ReiseGriechenland zwischen Korfu und Paxos

Christian Tiedt

 · 15.12.2021

Reise: Griechenland zwischen Korfu und PaxosFoto: Nils Günther
Die Bucht von Lakka

Hinein in die blaue Ferne: In der Spätsaison beginnt auch im Norden des Ionischen Meers wieder Ruhe einzukehren. Man merkt es in den Häfen und Buchten. Dabei ist der Ausblick schön wie immer. Mit dem Katamaran auf Chartertörn zwischen Korfu und Paxos

Homer hätte seine Freude gehabt an diesem Ungeheuer – der vorderste Dichter der griechischen Antike hatte schließlich eine Schwäche für dramatische Auftritte. Vielleicht hätte er es sogar Skylla und Charybdis zur Seite gestellt, diesem duo infernale unter den Meeresmonstern. Im Dreierbund hätten sie dem schon genug geplagten Odysseus das Leben auf hoher See noch etwas schwerer machen können. Dass es auch damals keine wahrhaften Geschöpfe waren, die Homers Zeitgenossen beim Lesen seiner Zeilen in Angst und Schrecken versetzten, sondern machtvolle Naturerscheinungen, was machte das schon? Er dichtete schließlich. Ein bisschen künstlerische Freiheit war erlaubt – und die Wirkung blieb die gleiche. Auch heute, bald dreitausend Jahre später, gibt es einfache wissenschaftliche Erklärungen für das, was dort draußen weit hinter dem Horizont an diesem Tag Ende Oktober tatsächlich lauert: ein Wirbelsturm. Diese Art von Monster ist im Mittelmeer eigentlich nicht beheimatet. Mehrere Hundert Seemeilen misst der atmosphärische Malstrom im Durchmesser, nur langsam wandert sein Zentrum zwischen Siziliens Südspitze und der Großen Syrte hin und her. Die eingefärbte Karte unserer Wetter-App zeigt die Windgeschwindigkeiten rund um das Auge als zornigen roten Ring, während das Innere des Auges ruhig und tiefblau ist. So blau wie die aufgemalten Augen am Bug der Fischerboote unter uns im alten Hafen von Korfu. Schützen sollen sie gegen den bösen Blick, gegen Unheil – und gegen Stürme.

Wir stehen beinahe auf der höchsten Zinne der Neuen Festung, mit der bröckelnden Wehrmauer vor uns und der stolzen Flagge Griechenlands über uns. Schlapp hängt der blau-weiß gestreifte Stoff herab. Und wenn wir nach Süden schauen, über die verschachtelten Dächer der Altstadt hinweg und weiter, sehen wir die im Sonnenlicht funkelnde Fläche des Korfiotischen Meeres, das die Insel vom bergigen Festland trennt. Auch dort können wir nirgendwo Spuren finden, die auf das Wetterun­geheuer hindeuten. Keine Wellen, keine Wolken. Der Sommer scheint hier noch lange nicht am Ende zu sein.

Unser Katamaran und die imposante Alte FestungFoto: Nils Günther
Unser Katamaran und die imposante Alte Festung

Mag sein, dass dieser Friede daran liegt, dass Poseidon selbst diese Insel einst zum Refugium der Nymphe Kerkyra machte, damit sie hier in Ruhe das Kind der beiden zur Welt bringen konnte. Vielleicht wirkt dieser göttliche Schutz noch immer? Schließlich ist ihr Name der griechische für Korfu. Oder es liegt daran, dass das Korfiotische Meer im Süden und Norden nur schmale Zugänge zum offenen Ionischen Meer hat und so allgemein recht gut geschützt ist. Oder wir haben diesmal einfach nur Glück – der gewaltige Wirbelsturm rotiert etwa einhundert Seemeilen zu weit südlich.

Begonnen hat unser Chartertörn vor zwei Tagen an Steg L der Gouvia Marina. Knapp zehn Kilometer nördlich der Stadt Korfu gelegen, gehört der Hafen mit mehr als 1200 Liegeplätzen zu den größten seiner Art in ganz Griechenland. Damit ist er Dreh- und Angelpunkt im Ionischen Meer, besonders für die Charterindustrie. Auch The Moorings hat hier seine Basis, unser 434 Powercat gehört zur Flotte. Im Hochsommer mag die Anlage einem Bienenstock gleichen, doch jetzt ist es ganz anders: Dass es kaum Lücken in den langen Reihen der Segel- und Motoryachten gibt, ist ein untrügliches Zeichen, dass das Saisonende vor der Tür steht. Tatsächlich ist die Woche, die jetzt vor uns liegt, die letzte. Ende Oktober beginnt die Winterpause.

Gouvia Marina: vorn der Steg von The Moorings 
Foto: Nils Günther
Gouvia Marina: vorn der Steg von The Moorings

Keine Hektik, kein Gedränge. Umso besser! Gepäck und Einkäufe sind an Bord, Leinen los am nächsten Morgen. Während um uns herum die Segel abgeschlagen und eine Flybridge nach der anderen ihre feste Persenning übergezogen bekommt, verlassen wir bei strahlend blauem Himmel die Bucht von Gouvia für einen Abstecher in den Norden der Insel, bevor es am Nachmittag zur Hauptstadt Korfu gehen soll. In weitem Bogen folgen wir der Küste in den nächsten Stunden nach Nordosten, vorbei an den nahezu verwaisten Stränden von Ipsos, Dassia und Mparmpati mit ihren Hotelanlagen. Bettenburgen aus Beton sucht man hier zum Glück vergeblich, selbst die größeren Anlagen passen sich in die – selbst jetzt im Spätsommer noch überraschend grüne – Umgebung ein. Die üppige Natur, zu der auch Millionen Olivenbäume gehören, ist der exponierten Westlage Korfus zu verdanken, die im Winter regelmäßig für milden Regen sorgt. Das Panorama im Norden dominiert ein karger Felskegel, an ein Hochplateau angelehnt, mit Sendemast an der Spitze: Der Pantokrator ist mit rund neunhundert Metern Korfus höchster Berg. Tatsächlich thront der „Allherrscher“ über allem Umliegenden, Land und Meer. Noch etwas weiter im Norden, schon im Bereich der nördlichen Straße von Korfu, die an ihrer schmals­ten Stelle nur rund eine Seemeile breit ist und die Insel vom albanischen Festland trennt, gibt es zwar einige ausgewiesene Ankerbuchten. Da der Wind über Nacht aber aus Südost auffrischen soll und damit dort dann aus der falschen Richtung käme, folgen wir unserem ursprünglichen Plan und nehmen Kurs auf Korfu. Schnurgerade zieht unser Katamaran nun mit acht Knoten durch die See, dank der beiden Rümpfe und des Autopiloten wie auf Schienen. An Backbord erheben sich die sonnengebleichten Berge Albaniens aus dem Meer. Es ist eine wilde, einsam wirkende Landschaft, die nach dem hervorspringenden Kap Stilit in die griechische Region Epirus übergeht.

Altstadt von Korfu mit der Alten Festung hinten 
Foto: Nils Günther
Altstadt von Korfu mit der Alten Festung hinten

Die Stadt Korfu ist schon von Weitem bestens zu erkennen; nicht nur wegen der Alten Festung auf ihrem hohen Felsen oder der langen Reihen heller Altstadtfassaden, sondern vor allem wegen der vier Kreuzfahrtschiffe und der vielen Fähren. Gerade begegnen sich zwei, die eine auslaufend mit Kurs aufs Festland, die andere einlaufend. Man hat es eilig, die Konkurrenz ist hart. Entsprechend stark fällt der Schwell aus. Unser Ziel ist der Mandraki-Hafen, gleich zu Füßen der Festung. Da hier gleich zwei Segelclubs beheimatet sind, hat man in der Hauptsaison eigentlich keine Chance, was einen Liegeplatz angeht. Sogar heute wird es eng, doch dank viel guten Willens können wir mit dem Heck in eine Lücke an die Kaimauer gehen. Wir holen die Murings durch, legen unsere Holzplanke von der Steuerbord-Badeplattform über und sind bereit zum Landgang.

Dass die Altstadt italienisches Flair hat, ist kein Zufall: Mehr als vier Jahrhunderte gehörte Korfu zur Republik Venedig. Für die Handelsmacht war die Insel als Wächter am Tor zur Adria von enormer strategischer Bedeutung. Wie wichtig, zeigen ihre Befestigungen mit dem eingemeißelten Markuslöwen auf eindrucksvolle Weise. Dabei nutzten die Baumeister die vorhandenen Felssockel, um auf ihnen massive Mauern wie für die Ewigkeit zu errichten. Sie erfüllten ihren Zweck: Dreimal belagerten die Osmanen Korfu, dreimal mussten sie erfolglos abziehen. Die Herrschaft der Venezianer endete erst 1797, als der siegreiche Napoleon die Geschichte der Republik beendete und ihre Gebiete an andere Herren verteilte. 1864 schließlich kamen die Ionischen Inseln zum Königreich Griechenland.

 Die Bars von Korfu sorgen abends für StimmungFoto: Nils Günther
Die Bars von Korfu sorgen abends für Stimmung

Doch erst wenn es dunkel wird, zeigt Korfu sein wahres Gesicht: Die ganze Stadt ist auf den Beinen; in ihren engen Gassen kann man sich im besten Sinne verlieren. Überall strahlt und flackert Licht und lässt den Stein leuchten, auf den Tischen der Bars und Cafés sind es Kerzen und Windlichter, Feuerschalen und Fackeln vor den Restaurants. Überall sind Menschen, etwa am Dimarchiou-Platz, wo auch das Rathaus steht. Ist das immer so? Oder ist es das letzte große Feiern vor dem Winter? Man sieht verdächtig viele Steppjacken und Mäntel. Flankiert werden die Straßen von Arkaden und Balkonen, in den Schaufenstern locken Kunst und Kitsch. Heilige, Philosophen und Superhelden streiten um die besten Plätze, und wer sich gegen den bösen Blick wappnen will, kauft einen Anhänger mit dem blauen Auge. Unser Abend endet nach verschlungenem Rundgang an einem Tisch in der Sway Bar am Enoseos-Platz, unweit des Festungsgrabens, mit freiem Blick auf das vorbeiziehende Leben.

Mit unserer ersten längeren See­etappe peilen wir am nächsten Tag Syvota an, das zwanzig Seemeilen südöstlich auf dem Festland liegt. Der Sturm hält weiterhin seinen Abstand und ermöglicht uns eine entspannte Überfahrt über kaum bewegtes Wasser. Ein leichter Schleier hat den Himmel überzogen und dämpft die Sonne etwas. Die wenigen Segler, die wir sehen, mühen sich mit dem schwachen Hauch ab oder motoren wie wir.

Syvota liegt überschaubar am Ufer einer U-förmigen Bucht, eingerahmt von bewaldeten Hügeln und nach Süden durch eine Gruppe von drei kleinen Inseln abgeschirmt. Auch wenn wir auf der letzten Seemeile in Kiellinie mit zwei Segelkatamaranen einlaufen, besteht überhaupt kein Platzmangel. Im Hafenbecken der Marina liegen die wenigen Yachten sogar längsseits, und auch an der Pier direkt im Ort ist noch fast alles frei. Wir drehen unseren Powercat auf der Stelle, lassen den Anker fallen und gehen rückwärts an die Mauer, die genau die richtige Höhe hat.

In Syvota liegen wir direkt an der HafenmauerFoto: Nils Günther
In Syvota liegen wir direkt an der Hafenmauer

Die letzten Landurlauber sind bereits ausgeflogen, und das an den Hang gebaute Hotel ist für den Winter geschlossen. Auch die meisten Restaurants entlang der breiten Promenade haben die Terrassen leer geräumt und die Sonnenschirme fest zusammengebunden. Der Ticketstand für Ausflugsfahrten zur Insel Paxos steht verwaist da, ein letzter Flyer klemmt in einer Kerbe. Dennoch hat man die wenigen Bootstouristen nicht vergessen, die wie wir noch unterwegs sind. Wie abgesprochen hat noch ein Supermarkt geöffnet, dazu das Familienrestaurant Georgeos, nur ein paar Schritte vom Wasser entfernt. Es gibt Feta aus dem Ofen, gegrillten Schwertfisch und zum Abschluss einen Ouzo. Die Katzen warten, was so abfällt. Jámas – zum Wohl! Es wird früh dunkel, und die Heizstrahler brennen. Ganz schön frisch – zumindest für mediterrane Verhältnisse.

Am nächsten Morgen spüren wir dann den Atem des Ungeheuers zum ersten Mal: Wir wollen hinüber nach Paxos, in die Bucht von Lakka an der Nordspitze der Insel; ein Ort, den alle Törnführer einmütig als wahr gewordenen Traum bezeichnen. Der Weg dorthin führt einmal quer über die Straße von Paxos. Sie trennt die Insel und deren kleine Nachbarin Antipaxos von Korfu im Norden und dem Festland im Osten. Dass man hier immer mit Wellen rechnen muss, wurde uns schon in der Charterbasis gesagt. Doch als wir Syvota und die Abschirmung der vorgelagerten Insel gleichen Namens verlassen, trifft es uns doch etwas überraschend: Von Süden schickt uns der Wirbelsturm seinen Schwell, der Wind weht zwar schwach, aber stetig aus Nordwest. Wo wir sind, treffen beide aufeinander. Die kurze steile Welle, die so entsteht, hat bis zu einen Meter Höhe. Zum Glück kommt sie nicht völlig von querab, sondern von leicht voraus an Backbord, sodass wir den Kurs halten können. Nur gut, dass wir unter Deck alles seefest gemacht haben. Bei solchen Rollbewegungen lernen Kaffeemaschinen und Toaster schnell fliegen!

Das Wasser wirkt plötzlich viel dunkler. Man merkt, dass es das Meer jetzt ernst meint. Schon schäumt die Gischt wild um die zerklüftete Küste achteraus. Sehr weit im Süden erhebt sich Levkas als blauer Schatten über dem Horizont. An Steuerbord steht dagegen nah und klar Kap Aspro­kavos, der südlichste Punkt Korfus, mit seinen fantastischen Formationen: eine Steilküste wie aus aufbrandenden, versteinerten Wogen. Voraus liegt Paxos, noch immer zehn Seemeilen entfernt. Der Wind nimmt zu, und bald sind die ersten Schaumkronen zu sehen. Es wird ein richtiger Ritt.

Unser Boot und der Blick nach Süden entlang der Festlandküste von Epirus mit dem Kap Varlaam | Foto: Nils Günther
Unser Boot und der Blick nach Süden entlang der Festlandküste von Epirus mit dem Kap Varlaam | 

Dann, nach einer guten Stunde, ist es geschafft: Wir steuern in die schmale Einfahrt der Bucht von Lakka – und mitten hinein ins Paradies. Türkis leuchtet das Wasser über dem sandigen Boden. Es ist so klar und ruhig, dass unser Katamaran über seinem eigenen Schatten zu schweben scheint. In der Hauptsaison machen sich die Yachten hier die Schwojkreise streitig, doch jetzt herrscht freie Platzwahl. Es wird gebadet, gepaddelt, und bald ruht auch unser Eisen auf dem Grund. Wir brauchen dringend Bewegung, also wird das Dingi zum Landgang gewassert. Schnell finden wir ein Restaurant für später, am Marktplatz hat die Taverna Nionios noch geöffnet. Doch vorher wandern wir zwischen Olivenbäumen und dichten Büschen über eine gewundene Straße hinauf zum Leuchtturm. Wie es sich für einen solchen Ort gehört, ist der Blick hier frei in die blaue Ferne.

Noch mehr Informationen? Den Reisebericht “Hinein in die blaue Ferne” finden Sie mit weiteren Bildern und Revierbeschreibung in BOOTE-Ausgabe 01/2022 seit dem 15.12.2021 am Kiosk oder online im Delius Klasing-Shop.