Christian Tiedt
· 18.03.2022
Die deutsche Bucht hat selbst im Sommer ihren ganz eigenen rauen Charme. Mit dem Cruising Club der Schweiz geht es im ersten Teil der Reise von der Ems bis zur Elbe.
Endlich ging es wieder los! Nach langer Zwangspause durch die Pandemie zeigte sich im vergangenen Jahr zumindest wieder ein Lichtstreif am Horizont. Wie alle anderen Wassersportvereine hatte auch der Cruising Club der Schweiz sein Programm für die Saison 2020 komplett streichen müssen. Das hatte natürlich auch unsere Reise an Bord der „Rolling Swiss 2“ betroffen. Nun, im zweiten Corona-Sommer, war dank Impfstoffen ein vorsichtiger Neustart möglich. Mit reduziertem Programm zwar, aber immerhin. Da ließ es sich auch verschmerzen, dass unsere Reise über die Deutsche Bucht, die Anfang Juli in Medemblik am IJsselmeer begonnen hatte, in den ersten Tagen alles andere als nach Plan lief: Eigentlich hatten wir über die Westfriesischen Inseln nach Westen gewollt, also außen herum. Doch die Nordsee hatte keine Lust mitzuspielen. Zwei Tage mit sieben Beaufort zwangen uns auf die Binnenroute zur Emsmündung, durch die Provinzen Friesland und Groningen. Nun würde der „echte“ Start also in Delfzijl erfolgen. Vor der Ems zur Elbe sollte es nun gehen; aber nicht auf dem kürzesten Weg, sondern auf dem längsten: von Ostfriesland über Helgoland und Nordfriesland. Die Aussichten: gut. Alles war bereit. Endlich.
Keine jagenden Wolken mehr wie gestern. Der Wind hat etwas nachgelassen, zum Problem wird er nicht werden. Tatsächlich scheint sogar die Sonne, als wir am Morgen über den Havenkanaal zur Ems hin auslaufen, vorbei an der langen Reihe von Windkraftanlagen. Es riecht nach dem, was Delfzijl reich macht: Chemie. Weiter nach Nordwesten geht es auf dem Dukegat. Unsere Trader 42 ist endlich wieder in ihrem Element, auch die beiden Cummins-Diesel haben hörbar Spaß. Backbords kommt bald Eemshaven mit seinem Kraftwerk auf, dessen Block mit den rauchenden Schloten optisch die gesamte Emsmündung dominiert. Sehr wenig Verkehr ist unterwegs, ein einsamer Kutter, auch ein Schubverband. Von Borkum röhrt der Katamaran auf seinem Weg nach Emden heran. An Steuerbord ragt Campens Leuchtturm im Dunst auf, bevor die Küste der Krummhörn weiter zurückweicht.
Bald ist Deutschlands westlichste Insel voraus gut zu sehen. Am Hubertgat, dessen Einfahrt von einem dreibeinigen Leuchtfeuer markiert wird, steht durch den Tidenstrom eine ganz schöne Welle. Zum Glück ist der Wind nicht stark genug, um sie brechen zu lassen. Wir rollen auf den letzten Kabellängen trotzdem ganz ordentlich, aber nicht so sehr wie die beiden holländischen Aaken mit dem gleichen Ziel. Der Burkana-Hafen ist ein zweckmäßiges Rechteck aus rostiger Spundwand. Am Gaststeg des Wassersportvereins gleich links ist noch Platz für drei bis vier Boote längsseits. Wir lassen uns nicht lange bitten. Ob hier vor zwei Tagen während des Sturms alles voll war? Borkum ist schließlich Nothafen. Sportboote liegen hier, dazu Lotsenversetzer, Offshore-Commuter, der Seenotrettungskreuzer „Hamburg“ (mit seinem passend benannten Tochterboot „St. Pauli“) und das Feuerschiff „Borkumriff“. Am Ufer Schuppen, ein ehemaliges Kasernengelände, das jetzt von der Windindustrie genutzt wird, das Gebäude des Wasser- und Schifffahrtsamts und das Hafencafé mit einer alten Kanone davor. Das Café dient gleichzeitig als Clubheim des Wassersportvereins Burkana. Sieben Kilometer sind es über die Salzwiesen bis in den Ort. Die Bushaltestelle befindet sich gleich neben dem Feuerschiff. Als letztes seiner Art in Deutschland wurde es 1988 ausgemustert, ein unbemannter Nachfolger übernahm seine Position 35 Seemeilen nördlich. Heute dient es als schwimmendes Informationszentrum des Nationalparks Wattenmeer.
Um 19 Uhr kommt unser Bus, am Bahnhof steigen wir aus. An der Promenade reihen sich die Hotels aneinander, eine Mischung aus Gründerzeit und Sechzigerjahren, unten vor der Sturmflutmauer sind es gut besuchte Beachbars mit Liegestühlen, Cocktails und Co. Der Strand davor ist voll mit bunten Strandkörben, die zu dieser Stunde allerdings schon verwaist sind. Auf der vorgelagerten Sandbank genießt dafür eine Kolonie Seehunde ebenfalls die Abendsonne, in sicherer Entfernung zu den Spaziergängern an der Wasserkante. Drachen stehen unbeweglich wie Schattenschnitte am goldenen Abendhimmel.
Knapp dreißig Seemeilen sind es außen herum von hier aus nach Norderney, unserem nächsten Ziel. Zuerst entlang der Nordküste Borkums, dann quer über die Mündung der Osterems und schließlich für die längste Strecke vorbei an der lang gestreckten Dünensilhouette von Juist, die kein Hochhaus verunstaltet; eigentlich überhaupt kein Haus, wie es aussieht. Wenigstens ist der Wind so zahm wie versprochen und schiebt dazu noch leicht aus West: Ein träger Sommertag an der Nordsee, die Dünung ist kaum zu spüren. Selbst der Blanke Hans scheint zu dösen. Norderneys Playa taucht voraus auf, weiße Fassaden hinter Strand und Deich, wenige Hochhäuser. Dazu an bester Stelle der Pavillon auf der Marienhöhe. Fähren pendeln eifrig, der „Prinz Heinrich“ lässt Dampf ab. Wer das „Rätsel der Sandbank“ gelesen hat, dem kommt das alles sehr bekannt vor. Im Schluchter läuft die fallende Tide gegen den Wind. Trotz der friedlichen Verhältnisse heute steht dennoch Welle über der Barre des Seegats. Was hier bei Sturm wohl los sein mag? Weiter innen auf dem Riffgat beruhigt sich das Fahrwasser jedoch bald wieder, und auf den Fähranleger folgt die Hafeneinfahrt. Keine Chance an den Stegen des Seglervereins, alle Boxen sind belegt, erklärt der Hafenmeister am Telefon. Also müssen wir an die Spundwand. Zum Glück ist fast Niedrigwasser, die nötige Leinenlänge lässt sich also ganz gut berechnen. Fenderbretter klar! Wir erfahren außerdem, dass Gastlieger in Niedersachsen offenbar noch immer getestet, genesen oder geimpft sein müssen – die Kontrolle übernimmt der Hafenmeister.
Mir fehlen noch genau sieben Stunden für den vollen Impfschutz, da kann man ein Auge zudrücken. Das Testzentrum würde eh erst morgen um acht öffnen, da wollen wir schon auf dem Weg Richtung Helgoland sein. Danach macht sich unsere dreiköpfige Crew auf den Weg in die Stadt, vom Tonnenhof durchs Wohngebiet geradewegs zum Kurpark mit dem Conversationshaus. Alles ist voller Urlauber, die wie wir viel nachzuholen haben. Ein schnelles Norderneyer Bier an der Weststrand-Bar, dann für großartige Tagliatelle mit Iberico zu Da Sergio in der Strandstraße. Spät erst sind wir zurück am Boot, das inzwischen oben angekommen ist – Hochwasser. Wie noch am IJsselmeer ist es auch hier stickig und heiß, aber wenigstens scheint es keine Mücken zu geben.
Zeitig verlassen wir Norderney um sieben Uhr für die Überfahrt nach Helgoland, etwa fünfeinhalb Stunden werden wir für die rund vierzig Seemeilen benötigen. Es ist diesig, doch die Sonne lässt immer mal wieder ein paar Funken sprühen, als wir den Weststrand passieren und dann zunächst nah unter Land nach Osten und dann nach Nordosten steuern, in etwas zu flachem Winkel, um nicht das breite Verkehrstrennungsgebiet „Terschelling-German Bight“ kreuzen zu müssen, die Autobahn der Deutschen Bucht. Die See ist unruhig, kabbelig, der Wind dreht von Nord auf Nordwest, soll aber bei maximal drei Beaufort bleiben. Ich übernehme die erste Wache bis um 10 Uhr, in dieser Zeit taucht die „Berlin“ auf, frisch zurück in der Heimat nach dreimonatigem Auslandseinsatz im Mittelmeer. Skipper Marc greift zur Funke und schickt einen Willkommensgruß hinüber zum Einsatzgruppenversorger, wo man sich umgehend bedankt. Derweil steuert man drüben scheinbar unentschlossen mit zwölf Knoten hin und her. Weil die Einlaufzeit nach Wilhelmshaven noch nicht erreicht ist, wie wir über Funk erfahren. Als das 20 000-Tonnen-Schiff dann zum Abschied Hartruder legt, geht es um die Ecke wie ein Zerstörer. Alle Achtung!
Wir steuern weiter nach Nordost. Glücklicherweise kommt die See etwas vorlicher als von querab. Trotzdem bockt die „RS 2“ ganz ordentlich, als ich in der Koje liege. Egal, denn der Rote Felsen kommt bereits in Sicht, dann die flache Düne daneben. Immer wieder großartig. Pünktlich ist sogar der Himmel gnädig, der graue Schleier zieht langsam ab, erste Wolkenlöcher machen Hoffnung auf mehr Sonne. Der Südhafen ist schon gut besucht, obwohl es erst kurz nach Mittag ist. Am Mittelsteg liegen schon Dreier- und Viererpäckchen, ebenso am Schwimmsteg in der Südostecke des Beckens. Deutsche, einige Holländer und Dänen, auch eine finnische Flagge sieht man. Ganz am Ende des Stegs, beinahe unter dem Bug des Seenotkreuzers „Hermann Marwede“ liegt eine (noch) einsame Elling, die „Inge“ aus Hooksiel. Wir fragen und gehen längsseits, nicht der schlechteste Platz! Auf Reede liegen keine Schiffe; was vom Festland herüberkommt – die gute alte „Funny Girl“, die neue „Helgoland“, ein Kat aus Hörnum und der „Halunderjet“ –, macht im Hafen fest.
Schon was los an Land, aber kein Vollgasbetrieb wie sonst. Klar, das liegt noch immer an Corona. Auf dem Unterland am Hafen wird nach wie vor gebaut, die erneuerte Kaianlage erweitert. Die halb überwucherte Ruinenromantik dieses Areals ist endgültig Geschichte, der Bereich immer weniger zugänglich. Über den Invasorenpfad steige ich hinauf zum Berliner Bären, dann wandere ich einmal im Uhrzeigersinn ums Oberland, über das der plötzlich überraschend warme Wind streicht. Auf dem „Pilgerweg“ der Tagestouristen komme ich zum Lummenfelsen, wo das Geschrei diesmal noch lauter als sonst zu sein scheint. Irre, wie dicht die Basstölpel die Schaulustigen an sich heranlassen; keine fünfzig Zentimeter (und ein Zaun, der nicht der Rede wert ist) trennen Mensch und Tier. Wirklich eindrucksvoll, wie groß diese Seevögel sind. Und auch die Lange Anna steht noch. Wurde nicht schon mehrfach behauptet, ihr Fall stehe kurz bevor? Die Treppe am Falm bringt mich zurück zum Unterland, mitten hinein in das Gewimmel auf dem Lung Wai, Helgolands überschaubarer Shoppingmeile. Als ich wieder am Boot bin, stehen knapp neun Kilometer auf der Uhr. Da soll noch einer sagen, Helgoland sei klein. Mit einem Bier setze ich mich aufs Achterdeck und schreibe Tagebuch, während sich der Hafen weiter füllt, zuletzt sind einige Päckchen sieben Boote stark.
Zum Essen geht es schließlich noch einmal zurück aufs Oberland in die Hanse Kogge; sehr nett, und die Scholle ist wirklich spitze. Zum Abrunden ist ein Eiergrog Pflicht, der die Schweizer ganz schön staunen lässt. Draußen flammt das Abendrot auf und verlischt wieder, während sich die Sommernacht über den Hochseefelsen legt. Wir beschließen, noch einen weiteren Tag zu bleiben. Doch die „Inge“ will morgen früh zum Festland, also müssen auch wir zum Verholen hoch. Dafür werden wir dann aber ihren Platz direkt am Steg erben.
Fortsetzung folgt im nächsten Heft
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