Lasse Johannsen
, Morten Strauch
· 02.05.2023
Schleswig-Holsteins Umweltminister Tobias Goldschmidt von den Grünen plant einen Nationalpark Ostsee an der Küste seines Bundeslandes. Für Bootsfahrer könnte das zu erheblichen Einschränkungen führen
Rund 300 Interessenvertreter waren am 21. März der Einladung des schleswig-holsteinischen Umweltministers Tobias Goldschmidt nach Kiel gefolgt, um sich über die Planungen eines Nationalparks Ostsee zu informieren. Es sei der Startschuss für eines der zentralen umweltpolitischen Projekte dieser Legislaturperiode, so der grüne Minister, der betonte, dass es ihm auch ganz persönlich ein wichtiges Anliegen sei. Denn der Ostsee gehe es schlecht, sie sei ein krankes Meer, und es bedürfe einer Kehrtwende, um das zu ändern.
Goldschmidt hatte bereits in den Verhandlungen mit der CDU im Sommer 2022 erreicht, dass sein Anliegen in den Koalitionsvertrag der neu gebildeten Landesregierung aufgenommen wurde. Es sei das Ziel, heißt es dort, den Meeresschutz in der schleswig-holsteinischen Ostsee zu verbessern. Ausgehend von den bereits bestehenden Schutzgebieten wolle man den Schutz für Arten und Lebensräume stärken:
„Für den Meeresnaturschutz, den Tourismus, die regionale Wirtschaft und die Anwohnerinnen und Anwohner können sich viele Vorteile aus einem schleswig-holsteinischen Meeresnationalpark Ostsee ergeben, der auf bereits bestehenden Schutzgebieten aufbauen und deren Wirksamkeit erheblich stärken könnte.“
In einem intensiven Konsultationsprozess mit den relevanten gesellschaftlichen Interessenvertretungen werde man einen solchen Nationalpark diskutieren und gegen Mitte der Legislaturperiode in der Koalition darüber entscheiden, ob und in welcher Form er auf den Weg gebracht werde.
Den Beginn dieses Austauschs markierte diese Abendveranstaltung, in der über das Vorhaben informiert wurde, in der aber auch bereits Vertreter aus Wissenschaft und Umweltschutz auf der einen sowie aus Wassersport, Tourismus und Fischerei auf der anderen Seite mit viel Verve und teils hart geäußerter Kritik zu Wort kamen.
Gesprächsgrundlage bildete eine im Ministerium entwickelte sogenannte Potenzialkulisse, in der bereits bestehende Naturschutz- und Natura-2000-Gebiete dargestellt und miteinander verbunden sind. Es ergibt sich eine Fläche, die Bootsfahrern hinsichtlich möglicher Nutzungseinschränkungen Angst machen muss, denn mit wenigen Ausnahmen ist nahezu die gesamte Wasserfläche an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste betroffen: der Bereich entlang der Küste von Flensburg bis zur Schlei mit einer Fläche von 26.381 Hektar, die Wasserfläche von Eckernförde bis zur Strander Bucht inklusive des Stollergrunds mit einer Größe von 12.139 Hektar und die Küstengewässer Ostholsteins inklusive Fehmarn mit einer Fläche von 4.500 Hektar.
Damit ist eine Fläche im Gespräch, die so groß ist wie Hamburg. Der Nationalpark Ostsee wäre der 17. und mit 161.000 Hektar der zweitgrößte Deutschlands – nach dem Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer mit 441.500 Hektar.
Ob tatsächlich alle drei Gebiete zu einem Nationalpark verbunden werden oder ein solcher lediglich in einem der drei genannten Bereiche eingerichtet werden soll, ließ Minister Goldschmidt auf Nachfrage ebenso offen wie die Antwort darauf, was im Nationalpark noch möglich sein wird. Beides solle im Konsultationsprozess erst noch erörtert werden: „Ich kann nicht ergebnisoffen in einen Dialog gehen und vorher Aussagen zu einzelnen Nutzungseinschränkungen machen“, so Goldschmidt. Er sei als Umweltminister aber daran interessiert, möglichst viel Fläche zu schützen.
Fest steht bereits, was der geplante Nationalpark nach den Vorgaben des Gesetzgebers mindestens erfüllen muss, denn das ist dem § 24 des Bundesnaturschutzgesetzes zu entnehmen. Der verlangt eine großräumige und weitgehend unzerschnittene Fläche von besonderer Eigenart, die in einem überwiegenden Teil die Voraussetzungen eines Naturschutzgebietes erfüllt und sich in einem vom Menschen nicht beeinflussten Zustand befindet oder in einen solchen Zustand entwickeln lässt.
Ein Punkt, der Bootsfahrern Sorgen machen muss, denn im Einzelfall kann das bedeuten, dass eine Region unter Ausschluss des Menschen sich selbst überlassen wird. So sieht es auch der Gesetzgeber. Der formuliert in § 24: „Nationalparke haben zum Ziel, in einem überwiegenden Teil ihres Gebiets den möglichst ungestörten Ablauf der Naturvorgänge in ihrer natürlichen Dynamik zu gewährleisten.“ Nur soweit es dieser Schutzzweck erlaubt, dürfen Nationalparks laut dem Gesetz auch dem Naturerlebnis der Bevölkerung dienen.
Die Ostsee ist krank. Wir brauchen eine Kehrtwende. Deshalb finde ich es richtig, wenn wir das Thema laut stellen” - Tobias Goldschmidt, Umweltminister Schleswig-Holstein
Was im Beamtendeutsch der überwiegende Teil heißt, ist die sogenannte Kernzone von mindestens der Hälfte des Nationalparkgebiets, in der die stärksten Einschränkungen bestehen. Welche Gebiete am Ende zur Kernzone gehören werden und was darin noch erlaubt ist, ob Bootsfahrer die schleswig-holsteinischen Küstengewässer noch nutzen dürfen wie bisher, ist völlig offen. Klar ist schon jetzt, dass Angeln oder gar Fischen hier verboten sein wird. Es dürfe in der Kernzone nichts entnommen und nichts hinzugefügt werden, so Minister Goldschmidt.
An die Kernzone soll sich eine Entwicklungszone anschließen, die in einem Zeitraum von 30 Jahren zur Kernzone entwickelt werden soll. Den Puffer zur Außenwelt bildet dann eine Pflegezone, die ausdrücklich der Erholung dienen darf und mit Einschränkungen auch bewirtschaftet werden kann, etwa durch nachhaltige Fischerei.
Bei der Auftaktveranstaltung wurde von den Befürwortern des Vorhabens mehrfach betont, dass man den Wassersport als kulturelles Erbe des Landes und wichtigen Wirtschaftsfaktor im Blick habe. Der Segelsport fand als gutes Beispiel für ein Naturerlebnis Erwähnung, das im Einklang mit dem Schutzzweck eines Nationalparks möglich sei. Doch es wird mit Sicherheit Teil der anstehenden Diskussionen sein, ob dazu auch eine Nacht vor Anker oder das Opti-Training unter Verwendung eines motorisierten Sicherungsbootes gehören wird.
Um all diese Fragen zu klären, hat das Ministerium sechs Workshops eingerichtet, in denen es sich während des kommenden Jahres mit Interessenvertretern aus den Bereichen Naturschutz, Fischerei, Wassersport, Tourismus, der regionalen Wirtschaft und der Kommunen austauschen will, um die Akzeptanz auszuloten und festzustellen, ob der angestrebte Gewässerschutz durch das Vorhaben überhaupt zu erreichen sei. Erst dann, so Umweltminister Goldschmidt, solle die politische Entscheidung erfolgen, ob ein Naturparkgesetz auf den Weg gebracht werde.
Bei der Auftaktveranstaltung im großen Saal eines Kieler Hotels mit Blick auf die Förde wurden hierzu unterschiedliche Stimmen laut. Umweltwissenschaftlerin Prof. Dr. Karen Helen Wiltshire vom Alfred-Wegener-Institut erntete mit ihrer Aussage, es gehe um nichts weniger als die Zukunft der Menschheit, Kopfschütteln. Lorenz Marckwardt, Vorsitzender des Landesfischereiverbandes Schleswig-Holstein, hingegen bekam den ersten lang anhaltenden Applaus des Abends. Mit Hinweis darauf, dass die vorgeschlagene Fläche ja bereits aus geschützten Gebieten bestehe, stellte der Fischereimeister die Frage, ob dem Zustand der Ostsee nicht effektiver dadurch geholfen werden könne, dass das Ministerium etwas gegen die Einträge aus der Landwirtschaft und die Munitionsaltlasten unternähme.
Die Ostsee ist nicht nur ein Lebensraum für Tiere und Pflanzen, sondern auch für den Menschen” - Timo Gaarz, Landrat Kreis Ostholstein
Manfred Wohnrade vom Tourismusverband Schleswig-Holstein äußerte im Namen seiner Mitglieder größte Sorgen. Auf die Nachfrage, ob er sich von einem Nationalpark nicht auch eine Magnetwirkung erhoffe, sagte er: „Ich glaube nicht, dass dadurch auch nur ein Tourist mehr nach Schleswig-Holstein kommt!“
Das Thema Boot fahren war an diesem Abend nur mittelbar vertreten. Dr. Thomas Liebsch-Dörschner, der Vizepräsident des Landessportbundes, forderte im Namen aller Wassersportler eine faktenbasierte Diskussion. Dafür sei zunächst zu klären, was die bisherigen Maßnahmen in den bereits bestehenden Schutzgebieten bewirkt hätten. Erst dann sei einzuschätzen, ob weitere Auflagen überhaupt helfen würden.
In seinem Schlusswort ging Minister Tobias Goldschmidt noch einmal ausdrücklich auf den Segelsport ein. „Segeln gehört zur Kultur unseres Landes. Selbst in den Kernzonen sehe ich nicht, warum es verboten werden muss!“
Die Segelsportler im Publikum gingen trotzdem mit gemischten Gefühlen nach Hause. Denn offen bleibt die Frage, wie weit das gedacht ist. Ob auch Kinder und Jugendliche gemeint sind, deren Ausbildung, von motorisierten Sicherungsbooten begleitet, im Uferbereich stattfindet. Oder Fahrtensegler, die auf den Einsatz des Motors angewiesen sind. Oder Ankerlieger. Wird dieses Naturerleben – laut Gesetz einer der Zwecke von Nationalparks – weiterhin überall möglich sein, wo es das heute ist?
Schon einmal wurde das Sportboot fahren im Land zwischen den Meeren starken Einschränkungen unterworfen. Im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer bestehen seit 1985 Einschränkungen bis hin zu strikten Befahrensverboten. Weit schlimmer als die Regeln selbst aber ist, dass seither über sie verhandelt wird. Forderungen von Nationalparkverwaltung und Naturschützern nach Restriktionen für Sportbootfahrer stehen seit Einrichtung des Nationalparks dauerhaft im Raum, und es kostet viel ehrenamtliches Engagement, wenigstens diesen unglücklichen Schwebezustand als das kleinste Übel aufrechtzuerhalten.
Es bleibt zu hoffen, dass es an der Ostsee anders kommt.
Der erste Blick auf die Karte mit der sogenannten Potenzialkulisse des anvisierten Nationalparks lässt jedem Ostsee-Bootsfahrer das Blut in den Adern gefrieren. Es drängt sich die Frage auf, ob großräumige Verbotszonen für Skipper an der schleswig-holsteinischen Küste entstehen.
Die gute Nachricht vorweg: Die skizzierten Flächen sind bisher nur ein Vorschlag, und es ist noch reichlich Zeit für Diskussionen zwischen Umweltministerium und den verschiedensten Interessenvertretern eingeplant, bis es im nächsten Jahr zu einer Entscheidung kommt. Was aber bedeuten die einzelnen Flächen bereits jetzt für Sportbootfahrer, und welche Idee steht hinter den ambitionierten Plänen des Umweltministers?
Die potenziellen Flächen des Nationalparks Ostsee basieren auf bereits bestehenden Schutzzonen verschiedenen Grades. Unterschieden werden die gelb dargestellten Natura-2000-Gebiete und die grün markierten Naturschutzgebiete.
Natura 2000 ist ein EU-weites Netz von Schutzgebieten zur Erhaltung gefährdeter oder typischer Lebensräume und Arten, das nicht nur Flächen an Land, sondern auch marine Gebiete umfasst. Für die Umsetzung von Natura 2000 an Land und in den Hoheitsgewässern (innerhalb der 12-Seemeilen-Zone) sind in Deutschland die Bundesländer zuständig. Für Natura 2000 im Bereich der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), die sich an die 12-Seemeilen-Zone anschließt, ist dagegen der Bund verantwortlich.
Der Umfang aller Natura-2000-Gebiete in der AWZ der deutschen Nord- und Ostsee beträgt rund 30 Prozent ihrer Fläche. Von der gesamten Meeresfläche des Bundes und der Länder stehen sogar rund 45 Prozent als Natura-2000-Gebiete unter Schutz.
Im Wesentlichen geht es bei den Schutzmaßnahmen in diesen Gebieten darum, dass sich deren Zustand nicht verschlechtert, was beispielsweise durch Nutzungsverbote erreicht werden soll, etwa indem es untersagt ist, Baggergut einzubringen. Aber auch das Verbot, gebietsfremde Tiere und Pflanzen auszusetzen, gehört zu den typischen Schutzmaßnahmen, ebenso wie die Einschränkung der Freizeitfischerei oder Auflagen wie erforderliche Sondergenehmigungen für bauliche Maßnahmen.
In den Seekarten sind die Natura-2000-Gebiete nicht verzeichnet, wohl, weil es dort bisher keine Beeinträchtigungen für Sportboote gab. Die weitaus kleineren Naturschutzgebiete besitzen neben der Kategorie Nationalpark den höchsten Schutzstatus für ein Gebiet, in dem unter anderem die dort vorkommenden Pflanzen- und Tierarten sowie ihre Lebensräume dauerhaft gesichert werden sollen. Diese sind auch in den Seekarten mit Befahrensverboten gekennzeichnet.
Hier sollen Rast- und Brutvögel vor Störungen durch Wasserfahrzeuge bewahrt werden. Die kommerzielle Fischerei ist von den Verbotszonen jedoch nicht betroffen.
Zu den bereits bestehenden Naturschutzgebieten der Ostsee gehören im Wesentlichen:
All diese Gebiete leisten einen wertvollen Beitrag zum Schutz von Flora und Fauna, ohne Skipper mit großflächigen Anker- oder gar Befahrensverboten zu konfrontieren. Bei den dort ausgewiesenen Sperrzonen handelt es sich um jeweils kleine, schmale Flachwasserbereiche, die von den meisten Kielbooten ohnehin nicht befahren werden können und deren Sperrung auf eine breite Akzeptanz unter Wassersportlern stößt.
Auf Vorschlag des schleswig-holsteinischen Umweltministers sollen die Natura-2000-Gebiete mit Ausnahme der Schlei und der Flensburger Innenförde mit den Naturschutzgebieten für einen Nationalpark zusammengelegt und teils auch noch erweitert werden, um neu kartierte Riffe in größeren Tiefen mit einzubeziehen.
Zur Diskussion gehören somit die drei nicht miteinander verbundenen Gebiete Flensburger Förde bis Schleimündung, südliche Eckernförder Bucht und östliche Kieler Bucht bis östlich Fehmarn. Insbesondere sollen Seegraswiesen, Muschelvorkommen, Riffe, Schweinswale und Wasservögel besser geschützt werden.