: Die Eigentümer des Hafens Lindaunis an der Schlei überraschten schon vor Weihnachten mit der guten Nachricht, dass die durch die Sturmflut verursachten Schäden an den Stegen repariert seien und man sich nun daranmache, die Versorgungsanschlüsse wiederherzustellen. Vorteil der Privatwirtschaft, die allerdings auch keine Förderung erhält.
Auch die Im-Jaich-Gruppe, die sieben Yachthäfen in Norddeutschland betreibt, berichtet, dass bereits fleißig Schäden behoben würden. „In Eckernförde und Flensburg müssen wir die Versorgungssäulen ersetzen. Aufwändiger ist die Sanierung der Schäden in Langballigau, da waren die Servicegebäude geflutet“, so Hans Jaich. In Lauterbach auf Rügen müsste wohl auch die Steinmole erhöht werden, um für die Zukunft gewappnet zu sein.
Wie groß das Schadensvolumen an den Häfen insgesamt an der deutschen Küste ist, lässt sich mangels eines großen, geschlossenen Interessenverbandes nicht genau sagen. Anders in Dänemark: Da beziffert der Flid, der Verband der Marinabetreiber, die Kosten auf rund zwölf Millionen Euro. 59 Häfen sind im Nachbarland betroffen, in vieren übersteigen die Schäden 1,5 Millionen Euro. Ein Fördertopf ist in Aussicht gestellt, er soll die Kommunen mit 25 Prozent der Kosten unterstützen.
Einer, dem das wenig hilft, ist Carsten Kock. Er betreibt die private Marina von Mommark, die auch von vielen deutschen Crews gern angesteuert wird. Die Sturmflut hat den Hafen praktisch völlig zerstört. „Ich schätze den Schaden auf etwa 1,5 Millionen Euro“, sagt Kock. „Alle Stege sind kaputt, vor allem aber ist die Mauer der Betonmole abgebrochen. Ohne ihren Schutz gen Osten ergibt es keinen Sinn, mit Reparaturen an den Stegen zu beginnen“, so der Däne.
Er hoffe auf eine Förderung, hat aber für den Notfall auch noch ein Ass im Ärmel: Seit zwei Jahren habe er Pläne für eine Erweiterung von Mommark um 160 Plätze in der Schublade. Dann würde eine neue, stärkere Steinmole den Hafen schützen und eine genauso hohe Betonwand auf der Pier wie früher innen wohl reichen. „Wenn das genehmigt wird, hätte der Hafen eine Chance“, glaubt Kock. Vorerst werden also wohl nur das Restaurant und der Campingplatz wieder eröffnen, der Hafen nur für die Fischer.
Riesige Löcher in den Rümpfen, hässliche Schrammen bis tief ins Laminat, aufgeplatzte Rumpf-Deck-Verbindungen: Auch viele Eigner stehen vor großen Herausforderungen. Nicht wenige waren tief erschüttert, manchen kamen die Tränen, als sie ihre Schiffe zerstört, gesunken oder stark beschädigt vorfanden. Zwei Monate später gibt es zum Glück erste Beispiele, die Hoffnung machen. In der Knierim Werft macht man etwa auch extrem schwere Fälle wieder fit. Ob ausgebrochene Bugpartien, klaffende Löcher in den Rumpfseiten oder eingedrückte Heckspiegel: Es gibt kaum einen Schaden, den sie hier dank viel Hightech nicht beheben können.
Bootbauer Jens Langwasser erklärt, wie die Werft die komplizierteren Fälle löst: „Wir erfassen die vorhandene Rumpfform mit 3D-Scannern, wandeln die Daten im Rechner in entsprechende Konstruktionszeichnungen um und ersetzen dann digital das fehlende Stück. Bei Eckstücken ist das sogar einfacher, da scannen wir die oft intakte andere Seite und spiegeln sie im Rechner.“ Anschließend werde das benötigte Bauteil berechnet. „Das fräsen wir dann aus Styropor als Negativform“, so Langwasser. Darin werde das Teil millimetergenau laminiert und schließlich per Schäftung an den Rumpf laminiert.
Beim Gang durch die Hallen ist das gerade eindrucksvoll an einer großen Motoryacht zu sehen. Eine Segelyacht mit abgebrochenem Bug folgt in Kürze. Und auch bei anders gearteten Schäden ist Einfallsreichtum gefragt. Etwa weil früher verbaute, aus einem Stück geformte Aluminium-Fußrelinge nicht mehr lieferbar sind. Die Bootsbauer ersetzen sie durch neue, heute meist in mehreren Stücken montierte. Per se sind Ersatzteile gerade für ältere Schiffe schwer aufzutreiben, lange Lieferzeiten die Folge. Kein Wunder also, dass des Öfteren in diesen Tagen zu hören ist, die Bootsbauer an der Küste würden mit den Reparaturen der sturmgeschädigten Yachten locker bis Ende 2024 zu tun haben.
Beinahe anrührend ist da die Geschichte einer Art Boots-Auferstehung: In Schilksee sank die Hanseat 68 der Familie Bothmer. Das Boot hatten die Großeltern in den Sechzigern gekauft, seitdem haben vier Generationen darauf Segeln gelernt. „Ich habe als Kind meine Sommerferien auf unserer ‚Persante‘ mit den Eltern verbracht. Später segelten wir mit unseren Kindern darauf. Jetzt nehmen die schon ihre Kinder mit“, erzählt Brita Bothmer.
Und dann kam die Sturmflut, und die Hanseat ging am Liegeplatz auf Tiefe. Nur der Holzmast schaute noch aus dem Wasser. Sieben Tage lag sie dort unten. Die Versicherung zögert nicht lange: Sie attestiert angesichts 30.000 Euro Versicherungssumme einen wirtschaftlichen Totalschaden. Die Familie schaut sich in ihrer Verzweiflung im Internet gebrauchte Hanseaten an. „Aber ich fremdelte mit den anderen Booten. Hanseaten sind sehr individuell ausgerüstet, vieles wurde in der Bauphase ständig verändert. Die anderen Boote waren einfach nicht wie unseres“, sagt Brita Bothmer.
So fällt der Entschluss: „Persante“ wird gerettet, ob die Versicherungssumme nun reicht oder nicht. Dass die Entscheidung richtig war, zeigt sich schon, als das Boot aus dem Wasser an Land schwebt: Kaum steht es im Bock und das Wasser ist gelenzt, der gröbste Schmutz entfernt, klettern die Enkelkinder ins Cockpit und fahren imaginäre Wenden.
Die Bothmers spülen das Boot, räumen es leer, geben Segel zur Reinigung. Dann wandert die Hanseat in die nah gelegene Förde-Werft. Die trocknet das Boot und legt wenig später los. Schon Ende des Jahres ist das Loch im Rumpf geschlossen und neuer Lack aufgebracht. „Zum Saisonstart wollen wir los“, sagt Brita Bothmer. Familienmitglieder gibt man eben nicht auf.
Was bei so einer Rettung alles möglich ist, zeigt auch Bastian Kemper. Der Bootsbauer arbeitet in der Förde-Werft, als der Sturm ausbricht. Mit seinem Chef Paul Kröber ist er noch in der Nacht vor Ort, sichert Boote mit Zusatzleinen, versucht zu retten, was zu retten ist. Die Tage danach sind sie im Dauereinsatz, helfen, die Wracks zu bergen, führen Abtransporte durch und unterstützen bei der Einschätzung, was reparabel ist.
Irgendwann in diesen Tagen hängt „Elida“ am Kranhaken. Vier Tage lag die Luffe 37 unter Wasser, hat quadratmetergroße Schäden und Löcher im Rumpf, das Ruder ist gesplittert. Und doch, die Yacht ist eine Schönheit. „Als wir sie aus dem Kran geholt haben, sagte die Versicherung, das sei ein Totalschaden, wir sollten das Boot zum Abwracken mitnehmen“, so der 30-jährige Kemper. Da sehen sich Meister und Geselle an und denken beide: „Ein Jammer, da sollte doch was gehen!“
Sie erstehen das Wrack für einen symbolischen Euro. Nach Arbeitsschluss widmet sich Kemper der Luffe, spült sie tagelang mit Süßwasser, befreit den Innenraum von Schlamm und Dreck und baut die Maschine aus. Wasser wird per Vakuumpumpe über in Schotten und andere Holzteile gebohrte Löcher entzogen. Bautrockner vertreiben die Feuchtigkeit. Basti, wie ihn hier alle nur nennen, zerlegt den Innenausbau, beschriftet penibel jedes einzelne Holzteil, die nun wie Stücke eines gigantischen Puzzles oben an Deck liegen. „Die Bootsbau-Qualität ist supersolide. Wir waren baff, wie gut zum Beispiel die Holzteile noch aussehen. Nichts ist aufgequollen oder verzogen, keine abgelösten Furniere, nur wenig Verfärbungen.“
Die Bootsbauer staunen nicht schlecht, als nach Trockenlegung und Säuberung sogar die Navigationselektronik klaglos ihren Dienst aufnimmt. Beim Werftbesuch überrascht beim Gang unter Deck, dass es weder feucht noch muffig riecht. Es sieht nach viel Arbeit aus, aber schließlich ist der Mann vom Fach. Der bestimmt zwei Quadratmeter große Schaden im Rumpf ist schon im Aufbau: erst von innen die innere Laminatschicht herstellen, dann von außen defektes Kernmaterial entfernen und neues einkleben. Danach wird das äußere Laminat wieder aufgebaut.
Einzig limitierender Faktor ist das Budget: 15.000 Euro hatte Kemper bereits für den Kauf eines kleineren Bootes angespart, damit muss er nun hinkommen. „Mein Ziel ist es, diesen Sommer vier Wochen mit dem Boot zu fahren. Es muss ja innen noch nicht alles fertig sein.“ Wer in seine strahlenden Augen blickt, während er das sagt, wünscht ihm, dass ihm das gelingt.
Gleich, in welche Halle man schaut, fast überall stehen noch Opfer der Sturmflut. Wie etwa beim Yachtzentrum Damp. Dort zeigt Geschäftsführer Martin Janssen, wie die Mitarbeiter an drei Yachten gleichzeitig arbeiten. Keiner von ihnen hat schon Schäden solchen Ausmaßes gesehen. Doch das Team packt es an.
Bleibt zu hoffen, dass noch vielen betroffenen Eignern mit ihren Booten ein Comeback gelingt. Und dass die Schäden in den Häfen baldmöglichst behoben sind. Derzeit spricht einiges dafür, dass es vielerorts klappen könnte.
hat allein Pantaenius registriert. Die Versicherungsexperten schätzen die Gesamtzahl betroffener Yachten auf 1.300 bis 1.700
hat Pantaenius als Totalverlust klassifiziert. Insgesamt könnten es bis zu 300 Yachten sein
beträgt bislang die Schadenssumme bei Pantaenius
waren Mitarbeiter des Bergeteams in den Häfen unterwegs, mit nur einer Nacht daheim
soll ein Wiederaufbaufonds von Land und Kommunen bereitstellen
Förderung soll es für Küstenschutzprojekte geben